Silke weint

Wie versprochen kommt im heutigen Sonntagsblogbeitrag noch einmal Silke zu Worte:

Atemberaubend, welchen Eindruck Silke von mir hat: Gestandene Richter am Landgericht fürchten sich vor meinen Blogbeiträgen und passen ihre Urteile entsprechend an.

Falls das ein Richter liest: Keine Angst, ich will nur spielen.

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Selbstnichtlesenkönnenverfahren

Ein wesentlicher Grundsatz in unserem Strafprozeß ist die Mündlichkeit. Das ist gerade in umfangreichen Wirtschaftsstrafsachen oftmals mehr als lästig.

Weil unsere Prozessordnung nicht von Kafka geschrieben wurde, soll und muß die Öffentlichkeit die Möglichkeit haben, die Verfahren zu beobachten. Der Öffentlichkeitsgrundsatz und die daraus resultierende Mündlichkeit sind grundlegende Maximen eines rechtsstaatlichen Verfahrens.

Daraus folgt das Erfordernis, daß alles, worauf das Gericht später sein Urteil gründen möchte, vor versammelter Mannschaft in das – öffentliche – Verfahren eingeführt werden muß. Grundsätzlich jedenfalls.

Jetzt haben es Steuer- und Wirtschaftsstraftaten oft an sich, daß zuvor viel Papier beschrieben und ausgedruckt wurde, auf das die Ermittlungsbehörden erst zugegriffen und dann zur Grundlage einer Anklage gemacht haben.

In einem aktuellen Fall geht es um insgesamt sieben prall mit Rechnungen geführte Stehordner, aus denen sich laut Anklage die Schadenshöhe ergeben soll. Die Höhe eines Schadens hat entscheidenden Einfluß auf die Höhe der Strafe. Also muß das Gericht den Schaden belegen. In diesem Fall unter anderem mit den geordneten Rechnungen.

An dieser Stelle nimmt das lästige (s.o.) Problem Konturen an.

Die Rechnungen müssen als Urkunden in das Verfahren eingeführt werden. Das geschieht durch Verlesung, § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO, und ist der Job der Richter.

Aber – jetzt kommt die sehnlichst erwartete Ausnahme vom Grundsatz – der Gesetzgeber hatte Mitleid mit den Stimmbändern der Richter, hat sich das sogenannte Selbstleseverfahren ausgedacht und in § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO geregelt:

Von der Verlesung kann […] abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten.

In der Praxis druckt das Gericht für jeden Staatsanwalt, Schöffen, Angeklagten, Verteidiger … einen Satz der Urkunden aus, damit diese von den Verfahrensbeteiligten – vielleicht auf einer bequemen Liege an einem schönen Strand – selbst gelesen werden müssen bzw. können. Das erspart stundenlange und ermüdende Vorlesungen im Gerichtssaal.

Soweit so praktisch. Manchmal geht dabei aber etwas schief.

Einer Anklagten reklamierte nach Übergabe der sieben Ordner, daß er ein Problem habe: Er könne nicht lesen! Er trug weiter vor, daß auch seine Deutschkenntnisse nicht ausreichten, um den Inhalt der Urkunden erfassen zu können. Nach einem imaginären, aber entsetzen Aufschrei eines zunächst ungläubigen Vorsitzenden stand schnell fest: Der Angeklagte schwindelt nicht.

Was ist nun die Konsequenz?

Es gibt zwei Möglichkeiten.

  1. Der Vorsitzende beißt in den siebenbändigen Apfel, hebt die Anordnung des Selbstleseverfahrens auf, verliest die Rechnungen und ein Dolmetscher übersetzt die Inhalte simultan.
  2. Der Dolmetscher wird beauftragt, die Rechnungen zu übersetzen und sie dann dem Angeklagten vorzulesen.

Vielleicht fällt dem Gericht noch eine dritte Variante ein. Es wird aber so oder so nicht einfach werden, aus dieser Nummer herauszukommen.

Zumal es einen weiteren Grundsatz gibt, den er auch nicht so ohne Weiteres hinten rüber kippen kann: Den der Verfahrens-Beschleunigung in Haftsachen – einer der Mitangeklagten sitzt in Untersuchungshaft.

Manchmal ergeben sich Probleme, die man noch nicht einmal einem Richter wünscht. Hauptsache ist aber, daß genügend Popcorn vorrätig ist.

