Monatsarchive: Juni 2010

Das macht die auch nie wieder

Wie alles begann:

Der Radfahrer hatte zuvor den Außenspiegel ihres Autos leicht beschädigt und die Frau mit dem Zeigen eines „Stinkefingers“ beleidigt.

Der Klassiker, passiert hier in Kreuzberg hundert Mal am Tag. Und kaum einer regt sich auf. Am idyllischen Ammersee in Bayern ist man, oder besser: frau anders drauf:

Krumm

Die Angeklagte hatte das Fahrrad ihres Opfers nach einer minutenlangen Verfolgungsfahrt mit aufheulendem Motor schließlich auf einem Radweg von hinten gerammt. Der Mountainbiker stürzte vor das Auto und wurde überrollt. Dabei erlitt der Radfahrer Brüche am Becken und Brustkorb, eine Lungenquetschung, Rippenbrüche und erhebliche Kopfverletzungen. Nur mit Glück überlebte der 40-Jährige den Unfall. Die Angeklagte soll nach dem Unfall aus dem Auto ausgestiegen sein und zu dem am Boden liegenden Bewusstlosen gesagt haben: „Das macht der nie wieder.“

Dafür hat es fünf Jahre und drei Monate gegeben, vom Landgericht Augsburg, berichtet der Stern.

Der Moutainbiker scheint das Potential seines Fahrrades aber auch nicht wirklich ausgenutzt zu haben. Radwege sind eigentlich die Reservate der bunt behelmten Sonntagsfahrer mit Kindersitzen. Und eben auch mit einem Auto befahrbar.

Danke an Rechtsanwalt Jürgen Melchior für den Hinweis.

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Der Eiertanz und die Kosten

In einer Strafsache vor dem Amtsgericht hat es (ausnahmsweise) einmal einen Freispruch gegeben. Nicht nur, weil der Verteidiger es so beantragt hatte; nein, auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft meinte, der Freispruch müsse sein.

Drei Wochen später bekommt der Freigesprochene Post vom Gericht:

… teilen wir mit, daß die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil eingelegt hat.

Drei Wochen und eine halbe Minute später ruft der Freigesprochene seinen Verteidiger an und stellt die Drei-D-Frage: Dürfen die das?

Es schließt sich eine umfangreiche Beratung über die Sach- und Rechtslage an, in der die Zulässigkeit eines solchen Eiertanzes der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, die Möglichkeiten einer Verteidigung vor dem Berufungsgericht besprochen und reichlich blank liegende Nerven beruhigt werden müssen.

Weiter zwei Monate bekommt der Freigesprochene erneut Post vom Gericht:

… teilen wir mit, daß die Staatsanwaltschaft die Berufung gegen das Urteil zurück genommen hat.

Und wieder eine halbe Minute später fragt der nun endlich rechtskräftig Freigesprochene, was das denn zu bedeuten habe und wie es mit den Kosten aussieht, die für die Verteidigung in der Berufungsinstanz entstanden sind.

Die schlechte Nachricht vom Gericht: Auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft, die noch nicht begründet wurde, müsse ein Verteidiger noch nichts unternehmen. Deswegen muß die Landeskasse die Kosten auch nicht erstatten.

Der Verteidiger darf nun noch seinem Mandanten dann erklären, daß er erst freigesprochen, dann – aus seiner Sicht – verarscht wurde und dafür nun auch noch die Kosten (im Mittel 321,30 Euro) zu tragen hat.

Ich überlege, es dem Richter und dem Staatsanwalt zu überlassen, diese Erklärung zu liefern und habe das Verzeichnis mit ihren Telefondurchwahlen und Zimmernummern schon in der Hand …

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Ein höfliches Recht will gar nichts heißen

Sabine Rückert kritisiert in der Zeit den Strafverteidiger von Jörg Kachelmann. Sie wirft dem Anwalt Reinhard Birkenstock vor, einen Schmusekurs zu fahren und an das Gute im Staatsanwalt zu glauben.

Auf leisen Sohlen verteidigt man nicht den Unschuldigen, sondern den Täter.

schreibt sie. Das ist die Verkürzung eines meiner Favoriten eines leider schon verstorbenen Kollegen:

Wer das Falsche verteidigen will, hat alle Ursache, leise aufzutreten und sich zu einer feinen Lebensart zu bekennen. Wer das Recht auf seiner Seite fühlt, muss derb auftreten: ein höfliches Recht will gar nichts heißen.

Ob aber der Jurist Johann Wolfgang von Goethe der „bessere“ Verteidiger wäre, wenn er im heutigen Medienzeitalter einen Prominenten gegen eine Vergewaltigungsvorwurf zu verteidigen hätte?

Aber ernsthaft: So fundiert, wie der Beitrag in der Zeit (im Verhältnis zu den Kaffeesatzlesereien der Küchenjuristen in den Publikumsblättern) auch scheint, mit der Kritik an der Verteidigungsstrategie greift Frau Rückert zu kurz. Ich denke, ihr fehlen ein paar wesentliche interne Sachkenntnisse. Und die Erfahrung mit den Tücken einer Verteidigung in Haftsachen.

