Gericht

Erinnerung an den Termin

Es war eine Prügelei unter Trinkern im späten Sommer 2009. Nichts besonderes, aber so etwas muß natürlich angeklagt werden. Für den Mandanten ging’s allerdings um’s Eingemachte: Er brachte eine offene Bewährungsstrafe mit. Und die Staatsanwaltschaft wollte ihn wegschließen lassen.

Im Mai 2010 erschienen zwei von sechs Zeugen nicht. Ein spontaner Versuch, zumindest einen der beiden zu Hause im Bett zu erreichen scheiterte ebenso wie die Absuche an dem bekannten Treffpunkt der Szene am Markt. Die Verhandlung wurde ausgesetzt.

Ich vereinbarte mit der Richterin noch den Termin, an dem noch einmal probiert werden soll, die Zeugen zu einem günstigen Zeitpunkt ins Gericht zu bekommen. Dieser Termin sollte gestern, also am 28.09.10 um 14.00 Uhr stattfinden. Sowohl ich, als auch der Mandant wurden mündlich geladen.

Der Mandant hat sich bereits morgens um 5 Uhr auf den Weg gemacht; er lebt nun in Westdeutschland und geht dort einer geregelten Arbeit nach. Ich habe mich in einer Strafsache vor dem Landgericht Berlin vertreten lassen und habe mich auf den Weg ins Brandenburgische Umland gemacht.

Ein Blick auf die Terminsrolle im Gericht – unser Termin war dort nicht gelistet. Die hilfsbereite Wachtmeisterin konnte auch nicht helfen: Ihr war von einem Termin um 14 Uhr nichts bekannt.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle blätterte in der Akte und stellte fest, daß sie alle Zeugen für den 28.10.10, 14 Uhr, geladen habe; also einen Monat später. Für den 28.09.10 war kein Termin vorgesehen. In der Akte jedenfalls.

Anders sah allerdings der Kalender der Richterin aus. Dort stand das September-Datum, so wie sie es mit dem Mandanten und mir vereinbart hatte. Aber auf diesen Kalender hatte die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle keinen Zugriff.

Dafür hatte die arme Frau plötzlich einen hochroten Kopf. Sie stellte fest, daß sie einen bösen Fehler gemacht hatte … Ganz kurz, bevor der Kopf zu platzen drohte, konnte ich sie beruhigen: Ich hatte eine angenehme Anreise, nun freue mich mich auf eine entspannte Rückreise, jeweils bei freundlicher Musik aus der neuen Musikanlage im Auto.

Und die Verteidigung hat nun einen weiteren Grund, der für eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung spricht.

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Gerichtsklo

So sah es aus, am Donnerstag um 11:19 Uhr:

Wenigstens gab es Wasser und Seife.

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Haftbefehl aus einer anderen Welt

Dem Richter ist der Umgang mit einem Computer noch zu gefährlich. Er vertraut lieber auf die gute alte Methode, die er vor über 50 Jahren an seiner Schule gelernt hat: Rotes Papier und ein Stift:

Diesen roten Zettel reicht er dann weiter an die Schreibstube des Gerichts („Kanzlei“) und dort wird das gute Stück in die zeitgemäße Form gegossen.

Nota bene: Es handelt sich hier nicht um ein Gericht im Lande Irgendwo, in dem man soeben den aufrechten Gang eingeführt hat, sondern um das größte deutsche Amtsgericht.

Funktioniert hat es allerdings trotzdem. ;-)

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Erfolgreiche Explosion und verlorene Wette

Es war eine Steuerstrafsache und ich hatte eine „böswillige“ Akteneinsicht beantragt. Die Akten mußten aufgrund ihres Umfangs in acht Umzugs-Kartons in einem besonderen Raum im Gericht gelagert werden. Aufgrund der mit der Akteneinsicht signalisierten Verteidigungsstrategie war für beide Tatvorwürfe ein Ende in Form der Verjährung realistisch.

Der eine Verjährungseintritt stand unmittelbar bevor. Auf den Eintritt der Verjährung in der zweiten Sache ein Jahr später wollte ich wetten.

Über diese explodierende Akteineinsicht hatte ich bereits berichtet.

Nach einigen Telefonaten mit dem Gericht erhielt ich heute Post:

Man hat den Weg des geringsten Widerstandes gewählt.

