Den Bock zur Verteidigerin gemacht

Dem Wilhelm Brause wurde ein gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft geht von einer Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren aus, erhebt die Anklage und beantragt die Eröffnung des Verfahrens vor der großen Strafkammer beim Landgericht.

Das Gericht versucht, dem Brause die Anklageschrift zuzustellen, wußte aber nicht, wo er wohnt. Deswegen meldete sich die Staatsanwaltschaft bei der Verteidigerin:

Die Verteidigerin schrieb zurück:

Das Gericht stellt der Verteidigerin nun die Anklage mit Wirkung für und gegen Wilhelm Brause wirksam zu. Und zack! Die Verjährungsfrist verlängert sich um weitere 5 Jahre.

Weiß jemand warum? Und welchen kapitalen Bock die Verteidigerin hier geschossen hat?

Dieser Beitrag wurde unter Strafrecht, Strafverteidiger veröffentlicht und mit den Begriffen verschlagwortet.

16 Antworten auf Den Bock zur Verteidigerin gemacht

  1. 1
    Engywuck says:

    ich rate mal: nach §78b(4) StGB kann das Verfahren für maximal 5 Jahre ruhen, wenn normalerweise ein bis fünf Jahre zu erwarten sind, ein besonders schwerer Fall aber mehr als fünf Jahre ermöglicht (bei gewerbsmäßigem Betrug gegeben) *und* das Hauptverfahren eröffnet ist.
    Das Hauptverfahren beginnt durch Eröffnungsbeschluss – und dieser konnte zugestellt werden…

    Eine Aussage „ich kann Ihnen keine ladungsfähige Anschrift mitteilen“ hätte dies vermutlich verhindert?

    Ein möglicher weiterer Fehler: die Verjährung ruht auch, wenn ein Auslieferungsverfahren läuft. Durch die Mitteilung, dass der Mandant über keine ladungsfähige Anschrift *in Deutschland* verfügt wird impliziert, dass er sich im Ausland aufhält, was entsprechende Ermittlungen und ggf. ein Auslieferungsverfahren ermöglicht.

  2. 2
    Flox says:

    Das wäre jetzt auch meine Vermutung.
    Hätte sich die Anwältin nicht als Zustellungsbevöllmachtigte zu erkennen gegeben, hätte man die Anklage nicht zustellen können.

    Wobei, wenn ich mich an andere Einträge erinnere, schon die Aussage „keine ladungsfähige Adresse in D“ dürfte arg grenzwertig sein.

  3. 3
    Christian says:

    »… die Verjährungsfrist *verlängert* sich um weitere fünf Jahre.«

    Weil sie vor der Zustellung in den allerletzten Tagen lag und durch die Unterbrechung deshalb nochmal die ganze Frist läuft?

  4. 4
    WPR_bei_WBS says:

    Ich versuche mich mal (sozusagen als advocates diaboli) an einer Erklärung:

    Man versucht einen Haftbefehl, inkl. Interpol Red Notice bzw. Ausweitung auf die EU und folgende Auslieferung zu verhindern.

    Entgegen (auch?) meiner ersten Assoziation in diesem Zusammenhang von Ausland mit „JWD“ und „Verstecken / Entziehen“ , kann man im „zivilisierten“ Ausland (also von wo man recht fix nach DE ausgeliefert wird) auch ein normales Leben haben (mit Job, Familie und dem ganzen Brimborium).

    Es könnte also die Befürchtung bestehen, dass wenn man da jetzt mit der Ladung rumhampelt und die Staatsanwaltschaft das mit dem (Aus)land mitbekommt, man ganz schnell erst Auslieferungs- und dann U-Haft an der Backe hat.

    Durch das „ausdrückliche Einverständnis“ hat man jetzt schon mal schön dokumentiert, dass man nicht plant, sich dem Verfahren zu entziehen.

    • Wenn es so wäre, wie Sie darstellen (aka: „Sachverhaltsquetsche“ ;-) ), könnte das eine sinnvolle Strategie zur Vermeidung eines Haftbefehls mit internationaler Ausschreibung gewesen sein. So war’s aber hier nicht. crh
  5. 5
    MFK says:

    Der Mandant ist unschuldig, möchte die Angelegenheit geklärt haben und will sich deshalb dem Verfahren offensiv stellen? Warum sonst „mit ausdrücklichem Einverständnis des Mandanten“, welcher auch eine rechtliche Belehrung vorangegangen sein sollte?

