Gericht

Ich hätte da gern mal ein Problem

Man darf getrost davon ausgehen, dass an der Wirtschaftsstrafkammer eines Landgerichts erfahrene Richter und Geschäftsstellenmitarbeiter arbeiten.

Wenn mir der Mandant aber so einen Umschlag schickt, in dem ihm die Anklageschrift übersandt wurde …

… muss ich mir die Frage stellen, wo die Erfahrung ihren Niederschlag gefunden hat.

Dass so etwas zu recht leicht vermeidbaren Problemen führen kann (nicht muss), liegt eigentlich auf der Hand. Spart die Justiz in NRW etwa am falschen Ende?

Wer erklärt dem Gericht, wie man es richtig macht?

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Faxen und das Amtsgericht Charlottenburg

Von Menschen, die mit der Justiz nichts zu schaffen haben, muss ich mich als rückständig disqualifizieren lassen, wenn ich einräume, mit der (Straf-)Justiz immer noch per Fax kommunizieren zu müssen, wenn es schnell und zuverlässig gehen soll.

Faxen sei ja sowas von 1990er, das gibt es doch eigentlich gar nicht mehr. Eigentlich nicht, ja – im Bereich der justiziellen Resopalmöbel aber schon. Aber es geht auch noch schlimmer.

Zur Zeit verteidige ich einen Mandanten, bei dem der Verdacht nahe gelegen hat, ihm könnte es an der Willensbildungs- und Steuerungsfähigkeit mangeln, so das möglichweise auch die Schuldfähigkeit ausgeschlossen oder eingeschränkt sein könnte.

Der Mandant wurde unmittelbar nach dem Vorfall auf Antrag des Sozialpsychiatrischen Dienstes nach dem PsychKG in ein Krankenhaus eingewiesen. Über diesen „Unterbringungs-Vorgang“ hat das Betreuungsgericht beim AG Charlottenburg eine Akte angelegt. In diese Akte will die Staatsanwaltschaft Einblick nehmen, um – wie sie vorträgt – die Schuldfähigkeit des Beschuldigten prüfen zu können.

Zwischenzeitlich hatte ich Einsicht in die Ermittlungsakte, woraus sich ergab, dass der gegen den Mandanten erhobene Vorwurf nicht halt- und/oder nachweisbar ist. Der Staatsanwältin reichte mein Telefonanruf, um meine Anregung der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO formlos in der Akte zu vermerken, so klar war die Sache jetzt.

Deswegen hatte ich ich mich beim Betreuungsgericht gegen die Übersendung der Betreuungsakte mit den persönlichen Daten meines Mandanten gewandt und am 10.09.2019 einen entsprechenden Antrag gestellt.

Als erste Reaktion darauf forderte mich die Richterin am 12.09.2019 auf, eine schriftliche Vollmacht für das Betreuungsverfahren vorzulegen. Ich habe am selben Tag klargestellt, was meine Aufgabe und schon deswegen keine Vollmacht vorzulegen sei: Ich bin allein mit der Verteidigung in dem Ermittlungsverfahren beauftragt und dafür muss ich mich nicht durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht legitimieren.

Meine Schreiben an das Gericht habe ich via Faxdienstleister an das Amtsgericht Charlottenburg geschickt. Vom Gericht bekam ich jeweils die Post per Sack.

Nun reagiert die Richterin ein weiteres Mal (per Post) mit einer Entgegensehung, die mich daran zweifeln lässt, dass sie bereits in den 90er Jahren angekommen ist.

Was macht man mit so einem Zettel, ohne grob unhöflich zu werden? Mir ist es knapp gelungen, in sachlichem Ton zu schreiben:

Die Übersendung der Korrespondenz per Fax ist ausreichend, das Ausdrucken meiner Schriftsätze und ihr Versand per Post ist nicht erforderlich.

Ich bin gespannt, was in dieser Welt bewegenden Sache noch passieren wird. Der Begriff „Betreuungsgericht“ hat für mich jedenfalls nun eine völlig neue Bedeutung bekommen.