Der Tatvorwurf lautete auf einen so genannten Vorsteuerbetrug. Meinem Mandanten wurde vorgeworfen, Rechnungen von Unternehmen in seine Buchhaltung übernommen zu haben, die nicht existierten. Die Umsatzsteuer, die diese Rechnungen enthielten, hat er vom Finanzamt erstattet bekommen. Insgesamt ein mittlerer sechsstelliger Betrag.

Der Mandant hat vorgetragen, daß die Leistungen der Unternehmen erbracht worden seien, die Unternehmen daher auch existierten und er deren Rechnungen samt Umsatzsteuer auch bezahlt hätte.

Der Finanzverwaltung ist es weder im Besteuerungsverfahren, noch in dem Strafverfahren gelungen, den Gegenbeweis zu führen.

Mit der Einstellung dieses Strafverfahrens gibt es nun auch keine Verjährungsunterbrechung bzw. keine Verlängerung der kurzen Verjährung im Besteuerungsverfahren. Die von der Finanzverwaltung geltend gemachten Steuerforderungen sind damit ebenfalls der Verjährung anheim gefallen.

Ich zitiere vor diesem Hintergrund noch einmal die Einstellungsbegründung:

eingestellt, weil dessen etwaige Schuld gering wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.

Wenn diese Entscheidung nicht nahezu ausschließlich positive Konsequenzen für meinen Mandanten bedeuteten, würde ich sie als völlig absurd disqualifizieren.

Aber so halte ich als Interessenvertreter meines Mandanten besser den Mund.

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Kantinenrichter

Das Kriminalgericht hatte mal zwei Gerichtskantinen. Die eine, kleine, schnuckelige im Untergeschoß, in der man Strafrichter, Strafverteidiger, Straftäter und Staatsanwälte gleichermaßen bei der Mittagspause antreffen konnte, hat man schon vor langer Zeit – aus Kostengründen? – geschlossen. Das habe ich bedauert, zumal an der Kantine (und dem dort montierten Zapfhahn) auch noch nette Erinnerungen an meine Referendarzeit hingen.

Danach gab es nur noch die hier:

Eine Bahnhofshalle mit einem Speiseangebot, von dem man das Gefühl hatte, es kommt direkt aus der sechs Stockwerke tiefer liegenden Küche der Untersuchungshaftanstalt.

Aber auch diese Kantine gibt es schon länger nicht mehr:

Da gibt es aber nichts zu bedauern. Außer, daß die netten Bedienungen wohl arbeitslos geworden sind. Aber das sind ja auch keine unkündbaren Richter und Beamte.

Da kommt mir gerade ein Gedanke … wenn demnächst wieder mal eine Kantine eröffnet werden sollte … und man nicht weiß, wohin mit dem einen oder anderen Richter

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Geheimdienst im Kriminalgericht

Ich gebe ja die Hoffnung nicht auf. Irgendwann installiert die Justizverwaltung ein WLAN im Moabiter Kriminalgericht. Deswegen schaue ich so ab und an ‚mal, was die Luft im Gericht so hergibt.

Gestern im Saal 606 sah es so aus:

Vielleicht ist es aber auch besser, wenn ich den WLAN-Chip in meinem Notebook abklemme. Je nachdem, wen ich da gerade verteidige, könnte es ein Problem mit den Israelis geben.

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Tauss: Urteil ist offensichtlich rechtskräftig

Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs teilt mit:

Das Urteil gegen ehemaligen Bundestagsabgeordneten wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Schriften ist rechtskräftig, nachdem der Bundesgerichtshof seine Revision per Beschluss vom 24. August 2010 – 1 StR 414/10 – als offensichtlich unbegründet verworfen hat:

Das Landgericht Karlsruhe hat den Angeklagten unter anderem wegen des Sichverschaffens kinder- und jugendpornographischer Schriften in 95 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt.

[…]

Der Angeklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sein auf die allgemeine Sachrüge gestütztes Rechtsmittel hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf einen entsprechenden Antrag des Generalbundesanwalts als offensichtlich unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Die Entscheidung des BGH, eine Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als „OU“ (offensichtlich unbegründet) zu verwerfen, hat Vor- und Nachteile.

Der Nachteil besteht darin, daß der Revisionsführer nicht (sicher) weiß, was die Richter dazu bewogen hat, seinen Argumenten nicht zu folgen. Und ob die Richter sich überhaupt Gedanken gemacht haben. Das ist eine sehr unbefriedigende Situation, denn die Offensichtlich nicht vorhandenen Gründe sind nicht ersichtlich.

