Jahresarchive: 2015

VRiBGH Fischer: „Legalize it!“

Der österreichische Standard stellt die richtigen Fragen, Thomas Fischer gibt richtige Antworten:

STANDARD:
Wenn ich Sie frage, was derzeit strafrechtlich verboten ist, aber legalisiert werden sollte – was antworten Sie?

Fischer:
Ich halte die strafrechtliche Drogenbekämpfung für vollkommen gescheitert. Das Recht sollte hier weitgehend liberalisiert werden.

STANDARD:
Auch etwa bei Heroin?

Fischer:
Ja. Dieser War on Drugs verschlingt Abermilliarden und führt nur dazu, dass gigantische Kartelle massiven Gewinn machen. Suchtbekämpfung ist keine Aufgabe des Strafrechts.

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VRiBGH Fischer zum Rechtsextremismus

Zwei Fragen des österreichischen Standard, zwei Antworten von Thomas Fischer:

STANDARD:
Woran ist die Aufklärung der rechtsextremen NSU-Morde gescheitert?

Fischer:
Die Bereitschaft, Rechtsextreme zu verfolgen, geht gegen Null. Weil das in der Wahrnehmung der Menschen ja ordentliche Jungs sind. Denken Sie, was in den Siebzigerjahren zur Zeit des RAF-Terrorismus in Deutschland los war, wie die gesamte Gesellschaft mobilisiert war, um diese paar Hansln zu finden. Es gab Straßeninterviews, da waren die Leute bereit, die Terroristen an jeder Straßenlaterne Deutschlands aufzuhängen. Was da für Todesstrafenarten vorgeschlagen wurden – unglaublich.

STANDARD:
Bei den aktuellen Brandanschlägen auf Asylheime ist weniger Empörung zu merken?

Fischer:
Die ganz große Mehrheit ist zwar gegen solche Anschläge – aber sie distanzieren sich nicht von den Menschen. Da gibt es diese merkwürdige Vorstellung, dass das schon ordentliche Jungs sind, die ja das richtige wollen, nur halt mit ein bisschen jugendlichem Übereifer. Das ist eine hochgefährliche Situation, weil dadurch Gewaltstraftäter extremen Rückhalt in der Gesamtbevölkerung, in der normativen Kultur der Gesellschaft finden.

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Voll schuldfähige Erschießung eines Finanzbeamten

Der Bundesgerichtshof teilt über seine Pressestelle in der Mitteilung Nr. 174/2015 vom 13.10.2015 lapidar mit:

Verurteilung wegen Mordes im Finanzamt Rendsburg rechtskräftig

Beschluss vom 30. September 2015 – 5 StR 347/15

Das Landgericht Kiel hat einen Steuerberater wegen Mordes an einem Finanzbeamten im Finanzamt Rendsburg zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts erschoss der voll schuldfähige Angeklagte am 1. September 2014 heimtückisch den Beamten in seinem Büro.

Der 5. (Leipziger) Strafsenat hat die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts als offensichtlich unbegründet verworfen. Das Urteil des Landgerichts Kiel ist damit rechtskräftig.

Landgericht Kiel – Urteil vom 7. April 2015 – 8 Ks 1/15 (598 Js 40394/14)

Bemerkenswert an dieser Mitteilung ist der ausdrückliche Hinweis des Gerichts, daß der (wohl ehemalige) Steuerberater im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, als er den Finanzbeamten erschossen hat. Mich treibt das Steuerrecht regelmäßig in den Wahnsinn.

In der LTO vom 07.04.2015 findet man einen Bericht über die erstinstanzliche Entscheidung des LG Kiel.

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Alles, was rechts ist

Wenn der Horizont eingeschränkt ist, hat man leichter den Überblick. Ein besorgter Bürger formuliert es so:

Pegidioten

Ich bin mir ziemlich sicher, daß der Kommentator nicht weiß, was hinter dem Begriff „Sozialist“ steht. Zumindest die Bedeutung des Wortes „Trottel“ dürfte ihm gut bekannt sein. Sonst hätte er sicherlich darauf geachtet, auf welchem Weg er seine Kommentare ins Netz schickt.

Und ja: Den zur IP-Adresse gehörigen Zeitstempel gibt es auch.

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Keine kurzfristige Förderung möglich

Ein Fundstück aus einer Ermittlungsakte:

Hohes Arbeitsaufkommen

Wie man aus dem Aktenzeichen des LKA (ganz oben links) erkennen kann, geht es um einen Vorfall vom 07. Januar 2015. Auf dem Folgeblatt findet sich der Vermerk des Kriminalkommissars:

Vermerk KK

Dann ging es – für behördliche Verhältnisse rasend schnell. Die Akte landete auf dem Tisch eines Oberstaatsanwalts, der sich auch sofort an die Arbeit gemacht hat.

