Ein höfliches Recht will gar nichts heißen

Sabine Rückert kritisiert in der Zeit den Strafverteidiger von Jörg Kachelmann. Sie wirft dem Anwalt Reinhard Birkenstock vor, einen Schmusekurs zu fahren und an das Gute im Staatsanwalt zu glauben.

Auf leisen Sohlen verteidigt man nicht den Unschuldigen, sondern den Täter.

schreibt sie. Das ist die Verkürzung eines meiner Favoriten eines leider schon verstorbenen Kollegen:

Wer das Falsche verteidigen will, hat alle Ursache, leise aufzutreten und sich zu einer feinen Lebensart zu bekennen. Wer das Recht auf seiner Seite fühlt, muss derb auftreten: ein höfliches Recht will gar nichts heißen.

Ob aber der Jurist Johann Wolfgang von Goethe der „bessere“ Verteidiger wäre, wenn er im heutigen Medienzeitalter einen Prominenten gegen eine Vergewaltigungsvorwurf zu verteidigen hätte?

Aber ernsthaft: So fundiert, wie der Beitrag in der Zeit (im Verhältnis zu den Kaffeesatzlesereien der Küchenjuristen in den Publikumsblättern) auch scheint, mit der Kritik an der Verteidigungsstrategie greift Frau Rückert zu kurz. Ich denke, ihr fehlen ein paar wesentliche interne Sachkenntnisse. Und die Erfahrung mit den Tücken einer Verteidigung in Haftsachen.

Die Journalistin drängt auf nachdrückliche Durchsetzung aller möglichen Verfahrensrechte in dem Haftverfahren. Wer als Verteidiger aber einmal mit einem Rechtsmittel gegen einen Haftbefehl beim Obergericht gescheitert ist, wird den Schaden nie wieder vergessen, den ein erfolgloser Kampf gegen die Inhaftierung anrichten kann.

Haftbeschwerden sind keine Mathematikaufgaben aus der Klötzchenschule, so nach dem Motto: Zwei Gutachten wiegen schwerer als eins. Es sind (subjektive) Wertungen und Abwägungen, die zu folgenschweren Entscheidungen führen.

Abwägende Wertungen sind aber (fast) nicht kalkulierbar. Es sei denn, man hat sich vorher mit denjenigen unterhalten, die werten, abwägen und dann entscheiden. Solche Unterhaltungen werden in aller Regel aber nicht nur hinter verschlossenen Türen geführt, die die Medien – auch eine Sabine Rückert – außen vor lassen; sondern man spricht auch später darüber nicht. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.

In concreto: Wenn das Land- und/oder Oberlandesgericht im Fall Kachelmann signalisiert hat, den dringenden Tatverdacht und die Fluchtgefahr anzunehmen, ist es eine sehr kluge Entscheidung, das Gericht nicht zu einer öffentlichen Entscheidung zu zwingen. Denn es gibt de facto keine Staatsanwälte, die noch einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls stellen, und auch keine Richter am Amts- oder Landgericht, die den Haftbefehl auf Antrag der Verteidigung aufheben, wenn das Oberlandesgericht soeben veröffentlicht hat, daß die Voraussetzungen – Tatverdacht und Fluchtgefahr – vorliegen.

Auch Frau Rückert begeht hier den Kardinal-Fehler, über einen Sachverhalt zu urteilen, ohne ihn vollständig (!) zu kennen. Ich kenne ihn auch nicht, deswegen halte ich mich mit der Bewertung der Arbeit des Kollegen Birkenstock zurück.

Es gibt ihn noch, den Unterschied zwischen dem Boulevard- und dem Qualitätsjournalismus. Die Größe dieses Unterschieds ist aber ein Kriterium, das nicht aus dem Blick verloren gehen sollte.

Dieser Beitrag wurde unter Medien veröffentlicht.

15 Antworten auf Ein höfliches Recht will gar nichts heißen

  1. 1
    BV says:

    Na ja, so ist es eben. Da schreiben Journalisten, also Nicht-Juristen, über Sachverhalte und rechtliche Zusammenhänge, die sie nicht kennen, die ihnen nicht klar sind und zu deren Bewertung maßgebliche Informationen fehlen. Trotzdem sind die Zeitungen voll von irgendwelchem Kram, der sich obendrein noch als Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten liest. Vermutlich empfinden es einige Journalisten auch als Eingriff in die Pressefreiheit, dass sie kein Aktendoppel erhalten, um vernünftig berichten zu können – so ist die Justiz ja selbst Schuld.

    In der Tat gibt es markante Unterschiede zwischen den Beiträgen, für die der Autor, der idealerweise auch eine gute Portion Fachwissen mitbringt, (gründlich) recherchiert hat und auch Zeit hatte, den Artikel zu schreiben. Anders sieht es hingegen vor allem beim Boulevard aus, die – auf Teufel kommt raus – jeden Tag irgendetwas vermeintlich Neues schreiben müssen. Es war spannend zu beobachten, wie unangenehm die Situation für diese Journalisten gewesen sein musste und wie sich verbiegen mussten, als zwischendurch über Tage hinweg rein gar nichts passierte ;-)

    Der absolute Hit sind dann aber die Leser, die ihre noch unqualifizierteren Meinungen in kurzen Kommentaren – ähnlich diesem hier ;-) – kund geben und damit das Bild doch auf traurige Art und Weise abrunden. Da kennt jemand den Sachverhalt nur aus wenigen Zeilen, die am besten noch nur eine Zeitung produziert hat, kann die Sache aber besser entscheiden als alle beteiligten Juristen es könnten. Es ist einfach nur mühsam…

  2. 2

    Ich liebe Kantholz Goethe!

