Verhandlungsunfähig allein reicht nicht

Mediziner und Juristen. Das sind zwei Welten, die miteinander nicht vereinbar sind.

Zum Ausdruck kommt das unter anderem bei Mandanten, die krank sind. Und deswegen nicht vor Gericht erscheinen können (oder/und wollen).

Einfach mal so wegbleiben vom Termin, ist keine schlaue Idee: Beim Angeklagten kann das zum sogenannten Sitzungshaftbefehl (§ 230 StPO) führen; das mildere Mittel wäre die Vorführung, mit der auch ein Zeuge rechnen muß, wenn ihn ein Ordnungsgeld nicht zum Erscheinen bewegt.

Also braucht der Mensch ein Attest. Und das schreibt ein Arzt, also der oben erwähnte Mediziner.

1. Irrtum
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht schonmal gar nicht. Dieser gelbe Schein ist zur Vorlage beim Arbeitgeber gedacht. Die Unfähigkeit, arbeiten zu können, schließt nicht aus, fähig zu sein, vor Gericht zu erscheinen. Einem Maurer ist nicht zuzumuten, mit einem Gipsbein auf dem Gerüst rumzuturnen, wohl aber zum Gericht zu humpeln.

2. Irrtum
Ein gutes Beispiel für ein Attest, was ebenfalls nicht ausreicht, um „genügend entschuldigt“ zu sein, dem Richter nichts ins Auge schauen zu können, ist dieses Schriftstück:

Warum reicht das nicht?
Schließlich hat der Doc doch die Verhandlungsunfähigkeit attestiert. Sogar ein Medizinmann einer Fachrichtung, dessen Dienste man ja nun überhaupt nicht gern in Anspruch nehmen möchte.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG NJW 2005, 2382) hat vor vielen Jahren mal aufgeschrieben, was Juristen unter dieser Verhandlungsunfähigkeit verstehen (sollen):

Der Angeklagte ist verhandlungsunfähig, wenn ihm die Fähigkeit fehlt, seine Interessen in oder außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen und Prozesserklärungen abzugeben sowie entgegenzunehmen.

Und? Geht das aus dem Attest hervor. Nicht!

Dazu hat sich auch das Kammergericht in einem Beschluss vom 19.10.2009 – Aktenzeichen 3 Ws 590/09 – positioniert:

Ein die Arbeitsunfähigkeit eines Angeklagten feststellendes ärztliches Attest läßt ohne nähere Begründung, also ohne ausgeschriebene Diagnose, nicht die Schlußfolgerung zu, daß auch ein Fall der Verhandlungsunfählgkeit vorliege. Auch wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Form eines ICD-10-SchlüsseIs den Hinweis auf eine Erkrankung enthält, bleibt offen, ob der Angeklagte hierdurch tatsächlich in seiner Verhandlungsfähigkeit beeinträchigt war. Aufgrund der Dürftigkeit eines derartigen Attestes ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Verhandlungsunfähigkeit nicht höher als die für deren Nichtvorliegen.

Also: Nicht der Arzt, sondern der Richter muß anhand des ärztlichen Attests prüfen können, ob der Erkrankte imstande ist, einer Gerichtsverhandlung zu folgen sowie Rede und Antwort zu stehen. Der Arzt muß ganz konkret aufschreiben, woran sein malader Patienten leidet. Und zwar so konkret, verständlich und leserlich(!), daß ein Nichtmediziner leicht erkennen kann: Der Patient gehört ins Bett und nicht vors Gericht.

Und nun die Frage für Kenner.
Was macht ein Richter, dem der Angeklagte oder der Zeuge so ein Attest vorlegt? Richtig: Der Schwarzkittel ruft – freibeweislich – beim Weißkittel an und fragt diesen: Wie geht’s ihm denn heute?

Tja, und was macht der Arzt?

Darf der Arzt dem Richter (ohne vorherige Rücksprache mit dem Patienten) Auskunft geben?


     

 

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Gern kann in den Kommentaren die Wahl begründet werden.

Und macht der Strafverteidiger? Er weist den Mandanten – möglichst vorher – darauf hin, ein ausführliches Attest zu besorgen, das den oben genannten Anforderungen entspricht.