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Bild: © Judith Lisser-Meister / pixelio.de

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Eine zähe Einstellung

Wenn’s läuft, dann läuft’s. Unter diesem Motto beschäftigt mich (oder genauer: meinen Mandanten) seit 2015 ein Verfahren in Dresden.

Im Hauptberuf ist mein Mandant Angestellter in einem Unternehmen, an das maximal erhöhte Sicherheitsanforderungen gestellt werden, und damit auch an dessen Beschäftigte. Eine Vorstrafe, auch eine kleine, hätte das Ende der Karriere zur Folge. Soweit die Ausgangslage.

Nun hatte mein umtriebiger Mandant eine Geschäftsidee, die er mit einer GmbH-Gründung umsetzte. Dabei war er allerdings weniger erfolgreich; erst kam die Krise, dann ein paar Fehlentscheidungen oben drauf und schon hatte die Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft einen weiteren Fall.

Die Staatsanwältin sah in dem Fall eine Routineangelegenheit und bearbeitete die Akte nach „Schema F„. Auch das Gericht erkannte die Brisanz des Falles nicht. So ging das Strafbefehlsverfahren seinen trägen Gang.

Richtig Bewegung kam in die Geschichte erst, nachdem der Mandant mich mit der Verteidigung beauftragt hatte. Nach dem Einspruch gegen den Strafbefehl kam es zu einer zähen Hauptverhandlung mit einer umfangreichen Beweisaufnahme, verteilt auf vier Termine … ohne dass ein zeitnahes Ende absehbar war.

Dann kam das Friedensangebot des Richters: Das Verfahren sollte eingestellt werden gegen Zahlung einer Auflage in fünfstelliger Höhe. Zähneknirschend haben die Staatsanwältin und der Mandant zugestimmt. Die Sache hätte damit einigermaßen friedlich beendet werden können.

Die Auflagenzahlung sollte an eine gemeinnützige Organisation gehen. Namen und Bankverbindung des Vereins teilte das Gericht der Verteidigung schriftlich mit. Der Mandant zahlte und schickte mir den Überweisungsbeleg, damit ich die *endgültige* Einstellung des Verfahrens beantragen konnte.

Bei der Überprüfung des Zahlungseingangs bei dem Verein stellte der Richter fest, dass er mir die falsche Bankverbindung mitgeteilt hatte. Deswegen bekam ich statt des beantragten Einstellungsbeschlusses folgende Anweisung:

Diesem Schreiben war die Mitteilung des Vereins beigefügt:

Und jetzt? Soll der Mandant nach Vorstellung des Richters loslaufen und versuchen, eine zwei Monate alte Überweisung wieder zurückzuholen, um den Betrag dann noch einmal, dann aber an die richtige Adresse überweisen? Oder soll ich das gegen teures Zeithonorar an seiner Stelle erledigen?

Ich habe dem Richter einen „Ick-gloob-et-hackt“-Brief geschrieben:

ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom **.**.2019, in dem Sie mitteilen, dass Sie in dem Beschluss vom **.**.2019 versehentlich eine falsche Bankverbindung des *.* e.V. angegeben haben.

Mein Mandant hat die Auflage nach Maßgabe Ihres Beschlusses fristgerecht erfüllt, indem er am **.**.2019 die Auflagenzahlung an eben diese Bankverbindung geleistet hat.

Die Überweisung wurde ausgeführt, einen Rücklauf hat es nicht gegeben. Die Rückforderung bzw. eine Stornierung einer solchen Überweisung ist grundsätzlich ausgeschlossen, zumal fast 2 Monate vergangen sind.

Es dürfte dem Gericht obliegen, die Folgen der falschen Angabe der Bankverbindung zu beseitigen

Der Mandant hat die Auflage vollständig und fristgerecht erfüllt, das Verfahren ist daher endgültig einzustellen, was ich nochmals beantrage.

Nun warten wir erst einmal auf die Reaktion des Gerichts. Wenn das Gericht meine Ansicht nicht teilen sollte, wird es wohl darauf hinauslaufen, dass erneut verhandelt werden müsste. Ob das erstrebenswert ist?