WV 1 Monat

Das Folgeblatt trägt das Datum vom 14.07.2015. Das war meine Sachstandsanfrage an die Staatsanwaltschaft.

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Fragen zur Rechtsschutzversicherungen?

Es gibt demnächst wieder mal was auf die Ohren.

Rechtsbelehrung“ ist ein Jurapodcast, in dem monatlich aktuelle Rechtsfragen der Netzwelt besprochen werden.

Dazu sucht der Radiojournalist Marcus Richter noch Fragen:

Gern leite ich die Fragen weiter. Oder beantworte sie. Nicht hier, sondern im Podcast. Gemeinsam mit Rechtsanwalt Thomas Kümmerle, unserem Dezernent für Probleme, die in unserer Kanzlei im Zusammenhang mit Rechtsschutzversicherern entstehen.

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Abofallenautomatik?

682062_web_R_K_B_by_Aka_pixelio.deWir nutzen seit einiger Zeit schon die Angebote von Beck Online. Grundsätzlich ein ganz nützliches Handwerkszeug für uns, wenn auch ein wenig kostspielig. Anyway, Betriebsausgaben gehören eben zum Geldverdienen dazu. Was aber nicht dazugehört sind – übertrieben formuliert – Abofallen.

Ich war auf der Seite von Beck Online nicht wie gewünscht fündig geworden und hatte deswegen per eMail nachgefragt:

… leider werde ich auf der Seite https://beck-online.beck.de/Home/29340 nicht über meinen Account bei Ihnen informiert. Deswegen bitte ich auf diesem Wege um Abschriften der beiden Verträge inkl. der vereinbarten AGB. Von besonderem Interesse sind hier die Vertragslaufzeiten und die Kündigungsfristen.

Recht schnell bekam ich – zusammen mit den AGB – die freundliche Antwort:

Das Modul Strafrecht Premium läuft bis 31.03.16 und Verkehrsrecht Plus bis 29.02.16. Reguläre Kündigungsfrist ist immer 4 Wochen vor Ablauf der aktuellen Berechnungsperiode, ansonsten erneuert sich das Abo um weitere 6 Monate.

Es ist nachvollziehbar, wenn der Lieferant von z.B. Zeitungen oder anderer körperlicher Gegenstände eine gewisse Perspektive haben möchte, was er vorbereiten oder vorrätig halten muß. Aber für den Zugang zu einer bereits eingerichteten Datenbank muß man nicht in die Zukunft planen.

Ich habe den Eindruck, daß die Geschäftsführung von Beck darauf vertraut, der Kunde werde die Kündigungfrist versäumen und dann hat man ihn noch für weitere sechs Monate. Darauf kann der Kunde natürlich reagieren, indem er sich die Frist notiert, bis zu der er prüfen muß, ob das Abo weiterlaufen soll oder nicht.

Die Alternative sieht so aus:

Ich bin mit der *automatischen* Verlängerung um 6 Monate nicht (mehr) einverstanden. Deswegen kündige ich bereits jetzt beide Verträge fristgerecht zum Ende ihrer jeweiligen Laufzeit. Bitte bestätigen Sie den Eingang dieser Kündigung und das Ende der Verträge.

Wenn ich dann irgendwann nicht mehr reinkomme in die Datenbank, schließe ich eben einen neuen Vertrag ab und kündige den dann sofort wieder zum Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit, um der Abofallenautomatik zu entgehen. Diesen damit verbundenen Verwaltungsaufwand könnte sich Beck Online sparen, wenn das Unternehmen seinen Kunden zutraut, für gute Leistung auch weiterhin gutes Geld bezahlen zu wollen. Knebelverträge brauchen im Bereich (virtueller) Dienstleistungen eigentlich nur solche Unternehmen, die schlecht leisten möchten.

Nebenbei:
Den Vertrag mit einem Rechtsanwalt kann der Mandant jederzeit ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Mich spornt das an.

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Bild: © Aka / pixelio.de

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Razzia bei VW – ein bisschen spät, nicht?

742777_web_R_by_H. Thimm_pixelio.deWie unter anderen die Süddeutsche Zeitung heute berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig ein paar Volkswagen-Büros in Wolfsburg und anderenorts durchsuchen lassen. Wie alle Durchsuchungen hatten auch diese Razzien zum Ziel, Beweise zu sammeln und zu sichern, die für die strafrechtliche Bewertung der Abgas-Affäre bei Diesel-Autos von Bedeutung sein könnten.

Ich weiß nicht, wieviel Wochen schon ins Land gegangen sind, seitdem die Informationen über die gefakten Abgaswerte die Runde gemacht haben. Ziemlich sicher bin ich mir allerdings dabei, daß diejenigen, die damit rechnen müssen, als Verantwortliche an den Kanthaken genommen zu werden, die Zeit genutzt haben, um noch einmal gründlich aufzuräumen.