Was sonst noch in einem Strafprozess passieren kann, wenn jemand krank ist oder vorgibt zu sein, darüber schreibe ich später noch einen Beitrag.

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Das ursprüngliche Bild (AU-Bescheinigungen) war von © Tim Reckmann via pixelio.de. Er verschickt aber auch Rechnungen für die Veröffentlichungen seiner Photos, deswegen habe das Bild vom Server genommen und entsprechend ersetzt.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemeines (Kanzlei), Strafrecht, Verteidigung veröffentlicht.

34 Antworten auf Verhandlungsunfähig allein reicht nicht

  1. 1
    Ein Ermittlungsrichter says:

    Das OLG Hamm hat sich ziemlich eindeutig festgelegt (NStZ-RR 2009, 120), dass die Vorlage eines Attests bei Gericht zugleich eine Entbindung von der Schweigepflicht (gemeint wohl: betreffend die konkrete Erkrankung, die dem Attest zugrunde liegt) darstellt. Letztlich konsequent, da andernfalls dem Gericht die Sachaufklärung, die das OLG dem Gericht im selben Beschluss auferelgt, nicht möglich wäre und die Vorlage eines Gefälligkeitszweizeilers dann doch ausreichen würde, um sich zu drücken.

    • Lieber Richter, die Entscheidung und die Praxis sind mir bekannt. Aber schauen Sie mal, was der Plebs davon hält. Der überwiegende Teil selbst der juristisch Interessierten liegt falsch. Oder ist es die Justiz, die hier falsch liegt?
       
      Übrigens: Bei Bedarf kann der Verteidiger dem Gericht auch gegenüber klarstellend erklären, daß das Attest keine(!) kokludente Befreiung von der Schweigepflicht darstellt. Das kann aber in Einzelfällen zu lustigen und in 230 geregelten Kosequenzen führen, wenn der Verteidiger nicht aufpaßt. ;-) crh
  2. 2
    Non Nomen says:

    Der Medicus, wenn er denn Dispens vom ärztlichen Schweigegebot gegenüber dem Gerict erhalten hat, den Anrufer, welcher sich als Richter ausgibt, darum bitten, sich ordentlich zu legitimieren. Er wird also das persönliche Erscheinen des Richters anordnen nebst Vorlage des (Richter-)Ausweises. Vorher, bis er sich von der Rechtmäßigkeit des Ansinnens ond der ansinnenden Person gemacht hat, gilt eine güldne Regel: Schweigen ist Gold!

  3. 3
    Maste says:

    Kann mich dem werten Ermittlungsrichter nur anschließen! Bußgeldrichter setzen sich allerdings sehr gern über diese Vorgabe hinweg und kontaktieren den Arzt nicht und verwerfen den Einspruch. Dann gehts in die nächste Runde beim OLG:-)

  4. 4
    Hufflepuff says:

    Ich finde es gut, dass Sie den Namen des Arztes geschwärzt haben.

    • Danke für den Hinweis. crh
  5. 5
    meine5cent says:

    @Non Nomen:
    Mit Ihrer Begründung könnte der Iudex die Atteste des Medicus auch als ungültig ansehen, falls nicht zugleich eine Ausfertigung der Approbationsurkunde, eine Bestätigung der Ärztekammer über die fortbestehende Approbation und eine notariell beglaubigte Unterschrift des Medicus auf dem Attest vorgelegt wird.
    Ansonsten ist es ein alter Hut – und nicht nur beim OLG Hamm -, dass in der Vorlage des Attestes eine konkludente Schweigepflichtsentbindung liegt.

    • Tschullijung. Ich schreibe demnächst nur noch Blogbeiträge mit Inhalten, die Ihnen noch nicht bekannt sind. Versprochen! crh
  6. 6
    Marvin Krischer says:

    Das kommt mir von der Uni bekannt vor. Da hat der Prüfungsausschuss verlangt, dass Atteste mit Krankheitsgrund vorgelegt werden, weil nicht der Arzt über die Prüfungsunfähigkeit entscheidet, sondern der Prüfungsausschuss. Das war für eine kurze Zeit ein viel diskutiertes Thema, einige Studenten habe gedroht, sie würden das „durch alle Instanzen klagen“ und dann ist es wieder im Sande verlaufen. Ich habe keine Ahnung, was letztendlich aus der Sache geworden ist.