Aber vielleicht haben ja der Richter, die Staatsanwältin und/oder ein Blogleser noch eine andere Idee. 8-)

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Zu kurze Androhung empfindlicher Übel

Das Gericht hat den Mandanten zu seiner Verhandlung geladen. Damit er dann auch tatsächlich erscheint, droht der Vorsitzende dem Geladenen empfindliche Übel an:

Die Rede in dieser Ladung ist vom sogenannten Sitzungshaftbefehl. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines solchen Rotzettels sind in § 230 StPO geregelt.

Richtig ist, dass dieser (Vorführ- oder) Haftbefehl nur im Inland, also innerhalb der deutschen Grenzen von 1990, vollstreckt werden kann.

Verschwiegen wird aber an dieser Stelle, dass es auch noch eine andere Möglichkeit gibt, dem Angeklagten habhaft zu werden, und zwar auch außerhalb dieser Grenzen.

Wenn jemand nämlich nicht zum Termin erscheint, überlegt sich regelmäßig als allererster der Staatsanwalt, aus welchem Grund die Anklagebank leer geblieben ist. Ungefähr eine Zehntelsekunde später kommt dem Verfolger der Begriff „Flucht“ in den Sinn. Und damit sind wir bei § 112 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 StPO.

Ein solcher Haftbefehl kann selbstredend auch international vollstreckt werden. Und das kann dann nicht nur empfindliche Übel nach sich ziehen, sondern sehr, sehr empfindliche. Man stelle sich nur mal eine Verhaftung in einem Land vor, die noch Knäste haben, die bei uns mit der Einführung von Zellengefängnissen abgeschafft wurden. Das ist nicht lustig.

Deswegen lautet der Rat eines jeden Strafverteidiger an seinen Mandanten: Dieser Ladung sollte man folgen, die meinen das ernst.

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PM: Urteil gegen „Freie Kameradschaft Dresden“ rechtskräftig

Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs teilt in der Pressemitteilung Nr. 064/2019 vom 13.05.2019 mit:

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden verworfen, durch das diese jeweils wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und weiterer Straftaten zu Jugendstrafen verurteilt worden sind.

Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten Mitglieder der kriminellen Vereinigung „Freie Kameradschaft Dresden“, die sich Ende Juli 2015 in Dresden gegründet hatte und deren Ziel es war, die rechtsextreme und ausländerfeindliche Gesinnung ihrer Mitglieder zu verbreiten und – auch mit Gewalt – die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland zu bekämpfen. Ihre Angriffe richteten sich in erster Linie gegen politisch Andersdenkende und Ausländer, aber auch gegen Polizeibeamte, soweit diese zum Schutz ihrer primären Angriffsziele eingesetzt waren. In mehreren Fällen agierte die „Freie Kameradschaft Dresden“ gemeinsam mit der als terroristische Vereinigung verfolgten „Gruppe Freital“.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die auf die jeweils erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten verworfen. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Beschluss vom 2. April 2019 – 3 StR 23/19

Zeit Online berichtete am 24.08.2017 über den Ausgang des Verfahrens vor dem Landgericht Dresden gegen die Dresdner Nazis:

Zwei Mitglieder der rechtsextremen Gruppe Freie Kameradschaft Dresden (FKD) sind vom Dresdner Landgericht zu Freiheitsstrafen von je drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Die Staatsschutzkammer sah die Vorwürfe der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlichen Körperverletzung, des Landfriedensbruchs und Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion nach zehn Verhandlungstagen bestätigt. Für den 19-Jährigen verhängte sie eine Jugendstrafe.

Ob das Pack dann als bessere Menschen wieder aus dem Knast rauskommen wird, weiß ich nicht. Aber zumindest ist für die nächste Zeit deren Handlungsspielraum beschränkt. Manchmal und in diesen Fällen finde selbst ich den Knast für eine sinnvolle Einrichtung.

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Eine eher seltene Verweisung nach oben

Regelmäßig ist es Sache der Staatsanwaltschaft, sich auszusuchen, welches Gericht über die Anklage verhandeln und später urteilen soll.

