Neukölln

Die versackte Retourkutsche des Betreuers

Da bewege ich mich einmal außerhalb des Strafrechts und prompt fange ich mir eine Kammerbeschwerde ein.

Meine Mandantin ist eine hochbetagte Frau, der das Amtsgericht Neukölln einen Berufsbetreuer übergestülpt zur Seite gestellt hat. Gefragt wurde sie nicht. Auch die vorgeschriebenen üblichen Recherchen nach einem ehrenamtlichen Betreuer sind unterblieben. Das mag an der Eilbedürftigkeit gelegen haben. Oder an dem intakten Netzwerk des Betreuers. Ich weiß es nicht sicher, hatte und habe da aber etwas im Instinkt.

Deswegen hat mich die Betreute mit ihrer Interessenwahrnehmung beauftragt: Ich soll das Betreuungsverfahren prüfen und gegebenenfalls darauf hinwirken, den Berufsbetreuer gegen einen ehrenamtlichen Betreuer abzulösen. So einen Auftrag kann auch eine Betreute erteilen, solange sie noch über einen natürlichen Willen verfügt. Das war und ist hier der Fall.

Spricht man mit erfahrenen Berufsbetreuern, ist so ein Betreuerwechsel grundsätzlich gar kein Problem. Jedenfalls dann nicht, wenn man es mit seriösen Betreuern zu schaffen hat.

Hier stemmte sich der Betreuer mit allen Mitteln (und u.a. ziemlich üblen Nachreden) gegen seine Entpflichtung und wurde dabei von seinem Netzwerk auch unterstützt. Wenn mich mein Judiz nicht täuscht, spielt das Vermögen meiner Mandantin dabei keine Nebenrolle.

Es gab einige Verfahren, in denen ich als Bevollmächtigter der Betreuten das Handeln des Betreuers einer rechtlichen Überprüfung zugeführt habe. Das lief eigentlich alles in einigermaßen geordneten Bahnen ab, machte dem Betreuer aber augenscheinlich erst Arbeit und dann schlechte Laune.

Aus dieser Laune heraus mauerte er auch mit Informationen darüber, ob und ggf. wie er sich um das Wohl und Wehe seiner Klientin bemüht hat. Das habe ich hingenommen und mir die Infos über die – mühsam gegen den Willen der Richterin und der Rechtspflegerin (Netzwerk, siehe oben) erkämpfte – Akteneinsicht beim Betreuungsgericht abgeholt.

Dann vermisste meine Mandantin ihr Gebiss. Ich vermute, sie hat es in ein Taschentuch eingewickelt und das dann versehentlich entsorgt. Sowas passiert auch Menschen, die nicht an einer Demenz erkrankt sind.

Das war vor meiner vierwöchigen Auslandsreise vor Ostern. Nach meiner Rückkehr teilte mir meine Mandantin mit, dass sie immer noch keinen Ersatz habe. Auch sei sie noch nicht beim Zahnarzt gewesen, der für Ersatz hätte sorgen sollen, vielleicht auch erst mithilfe eine Provisoriums. Meine Fragen an die Pflegeeinrichtung und an den Betreuer, was unternommen wurde, blieben unbeantwortet.

Meine Mandantin hatte nicht nur massive Probleme bei ihrer Ernährung, sie litt auch sehr unter ihrem Aussehen und traute sich auch nicht mehr ausser Haus.

Nach weiteren vier Wochen ist mir der Kragen geplatzt und ich habe dann das gemacht, was ich als Strafverteidiger eigentlich nie mache: Ich habe den Sachverhalt in eine Strafanzeige gegossen, diese dann nach Moabit geschickt und das Betreuungsgericht entsprechend darüber informiert.

Und was soll ich sagen: Ein paar Tage später saß die alte Dame beim Zahnarzt. Mein erstes Ziel hatte ich erreicht. Was nun aus dem Strafverfahren gegen den Betreuer wird, interessiert mich eigentlich nicht weiter. Ob er nun wegen unterlassener Hilfeleistung oder was-weiß-ich-auch-immer die Hammelbeine lang gezogen bekommt, ist nicht mehr mein Ding.

In der vergangenen Woche habe ich jedoch Post von der Rechtsanwaltskammer (RAK) bekommen:

Der Betreuer hatte seine Pferde gesattelt und eine Retourkutsche gestartet. Auf fünf fetten Seiten mit 25 Anlagen („Belege“) hat er seinem Ärger über mich und meine Arbeit Luft gemacht und „Fakten“ vorgetragen:

Fakten etwa von dieser Qualität:

Damit (also mit diesem und anderem Unsinn) hat sich nun stundenlang ein Kollege des RAK-Vorstands auseinandersetzen müssen, um das Beschwerdevorbringen als das zu zerpflücken, was es ist: Ein emotionsgesteuerter, ansonsten ahnungsloser Versuch, sich der Kontrolle durch einen netzwerkunabhängigen Beobachter zu entziehen.