  7. 7
    BV says:

    @ Ein Ermittlungsrichter, # 1:

    Mir will nicht recht einleuchten, dass die Vorlage eines Attests zugleich eine Entbindung des Arztes von seiner Schweigepflicht darstellen soll. Warum sollte das so sein. Ich fände es sogar naheliegender, dass der Patient eher nicht will, dass der Arzt über das Attest hinausgehende Details preisgibt, wenngleich der Patient natürlich gerade im hiesigen Bereich auch ein erhebliches Interesse daran hat, dass das Attest den rechtlichen Anforderungen genügt. Aber eine konkludente Entbindung finde ich tendenziell gewagt.

    Die Entscheidung des OLG Hamm hilft da übrigens nicht wirklich weiter, da diese Feststellung nicht weiter begründet wird. Sie verweist lediglich auf den Göhler, der selbst ebenfalls begründungslos feststellt und nicht weiter verweist. Es gibt auch andere Kommentare und Entscheidungen, die allerdings offenbar allesamt „im Kreis“ verweisen, ohne dass mal jemand ein Argument bringt.

  8. 8
    ali says:

    Wenn der Arzt schon ein Attest ausgestellt hat, auf dem „verhandlungsunfähig“ steht, sollte er durch eine Nachfrage des Gerichts zumindest nicht überrascht werden.
    Richtig spannend sind doch erst die Fälle, in denen der Verteidiger am Morgen vor der Verhandlung kommentarlos eine AU-Bescheinigung reingereicht kriegt (am besten nur den kleinen gelben Zettel, wegen Datenschutz und so), das Teil zähneknirschend dem Richter unter die Nase hält, der gleich beim Arzt anruft, welcher in Gelächter ausbricht, weil er dem Patienten klipp und klar gesagt hatte, dass er für sein leichtes Kratzen im Hals kein VU-Attest bekommt…

  9. 9
    Thorsten says:

    Schön ist aber auch, dass einem Angeklagten nicht zwangsläufig ein Nachteil daraus erwachsen muss, dass er ein unzureichendes Attest wie das der Charite vorlegt. Denn auch hierzu gibt es Rechtsprechung, dass ein Angeklagter darauf vertrauen darf, wegen eines solchen Attestes nicht zur Verhandlung erscheinen zu müssen – zumindest beim ersten Mal.

  10. 10
    Michael says:

    Ich finde solche Beiträge äußerst wertvoll. Gibt mir als Laie etwas Handwerkszeug mit. Ansonsten wird einem ja nicht einmal Auskunft darüber gegeben auf welche Urteile man sich berufen kann.

  11. 11
    RA Ullrich says:

    Zumindest bei einem Attest, das gezielt für das Gericht eingeholt wurde und „Verhandlungsunfähigkeit“ bescheinigt, wird man einen konkludente Schweigepflichtentbindung gegenüber dem Gericht sehen müssen, denn der Patient will ja gerade, dass der Arzt ihm für das Gericht belegt, dass er verhandlungsunfähig ist, die Beantwortung von Nachfragen zu einem unzureichenden Attest ist also regelmäßig im Interesse des Patienten (Es sei denn, der Patient hätte dem Arzt bei Bestellung des Attests ausdrücklich verboten, weitergehende Nachfragen zu beantworten). Anders wäre das m.E. bei einer bloßen AU-Bescheinigung, wenn der Patient dem Arzt noch nicht einmal gesagt hatte, dass er einen Nachweis für das Gericht braucht.

  12. 12
    Johann L. says:

    @ BV, # 7; meine5cent, #5; Ein Ermittlungsrichter, # 1:

    Mir will nicht recht einleuchten, dass die Vorlage einer Vorladung bei Verhandlungsunfähigkeit zugleich den Verlust des Patientengeheimnises darstellen darf (Konsequenz aus Vorlagepflicht des Attests und Entbindung des Arztes bei Attestvorlage).