Den Vorteil kann man allerdings darin sehen, daß der Verurteilte das Ganze nicht noch einmal über sich ergehen lassen muß. Mit dem Urteil der Tatsacheninstanz war er unzufrieden, also wird ihm das Urteil der Rechtsinstanz noch weniger gefallen. Dann lieber den Mantel des Vergessen drüber und weg damit.

Ich hätte mir ein anderes Ergebnis vorstellen können. Nicht beim BGH, sondern bereits im Ermittlungsverfahren. Da ist – soweit ich das von außen beurteilen kann – im Rahmen der Verteidigung eine Menge schief gegangen.

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Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Der Mandant beauftragte mich mit seiner Verteidigung im Ermittlungsverfahren. Nachdem ich Akteneinsicht erhalten habe, stellte ich fest, daß dem Mandanten bereits ein Strafbefehl zugestellt wurde und die Rechtsmittelfrist mittlerweile abgelaufen ist.

Außer der Mitteilung der Polizei, daß gegen ihn ermittelt wird und er sich äußern könne, habe er nichts bekommen, teilte mir der Mandant mit. Er schwört Stein und Bein, daß er auch keinen Strafbefehl in seinem Briefkasten gefunden hat.

Ich habe in seinem Auftrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44 StPO) beantragt, seinen Schwur (s.o.) in eine „Eidesstattliche Versicherung“ gegossen und zur Glaubhaftmachung (§ 45 II StPO) dem Wiedereinsetzungsantrag beigefügt.

Das Gericht hält diesen Antrag für unzulässig:

Ich frage mich, was der Mandant hätte vortragen sollen, um glaubhaft zu machen, daß das, was der Mitarbeiter der

da auf den gelben Zettel (vulgo: Zustellungsurkunde) notiert hat. Das Landgericht wird mir diese Frage wohl beantworten.

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Der Rechtsstaat in der Praxis

Wir waren zu zweit angerückt. Der Sozialrechtler und ich. Der Mandant wartete außerhalb des Gerichtssaals auf den Aufruf der Sache.

Meinem Mandanten wurde vorgeworfen, zu Unrecht Leistungen zum Lebensunterhalt bezogen zu haben. Der Vorwurf lautete: Gewerbsmäßiger Betrug in mehreren Fällen.

Bis zu diesem Ermittlungsverfahren war mein Mandant 67 Jahre lang unbescholten, hatte über 50 Jahre lang gearbeitet und hat sich verfrührenten lassen, um seine Mutter pflegen zu können. Der Vorwurf hat ihn in’s Mark getroffen.

Gegen die Rückforderungsbescheide hatte der Mandant mit Hilfe des Sozialrechtlers Klage erhoben und die Bescheide angefochten. Vor dem Sozialgericht kam es dann zu einem Vergleich, nachdem der Vorsitzende Richter am Sozialgericht dem Arbeitsamt (oder wie immer diese Behörde nun auch heißen mag) die Leviten gelesen hatte:

Der Vorsitzende weist darauf hin, dass viel dafür spricht, dass den Klägern [meinem Mandanten und seiner Ehefrau] im Leistungszeitraum […] ein erheblich geringeres Vennögen zur Verfügung stand. […] Vor diesem Hintergrund bestehen schon Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Hinzu kommt, dass die Beklagte [das Arbeitsamt] die Auswirkungen ihrer Änderungsbescheide unberücksichtigt gelassen und deshalb mehr zurückgefordert hat als sie bewilligt und ausgezahlt hat. Insoweit spricht sehr viel dafür, dass die Bescheide wegen fehlender Bestimmtheit rechtswidrig sind und aufgehoben würden.

Diese Standpauke wurde gehalten, nachdem zwei Monate zuvor der Staatsanwalt die Stellungnahme des Arbeitsamtes in die Anklage formuliert hatte. Der Spezialist beim Sozialgericht hat diese Stellungnahme statt dessen zerpflückt.

Nun sollte sich das Strafgericht noch einmal mit derselben Sache beschäftigen.

Die Staatsanwältin war – wie erwartet – nicht eingearbeitet; auf meine Frage, wann ihr die Akte vorgelegt wurde, damit sie sich auf den Termin vorbereiten könne, teilte sie mir zähnefletschend mit: Am Vorabend, zusammen mit vier anderen Akten. Sie kannte noch nicht einmal die Anklageschrift, die sie vorlesen sollte.

Und dann kam auch schon der Vorschlag des Gerichts, ob man sich denn hier nicht irgendwie einigen könne. Der Strafrichter muß wohl geahnt haben, was die Verteidigung plante; denn es wird schon seinen Grund haben, weshalb ich einen ausgewiesenen Spezialisten für das Sozialrecht mitgebracht habe.

