Mit der Bußgeldstelle per Du

In unseren Kulturkreisen ist es üblich, einem Fremden gegenüber mit Distanz aufzutreten. Regelmäßig dauert es eine Weile, bis man ins persönlichen „Du“ übergeht. Vor allem dann, wenn es um einen höchst offiziellen Umgang miteinander geht.

Offenbar hat aber ein großer Autovermieter so häufig mit der Bußgeldstelle zu schaffen, daß man sich bereits beim After-Work-Bier in einer Neuköllner Eckkneipe trifft, und sich gemeinsam an die Promillegrenzen herantastet.

Anders läßt sich sonst diese eMail nicht erklären, die ich in einer Bußgeldakte gefunden habe:

Denn ich kann nicht glauben, daß da irgend ein hirnloser Textautomat die wenig professionelle Arbeit eines Programmierers ausgeführt hat.

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Bild (CC0): 3dman_eu / via Pixabay

Dieser Beitrag wurde unter Ordnungswidrigkeitenrecht veröffentlicht.

18 Antworten auf Mit der Bußgeldstelle per Du

  1. 1
    tom says:

    seltsam, ich gehöre noch zu der Generation wo eine persönliche Anrede Du, Dir, Dich noch groß geschrieben wurde.

  2. 2
    hiro says:

    Warum sollte es kein Textautomat sein? Anfrage landet im Ticketsystem, Mindestlöhner sucht Auskunft und hängt die Datei ans Ticket, Ticket wird geschlossen und das „liebe DriveNow-Mitglied“ bekommt die gewünschte Information als Anhang zu einer Standard-Mail.

  3. 3
    Hmnaja says:

    So ist das in der Hipsterkulturzeit.
    Man schreibt Vornamen auf Kaffeepappbecher für 8 Euro und duzt sich am Tresen bei der Kraftfahrzeuganmeldestelle.

    Kommt mir auch oft komisch vor, aber auch ich bin alt.

  4. 4
    Flo says:

    Ich würde auch auf den „fürs-Masse-bearbeiten-bezahlten“ Mitarbeiter tippen der stumpf einen möglichst passenden Textbaustein rausgesucht hat. Anders kann ich mir auch nicht erklären das die Bußgeldstelle zum Mitglied beim CarSharing-Anbieter wird.

  5. 5
    tom says:

    Nei weiterem Nachdenken bin ich gerade erschüttert, daß DriveNow persönliche Daten, die offenkundig gerichtsrelevant sind einfach so unverschlüsselt und unsicher per Email verteilen? Kein S/MIME? Kein PGP? Jeder Admin dazwischen könnte ohne viel Aufwand die Integrität der Nachricht unerkannt manipuliert haben. Und das Gericht beruft sich ernsthaft darauf?

  6. 6
    tom says:

    ich würde mal den entsprechenden Passus auf der Website:

    https://www.berlin.de/polizei/aufgaben/bussgeldstelle/allgemeines/

    mal durchlesen:

    „Wegen der noch fehlenden elektronischen Signatur kann ein Rechtsbehelf (z.B. Einspruch) per E-Mail nicht wirksam eingelegt werden. Für allgemeine Fragestellungen ist diese E-Mail-Adresse nicht geeignet.“

  7. 7
    Agnostiker says:

    „die wenig professionelle Arbeit eines Programmierers ausgeführt hat“

    Fühle mich in meiner SW-Entwickler-Ehre gekränkt. Wir machen auch nur das was man von uns haben will. Wenn im Requirement steht „Wir sind hipp und duzen alle“ dann ist das halt so.

  8. 8
    Steffen says:

    Was soll uns dieser Passus sagen?

  9. 9
    RA Ullrich says:

    @Tom: Die persönliche Anrede „du“ klein zu schreiben ist seit der unsäglichen Rechtschreibreform tatsächlich korrekt. Das ist so ziemlich das einzige, was an dieser Mail nicht zu beanstanden wäre.

    Ich halte auch überhaupt nichts von der neuen Sitte, Kunden einfach so zu duzen. Das kann man im Szenelokal machen oder im Sportverein oder meinetwegen auch bei einem Workshop, bei dem eine ungezwungenes Arbeitsklima unter den Teilnehmern hergestellt werden soll. Wenn hingegen irgendein Servicedienstleister sich das einfach so herausnimmt, ist es schlicht unverschämt.

    Besonders interessant an der geposteten Mail ist auch noch die Absenderadresse verkehrs-owi@drienow.com. Also offenbar eine eigene E-Mailadresse, die für Anfragen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten eingerichtet ist, wo die Anfrager sehr häufig nicht die eigenen Kunden sein werden. Da ist so ein flapsiger Textbaustein, der mit „Liebes Drivenow Mitglied“ anfängt, doppelt peinlich.

  10. 10
    HugoHabicht says:

    Früher in der guten alten Zeit wäre der PC erstmal wegen (der im StGB nicht gesondert geregelten Beamten-)Beleidigung inhaftiert äh beschlagnahmt worden.

    Es wundert aber wenig, dass ein Wirtschaftunternehmen nicht viel in Vorgänge investiert, die nunmal per definitionem kein cash für das Unternehmen generieren können.

    • Für lau machen es die Vermieter aber nicht; parallel mit der eMail an den PolPräs geht eine Mitteilung an den Mieter, mit der man die Belastung der Kreditarte mit 15 Euro für die Auskunft ankündigt. Ist irgendwo in den AGB der Vermieter vergraben … crh
  11. 11
    Lister says:

    Passend dazu übrigens eine Geschichte in der aktuellen Ausgabe von Brand eins.