Je nach Vorstellung des Staatsanwalts, was am Ende hinten rauskommen soll, beantragt die Staatsanwaltschaft in Wirtschaftsstrafsachen die Eröffnung beim Amtsgericht (Strafrichter oder Schöffengericht) oder beim Landgericht (allgemeine oder Wirtschaftsstrafkammer).

Erwartet der Strafverfolger eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, wird er die Sache zum Strafrichter schicken. Sind es nach Wunsch und Vorstellung des Ankläger aber bis zu vier Jahre, klagt er zum Schöffengericht an. Alles, was in der Vorstellungswelt eines Staatsanwalts darüber hinaus gehen soll, schickt dieser zum Landgericht.

In den überwiegenden Fällen erfüllt das angerufene Gericht den Wunsch der Staatsanwaltschaft. Nur selten meint das Land- oder Schöffengericht, dass der Anklageverfasser übertreibt; dann eröffnet es beim Gericht eine Etage tiefer, § 209 Abs. 1 StPO.

Noch seltener passiert so etwas hier:

Der Staatsanwaltschaft reicht eigentlich die Strafkompetenz des Strafrichters von zwei Jahren. Hier meint der Strafrichter aber, das reiche nicht und schlägt gem. § 209 Abs. 2 StPO dem Schöffengericht vor, die Sache zu übernehmen, weil es ja auch bis zu vier Jahre werden könnten.

Das ist für den Angeschuldigten eine eher weniger erfreuliche Perspektive. Aber selbst dann, wenn das Schöffengericht das Verfahren „übernimmt“, sind noch nicht alle Messen gesungen; die Hoffnung auf eine Freiheitsstrafe unterhalb der „Bewährungsgrenze“ von zwei Jahren stirbt erst ganz zuletzt.

Ganz unberechtigt ist die Hoffnung in solchen Fällen nämlich nicht: Die Aus- bzw. Überlastung der Schöffengerichte eröffnet der Verteidigung durchaus weite Verhandlungsspielräume.

Richtig kritisch würde es erst, wenn es noch eine Etage höher – zur Strafkammer beim Landgericht – gehen sollte. Aber das – also eine Verweisung des Strafrichters in Wirtschaftsstrafsachen nach ganz oben – ist mir in über zwei Jahrzehnten noch nicht „passiert“.

Mein Mandant und ich warten aber erst einmal ab, was das Schöffengericht zu dem Vorlagebeschluss des Strafrichters zu sagen hat. Dann sehen wir weiter.

Nebenbei:
Die Verteidigung wird über die Ansicht des Strafrichters und seinen Beschluss lediglich informiert – mitreden (im Sinne des rechtlichen Gehörs nach § 33 StPO) darf sie bei der Entscheidung über die Zuständigkeit nicht.

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Bild: ©S. Hofschlaeger / pixelio.de

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Der Zeugengrill: Högschd unangenehm.

Vielen Menschen gefällt es, andere Menschen „anzuzeigen“, damit sie mit einem Strafverfahren überzogen werden. In den Rechtsgebieten, in denen ich als Verteidiger unterwegs bin, sind es sehr oft zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, die mithilfe der Strafverfolgungsbehörden durchgesetzt werden sollen.

Diese Anzeigeerstatter werden dann im weiteren Verlauf des von ihnen initiierten Ermittlungsverfahrens zu Zeugen, die mindestens einmal förmlich von der Polizei vernommen werden.

Das erfolgt meist in kahlen und ungemütlichen Amtsstuben, in denen der Vernehmungsbeamte die Aussage des vermeintlich Geschädigten mühsam in den Computer tippt. Den Kaffee, den man dort nicht angeboten bekommt, kann man ohnehin nicht trinken, wenn man noch über einen Rest Überlebenswillen verfügt.

Aber das geht ja noch alles. Denn an das Ermittlungsverfahren schließt sich dann (aus Sicht des Anzeigeerstatters: im günstigsten Fall) die Beweisaufnahme vor der Wirtschaftsstrafkammer oder der entsprechenden Abteilung beim Amtsgericht an. Auch dort gibt es keinen genießbaren Kaffee, sondern den Zeugenstand.