Am Ende der dreiseitigen, sauber begründeten Beschwerdeentscheidung hatte der Kollege dann folgende salbungsvollen Worte gefunden:

Damit kann ich leben. Und meine Mandantin auch erst einmal. Den Rest erledigen dann wieder das Betreuungsgericht beim AG Neukölln und für meine Beschwerden das Landgericht Berlin.

Ich frage mich nun aber doch, ob dem Herrn Berufsbetreuer klar ist, dass so eine Kammerbeschwerde auch in einem weiteren Strafverfahren münden kann – gegen ihn als Beschwerdeführer. Näheres kann er ja in der Kommentierung zu § 164 StGB nachlesen oder sich von einem Verteidiger erklären lassen.

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Bild (CC0): Gellinger / via Pixabay

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Zeuge einer Unfallflucht vom Gartenfest

Sonne satt, Sonntagnachmittag und blühende Gärten in den offenen Höfen von Rixdorf. Es gab Erstaunliches zu entdecken. Hinter grobschlächtigen, verwitterten Scheunentoren versteckten sich stylisch eingerichtete, großzügige Wohnungen und viel buntes Kraut.

Entsprechend groß war der Andrang an Besuchern und eng der begrenzt vorhandene Parkraum. Ein SUV mit zwei Kindersitzen auf der Rückbank hatte Mühe, aus dem Gewusel herauszukommen. Irgendwie schien der Car-Sharing-Mini bei dem Ausparkmanöver zu stören. Es kam zum unfreundlichen Kontakt zwischen dem Zweieinhalbtonner und dem Kleinwagen, der sich ob des nachhaltigen Eindrucks nahe der C-Säule heftig schüttelte.

Die SUV-Pilotin ließ lässig die Seitenscheibe herab, schaute kurz in Richtung des Ergebnisses ihrer Fahrversuche und schaffte es dann, ohne erneut irgendwo anzudozzeln, das böhmische Dorf zu verlassen.

Soweit, so gut. Aber jetzt stellt sich die Frage, was der Zeuge dieser Straftat – Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142 StGB – zu tun hat.

Was empfiehlt der erfahrene Blogleser dem Gartenfestbesucher?


     

 

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Ich gebe zu bedenken, daß es mit der Anzeige bei der Polizei nicht getan sein könnte. Wenn sich die verratene ermittelte SUV-Fahrerin auf die Hinterbeine stellt, wird es ziemlich sicher zu (mindestens) einer Gerichtsverhandlung kommen, zu der der Zeuge (mindestens) eine unhöflich formulierte Einladung erhalten wird. Nachdem er bereits im Ermittlungsverfahren keinen Kaffee auf der Polizeidienststelle angeboten bekommen hat.

Noch ein Hilfsgedanke:
Wie wäre zu entscheiden, wenn es kein Car-Sharing-Fahrzeug, sondern ein liebevoll gepflegter historischer Zweisitzer gewesen wäre? Oder die umgekehrte Konstellation: Der Öko-Fuzzi mit dem To-Go-Smart gegen die im Halteverbot parkende Mercedes-Benz GL-Klasse?

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Bild: © M. Großmann / pixelio.de

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Mietpreise in Nord-Neukölln

Liebe Neuberliner, die ihr im Szenebezirk Nord-Neukölln, Nähe Weserstraße, eine zwei Zimmer-Küche-Bad-Wohnung mit 58 Quadratmetern im Vorderhaus, 4. Stock, Balkon, sucht oder kürzlich gefunden habt. Ihr müßt jetzt ganz stark sein:

Das war 1970.

Dann wart Ihr nun plötzlich alle da. Und jetzt kostet die Wohnung gute 800 Euro. Kalt.

The Times They Are A-Changin

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Stadtfahrt im Grünen

Von Ahrensfelde nach Nord-Neukölln sind es rund 17 km und (am Sonntagmorgen) eine halbe Stunde Fahrtzeit. Mit dem Auto.

Wir sind gestern mit Fahrrädern gefahren. Und zwar diese Strecke:

Die Streckenführung hat uns bbbike.de vorgeschlagen, und zwar mit diesen Vorgaben:

Herausgekommen sind runde 25 km, die zwar quer durch die Stadt verliefen, aber nahezu vollständig im Grünzeug, also: Zu 95% (!) keine Straßen, keine Autos, kein Lärm; statt dessen u.a. Wuhlewanderweg, eine BVG-Fähre (F11) und ein paar Parks.

Es muß also nicht immer der Grunewald sein, wenn man mal wieder frische Luft atmen möchte, ohne die Stadt zu verlassen.

Und: Ostberlin hat ja tatsächlich ein paar schöne Ecken und nicht nur Plattenbauten. Hätte ich gar nicht gedacht. ;-)

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Neuköllner Unordnungsamt

Der Klassiker des zweierlei Maßes:

Die Mitarbeiter des Neuköllner Ordnungsamts überwachen den stehenden Verkehr. Um Falschparker aufschreiben zu können, parken sie bequem auf einem freien Platz, von dem aus sie es nicht weit haben, damit sie die anderen Kreuzungsparker dingfest machen können.