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Bild „Ordner“: © Claudia Hautumm / pixelio.de
Bild „ABC“: © S. Hofschlaeger / pixelio.de

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Verteidigung des Rechtsstaats gegen Gefühle

Lorenz Maroldt spricht wahre Worte im Tagesspiegel Checkpoint:

Sowas hört und liest man viel zu selten in den Medien. Das mußte jetzt auch mal gesagt werden!

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Das erste Mal: Kreditkarten-Glückspiel

Seit ewigen Zeiten schon gehört die Kreditkarte zu meinen üblichen Zahlungsmitteln. Bisher hatte ich auch noch nie Probleme damit. Aber irgendwann ist es immer das erste Mal.

Diese Abrechnung beinhaltet drei Lastbuchungen von STARS GROSSBRITANNIEN, die irgendwoher an meine Kreditkartendaten gekommen sind. Von mir haben die sie jedenfalls nicht. Das Unternehmen soll nach Auskunft eines Mitarbeiters des „Business Card Service’s“ Lotterien und Glückspiele betreiben.

Strafverteidigung ist mir Glücksspiel genug, da muß ich mich nicht noch bei potentiellen Mandanten anmelden, um bei ihnen online irgendwelche Spielchen zu spielen.

Wenn jemand die STARS-Herrschaften kennt – oder wenn sie gar hier mitlesen: Ich verteidige gern in dieser Art der Wirtschaftsstraf- und Cybercrime-Verfahren.

Nebenbei:
Ein Anruf im Service-Center, keine Warteschleife, freundlicher Empfang. So muß das sein. Die Karte wird gesperrt, ich bekomme eine neue schöne Karte und die 460 Euro zurück auf mein Kreditkartenkonto.

Die Erstattung einer Strafanzeige ist dazu nicht notwendig, ich habe auch darauf verzichtet. Nicht, daß ich mich irgendwann mal als Zeuge von einem böswillen Verteidiger grillen lassen muß. ;-)

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Das Urteil in Sachen ‚Der Autodoc und seine Silke‘

Genug am Cliff gehangen! Die lang erwartete Entscheidung ist eingetroffen.

Das Landgericht Berlin hat über meine Klage gegen den Spammer Autodoc entschieden. Trotz intensiver Bemühungen einer gewissen Silke hat die 16. Zivilkammer des Gerichts gegen die fundierte Expertise der Cottbuserin am 04.05.2017 unter dem Aktenzeichen 16 O 538/16 für Recht erkannt:

Überschaubar und wie – zumindest von Fachkundigen – zu erwarten fielen die Gründe aus. Die eMail von Autodoc an mich war unerwünschte Werbung und damit eine Rechtsverletzung, die zu unterbleiben hat. Die Entscheidung beinhaltet nichts, was nicht schon seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt war.

Um so unverständlicher ist es, daß sich der Spammer mithilfe seiner Berater auf die Hinterbeine gestellt und versucht hat, sich gegen eine stabile Rechtsprechung der beiden dafür zuständigen Zivilkammern des Landgerichts Berlin zu stellen.

Die Konsequenzen dieser Dummheiten sehen nun so aus:

Es kommen noch ein paar hundert weitere Euro oben drauf, weil Autodoc und seine Prozeßbevollmächtigten bereits Probleme mit dem Aufhebungsverfahren hatten und auch dort schon auf die Nase gefallen sind. Das Gericht hat es dem Spammer ausführlich erklärt (PDF), der hat seinen Antrag auf Aufhebung der Einstweiligen Verfügung zurückgenommen und trägt nun auch dafür noch Kosten (pdf) – in gut dreistelliger Höhe.

Weitere Kosten in vergleichbarer Höhe für die Einstweilige Verfügung (jpg) selbst runden dann das Bild der Buchhaltung des Gebrauchtteilehändlers ab.

Diese Kosten – deren Höhe ich schon nicht gar mehr berechnen kann – hätten wirklich nicht sein müssen, wenn mir der Autodoc nicht so einen Blödsinn geschrieben hätte.

Danksagungen
Ich bedanke mich bei dem Spammer – und ganz besonders bei Silke – für die gute Unterhaltung der Blogleser in immerhin sechs Blogbeiträgen.

