Gefährliche Teileinstellung

Es ist nicht ungewöhnlich, dass umfangreiche Wirtschaftsstrafsachen nicht mit einem Urteil enden; ein Freispruch ist noch seltener. In vielen Fällen bietet sich die Einstellung nach § 153a StPO an, nämlich die Einstellung gegen Zahlung einer Auflage.

Entscheidend bei einem solchen Verfahrensende ist, dass sich alle Beteiligten einig sind. Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung müssen der Einstellung und der Höhe der Auflagenzahlung zustimmen. Stellt sich einer der drei Gruppen quer, muss weiter verhandelt werden.

Heute ist in den Medien vom Ende des Prozesses gegen Dirk Jens Nonnenmacher und andere Ex-Vorstände der HSH Nordbank zu lesen. Bevor es noch einmal richtig losgehen sollte, haben sich die Beteiligten auf eine Einstellung gegen eine 7-stellige Auflagenzahlung geeinigt, teilte Gerichtssprecher Kai Wantzen am Donnerstag mit. Es geht um die Zahlung von bummeligen 4,85 Millionen Euro

Vielleicht ist diese Höhe der Grund dafür, dass einer der sechs ursprünglich angeklagten Ex-Vorstandsmitglieder der Einstellung nicht zustimmte. Es können aber auch andere Gründe sein, die den Angeklagten zum Kampf um den Freispruch veranlasst haben.

Dieser Weg wird kein leichter sein. Es wird sogar schwieriger werden als beim ersten Durchgang. Denn wenn die Verfahren gegen die fünf anderen nach Erfüllen der Zahlungsauflagen endgültig eingestellt wurden, stehen sie dem Gericht grundsätzlich als Zeugen zur Verfügung, die aussagen müssen. Nur wenn man sehr gute Gründe findet, könnte doch noch einmal ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 55 StPO vorliegen. Das ist aber wirklich nur in Ausnahmefällen durchsetzbar.

Das bedeutet nun für die weitere Beweisaufnahme der ab Mitte August geplanten neuen Hauptverhandlung, dass der letzte Angeklagte möglicherweise mit dem Insiderwissen der ehemaligen Mitangeklagten rechnen muss. Ich gehe aber davon aus, dass ihn seine Verteidiger darüber aufgeklärt haben.

Übrigens: Beim § 153a StPO gilt die (ungeschriebene) alles-oder-nichts-Regel. Verweigert der Angeklagte seine Zustimmung zur Verfahrenseinstellung, folgt ein Urteil. Ein nochmaliges Einstellungsangebot wird er regelmäßig nicht bekommen. Aber auch hier gibt es – wenngleich sehr seltene – Ausnahmen. Es ist ein gefährlicher Sprung in ein Verfahren mit einem ungewissen Ausgang.

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10 Antworten auf Gefährliche Teileinstellung

  1. 1
    matthiasausk says:

    … aber jetzt sind die 5 als Zeugen natürlich der Wahrheit verpflichtet und müssen vielleicht im Sinne des sechsten Angeklagten aussagen …

    Gilt ne bis in idem auch bei Einstellung? Wenn ja, dann hätten die 5 ja auch nichts zu befürchten, wenn sie sich selber belasten würden …

    • Sobald die Auflagen und Weisungen vollständig und fristgerecht erfüllt wurden, wird das Gericht einen Beschluss erlassen, mit dem das Verfahren *endgültig* eingestellt wird. Daraus entsteht dann auch ein *endgültiges* Verfahrenshindernis für die gesamte Tat im prozessualen Sinne.
       
      Und genau deswegen stehen den Zeugen die Rechte aus § 55 StPO (grundsätzlich) insoweit nicht mehr zur Verfügung, weil die Gefahr nicht mehr bestehen kann, dass erneut ein Verfahren gegen sie eingeleitet werden kann … solange es um dieselbe Tat im prozessualen Sinn geht; und die Grenzen dieses Tatbegriffs werden idR sehr weit gezogen.
       