  6. 6
    HugoHabicht says:

    @MFK
    Das „ausdrückliche Einverständnis“ braucht die Anwältin, weil sie sonst selbst mit einem Bein im Schlamassel steht (Parteiverrat, Verletzung des Anwaltsgeheimnisses).

  7. 7
    RA Schepers says:

    2 Erklärungsversuche:

    1. Die Sache mit der Mietnebenkostenabrechnung hat die Anwältin sehr gut gemacht, ich vertraue ihr deshalb auch in der Strafsache.

    2. Meine Anwältin hat mir davon abgeraten, ich möchte es aber trotzdem so. Wegen meiner Beratungsresistenz.

    • Variante 3: Meine Anwältin hat was gemacht, das nicht mit mir abstimmt war. crh
  8. 8
    Schnorchel says:

    Mir fällt hier lediglich auf, dass die Verteidigerin dem Gericht implizit mitteilt, dass sich der Angeklagte möglicherweise im Ausland befindet. Diese Information geht das Gericht nichts an.

    Was die Empfangsbevollmächtigung angeht: Der Mandant wollte es möglicherweise so. Eine falsche Beratung durch die Anwältin geht hieraus nicht hervor.

  9. 9
    Der wahre T1000 says:

    Kein Wohnsitz in D? Fluchtgefahr!!! Erstmal pfluecken und dann nicht mehr rauslassen. So oder so aehnlich wird der zustaendige Richter das wohl sehen muessen.

  10. 10
    HAL9000 says:

    @Der wahre T1000,

    das war auch mein Gedanke.

  11. 11
    Hoppel says:

    @RA Schepers

    Tag gerettet. Danke!

  12. 12
    Matthiasausk says:

    War da nicht Mal der Tipp, dass der Anwalt nicht empfangsberechtigt sein sollte?

  13. 13
    Laie says:

    Wieso kann eine Verjährungsfrist verlängert werden?

    • Einfache Frage, einfach Antwort: Weil der Gesetzgeber den § 78b Abs. 4 StGB geschaffen hat, um die Verjährungsfrist zu verlängern. Sorry, aber isso. crh

    Ich dachte die Verjährumgsfristen im Strafrecht sind absolute Fristen, und wenn der Richter innerhalb dieser Frist nicht das Urteil gesprochen hat, ist die Sache verjährt. ? (Also kann der Angeklagte nicht mehr bestraft werden)

  14. 14
    Matthias says:

    Muss sich denn nicht eine schriftliche, durch den Beschuldigten unterzeihnete Vollmacht in den Akten der StA befinden?

    • Nein, das ist nicht vorgeschrieben und seriöse Strafverteidiger raten auch grundsätzlich davon ab, eine Vollmachtsurkunde zur Akte zu reichen, weil damit Nachteile für den Mandanten entstehen können. Ausführlicher dazu hier. crh
  15. 15
    Engywuck says:

    Die auf der „Keine Vollmacht“-Seite verlinkte Vier-Strafverteidiger-Adresse wird in Chrome wie Firefox als „Malware verbreitend“ eingestuft.
    Ich glaube mich zu erinnern, dass es den Blog nicht mehr gibt, der Link also rauskann – oder irre ich mich?

    • Danke, wir sind dabei, den Fehler zu lokalisieren und dann zu beheben. crh
  16. 16
    ref. iur. says:

    Weiteres Problem: Es ist davon auszugehen, dass auch durch (weitere) Nachfrage bei der Verteidigerin sich der Aufenthalt nicht ermitteln lässt. Der Beschuldigte gilt dann nach § 276 StPO als abwesend. Die öffentliche Klage ist erhoben; wenn jetzt noch ein dringender Tatverdacht hinzukommt, kann das Gericht nach § 290 Abs. 1 StPO das gesamte inländische Vermögen beschlagnahmen. Die finanziellen Mittel des Beschuldigten sind dann erstmal weg, so kann man ihm ordentlich Beine machen.