    Selbst der rechtschaffenste Bürger, vorgeladen als Zeuge, verliert essentielle Rechte (informationelle Selbstbestimmung IIRC)? Wirklich?

  13. 13
    Der wahre T1000 says:

    Das ist mir jetzt alles irgendwie zuviel.

    Es gibt sicher Leute, die sich vor einer Verhandlung drücken wollen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die einfach krank sind.

    Kann man diejenigen, die nicht erscheinen können/wollen nicht einfach kurzfristig
    einem Amtsarzt zuführen?
    Wer sich gedrückt hat, der bekommt den Unwillen des Richters (was der nie zugeben wird) und die passenden Kosten „verpasst“. Alle anderen haben einen Freifahrtschein.

    Kann doch nicht sein, dass ein Jurist ernsthaft darüber entscheidet, welche Krankheit/Befindlichkeit vor Gericht zählt. Das muß man schon den – staatlich bestellten – Medizinern überlassen.

  14. 14
    Non Nomen says:

    @meine5cent
    Also Sie würden jedem Anrufer, der sich als Richter ausgibt, am Telefon ohne weiteres Hinterfragen Auskunft zu möglicherweise intimsten Details des Gesundheitszustandes Ihrer Patienten geben?
    Bitte, woher soll denn auch der Richter wissen, dass der Angerufene tatsächlich der attestierende Arzt ist und nicht eine durchgeknallte Putzkraft à la Dr. Dr. Postel? Das klemmt!

  15. 15
    justinchen says:

    @non nomen

    Häufig behelfen sich Arzt und Richter mit folgender Konstruktion: Richter sagt, wer er ist und was er will, gibt Arzt die Nummer der Serviceeinheit oder meinetwegen der Telefonzentrale des Gerichts, die dieser zurückrufen soll; Serviceeinheit oder Telefonzentrale nennen bei Rückruf brav den Namen des Gerichts und stellen zum Richter durch.

  16. 16
    matthiasausk says:

    Problem ist die sichere Identifikation des Richters als Person, die (konkludent oder wie auch immer) berechtigt ist, Auskünfte zu erhalten. Wenn irgendjemand anruft und sagt, er sei der Richter: Schweigen wie ein Grab, da könnte ja jeder kommen.

    Ersatzweise, so der Arzt den Patienten an der Stimme erkennen könnte, sich telefonisch bestätigen lassen, daß er ihn gegenüber dem Richter von der Schweigepflicht entbindet.

    Ganz ersatzweise den Arzt umgehend vorführen lassen, damit ers glaubt, daß der Anrufer der Richter ist.

    (Bei der Gelegenheit und wenn der Arzt den Richter an der Stimme erkennt, könnte er ihm ja auch mitteilen, daß er morgen früh um 09:30 nüchtern zur Entfernung des Furunkels am Allerwertesten eingeteilt ist).

  17. 17
    Roland B. says:

    @justinchen: Na, das kann man aber leicht austricksen, sofern der Arzt nicht zumindest das Telefonbuch bemüht (macht er das, wenn er dafür keine Abrechnungsposition kennt? :-)).
    Da nenne ich als Fake-Richter z.B. die Nummer eines Freundes, bei dem ich mich aufhalte, und der meldet sich als Gerichtstrelefonist, wenn es klingelt. Dann ein paar Klackergeräusche als gefachtes Durchstellen und ich bin wieder am Hörer.

  18. 18
    Roland B. says:

    gefaktes Durchstellen, natürlich.

  19. 19
    meine5ent says:

    @crh:
    das mit dem alten Hut war nicht gegen Sie gerichtet. Mir ist schon klar, dass Ihre Intention die Rechtsfortbildung aller interessierten Leser ist.
    @Non Nomen:
    Wenn Sie als Arzt am Tag vor einer Gerichtsverhandlung oder noch am selben Tag (und das sind 99% der Fälle, nämlich tatsächliche oder angebliche kurzfristige Erkrankungen) einem Patienten ein Attest zur Vorlage bei Gericht oder eine AU-Bescheinigung ausgestellt haben, dann raten Sie mal, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Anrufer
    1. das Attest zufällig gefunden hat
    2. und dann auch noch weiß, daß der Patient einen zeitnahen Gerichtstermin hat, so dass man unter Vorspiegelung, Richter zu sein, Näheres über den Patienten ausspähen könnte.Scheint mir gegen Null zu gehen.
    Aber vielleicht spricht sich das ja unter Arbeitgebern rum, die sich dann als Richter ausgeben und der AU-Bescheinigung auf den Zahn fühlen, um anschließend eine Kündiung auszusprechen. Eine solche Täuschung des Arztes dürfte aber im Kündigungsschutzprozess eher problematisch sein.