      Es gehen aber auch Gerüchte, dass vor Zustimmung zur Einstellung (wahlweise durch die Verteidigung oder durch die Staatsanwaltschaft) auch schon mal Zusagen hinsichtlich einer möglichen Zeugenaussage gemacht werden. Das wäre aber streng verboten und an das Verbot halten sich alle Beteiligten. Grundsätzlich. crh
  2. 2
    Stan Duhr says:

    Und wieder bleibt der Eindruck bei der rechtschaffenden Bevölkerung, oder vielleicht auch nur bei mir, dass sich white collar crime durch (genug) Geld vor Gericht erledigen lässt, auch wenn sich das aus ihrer professionellen Sicht bestimmt gaaaaanz anders verhält

  3. 3
    Matthiasausk says:

    @CRH: Danke – könnte also auch ein feiner Trick (des Anwalts) des 6.Manns dahinterstecken.
    Schaumamal – sengmascho.

  4. 4
    WPR_bei_WBS says:

    @ Stan Duhr

    Eingestellt wird überall. Wird auch hier oft genug drüber berichtet. Aber in der Tat, über die damaligen Einstellungen bei z. B. Ladendiebstahl liest man in den Medien nicht wirklich. Und bei eher einfachen Gemütern entsteht dann dieser Eindruck.

    Und wer meint „White Collar“ sei strukturell bevorzugt, der möge sich doch mal diverse Urteile bei Körperverletzung oder Sexual- / Mißbrauchsdelikten anschauen (die oft Im Rahmen bis zwei Jahre bleiben) und mit so Fällen wie Hoeneß (den ich nun garnicht leiden kann) vergleichen.

  5. 5
    WPR_bei_WBS says:

    Ich verstehe ja die Ratio hinter solchen Einstellungen, und finde die Möglichkeit auch grundsätzlich gut. Andererseits hat das ganze ein Geschmäckle von „Deal“, und den scheut das Deutsche Rechtsverständnis ja eigentlich (IMHO zurecht) wie der Teufel das Weihwasser.

  6. 6
    A says:

    Danke für den Blogbeitrag, den ich außerordentlich interessant finde, speziell in diesem Zusammenhang.

    Ich habe die Vermutung, dass gerade in solchen Verfahren auch ein wie auch immer vorab „belohnter Zeuge“ relevante Erinnerungslücken aufweisen wird, den man ja nicht durch ein „inquistorisches Befragungsverfahren“ zur Erinnerung bewegen kann.

  7. 7
    Flo says:

    Nur kurz für mich zum Verständnis.

    Die Einstellung nach 153a StPO hat die gleiche Wirkung wie eine rechtskräftige Verurteilung?
    D.h. im Extremfall kann ich also hinterher in anderen Verfahren als Zeuge gefahrlos Dinge Aussagen, die mir in meinen eigenen, nun eingestelltem Verfahren, als quasi Geständnis eine mehrjährige Haftstrafe eingebracht hätten?

    • Besser hätte man den Begriff „Strafklageverbrauch“ nicht definieren können. ;-) crh
  8. 8
    Mirco says:

    Wie sieht das mit Schadensersatzansprüchen an die bisherigen Mitangeklagten aus? Die Summen daraus können potentiell die Einstellungssumme aus 153a StPO deutlich überschreiten, da möchte man sich nicht unbedingt selbst belasten.

  9. 9
    Flo says:

    @#8, Mirco das dürfte nur ggf die „Geschwätzigkeit“ als Zeuge beeinflussen. Schadenersatzansprüche bestehen ja unabhängig vom Ausgang eines Strafverfahrens.

  10. 10
    Kater Karlo says:

    Die Frage ist, ob wirklich ALLES an Straftaten in dem Komplex abgeurteilt wurde.

    Es könnte ja sein, dass sich die verurteilten bei Aussagen durch neue Details belasten.

    In so komplexen Verfahren mit mehreren Beteiligten kann ich mir das gut vorstellen. Es sei denn, die Einstellung ist eine Absolutionserklärung für alles bekannte und unbekannte in dem Komplex ;)