Beim Amtsgericht Pforzheim sieht der so aus:

Um den Zeugen herum sitzen mehrere schwarz berobte Juristen, von denen mindestens einer ziemlich grimmig aussieht: Das wird der Verteidiger sein.

Nachdem das Gericht und die Staatsanwaltschaft ihre Fragen losgeworden sind, darf dieser Verteidiger sich nun gemütlich auf seinem gepolsterten Stuhl zurücklehnen, und den quasi ungeschützt(!) mitten im Raum(!) stehenden(!) Zeugen ausführlich befragen. Um dann doch noch eine Frage zu stellen, bevor ihm einfällt, noch einmal die Aussagekonstanz zu prüfen und die ersten Fragen wiederholt, woraus sich dann Widersprüche ergeben, die hinterfragt werden müssen, ggf. auch von den anderen Beteiligten, die bequem an ihren Tischen auf Sesseln sitzen. Der Zeuge wird also erst gegrillt und dann in Scheiben geschnitten.

Ich würde es mir mehrfach überlegen, ob ich mich freiwillig einem solchem Martyrium aussetzen möchte …

Besten Dank an Rechtsanwalt Harald Stehr, Fachanwalt für Strafrecht, Göppingen für den Schnappschuss aus dem AG Pforzheim und das Attribut in der Überschrift.

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Bild „Grillgut“(CC0): moreharmony / via Pixabay

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Nur dumm gelaufen?

Der Mandant war trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zu „seinem“ Termin erschienen. Das war keine gute Idee, denn dafür sieht das Prozessrecht den sogenannten Sitzungshaftbefehl vor (§ 230 StPO).

Eine Verhaftung konnte (zunächst noch, siehe unten) verhindert werden, der Mandant ist dann „freiwillig“ zu einem Wiederholungstermin erschienen, den das Gericht ein paar Wochen später anberaumt hatte. An diesem Sitzungstag wurde die Sache auch beendet; er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und der Haftbefehl per Beschluss aufgehoben.

Dieser Beschluss hat dann wohl auch Eingang in die Gerichtsakte gefunden. Weiter ist er aber offensichtlich nicht gekommen.

In der vergangenen Woche meldete sich die Ehefrau meines Mandanten gegen 22:30 Uhr über unseren Notruf. Sie teilte mit, dass die Polizei ihren Mann fest- und mitgenommen habe. Das ist wohl nicht ganz unproblematisch vor sich gegangen; jedenfalls braucht die Wohnung jetzt eine neue Tür und auch einiges Mobiliar in der Wohnung muss ersetzt werden.

Erst am darauf folgenden Vormittag konnte ich die Sache klären.

Der zuständige und freundliche Polizeibeamte teilte mir mit, dass seine Kollegen den Sitzungshaftbefehl (siehe oben) vollstreckt hätten. In seinem Computersystem sei nichts von einer Aufhebung des Haftbefehls erkennbar. Auch sei beim Gericht niemand erreichbar, der ihm meine Information bestätigen konnte.

Glücklicherweise ist es mir gelungen, quasi über die „Hintertür“ Kontakt zu der zuständigen Mitarbeiterin auf der Geschäftsstelle des Gerichts aufzunehmen. Wir waren beide erleichtert, dass sich die Akte noch auf der Geschäftsstelle befand und nicht bereits auf dem Weg über die Staatsanwaltschaft zum Landgericht war, das über die Berufung zu entscheiden hat.

Denn in dieser Akte befand sich auch der Beschluss, mit dem der Haftbefehl aufgehoben wurde. Es war dann kein Problem mehr, den Beschluss auf die Polizeidienststelle zu schicken. Fünf Minuten später wurde der Mandant wieder in die Freiheit entlassen.

Es reicht also nicht aus, dass ein Haftbefehl aufgehoben wird, um zu verhindern, dass er vollstreckt wird.