  20. 20
    Johann L says:

    @meine5ent, #19

    Passt mMn nicht. Wir können nicht einerseits so ein grosses Bohei um Datenschutz und Persönlichkeitsrechte machen und andererseits mit gefühlten Wahrscheinlichkeiten argumentieren, sie eklatant zu verletzen.
    Zudem: Weiss der Arzt, wann (Uhrzeit) Verhandlung ist? Jeder Zuschauer könnte hinterher den Arzt anrufen…

  21. 21
    RA Feilitzsch says:

    Die Annahme einer konkludenten Einwilligung erscheint mir gewagt. M.E ist schon fraglich, ob eine Schweigepflichtsentbindung überhaupt konkludent möglich ist. Das (hier nicht direkt anwendbare) BDSG schreibt für die Einwilligung in die Übermittlung personenbezogener Daten aus gutem Grund Schriftform vor. Nur so ist der Schutz der informationellen Selbstbestimmung wirksam gewährleistet.

    Legt jemand win Attest mit spärlichen Informations vor, spricht vieles dafür, dass er eben weitere Informationen nicht preisgeben will.

  22. 22
    Engywuck says:

    Landet so eine VU-Bescheinigung eigentlich in der Akte? Also der, die dem Prozessgegner bzw. dessen Anwalt auch zur Verfügung steht?

    Wenn ja würde ich in manchen Fällen liebend gern „Richter ruft zurück“ nehmen :-)

  23. 23
  24. 24
    Non Nomen says:

    Ob der vom Arzt gezogene Schluss der Verhandlungsunfähigkeit konkludent ist, kann der Richter mangels ärztlichen Wissens nicht wissen. Darum sollte der Richter aufhören, den Besserwisser zu spielen und besser der Fachkompetenz der Fachleute vertrauen. Kommt er nämlich zu dem Schluss, die Diagnose und Prognose anzuzweifeln und die Anwesenheit anzuordnen, endet er unter Umständen in einer üblen Bredouille. Kippt ihm sein Angeklagter nämlich im Saale aus den Opanken…
    Anscheinend vergessen Richter ganz gerne mal, dass die ärztliche Kunst viel vielschichtiger ist als das Strafrecht (@crh: bitte jetzt nicht ansäuern *G*). Der BGH tut sich ganz schwer mit Reanimation, der Notarzt hats wenigstens gelernt.

  25. 25
    Subsumtionsautomat says:

    Wenn man – m.E. zurecht – annimmt, dass eine Verhandlungsunfähigkeitsbescheinigung näherer Angaben zu den konkreten Gründen der Verhandlungsunfähigkeit bedarf, dann dürfte die Bitte an den Arzt, eine solche Bescheinigung auszustellen, auch die Erklärung enthalten, dass der Arzt diese Gründe auch mitteilen darf. Da sich Ärzte aber nicht unbedingt juristisch auskennen, müssen sie ggf. halt nachbessern, was wegen der Eilbedürftigkeit dann unter Umständen telefonisch passiert. Wer ernsthafte Zweifel an der Identität des Anrufers hat, kann ja über die leicht zu ermittelnde Nummer des Gerichts zurückrufen oder ein Fax senden. In der Natur der Sache liegt es, dass sich Juristen in der Medizin etwa ebensowenig auskennen, wie der Arzt in der Juristerei, wie von einigen Vorrednern erwähnt. Gerade deshalb ist es ja auch nicht ausreichend, eine Diagnose zu nennen (z.B. Tumor, Syphilis, etc.), sondern erforderlich, die konkreten Beeinträchtigungen des Patienten (erhebliche Schmerzen, Konzentrationsstörungen, etc.) zu beschreiben. Die Diagnose kann dann, wenn sie zur Glaubhaftmachung nicht benötigt wird, sogar unterbleiben oder zumindest oberflächlich ausfallen. Das Gericht wird die Diagnose und Prognose des Arztes auch nicht anzweifeln, jedenfalls nicht ohne Hinzuziehung eines Amtsarztes oder Sachverständigen. Darum geht es einfach nicht!