Die Journalistin drängt auf nachdrückliche Durchsetzung aller möglichen Verfahrensrechte in dem Haftverfahren. Wer als Verteidiger aber einmal mit einem Rechtsmittel gegen einen Haftbefehl beim Obergericht gescheitert ist, wird den Schaden nie wieder vergessen, den ein erfolgloser Kampf gegen die Inhaftierung anrichten kann.

Haftbeschwerden sind keine Mathematikaufgaben aus der Klötzchenschule, so nach dem Motto: Zwei Gutachten wiegen schwerer als eins. Es sind (subjektive) Wertungen und Abwägungen, die zu folgenschweren Entscheidungen führen.

Abwägende Wertungen sind aber (fast) nicht kalkulierbar. Es sei denn, man hat sich vorher mit denjenigen unterhalten, die werten, abwägen und dann entscheiden. Solche Unterhaltungen werden in aller Regel aber nicht nur hinter verschlossenen Türen geführt, die die Medien – auch eine Sabine Rückert – außen vor lassen; sondern man spricht auch später darüber nicht. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.

In concreto: Wenn das Land- und/oder Oberlandesgericht im Fall Kachelmann signalisiert hat, den dringenden Tatverdacht und die Fluchtgefahr anzunehmen, ist es eine sehr kluge Entscheidung, das Gericht nicht zu einer öffentlichen Entscheidung zu zwingen. Denn es gibt de facto keine Staatsanwälte, die noch einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls stellen, und auch keine Richter am Amts- oder Landgericht, die den Haftbefehl auf Antrag der Verteidigung aufheben, wenn das Oberlandesgericht soeben veröffentlicht hat, daß die Voraussetzungen – Tatverdacht und Fluchtgefahr – vorliegen.

Auch Frau Rückert begeht hier den Kardinal-Fehler, über einen Sachverhalt zu urteilen, ohne ihn vollständig (!) zu kennen. Ich kenne ihn auch nicht, deswegen halte ich mich mit der Bewertung der Arbeit des Kollegen Birkenstock zurück.

Es gibt ihn noch, den Unterschied zwischen dem Boulevard- und dem Qualitätsjournalismus. Die Größe dieses Unterschieds ist aber ein Kriterium, das nicht aus dem Blick verloren gehen sollte.

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Die Unschuldsvermutung in den Medien

Egal, wie das Gericht entscheidet, eines ist sicher: Den Geruch, dass er ohne Not einen fliehenden Eierdieb abgeknallt hat, wird R. nicht mehr los.

Plutonia Plarre beschreibt die Folgen des Strafverfahrens gegen den Zivilfahnder Roland R. in der taz.

Dabei muss auch Staatsanwälten klar sein, dass für einen Vorabendprotagonisten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ein Rufschaden solchen Ausmaßes nicht behoben werden kann. Für die erlittene U-Haft kann Kachelmann dereinst vielleicht ein paar Tausend Euro geltend machen – denn staatliche Entschädigung gibt es bloß für unmittelbare Haftfolgen wie Verdienstausfall. Auf dem exorbitanten Imageverlust aber wird der Fernsehmeteorologe sitzen bleiben.

Sabine Rückert beschreibt die Folgen des Strafverfahrens gegen den Meteorologen Kachelmann in der Zeit.

In beiden Fällen gibt es zur Zeit der Berichterstattung kein rechtskräftiges Urteil eines unabhängigen Gerichts.

In beiden Fällen dürfte das Urteil (oder die Einstellungsverfügung) – fast – von nachrangiger Bedeutung sein.

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Überlastete Ameisen

Die Gerichte sind überlastet, sagen die dort arbeitenden Bediensteten. Ja, das ist bekannt, sagen die Außenstehenden. Bekannt ist aber auch, daß die Justiz ihre Ressourcen – als insbesondere das Personal – mit beiden Händen aus dem virtuellen Fenster wirft.

Diese Anfrage ist an sich ja ganz sinnvoll. Aber ich stelle mir die Frage, warum schickt die Justiz so etwas mit der Post?

Auf jeder Geschäftsstelle steht ein Faxgerät (wenn nicht, dann gehört eines dort hin!). Auch haben Richterin und Geschäftsstellen eine eMail-Adresse und einen Zugang zum Internet. Telefone gibt’s auch (aber die sind im Einzelfall noch arbeitsintensiver wie ein Brief mit der Schneckenpost).

Die Bearbeitung des konkreten Falls wird sich durch diese Briefkorrespondenz nur unwesentlich verzögern. In der Menge haben auch durch solche Kleinigkeiten richtiges Gewicht. Also, liebe Justizverwaltung: Jeder Beitrag hilft, sagte die Ameise und pinkelte ins Meer. Eine eMail beißt nicht!

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Wahllichtbildvorlage, iiihhhh!

Es ging um eine Prügelei unter Jugendlichen. Die Zeugin sollte die Polizei dabei unterstützen, einen Beschuldigten zu identifizieren.

