Verjährung einer Straftat

Verjährt oder nicht verjährt? Das ist oft die Frage. Ein paar grundlegende Antworten darauf gibt dieser Blickpunkt.

756617_web_R_K_B_by_Rainer Sturm_pixelio.deOb eine Straftat verjährt ist oder nicht, ist sehr oft von existenzieller Bedeutung. Denn der Eintritt der Verjährung schließt die Ahndung der Tat aus, § 78 Abs.1 S.1 StGB. Das heißt: Ein (mutmaßlicher) Straftäter bleibt unbestraft.

Die Frage nach dem Eintritt der Verfolgungsverjährung ist aber in aller Regel nicht einfach zu beantworten. Ich versuch’s trotzdem mal. Denn die Prüfung der Verjährung gehört zu den entscheidenden Aufgaben eines Strafverteidigers.

Damit es aber halbwegs übersichtlich bleibt, beschränke ich mich hier auf eine recht grobe Struktur. Es ist trotzdem nicht zu vermeiden, daß es etwas dauern wird, bis Sie mit dem Lesen fertig geworden sind.

Die Vorschriften
Die Verjährungsfristen sind in § 78 Abs.3 StGB festgelegt. Der Beginn der Verjährungsfrist ist in § 78a StGB, das Ruhen in § 78b StGB und die Unterbrechung in § 78c StGB geregelt.

Die Ausnahme
Beim Mord braucht man diese ganzen filigranen Regelungen nicht: Verbrechen nach § 211 StGB (Mord) verjähren nicht. Basta! Damit wollte man die Verjährung von ungesühnten Morden nationalsozialistischer Täter verhindern.

Die Fristen
Schon der § 78 Abs.3 StGB ist nicht ganz trivial. Entscheidend ist dabei jeweils das Höchstmaß der angedrohten Strafe.

  • Frist 30 Jahre bei lebenslanger Freiheitsstrafe,
  • Frist 20 Jahre bei mehr als 10 Jahre Freiheitsstrafe,
  • Frist 10 Jahre bei mehr als 5 Jahre Freiheitsstrafe,
  • Frist 5 Jahre bei mehr als 1 Jahr Freiheitsstrafe,
  • Frist 3 Jahre im Übrigen.

Eine Beispielsfrist
Warum ist das nicht so simpel wie es auf den ersten Blick aussieht?

Schauen wir uns mal den einfachen Betrug an, der nach § 263 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft wird. Die Verjährungsfrist? Richtig, die Verjährungsfrist beträgt 5 Jahre.

So, und nun der besonders schwere Fall des Betruges: § 263 Abs. 3 StGB: Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahre. Verjährungsfrist 10Jahre? Falsch!. Weil es dabei um eine Schärfung des Grundtatbestands für den besonders schweren Fall geht; eine Strafzumessungsregel, die keinen Einfluß auf die Dauer der Verjährungsfrist hat, § 78 Abs. 4 StGB.

Ergebnis: Auch der Betrug im besonders schweren Fall verjährt nach 5 Jahren.

„Uffbasse!“ würde der Hesse also sagen.

Der Beginn der Frist
Das „Jetzt-geht’s-lohos“ ist in § 78a StGB geregelt: Beim Faustschlag ist das der Treffer, beim Ladendiebstahl das Einstecken in die Hosentasche. Aber wie sieht es aus beim Tätigkeitsdelikt, Erfolgsdelikt, konkreten Gefährdungsdelikt, bei mehrfacher Verwirklichung, beim Dauerdelikt, Unterlassungsdelikt, Versuch, Tateinheit, Tatmehrheit …

„Merkschwas?“ fragt der Prenzlschwabe. Bereits beim Beginn wird’s schwierig. Wenn die Tat bereits beendet ist (z.B. der Schuß), der Taterfolg (der Tod des Opfers) aber erst später eintritt, kommt es auf den letzteren Zeitpunkt an.

Ruhende Frist
Ruht die Verjährung gem. § 78b StGB, so beginnt die Frist gar nicht erst zu laufen. Oder sie läuft zwischendrin nicht weiter. Das Ruhen hat also einen Fristverlängerungseffekt und führt zu einer Nachspielzeit.

Der in der Praxis bekannteste Fall ist das Ruhen der Frist nach einem erstinstanzlichen Urteil, § 78b Abs.3 StGB. Wenn die Verteidigung die Verjährung im Blick hat und das Urteil der ersten Instanz nicht verhindern kann, hat sie „verloren“. Denn danach läuft ruht die Verjährungsfrist bis zum jüngsten Gericht.

Wer weitere Ruhensgründe sucht, mag sich mit dem § 78b StGB ein Wochenende auf eine einsame Insel zurückziehen und lesen.