  26. 26
    Non Nomen says:

    Was hier offenbar vergessen wird ist die Tatsache, dass die Offenlegung einer ausführlichenn ärztlichen Diagnose und Prognose in der vom Gericht geforderten Form einen nach meiner Ansicht sehr schwerwiegenden Eingriff in die möglicherweise nicht nur gesundheitliche Intimsphäre des Betroffenen darstellt. In diesem Zusammenhang spreche ich ausdrücklich nur von Verhandlungsunfähigkeitsattesten, nicht von Gutachten, die bspw. die Schuld(un)fähigkeit betreffen. Ist ein solcher Eingriff zu rechtfertigen, wenn es das mildere Mittel gibt, der ärztlichen Bescheinigung zu folgen, die zu der Aussage kommt: „Der Patient ist nach ärztlichem Ermessen verhandlungsunfähig“? Wohl nicht. Logisch lässt sich das Verlangen der Gerichte, ein umfassendes Attest vorlegen zu sollen doch nur damit erklären, dass das Gericht versuchen will, ein Haar in der Attestsuppe zu finden. Da es das aber mangels Fachwissen ohnehin nicht kann und ein schwerwiegender Eingriff in die absolute Intimsphäre des Angeklagten (oder ggfs. auch Zeugen) stattfindet, kann dieses Verlangen auch gleich unterbleiben – und sollte es auch besser.

  27. 27
  28. 28

    […] Ende meines Beitrags vom Freitag über die Anforderungen an ein ärztliches Entschuldigungsschreiben hatte ich eine Frage und zwei […]

  29. 29
    Exstudent says:

    Was mich hiermal interessieren würde. Warum entscheidet hier ein Richter über die Verhandlungsfähigkeit bzw. hier an der Uni wir im Prüfungsausschuss über die Prüfungsfähigkeit (als Student fand ich das ja skandalös ;)) im Arbeitsrecht, aber der Arzt?

    Sind Prüfer (und Richter sowieso) irgendwie privilegiert? Vertraut man hier auf mehr „Fairness/Weitsicht“? Oder vertraut man dem Arbeitgeber nur nicht, weil er im Zweifel immer „böse“ ist?

  30. 30
    Engywuck says:

    @Exstudent: Prüfungen und (viele) Verhandlungen sind einmalige Angelegenheiten, die nicht beliebig verschiebbar oder nachholbar sind und zu denen sich viele Personen für ein gemeinsames Ergebnis einfinden (Gericht: Zeugen, Richter, Anwälte, …; Prüfung: alle Prüflinge bei schriftlichen Klausuren (Vergleichbarkeit!))
    Beides sind zudem Bereiche, bei denen mancher schon Bauchweh beim Nur-Dran-Denken bekommt. Außerdem ist man erst relativ spät Verhandlungs- oder Prüfungsunfähig – der gebrochene Fuß wurde ja bereits genannt, und die wenigsten Ärzte werden regelmäßig Verhandlungsfähigkeit bescheinigen können (bzw. müssen) und haben dadurch wenig Erfahrung. Dies ließe sich zwar dadurch beheben, dass nur anerkannte Ärzte dies bescheinigen dürfen („Amtsarzt“), aber dann hat man wieder das Problem der teilweise großen Entfernung und dass wirklich akute Dinge („liegt im Koma nach Verkehrsunfall“) dennoch weiterhin von „Normalärzten“ beurteilt werden müssen.

    Wer regelmäßig blaumacht ist zudem im Betrieb ohnehin meist bekannt – und es gibt im SGB V §275 explizit die Möglichkeit, bei der Krankenkasse eine entsprechende Überprüfung zu veranlassen.