  3. 3

    Da gebe ich Dir recht Carsten. Nichts ist schlimmer als eine gescheiterte Haftbeschwerde. „Das OLG/KG hat’s gedeckelt, da haben wir ja jetzt keine Eile und Not mehr!“.
    Und man hat Gewissheit, daß die (summarische) Beweiswürdigung nicht falsch ist.
    Bei Kachelmann würde dies bedeuten, das für ihn positive Glaubwürdigkeitsgutachten kann er getrost in die Tonne kloppen. Das kann man im Hauptverfahren kaum noch ausbügeln.

  4. 4
    Tara says:

    Bei Mandanten, die ohnehin nur noch wenig zu verlieren haben, kann eine knackige Haftbeschwerde und ggf. eine weitere Beschwerde zu durchaus erstaunlichen Erfolgen führen, insbesondere, wenn sie vorwiegend auf einer rechtlichen Argumentation fußt und nicht nur den dringenden Tatverdacht in tatsächlicher Hinsicht angreift (der ist zumeist am schwersten zu erschüttern).

    Wer aber, wie Herr Kachelmann, noch sehr viel zu verlieren hat, dem ist mit einer erfolglosen Haftbeschwerde wenig gedient, da das vorläufige Ergebnis auf lange Zeit festgeklopft ist.

    Auch Alexander Falk saß sehr lange in U-Haft, bevor es Herrn Strate und Kollegen gelungen war, eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu erreichen.

    Das Problem sind nicht Verteidiger mit Beißhemmungen sondern Gerichte, die den Freiheitsanspruch und die Unschuldsvermutung nicht hinreichend ernst nehmen eine Flucht des Beschuldigten jedoch fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

  5. 5
    Tourix says:

    Den Artikel in der Zeit fand ich schon ungewöhnlich gut (sorgfältig).
    Umso interessanter ist nun dieser (seltene) Einblick in die Praxis.

  6. 6
    rajede says:

    Die Justiz wird für die Handlungen der Presse verantwortlich gemacht, die für sich in Anspruch nimmt, nur das Informationsinteresse zu befriedigen. Verrückte Welt!

  7. 7

    […] Kollege Hoenig kritisiert mit Recht und guten Argumenten den Artikel in der Zeit, in dem die Verteidigung […]

  8. 8

    Nun hat aber Kollege Birkenstock Haftbeschwerde beim OLG eingelegt:

    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,703689,00.html

    Kann daraus nun also im Umkehrschluss gefolgert werden, dass hinter den Kulissen schon Gespräche mit dem entscheidenden Senat stattgefunden haben, andernfalls Birkenstock das Risiko nicht eingehen würde?

      Für Schlußfolgerungen ohne Detailkenntnisse gibt es in unserer Kanzlei ein wichtiges Instrument, lieber Andreas. ;-). crh
  9. 9

    Also, ich finde den Artikel von Frau Rückert phänomenal gut. Ihre Einschätzung teile ich. Dies nicht nur über den „Verteidiger in Wirtschaftsstrafsachen“, sondern vor allem zur These, spätestens nach Kenntnis der beiden entlastenden Gutachten hätte Haftbeschwerde erhoben werden müssen. Wann denn sonst, wenn nicht dann? Nachdem vielleicht von der StA, die ihr Gesicht wahren will und muss, weitere Gutachten mit anderem Ergebnis eingeholt wurden?
    Ich kann mir übrigens nicht vorstellen, dass es praktisch funktioniert, vorab vom Beschwerdesenat deren Rechtsansicht mitgeteilt zu bekommen. Insoweit unterstelle ich, dass das mit dem Haftrichter schon möglich war und auch geschehen ist.

    Ach ja, auch wenn ich ohne vollständige Kenntnis des Sachverhalts „mutiger“ bin bei einer Bewertung, ist natürlich der CRH-Artikel auch allererste Sahne (und in dieser Tiefe in Jurablogs leider viel zu selten anzutreffen).

  10. 10
    pauly says:

    Kachelmanns Verteidiger muss sich nun also sehr sicher sein, dass es klappt. Wenn die Haftbeschwerde fehl schlägt sieht es sehr schlecht aus.

  11. 11
    Martin Overath says:

    „Unterhaltungen“ mit der Staatsanwaltschaft sind in § 160b StPO geregelt. Abs. 2: „Der wesentliche Inhalt der Erörterung ist aktenkundig zumachen.“ Dies ist den Verfahrensbeteiligten nicht nur ins Gesetz geschrieben worden sondern sollte auch in deren Stammbuch stehen.

  12. 12

    […] Kollegen Birkenstock kann man nur, wenn man die Akten genau kennt; so im Ergebnis zutreffend der Kollege Hoenig. Und wer kennt sie denn […]

  13. 13
    Kampfschmuser says:

    http://www.welt.de/die-welt/vermischtes/article8233289/Kachelmanns-Verteidigung-legt-Beschwerde-ein.html

    Warum legt ein Verteidiger Beschwerde beim OLG ein, wenn das LG für Freitag die Entscheidung (Haftprüfungstermin) angekündigt hat? Mir fällt dazu nur ein, dass das LG vorab signalisiert im Haftprüfungstermin negativ zu entscheiden.

  14. 14
    wursthaut says:

    Genau. Die Kammer will die Anzeigenerstatterin nicht vernehmen und der Anwalt interpretiert dieses als sehr negatives Zeichen.

  15. 15

    […] Niveau hinab begeben. Das, was diese Sabine Rückert in Sachen Kachelmann umtreibt, wirft nun doch noch einige Fragen mehr […]