Schuld sind immer die anderen

Aus dem Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 29. Mai 2017, mit dem das Aktionsbüro-Mittelrhein-Verfahren gemäß § 206a StPO wegen des Verfahrenshindernisses der überlangen Verfahrensdauer eingestellt wurde:

Darüber hinaus kam es zu Abbrüchen von Hauptverhandlungstagen durch zwei Stinkbombenanschläge mit Buttersäure im und vor dem Sitzungssaal, die zur teilweisen Räumung des Gerichtsgebäudes und zu Feuerwehreinsätzen führten. Zu Verzögerungen kam es in einem Fall auch durch inszenierte lautstarke Proteste rechtsgerichteter Personen im Zuschauerraum unter Mitführung von Plakaten. Eine weitere Verzögerung ergab sich aufgrund einer Aktion eines Verteidigers, der es als „Organ der Rechtspflege“ für nötig befand, auf den Tisch zu klettern von dort stehend verbale Äußerungen von sich zu geben. Demgegenüber trug ein in Reimform vorgetragener Antrag eines anderen Verteidigers nicht zur Verfahrensverzögerung bei. Während einer kurzen Unterbrechung der Vernehmung eines politisch linksgerichteten Zeugen sammelten sich in Abwesenheit des Zeugen mehrere Angeklagte um den Zeugentisch. Als die Zeugenvernehmung fortgesetzt werden sollte, befand sich Spucke auf dem Zeugentisch. In einem anderen Fall wurde die im Sitzungssaal aufgehängte Jacke eines politisch linksgerichteten Zeugen in einer Verhandlungspause bespuckt. In den von den Angeklagten benutzten Toiletten kam es mehrfach zu groben Verunreinigungen und Hakenkreuzschmierereien. Keiner dieser Vorfälle konnte einer konkreten Person zugerechnet werden.

und:

Zahlreiche Angeklagte und Verteidiger haben das Verfahren bewusst und vorsätzlich sabotiert, um die Verfahrensdauer soweit hinauszuzögern, dass der Vorsitzende das Verfahren nicht mehr bis zu seinem zwingenden Eintritt in den Ruhestand abschließen konnte.

Den Link auf den Beschluß habe ich gefunden auf Twitter; und zwar in einem Tweet meines geschätzten Kollegen Lars Ritterhoff aus Freiburg, der einen zutreffenden Kommentar dazu veröffentlicht hat:

Wer sich auch aus anderer – nicht richterlicher – Perspektive mit dem Verfahren beschäftigen will, wird erkennen, daß es nicht allein oder gar überwiegend vermeintliche Sabotageakte einzelner Verteidiger gewesen sind, die zum Platzen geführt haben. Es soll Richter geben, die sehr genau wissen, wie man solche Ergebnisse wie das vorliegende ziemlich sicher vermeidet. Die Fähigkeit zur Verhandlungsführung ist jedoch nicht jedem Vorsitzenden gegeben.

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Strafverteidiger veröffentlicht.

6 Antworten auf Schuld sind immer die anderen

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    Nicht im Ruhestand says:

    Da kann man wirklich nur laut lachen und mit dem Kopf schütteln.

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    David Danz says:

    Es scheint, als gelänge den Rechten in unserem Land solche „Sabotageaktionen“ verdächtigerweise häufig.

  3. 3
    Duncan says:

    @ David Danz: im Verhältnis sicher nicht häufiger oder seltener als Linken. Gegen einige Arten von Straftaten insbesondere mit politischem Hintergrund scheint die Justiz gepflegt machtlos. Nicht weil sie nicht könnte, eher das einige Beteiligte da kopflos zu agieren scheinen.

    Mein Wunsch alle Extremisten genau mit einen vorbildlich rechtstaatlichem Verfahren, also genau dem was sie abschaffen wollen, zu demütigen, egal zu welchem Ergebnis es kommt, wird leider nahezu immer nicht umgesetzt. Und genau daran scheitern so viele.

  4. 4
    HugoHabicht says:

    Den Beschluss des LG Koblenz kann man auch kürzer zusammen fassen:
    Mimimimimimimi

    Selten ein Gericht erlebt, was sich so klein macht. Was hatten diese Genies eigentlich gedacht, was passiert, wenn man 120 Verfahrensbeteiligte zusammen pfercht, statt nach Sachverhaltskomplexen getrennte Gruppen zu bilden?

    Es ist bei 120 Personen jetzt nicht so unwahrscheinlich, dass „immer einer krank“ ist.

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    Daarin says:

    Hmmm… bin ich jetzt nicht auf dem Laufenden oder gab es nicht sowas wie „Missachtung des Gerichtes“, dass es zum Beispiel Organen der Rechtspflege verbietet sich ungebührlich gegenüber dem Gericht oder dem Verfahren zu verhalten. Auch sollte man annehmen, dass man bestimmten Vorfällen mit einer gewissen Präsenz von Justizmitarbeitern entgegenwirken könnte.

    Was wäre eigentlich, nur mal so ins Blaue hinein, passiert wenn der Richter einfach bestimmte Zeugen ablehnt und so bis zur Pensionierung zu einem recht harten Urteil kommt? Hätte den Angeklagten was anderes zugestanden als eine Berufung/Revision?