Die Staatsanwältin ging dazwischen und verweigerte ihre Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens, noch bevor darüber geredet wurde.

Ich konnte nur pokern – eine umfangreiche Beweisaufnahme wollte mein Mandant nicht. Ich bin mir sicher, das hätte auch seine Gesundheit nicht ausgehalten. Und erst Recht nicht die seiner Frau. Also konnte ich die Folterwerkzeuge nur beschreiben, aber nicht anwenden: Beweisanträge, die das aufarbeiten, wozu schon der Sozialrichter keine Lust hatte.

Und dann kam ein trickreicher Vorschlag des Richters. Eine kurze Freiheitsstrafe zur Bewährung, keine weiteren Auflagen, Bewährungszeit zwei Jahre. Der Mandant solle bei Aufruf der Sache nicht in den Saal kommen, man geht dann über ins Strafbefehlsverfahren, die Staatsanwältin solle einen entsprechenden Antrag stellen und ich den Mund halten.

Das war nicht schlecht. Eine Bewährungsstrafe und Ruhe ist’s. Der Mandant braucht kein sauberes Führungszeugnis mehr, weitere strafrechtliche Probleme sind eher unwahrscheinlich.

Der Mandant war erleichtert, daß er nicht in den Saal muß, und war nach meiner Beratung damit einverstanden.

Die Staatsanwältin knirschte noch einmal mit ihren zerfletschten Zähnen, stimmte ebenfalls zu und tat, wie ihr der Richter geheißen.

Mit dem Strafprozeßrecht hat das aber nichts zu tun, meinte der Sozialrechtler beim Hinausgehen. Recht hat. Aber um Prozeßrecht geht es bei solchen Verfahren auch nicht.

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Explodierende Akteneinsicht

Die Hauptverhandlung soll am 14. September beginnen. In der vergangenen Woche habe ich Akteneinsicht beantragt. Diesem Antrag wurde kurzfristig stattgegeben:

Die Ermittlungsakten Bd. I bis IV sowie die Sonderhefte Bd. I bis VII liegen auf der Geschäftsstelle zur Abholung und Mitnahme in Ihre Kanzlei für drei Tage bereit. Die Beweismittelordner können nur auf der Geschäftsstelle eingesehen werden.

schreibt mir das Gericht. Soweit, so gut normal.

Am Freitagvormittag war ich auf der Geschäftsstelle. Die freundliche Mitarbeiterin übergab mir die Akten und Sonderhefte. Sodann forderte sie mich auf, ihr zu folgen. In’s „Lager“, sagte sie mir. Das kannte ich noch nicht.

Sie führte mich in einen fensterlosen Raum von etwa 80 qm, der voll gestopft war mit Kartons, wie ich sie von unserem Kanzleiumzug noch in Erinnerung hatte. Acht Stück dieser Papp-Container betrafen mein Verfahren, teilte mir die Mitarbeiterin mit. Jeder dieser Kartons war vollgepackt mit Aktenordnern („Leitzordner“). Die könne ich mir jetzt ja mal eben anschauen, meinte die Mitarbeiterin mit einem grausamen Lächeln. Nein, ich habe das Lager ganz ruhig und ohne zu laut zu schreien wieder verlassen.

Denn: Ich bin mir sicher, daß für die Hälfte der Vorwürfe bereits am 4. Oktober das Verfahrensende erreicht sein wird. Für sie läuft an diesem Tage die absolute Verjährungsfrist ab. Und es sieht nicht so aus, daß die Beweismittel in den Umzugskartons bis dahin in den Prozeß eingeführt werden können, damit das Gericht ein (Teil-)Urteil sprechen kann.

Schließlich sind da noch diese beiden Computer, die drei mobilen Festplatten und die Kiste mir den CDs. Die dort gespeicherten Daten wurden nämlich auch zur Stützung der Anklagevorwürfe zitiert.

Die Tatvorwürfe, die nach dem 4. Oktober noch übrig bleiben, verjähren dann etwa ein Jahr später. Ich möchte wetten, daß genau das eintreten wird.

Übrigens:
Mein Angebot in der vergangenen Woche, das Verfahren nach § 153 a StPO gegen Zahlung einer Auflage haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht und schließlich noch die Vertreterin der Finanzverwaltung empört abgelehnt.

Man kann der Verteidigung nicht nachsagen, daß sie sich bockig anstellt und das Verfahren böswillig in die Länge ziehen will. Diesmal nicht.

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