  12. 12
    busy says:

    Ich bin zwar auch aus der alten Generation aber ich habe kein Problem mit dem Du.
    Ich bin sogar froh, dass ich meine Eltern nicht mehr mit Sie anreden muss. Zudem gibt es z.B. im Englischen gar kein Sie und auch die Internernetsprache verwendet nur noch selten Sie. Das führt manchmal zu sehr paradoxen Situationen, wie z.B. bei meinen ausländischen Arbeitskollegen, mit denen ich eigentlich per Du bin aber sie dennoch oft sie verwenden. Z.B.: “ Ich habe mit den Kollegen geredet, sie haben gesagt, dass sie zu nichts zu gebrauchen sind, sind sie deswegen schlecht gelaunt ?“. :-)???

  13. 13
    Engywuck says:

    @busy (12): im Englischen gibt es *nur* „Sie“.
    Klassisch (also noch zu Shakespeare-Zeiten) war das Pronomen für die zweite Person Singular im Englischen „thou“ (im Akkusativ/Dativ „thee“, als Adjektiv thy bzw. thine (vor einem Vokal)). Zudem wurden auch die Verben mit thou anders gebildet als mit you: you go aber thou goest.
    Seit dem Spätmittelalter hat sich das dann wie im Deutschen entwickelt: „thou“ als intimere (oder respektlose) form, „you“ als höfliche Form. Seit dem 17. Jahrhundert ist „thou“ dann immer mehr verschwunden (außer in Dialekten).

  14. 14
    WPR_bei_WBS says:

    Naja, gehört offenbar zur Markenstrategie, dass man die Kunden als Mitglieder bezeichnet und dementsprechend duzt (Kundenbindung läßt grüßen). Und dass man da jetzt nicht noch Geld in die Hand nimmt, um für die nervigen Anfragen der Bußgeldstellen einen den Damen und Herren in der Verwaltung (und crh) genehmen Sprachduktus ins Antworsystem zu integrieren ist logisch. Kosten nur unnötig Geld, und die Anfragen kommen so oder so, „Kundenbindung“ und Marketing ist in diesem Segment nicht nötig.

    Da muss sich halt auch das Behördenmitarbeitende (und der Anwalt) mit abfinden, dass man ab und zu tatsächlich mal nicht etwas mehr hoffiert wird als der Rest und es Lebensbereiche gibt, die einen anderen Sprachstil pflegen, als die Juristerei.

  15. 15
    WPR_bei_WBS says:

    @Engywuck

    Das ändert aber nichts daran, dass das heutige „you“ ein „Du“ ist, und kein „Sie“ .

  16. 16
    busy says:

    @Engywuck: Danke für die Korrektur. Das verwirrt mich
    dennoch etwas, wenn ich z.B. die Liebeserklärung „i love you“ übersetzen würde. Sie haben aber vollkommen recht.

  17. 17
    t.h. says:

    Sorry, aber wer ein Problem mit einer solchen Auskunft eines Unternehmens hat oder grundsätzlich irgendein Unbehagen dabei empfindet mit „du“ angesprochen zu werden, besteht wahrscheinlich auch darauf, dass man ihn mit seinem Titel anspricht (sofern vorhanden). Und wie manche von euch hier ja zum Glück selbst schreiben, ihr stammt aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, die vergangen ist. Also besser anpassen, dann lebt es sich stressfreier und das ist besser für die Gesundheit (auch die geistige).

    Das Wichtige sollte doch eher sein, ist die Auskunft korrekt, wurde sie schnell erteilt und ohne große und unnötige Ausschweifungen? Wenn ja, dann lieber so ein kurzer unpersönlicher Textbaustein, als eine „passende“ Antwort. Und das ist dann sicher auch keine Unverschämtheit.

  18. 18
    blu*b says:

    Ja, das Leben ist hart.

    *Hier* erkennen wir Rechtsanwälte übrigens daran, dass sie „höflichst“ um etwas bitten, im nächsten Satz mit Klage drohen (auch wenn das sehr selten vorkommt, im konkreten Fall eher witzig ist und es i.d. R. nur um die erneute Zustellung einer Rechnung geht, weil die Empfänger in ihrem Chaos untergangen sind).

    Beinhaltet eine E-Mail jedenfalls „höflichst“, weißte gleich: der hat Jura studiert und keine Kenntnis davon genommen, was wir ihm geschickt haben. Denn er oder sie ist Anwalt, und weiß es (manchmal) besser.

    Was ich damit sagen will, nur für den Fall, dass es anders gedeutet wird: Sprache ist nicht einfach.

    Dass wir uns überhaupt mit so einem Ticket von Drive*** beschäftigen ist so eine Sache.

    Der Singer-/Songwriter Leonard Cohen hat vor einem Konzert, bei dem er sicher nur eine unwesentliche Minderheit der Zuschauer kannte, folgendes gesagt:

    „„I´ve found it, friends. I´ve found it tonight …
    I have finally unwound the religions and the philosophies to their essence, to the very kernel of their meaning.

    Yes!

    I know what it´s all about.

    And here it is:

    Doo-damm-damm; Da-doo-damm-damm.“
    Es hat niemand einen Blog-Beitrag darüber verfasst, soweit *ersichtlich*.

    ;-)