Die Überwachung der Telekommunkation (TKÜ) gehört zum Standard-Programm der Ermittler. Wenn es beispielsweise um einen kleinen Hehler geht, der mit geklauten Handys handelt, stellt das niemanden vor größere Probleme.
Es ergeht ein gerichtlicher Beschluß nach § 100a StPO und schon werden die Telefonate des Verdächtigen auf behördliche Datenträger gespeichert. Daraus erwickeln die Ermittler den dringenden Tatverdacht und der Staatsanwalt später die Anklage.
Wenn nun der Verteidiger Akteneinsicht beantragt, stellt man ihm eine DVD zur Verfügung, damit er sich die Aufzeichnungen gemeinsam mit seinem Mandanten anhören kann. Soweit jedenfalls funktioniert die Praxis hier in Berlin.
Wenn es aber um mehr als eine Person geht – zum Beispiel eine zwölfköpfige Gruppe von Verdächtigen, deren Gespräche und SMS dann auch noch über einen längeren Zeitraum abgehört wurden, wächst schnell ein Datenvolumen an, das nicht mehr so einfach zu handhaben ist.
Dies illustriert der folgende Vermerk aus eine Umfangstrafsache:
Dazu hatte der Vorsitzende über seine eigenen Versuche berichtet, der Datenmengen Herr zu werden.
Ein Test der Kammer, eine DVD auf eine Festplatte zu übertragen, ergab eine angezeigte Dauer von zwölf Stunden, weshalb dies bei dem Gesamtvolumen von 18 DVDs keine Lösung darstellt.
Na gut, das technische Equipment der Kammer wird sicherlich nicht auf dem aktuellen Stand sein. Aber selbst wenn man für das Kopieren der zigtausenden Dateien auf einer DVD nur 1 Stunde benötigen würde, käme man noch immer nicht in den Bereich eines akzeptablen Handlings.
Vielleicht zum konkreten Hintergrund noch eine Information:
Die Telefonate wurden nicht in deutscher Sprache geführt. Die Ermittlungsbehörden selbst haben – quasi mit Bordmitteln – Übersetzungen sowie Gesprächszusammenfassungen angefertigt und dabei eine für ihre Zwecke nützliche Auswahl getroffen.
Aufgabe der Verteidigung ist es, sowohl die Übersetzungen als auch die Auswahl zu prüfen. Wichtigstes Hilfs-„Mittel“ dabei ist der Mandant, der – man ahnt es – in Untersuchungshaft sitzt.
Also in einer Haftanstalt, in der Elektronik für die Justizverwaltung sowas ähnliches darstellen muß, wie eine Petroleumlampe in einer Halle mit offen gelagertem Schwarzpulver. Die dadurch entstehenden Schwierigkeiten, den Art. 6 Abs. 3 Lit. a und b EMRK zum Leuchten zu bringen, ist leicht vorstellbar.
Es stehen sich also gegenüber:
- Die Europäische Menschenrechtkonvention:
Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:
a) innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b) ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
- und in der anderen Ecke:
Die technische Ausstattung unserer Justiz, der es zwar gelingt, säckeweise Daten zu sammeln, aber nicht, diese in adäquater Form zu verarbeiten.
Und was fällt hinten runter?
Die (Menschen-)Rechte der Verteidigung.
Und wie reagiert die Justiz?
Sie macht den Angeklagten ein Angebot (§ 257c StPO), das sie – nach Ansicht des Anbieters – nicht ablehnen sollten: Abnicken des Ergebnisses der Ermittlungen und Verzicht auf alle Rechte, die die Strafprozeßordnung schützen soll. Dafür gibt’s ein scheinbares Sonderangebot.
Auf den nur wenig überspitzen Punkt gebracht:
- Die Kriminalbeamten zeichnen auf, übersetzen und wählen aus.
- Das Ergebnis verwertet die Staatsanwaltschaft – unbesehen und ungehört – als Beweismittel in einer Anklageschrift.
- Die Angeklagten „gestehen“ alles – unbesehen und ungehört.
- Das Gericht verurteilt – unbesehen und ungehört – auf einer Grundlage, die kriminalbeamtete Techniker irgendwann mal aufgezeichnet haben.
Damit das Problem noch deutlicher wird
Einem Angeklagten werden in der Anklage 10 Taten vorgeworfen. Er ist sich aber sicher, daß er maximal an 5 beteiligt war, und zwar nur als Gehilfe, nicht als Mittäter. Außerdem ist der Schaden viel geringer und es gibt massive rechtliche Probleme.
Soll der Angeklagte das richterliche Angebot – sagen wir mal: 3,5 Jahre Freiheitsstrafe für 10 Taten – akzeptieren, nur um das Risiko auszuschließen, nach Durchsetzung der Verteidigerrechte in einer – sagen wir mal: – 50 tägigen Bweisaufnahme mit erstmaliger(!) Anhörung und unabhängiger(!) Übersetzung der Aufzeichnungen wegen nur 5 Taten, dann aber zu 4,5 Jahren verurteilt zu werden? (Komme mir jetzt keiner der hier anwesenden Juristen mit der Sanktionsschere. Kennt Ihr die Erfolgsquoten für Revisionen beim 5. Senat? Die Strafkammer kennt sie ganz genau!)
Was passiert,
wenn – sagen wir mal – vier von zwölf Angeklagten quasi blind das Angebot annehmen? Und die anderen nicht auf die saubere Arbeit der Kriminalbeamten vertrauen wollen?
Herr Justizminister Maas hat mal wieder schöne – und völlig sinnlose – Vorschläge zur Opitimierung des Strafrechts gemacht. Warum nimmt er nicht mal das Geld in die Hand, das notwendig wäre, um die Justiz mit notwendiger Technik und Personal auszustatten?
tl;dr
Keine Technik; keine Rechte
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