Dazu wurden ihr sechs Bilder vorgelegt, von denen eines den Beschuldigten zeigt, eine so genannte Wahllichtbildvorlage (WLV). Dazu vermerkte der Polizeibeamte:

Bei Vorlage d. WLV reagierte sie insbesondere auf Blatt 58 der Akte. Sie drehte sich vom Blatt weg, zeigte sich übermäßiger Weise angeekelt. Sie legte die Nase in Falten und wiederholte mehrfach laut singemäß: „iiiihhhhhh, sind die eklig“, „iiiiiiihhhhhhh“, „iiihhhh sind die alle fett“.

Auch im übrigen war die Vernehmung dieser Zeugin nicht sehr ergiiiiiiiihhhbig.

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Bandido als Vollstrecker?

Der 49-jährige Duisburger Tomas W. ist Betreiber einer Gaststätte. Nicht irgend einer Gaststätte, sondern einer mit Hut. Mit Sombrero, genauer gesagt. Eine gelbe mexikanische Kopfbedeckung, rote Buchstaben – das sind die Farben der Bandidos und des Vereinsheim, also eben dieser Gaststätte in Duisburg.

Der Bandido ist aber nicht nur Wirt und Hauseigentümer. Sondern er geht auch noch einem anderen ehrbaren Beruf nach. Es ist (war und ist wieder) Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht Essen; in Österreich würde man ihn Exekutor, also Vollstrecker, nennen. Gerichtsvollzieher vollstrecken nämlich u.a. Forderungen, aus vollstreckbaren Urkunden, z.B. aus Vollstreckungsbescheiden.

Diese Papiere sind aber meist in schnödem schwarz-weiß gehalten und nicht in rot-gold. Und das paßt nicht zueinander, meinte die Essener Justizverwaltung und die Vorgesetzten, die beim Oberlandesgericht Hamm sitzen. Sie delegierten den rockenden Vollzieher zum Aktenabstauben in den Innendienst. Da aber ein Rocker nun einmal die frische Luft bevorzugt, wehrte er sich dagegen, und zwar mit Hilfe des Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

Und diese Verwaltungsrichter, die allgemeinhin nicht als besonders rockerfreundlich gelten dürften, überraschten mit ihrer Entscheidung (VG Gelsenkirchen, Beschluß vom 24.06.10, Az: 12 L 461/10). Sie meinten nämlich, es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Mitgliedschaft des Gerichtsvollziehers bei den Bandidos negativ auf seine Arbeit ausgewirkt hätte.

Ich stelle mir gerade das Gesicht eines Essener Hells Angels vor, dem der Bandido einen Kuckuck auf den Flachbildschirm kleben will. 8-)


Danke an die Donnerkatze für den Hinweis. crh

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Im Frühtau …

Nicht nur der Kollege Werner Siebers achtet auf seinen morgendlichen Ausgleich vom Alltagsstress:

Erst drei flotten Runden über den alten Flughafen Tempelhof, dann gewaltige Höhenmeter in der Hasenheide und schließlich den Vögelchen bei der Morgentoilette zusehen und sich die Frösche im Teich anhören.

Hach, wie schön … da bekommt man doch wieder richtig Lust auf die dicke Akte mit dem Heroin-Import.

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Vernehmungsbogen für Arbeitslose

Der Mandant bekam Post. Von der Polizei, aufgrund einer Strafanzeige. Keine große Geschichte, aber die Ermittler müssen tätig werden. Sie schicken ihm die vorgesehene „Anhörung“ mit den üblichen einleitenden Worten:

Gegen Sie wird ein Ermittlungsverfahren geführt, […]. Nach § 163 a der Strafprozessordnung ist Ihnen Gelegenheit zu geben, zu dieser Beschuldigung Stellung zu nehmen […]

Dieser Anhörung war ein Vernehmungsbogen beigefügt, den der beschuldigte Mandant ausfüllen und zurückschicken kann. Zuerst werden darin die Angaben zur Person abgefragt.

Es fällt auf, daß das Formular wie selbstverständlich einem Beschuldigten gleich in der ersten Zeile anbietet, sich arbeitslos zu „melden“. Offenbar steht die überwiegende Anzahl der Beschuldigten nicht in Lohn und Brot. Oder handelt es sich um das schlichte Weltbild einer verbeamteten Ermittlungsbehörde?

Nur nebenbei: Mein Mandant ist nicht arbeitslos, sondern aktiver Vorstand einer Kapitalgesellschaft. Und er hat sich darüber informiert, was man mit solchen Formularen am besten anstellt.

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Weitere Ermittlungen

Aus einem Anhörungsbogen in einer Bußgeldsache:

Bitte senden Sie den Fragebogen innerhalb einer Woche nach Zugang dieses Schreibens an die oben genannte Dienststelle zurück, selbst wenn sie von Ihrem Zeugnis-/Aussageverweisungerungsrecht Gebrauch machen. Sie vermeiden dadurch weitere Ermittlungen.

Ja und? Solange der Mandant nicht selbst ermitteln muß, dürfte ihm das gleichgültig sein, ob die oben genannte Dienststelle nun weiter ermittelt oder nicht.

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