  31. 31
  32. 32
    Exstudent says:

    Also am Gericht seh ichs ein, aber bei der Uni gibt es einen Nachholtermin…
    Um ehrlich zu sein, fühl ich mich aber nicht in der Lage, bzw. hab nicht die Kompetenz zu beurteilen, ob jemand mit Kopfschmerzen (Migräne?) oder gebrochenen Bein mitschreiben kann oder nicht. Hatte beides noch nicht. In der Praxis wird (bei uns) eh alles anerkannt und somit das ganze ad absurdum geführt, aber das ist etwas anderes….

    Und ein kotzender Student im Hörsaal ist übrigens gar nicht so lustig…

  33. 33
    -thh says:

    @26 Non Nomen: „Ist ein solcher Eingriff zu rechtfertigen, wenn es das mildere Mittel gibt, der ärztlichen Bescheinigung zu folgen, die zu der Aussage kommt: „Der Patient ist nach ärztlichem Ermessen verhandlungsunfähig“? Wohl nicht.“

    Aber ganz gewiss. Die Erfahrung schon als Patient zeigt, dass nicht wenige Ärzte bei der Bescheinigung von erkrankungsbedingten Verhinderungen durchaus entgegenkommend sind und sich im Zweifel eher ihrem Patienten als dem unbekannten Gericht verbunden fühlen – und/oder gar keine Vorstellung haben, um was es bei der Sache eigentlich geht. Ein Strafverfahren ist eine ernste Angelegenheit, in der Anwesenheitspflichten bestehen, denen man sich nicht ohne weiteres entziehen darf. Daher ist eine vorgebrachte Entschuldigung grundsätzlich zu prüfen.

    „Logisch lässt sich das Verlangen der Gerichte, ein umfassendes Attest vorlegen zu sollen doch nur damit erklären, dass das Gericht versuchen will, ein Haar in der Attestsuppe zu finden.“

    Weiß der Arzt, was „Verhandlungsfähigkeit“ ist, dann weiß er in der Regel auch, wie er diese zu attestieren hat. Bleibt das Attest vage, spricht das dafür, dass er es (im besten Fall) nicht weiß – dann ist eine Nachfrage geboten, um das ärztliche Urteil auf Schlüssigkeit zu prüfen. Das ist übrigens kein Spezifikum der attestierten Verhandlungsfähigkeit, sondern gilt auch für jedes andere ärztliche (und nicht nur ärztliche) Gutachten. „Ist halt so, ich weiß das, Sie verstehen es eh nicht“ reicht nicht aus.

    Schlimmstenfalls war das Attest bewusst vage, weil Verhandlungsfähigkeit nicht wirklich vorliegt; dann ist die Nachfrage um so mehr geboten, um Klarheit zu erlangen. „Verhandlungsfähigkeit“ is schnell attestiert; Symptome und Untersuchungen zu erfinden ist eine ganz andere Hausnummer.

    „Da es das aber mangels Fachwissen ohnehin nicht kann […]“

    Für eine Schlüssigkeitsprüfung bedarf es keines besonderen Fachwissens.

  34. 34
    -thh says:

    @24 Non Nomen „Darum sollte der Richter aufhören, den Besserwisser zu spielen und besser der Fachkompetenz der Fachleute vertrauen. Kommt er nämlich zu dem Schluss, die Diagnose und Prognose anzuzweifeln und die Anwesenheit anzuordnen, endet er unter Umständen in einer üblen Bredouille. Kippt ihm sein Angeklagter nämlich im Saale aus den Opanken…“

    Ich darf Sie beruhigen: das habe ich noch nie erlebt. Vage ärztliche Atteste, die sich bestätigen oder – öfter – dergestalt aufklären ließen, daß eine Verhandlungsunfähigkeit in Wahrheit nicht gegeben war, jedoch öfter. Und in einer Handvoll besonders extremer Fälle hat das danach eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Arzt mit Durchsuchung der Praxisräume und Beschlagnahme der Krankenakten mit nachfolgender Auswertung durch einen Sachverständigen ergeben, dass die ärztliche Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit bewusst unrichtig erstellt war.

    Leider wird nämlich oft das fehlende Verständnis der Juristen von der Medizin nur noch von dem fehlenden Verständnis der Mediziner vom Recht übertroffen …