Nun obliegt es dem Mandanten, den erlittenen Schaden gegenüber dem Land geltend zu machen. Wer sich einmal mit der Durchsetzung von Amtshaftungsansprüchen ernsthaft auseinandergesetzt hat, weiß, dass dies kein einfaches Unterfangen ist. Ich gehe davon aus, dass er am Ende auf irgendeinem Schaden sitzen bleiben wird.

Mit einer Entschuldigung für dieses Justizversagen rechne ich ebenfalls nicht. So ein Geschehen scheint wohl eher zum allgemeinen Lebensrisiko zu gehören … jedenfalls nach Ansicht der verantwortlichen Justiziellen. :-(

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Bild (CC0): Barbaras_Designs / via Pixabay

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Revisionsfristsache: Der Kampf um die Akteneinsicht

Strafverteidiger haben eigentlich wenig Probleme mit Fristen. Eine ganz wichtige ist aber die Frist zur Begründung der Revision.

Erst fang‘ sie janz langsam an, …

Nachdem der Angeklagte die Verkündung des Urteils aufrecht stehend über sich ergehen lassen mußte, beginnt eine Frist von einer Woche, § 341 Abs. 1 StPO. Diese sieben Tage (plus den Rest des Tages der Urteilsverkündung) kann er und sein Verteidiger dazu nutzen, sich Gedanken zu machen. Am letzten Tag der Frist um 23:59 Uhr spätestens muß er sich entschieden haben. Mehr muß er nicht tun.

Entscheidet er sich dafür, das Urteil nicht zu akzeptieren, reicht ein Fax an das Gericht:

… lege ich gegen das am 30. Februar 1897 verkündete Urteil Revision ein.

Fertig.

Irgendwann (meist innerhalb der Fristen des § 275 StPO) findet er einen gelben Umschlag in seinem Briefkasten: Das wird das vollständig abgefaßte schriftliche Urteil sein.

… aber dann, aber dann.

Das ist der Startschuß für eine weitere Frist, die Revisionsbegründungsfrist, § 345 StPO. Der Angeklagte (bzw. sein Verteidiger) hat nun einen Monat (plus den Rest des Zustellungstages) Zeit, um die Revision zu begründen. Achtung, liebe Zivilrechtler: Die Frist ist NICHT verlängerbar!

Diese Zeit ist nicht dafür vorgesehen, sich lediglich ein paar Gedanken zu machen, sondern der Verteidiger muß arbeiten. Nämlich die Revision mit Anträgen versehen und diese dann begründen. Das ist keine triviale Tätigkeit, sondern verlangt Erfahrung und Professionalität. Sonst wird das nix.

Unverzichtbare Basis für diese Arbeit an der Begründung ist die Gerichtsakte, besonders die Protokolle der Hauptverhandlungstermine. Ohne diese förmlichen Mitschriften geht gar nichts.

Also muß die Akte herbei.

Und zwar flott. Denn die Frist (s.o.) läuft bereits. Wenn der Akteneinsichtsantrag des Verteidigers dann irgendwo auf einer Fensterbank der Geschäftsstelle des Landgerichts liegt, gibt’s Probleme.

Dieselben gibt es auch, wenndas Personal auf der Geschäftsstelle krank, schwanger, im Urlaub, überlastet oder sonstwas ist, und die Akte in den Katakomben verstaubt. Die Revisionsbegründungsfristuhr tickt und tickt und tickt …

Rechtsgrundlage

An dieser Stelle hilft mal wieder ein Blick ins Gesetz in eine wichtige Verwaltungsvorschrift, die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV)

Ganz tief vergraben, im Allgemeinen Teil, IV. Abschnitt, Ziffer 3, Buchstabe C, stößt man auf die Nummer 160 RiStBV:

Akteneinsicht durch den Verteidiger
Während die Frist zur Revisionsbegründung läuft, sind die Akten zur Einsichtnahme durch den Verteidiger bereitzuhalten.

Der Verteidiger hat also einen Anspruch darauf, ab dem Tag der Urteilszustellung Einsicht in die Akten zu nehmen. Diesen Anspruch muß er mit allem Nachdruck durchsetzen, schriftlich, telefonisch, persönlich oder sonstwie.