Unterbrechung
Die Unterbrechung ist sowas ähnliches wie das Ruhen, nur viel schlimmer und noch komplifizierter. Wird der Lauf der Verjährung unterbrochen, fängt die Frist wieder bei Null an: Nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem, § 78c Abs. 3 S.1 StGB.

Wie die Staatsanwaltschaft oder das Gericht diesen Neustart der Verjährungsfrist erreicht, verraten die 12 (!) Unterbrechungstatbestände des § 78c Abs. 1 StGB. Das Gemeine daran ist: Der Beschuldigte merkt meist gar nichts davon. Denn wenn der Richter die Vernehmung des Beschuldigten anordnet (§ 78c Abs.1 Ziff.2 StGB), heißt das nicht, daß diese Anordnung beim Beschuldigten auch ankommt. Sie steht erst einmal nur in der Gerichts- oder Ermittlungsakte, in vielen Fällen auch nur handschriftlich hingekritzelt (was in Hinblick auf den Zeitpunkt der Hinkritzelung manchmal ein ganz ungutes Gefühl beim Aktenstudium geben kann).

Ohne Unterbrechung
Ein Beispiel für den Wahnsinn dieser Vorschrift: Schauen Sie mal in die Ziff. 6 und 7 des § 78c Abs.1 StGB. Und dann diesen Fall.

  • Der Staatsanwalt erhebt Anklage. In der Anklageschrift konkretisiert er die Tat nur unzureichend, es liegt ein Verstoß gegen das Bestimmheitserfordernis des § 200 Abs.1 S.1 StPO vor. Damit ist die Anklage unzulässig.

Rechtmäßigkeit und Fehlerfreiheit sind aber gar keine Voraussetzungen für die Unterbrechungswirkung. Also: Falsche Klage? Is mir egal!

Nicht ganz
Erst wenn die Anklage sich als unwirksam herausstellt, verliert sie ihre die Unterbrechungswirkung. Das sei hier der Fall, sagt die alles beherrschende Meinung. Das kann man aber auch anders sehen …

Merke: Rechtswidrigkeit reicht nicht, erst die Nichtigkeit hat hier die gewünschte Wirkung.

Aber
Ein Eröffnungsbeschluss (Ziff. 7), an dem ein nach § 22 StPO ausgeschlossener Richter mitgewirkt hat, unterbricht die Verjährung – trotz dieses erheblichen Mangels. Also sprach der 1. Senat des BGH in seiner unendlichen Weisheit (BGHSt 29, 351; NJW 1981, 133).

Ein Jurastudium reicht also noch lange nicht für das Verständnis dieser Unterbrechungs-Regeln.

Deadline
693728_original_R_by_Anne Garti_pixelio.deAber alles hat ein Ende, auch die Verjährungsfrist. Diese rettende Vorschrift findet man – aber erst, wenn man sie in den unendlichen Tiefen der Absätze intensiv gesucht hat – in § 78c Abs.3 S.2 StGB: Nach dem Doppelten der gesetzlichen Verjährungsfrist, mindestens aber nach 3 Jahren, erreicht man das Ziel.

Die Dickedaumenregel am konkreten Fall
Die doppelte Dauer der Verjährungsfrist führt also zur absoluten Verjährung. Am Beispiel: Ein Betrug nach § 263 Abs.1 StGB (Maximalstrafe 5 Jahre) ist absolut verjährt nach 10 Jahren. Auch ein gewerbsmäßiger oder ein bandenmäßiger Betrug nach § 263 Abs.3 StGB. Dann ist AusDieMaus. Denn Abs. 3 ist nur eine Strafzumessungsregel, kein neuer (Qualifikations-)Tatbestand.

Kapiert?
Wenn Sie meinen, jetzt alles verstanden zu haben, dann gibt es jetzt etwas für Fortgeschrittene: Prüfen Sie mal die absolute Verjährungsfrist für einen gewerbsmäßigen Bandenbetrug nach § 263 Abs.5 StGB. 20 Jahre, richtig? Und unter welchen Voraussetzungen kann sie auf 25 Jahre verlängert werden?

Ich fasse dann mal zusammen:

slacklineDie Verjährungsprüfung ist eine der Standardaufgaben einer professionellen Verteidigung. Sie gehört gleichzeitig aber auch den anspruchsvollsten Tätigkeiten eines Strafverteidigers. Wer also meint, das bisschen Strafrecht kann man mal nebenher machen, traut sich bestimmt auch das Gehen auf der Slackline zu – laufen kann ja schließlich auch jeder ab dem 2. Lebensjahr.

tl;dr
Die Verjährungsprüfung ist zu kompliziert, um sie einem strafrechtlichen Laien zu überlassen.
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Bild Zeitdruck: © Rainer Sturm / Bild Erdferkel: © Anne Garti – alle via pixelio.de; Bild Slackline: © www.physiozentrum.ch