Quid licet Ordnungsamt, non licet gemeiner Bürger.

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Gentrifizierung: Nicht überall in Neukölln

Wir befinden uns im Jahre 2017 n.Chr. Ganz Nord-Neukölln ist von den Zugereisten gentrifiziert …

Ganz Nordneukölln?

Nein!

Ein von unbeugsamen Neuköllnern bevölkertes Haus in der Weserstraße hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die westdeutschen Kapitalanleger, die als Besatzung in den befestigten Lagern Charlottenburgorum, Mittum, Wilmersdorforum und Steglitzum liegen …

Never give up! Venceremos! 8-)

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Bild: © HU

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Ein Weichblitz in Neukölln

Die Wanne ist noch beim Kosmetiker. Sie soll dem TÜV-Prüfer gefallen. Wegen des H-Kennzeichens. Nur historisch wertvolle Fahrzeuge bekommen das Prädikat „automobiles Kulturgut“. Dafür muß das gute Stück in Schuß gehalten werden.

Und solange freue ich mich, wenn ich andere Fahrzeuge aus derselben Liga sehe. Wie zum Beispiel dieses nette Wohnmobil:

Ein Opel Blitz aus den 50er Jahren in Gestalt eines Löschgruppenfahrzeugs 8 (kurz: LF 8) mit einem kleinen Gag bei der Wahl des modernen Kennzeichens. Sehr schönes Auto.

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Bild: © HU

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Stammtischgespräch über Nazis auf Facebook

So eine Neuköllner Kneipe hat wenig Ähnlichkeit mit einem Schwurgerichtssaal. Die Gespräche beim #Pestoschnaps im Damensalon sind wesentlich entspannter, auch bei einem eigentlich recht ernsten Thema.

Es war mir eine Freude, wie man sieht …

Besten Dank an Marie, Flo (LeFloid) und das Aufnahmeteam für den unterhaltsamen Nachmittag.

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#Pestoschnaps beim Frisör

Ich war heute beim Frisör. Im Damensalon.

2015-10-01 16.44.22

Mit Marie und Flo (LeFloid). Es gab #Pestoschnaps am Stammtisch. Und Kameras, die uns beim Plaudern beobachtet haben.

Danke für die Gastfreundschaft und die kurzweilige Unterhaltung!

MariesStammtisch

Comming soon …

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Schutz des Sonntags aus religiös-christlicher Tradition

683124_web_R_B_by_Initiative Echte Soziale Marktwirtschaft (IESM)_pixelio.deEs war ein entspanntes Wochenende. Erst die Fortbildung der Vereinigung Berliner Strafverteidiger von Freitag auf Samstag in Bad Saarow – inklusive An- und Abreise per Fahrrad. Dann ein trödeliger Sonntag mit Freunden auf den Mountainbike durch den Grunewald. Die harte Konsequenz: Leerer Kühlschrank, denn zum Einkaufen kommt man ja nicht.

Egal; wir leben ja in der Hauptstadt, im quirligen Nordneukölln. Der Plan für’s Abendessen: Eine Flasche Wein vom Türken im Späti und ein paar halbe Hähnchen aus dem CITY CHICKEN am lauen Sommerabend auf dem Balkon. Aber da hatte ich die Rechnung ohne die Verwaltung gemacht.

Sonntags haben die Läden nämlich geschlossen zu sein. Auch Spätis. Basta! Ich habe mich dann mühsam durch fröhliche Menschen geschlängelt, die vor den Kneipen gegessen und getrunken haben. Bis zur Tankstelle. Dort habe ich dann die letzte (!) Flasche Wein (naja, es stand jedenfalls Wein auf dem Etikett) aus dem Regal genommen, habe nach 5 Minuten Wartezeit vor der Kasse zahlen können (die anderen Kunden vor mir haben sich ebenfalls mit Alk und sonstigen Lebensmitteln versorgt) und bin zum Araber, der die Grill-Hähnchen verkauft. Wieder durch die Menschenmengen vor Kneipen und Cafés.

Im Geflügelrestaurant habe mich dann in die Schlange eingereiht, um 20 Minuten später das Grillgut mit den Beilagen in der Tüte entgegen nehmen zu können. Die Leute, die hinter der Theke herumwuselten, konnte ich nicht zählen, es waren zuviele, ca. zehn oder mehr.

Alles lebt hier in der Stadt, sonntagsabends um 20 Uhr. Deswegen lebe auch ich gern hier. Der einzige Laden, der geschlossen hat, ist der Spätkauf. Das muß so sein, sagt der BerlLadÖffG-Geber.

Anmerkung:
Über die Hintergründe berichtete 2012 die Berliner Zeitung
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Bild: © Initiative Echte Soziale Marktwirtschaft (IESM) / pixelio.de

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