Beschleuniger

Damit nicht erst wertvolle Zeit verstreicht, ergänzen wir bereits den kurzen Text (s.o.), mit dem wir Revision einlegen, mit dem Akteneinsichtsantrag:

Ich beantrage unter Hinweis auf Ziffer 9000 Abs. III der Anlage 1 zum GKG sowie auf die Grundsätze des fairen Verfahrens um kurzfristige Zusendung einer Protokollabschrift noch vor Zustellung des Urteils.

Sodann beantrage ich Akteneinsicht und und erbitte die Mitteilung, sobald das Urteil mit Gründen ausgefertigt wurde, wann und wo ich die Akten abholen (lassen) kann.

Manchmal (wirklich selten, meist bei Gerichten *außerhalb* Berlins) funktioniert das. In Berlin hilft ein solcher frühzeitig gestellter Antrag nur insoweit, als das man substantiiert rumnörgeln kann, wenn das Gericht mal wieder die eigenen Verwaltungsvorschriften mißachtet.

Strafverteidigung ist Kampf

So sagt man. Kampf auch um die rechtzeitige (!) Überlassung der für eine Revionsbegründung unverzichtbaren Sitzungsprotokolle … und zwar noch vor Ablauf der Begründungsfrist.

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Bild: © Jürgen Nießen / pixelio.de

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Behördendeutsche Juristenprosa

Die (Schrift-)Sprache mancher Juristen ist eigenartig. Und auch in gewissem Umfang verräterisch.

Ein klassisches Beispiel aus dem Schreiben eines südwestdeutschen Amtsgerichts:

Diese Passivformulierungen wirken nicht nur gestelzt, sondern – im hiesigen Kontext – auch feige.

Ich hatte mich beschwert:

In der Strafsache gegen

Gottfried Gluffke
– 18 Cs 31 Js 49902/17-

nehme ich Bezug auf anliegendes Schreiben vom 24.05.2018, das ich am 01.09.2018 erneut und mit der Bitte um Beantwortung an das Gericht übermittelt hatte.

Eine Reaktion habe ich bis heute leider nicht erhalten. Ich bin nicht der Ansicht, daß es schicklich ist, die Anfrage eines Verteidigers schlicht zu ignorieren, und würde mich über eine Antwort bis zum 27.10.2018 freuen.

Ich bedanke mich vorab und verbleibe
mit freundlichen Grüßen aus Kreuzberg

Da ist also etwas schief gelaufen (kann ja mal passieren) und ich wollte durch meine etwas angestaubte Formulierung für Aufmerksamkeit sorgen. Das ist mir ja nun gelungen, schließlich habe ich darauf eine Reaktion erhalten.

„Es wird mitgeteilt …“ und „Weiter wird mitgeteilt …“ und „… noch nicht entschieden wurde“.

Was spricht dagegen, sich einer Sprache zu bedienen, die sich nicht anhört, als wäre sie aus einer längst vergangenen Zeit gekommen, in der ein Bürger (oder ein Verteidiger) ehrfurchtsvoll nach oben in Richtung der Obrigkeit zu blicken hat?

Zum Beispiel so:

… der Termin … fand wegen Ihrer Anträge nicht statt, die ich bisher noch nicht bearbeitet habe, aber umgehend bearbeiten werde. Ich bitte um Ihr Verständnis.

Das wäre ehrlich, höflich und eine Begegnung auf Augenhöhe. Ich habe Respekt vor den Leuten, die beim Gericht arbeiten, und ich erwarte ebensolches von ihnen mir gegenüber. Das Versteckspiel hinter den Passivformulierungen drückt das nicht aus, sondern steht für Überheblichkeit, die jedenfalls in heutigen Zeiten keine Rechtfertigung mehr findet.

Oder ist dieses „Behördendeutsch“ lediglich ein Ausdruck für fehlendes Selbstbewußtsein, das die Verwender damit kaschieren wollen?

Vielleicht bin ich ein wenig zu sprachsensibel, aber Sprache ist nun einmal das Werkzeug der Juristen. Damit sollte man sorgsam umgehen. Meint Ihr nicht?

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