Und ganz besonders bei Rechtsanwalt Bert Handschumacher, der mich wieder einmal in bewährt kompetenter Weise in dieser an sich völlig überflüssigen Auseinandersetzung kompetent vertreten hat. Wir hatten viel Spaß dabei … ;-)

Und ja, liebe Silke, vorsorglich:
Das Urteil des Landgerichts ist noch nicht rechtskräftig. Sie und der Spammer können es ja in der Berufungsinstanz vor dem Kammergericht gern noch einmal versuchen. Ich habe hier reichlich Platz für weitere Blogbeiträge …

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Schuld sind immer die anderen

Aus dem Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 29. Mai 2017, mit dem das Aktionsbüro-Mittelrhein-Verfahren gemäß § 206a StPO wegen des Verfahrenshindernisses der überlangen Verfahrensdauer eingestellt wurde:

Darüber hinaus kam es zu Abbrüchen von Hauptverhandlungstagen durch zwei Stinkbombenanschläge mit Buttersäure im und vor dem Sitzungssaal, die zur teilweisen Räumung des Gerichtsgebäudes und zu Feuerwehreinsätzen führten. Zu Verzögerungen kam es in einem Fall auch durch inszenierte lautstarke Proteste rechtsgerichteter Personen im Zuschauerraum unter Mitführung von Plakaten. Eine weitere Verzögerung ergab sich aufgrund einer Aktion eines Verteidigers, der es als „Organ der Rechtspflege“ für nötig befand, auf den Tisch zu klettern von dort stehend verbale Äußerungen von sich zu geben. Demgegenüber trug ein in Reimform vorgetragener Antrag eines anderen Verteidigers nicht zur Verfahrensverzögerung bei. Während einer kurzen Unterbrechung der Vernehmung eines politisch linksgerichteten Zeugen sammelten sich in Abwesenheit des Zeugen mehrere Angeklagte um den Zeugentisch. Als die Zeugenvernehmung fortgesetzt werden sollte, befand sich Spucke auf dem Zeugentisch. In einem anderen Fall wurde die im Sitzungssaal aufgehängte Jacke eines politisch linksgerichteten Zeugen in einer Verhandlungspause bespuckt. In den von den Angeklagten benutzten Toiletten kam es mehrfach zu groben Verunreinigungen und Hakenkreuzschmierereien. Keiner dieser Vorfälle konnte einer konkreten Person zugerechnet werden.

und:

Zahlreiche Angeklagte und Verteidiger haben das Verfahren bewusst und vorsätzlich sabotiert, um die Verfahrensdauer soweit hinauszuzögern, dass der Vorsitzende das Verfahren nicht mehr bis zu seinem zwingenden Eintritt in den Ruhestand abschließen konnte.

Den Link auf den Beschluß habe ich gefunden auf Twitter; und zwar in einem Tweet meines geschätzten Kollegen Lars Ritterhoff aus Freiburg, der einen zutreffenden Kommentar dazu veröffentlicht hat:

Wer sich auch aus anderer – nicht richterlicher – Perspektive mit dem Verfahren beschäftigen will, wird erkennen, daß es nicht allein oder gar überwiegend vermeintliche Sabotageakte einzelner Verteidiger gewesen sind, die zum Platzen geführt haben. Es soll Richter geben, die sehr genau wissen, wie man solche Ergebnisse wie das vorliegende ziemlich sicher vermeidet. Die Fähigkeit zur Verhandlungsführung ist jedoch nicht jedem Vorsitzenden gegeben.

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U-Bahnhof Schönleinstraße: Haftbefehle aufgehoben

Kurz vor dem Wochenende hat das Landgericht Berlin die Haftbefehle gegen fünf der sechs Angeklagten aufgehoben.

Den sechs Angeklagten wird vorgeworfen, im U-Bahnhof Schönleinstraße einen schlafenden Obdachlosen angezündet zu haben. Die Anklage ordnete diese Tat als versuchten Mord ein.

Die Vorsitzende Richterin hat nach gut einmonatiger Beweisaufnahme am Vormittag einen rechtlichen Hinweis (§ 265 StPO) gegeben: Statt Mordversuchs komme auch versuchte gefährlicher Körperverletzung oder unterlassene Hilfeleistung in Betracht.

Damit sinkt die mögliche (Rest-)Strafenerwartung auf ein Maß, daß die Fortdauer der Untersuchungshaft während der restlichen Prozeßdauer nicht mehr rechtfertigt.

Die fünf Angeklagten wurden noch vor dem Wochenende aus der Untersuchungshaft entlassen.

Off Topic:
Auf Berlin.de ist eine Agenturmeldung zu den aktuellen Geschehnissen veröffentlicht. Bebildert ist die Meldung mit dem Landgericht Berlin in der Littenstraße, das im Wesentlichen für Verkehrsunfälle und andere Zivilsachen zuständig ist. Strafsachen werden im Kriminalgericht verhandelt. Is aber auch schwierig, drei Standorte ein- und desselben Gerichts auseinander zu halten …

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Keine Langeweile für Wirtschaftsstrafrechtler

Die bekannten und in bestimmten Kreisen der Bevölkerung beliebten Umsatzsteuer-Karussells – Insider sprechen auch von Missing trader fraud – sind eigentlich out. Zuviele Steuerfahnder haben das System mittlerweile verstanden.

Deswegen haben sich findige Sparfüchse neue Steuertricks einfallen lassen: Die Cum-Cum- oder Cum-Ex-Tricks. Hört sich fast ein bisschen öbszön an, die Beträge, über die aktuell in den Medien gesprochen wird, sind es aber auch.

Wie man mit diesem relativ aktuellen Steuersparmodell an das Geld anderer Leute kommt, ohne dafür arbeiten zu müssen, hat Zeit Online in einem Erklärvideo verständlich aufgearbeitet.

Um welche Beträge es sich dabei handeln soll, haben ein paar findige Journalisten anschaulich darzustellen versucht, auf Zeit Online: Bummelige 31,8 Milliarden Euro soll der angeblich-vermutliche Steuerschaden betragen. Einfach zu berechnen ist das nicht, deswegen bin ich vorsichtig mit dieser Behauptung.

Wer etwas tiefer in diese Materie einsteigen will und trotzdem (zumindest erst einmal) die staubige Fachliteratur nicht anpacken möchte, kann es sich mit dem Artikel unter der Überschrift „Der größte Steuerraub in der deutschen Geschichte“ heute Abend auf der Couch bequem machen.

Aber Vorsicht!
Don’t try this at home. Das Modell ist nur etwas für Erwachsene. Auch die zu erwartende Freiheitsstrafe, wenn sich denn eine Verurteilung nicht vermeiden läßt.

Ich kann mir schon gut vorstellen, wie sich gelangweilte WiJs-Staatsanwälte und unterforderte Wirtschaftsstrafkammern auf diese abwechslungsreichen Verfahren freuen …

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Aktives Nichtstun

Gottfried Gluffke wurde der Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a BtMG) vorgeworfen. Eigentlich wollte er dem Polizeibeamten „alles erklären“. Schließlich habe er ja nichts zu verbergen. Ich habe ihm dennoch geraten, sich besser mit „Erklärungen“ zurück zu halten. Das ist Gluffke schwer gefallen, aber er war nicht beratungsresistent.

Eine weitere Runde wurde eingeläutet, als Gluffke vom Staatsanwalt direkt befragt werden sollte. Auch hier waren reichlich warnende Worte des Verteidigers vonnöten, damit Gluffke nicht Gefahr läuft, sich um Kopf und Kragen zu reden.

Wir haben dann schlicht den Akteninhalt wirken lassen und eine entspannte Verteidigung durch aktives Nichtstun betrieben.

Hier nun nach zwei Monaten des Wartens das erfreuliche Ergebnis:

Ganz ohne gefahrerhöhende Erklärungen ist das Verfahren genau so ausgegangen, wie Gluffke es sich gewünscht hat. Weil er auf seinen Verteidiger gehört hat.

Das ist doch erfreulich, oder? 8-)

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Bild: © Rainer Sturm / pixelio.de

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Betriebsausgabe

Nur mal schnell zwischendurch: Wofür Rechtsanwälte das viele Geld ausgeben, daß sie von der Justizkasse (stets im Überschwang!) und von den Mandanten erhalten:

Es ist nicht so, daß die Zahlungseingänge einer Rechtsanwaltskanzlei ungekürzt in die Spielereien des Anwalts umgesetzt werden können, liebe Sozialneider.

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