Aber vielleicht finden die schneidigen Kavalleristen ja noch was aus Käfers Zeiten, das sie dann noch als Jagderfolg verkaufen können. Wollten die Strafverfolger in dem Staats(nahen)konzern überhaupt etwas finden?

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Mittwochs-OWi: Eine Linie ist kein Punkt

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Der Vorwurf
Eine einfache Geschwindigkeitsüberschreitung.

Das Problem
Die Fahreridentität war nicht mehr in Abrede zu stellen. Der Mandant hatte bereits auf die erste Anhörung eingeräumt, der Fahrer gewesen zu sein, als das Auto mit einem Lichtschrankenmessgerät gemessen wurde. Also blieb noch die Frage nach der korrekten Bedienung der Technik durch die Polizei.

Die Verteidigung
In solchen Fällen sind Kenntnisse des Verteidigers über den Aufbau der Messeinrichtung von entscheidendem Vorteil. Hier ging es nun um eine Linie, um die sogenannte Fotolinie. Damit man überprüfen kann, ob das Fahrzeug richtig gemessen wurde und auch, ob das Gerät korrekt aufgestellt wurde, muss die Fotolinie, also die Linie, auf der die Kamera auslöst, dokumentiert werden. Und zwar auf einem Extrafoto.

Eine Linie ist aber eine Linie ist eine Linie. Und kein Punkt. Allein an einem einsamen Punkt kann man keine eindeutige Linie ausrichten, sondern unendlich viele. In dieser Akte fehlte die Dokumentation der Messlinie. Der Beamte hatte lediglich eine Stelle – einen Punkt – auf der Leitplanke markiert.

Das Ergebnis
Die Messlinie konnte nicht nachvollzogen werden und damit war die Richtigkeit der Messung nicht überprüfbar. Das Verfahren wurde sanktionslos nach § 47 II OWiG eingestellt. Keine Geldbuße, keine Punkte und kein Fahrverbot.

Nebenbei:
Wer meint, er brauche in Bußgeldsachen keinen Verteidiger, oder wer sich keinen leisten möchte – der kann sich ja mal zu unserem kostenlosen eMail-Kurs anmelden: Selbstverteidigung in Bußgeldsachen. Mit ein bisschen Glück geht’s auch ohne Verteidiger.

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Bild: © E. Kopp / pixelio.de

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Sie sind entlassen!

742728_web_R_B_by_Ulrich Merkel_pixelio.deManchmal muß es schnell gehen. Und manchen ist das dann zu schnell. Protokollführerinnen zum Beispiel.

Die Mandantin war nicht zum Hauptverhandlungstermin erschienen. Das Gericht meinte, ihr Fernbleiben sei einerseits nicht genügend entschuldigt, andererseits ihr Erscheinen aber erforderlich. Es war dann nicht mehr zu verhindern: Erst wurde der Haftbefehl nach § 329 Abs. 3 StPO erlassen, dem dann wenige Tage später die Verhaftung folgte.

Soweit, so dumm gelaufen. Der Rest war aber wieder recht glimpflich.

Ich konnte bereits einen neuen Termin mit dem Gericht vereinbaren, der nur drei Tage nach der Verhaftung lag. Der Transport – d.h. die Verschubung – vom Wohnsitz, an dem die Mandantin gepflückt, bis zur JVA Lichtenberg, in der sie eingetütet wurde, ging überraschend schnell: Binnen zweier Tage hatte sie das Ziel erreicht. Denn ich konnte erreichen, daß sie nicht per Sammeltransport nach Berlin verschubt wurde; es wurde auf meine Bitte ein Einzeltransport mit nur einer Übernachtung in einem Knast, bei dem die Zwischenstation gemacht werden mußte, organisiert.

Am Hauptverhandlungstag wurde die Mandantin morgens ins Kriminalgericht gebracht und die Hauptverhandlung konnte stattfinden. Am Ende der Hauptverhandlung war der Haftbefehl erledigt. Die Mandantin war wieder eine freie Frau.

Aber jetzt sollte eine Art Verwaltungsverfahren beginnen. Ihre Papiere und ein paar Habseligkeiten waren noch in der JVA Lichtenberg. Üblich ist im Moabiter Normalfall, daß die vormals Gefangene dann erst einmal wieder in die Vorführzelle verbracht wird, um dort auf den Justiz-Bus zu warten, der sie in die JVA bringt. Dort hätte es dann noch ein Weilchen gedauert, bis der ehemaligen Insassin ihr Sachen übergeben werden können. Das ist der übliche Weg. Und der dauert – Achtung: Verwaltungsverfahren – gefühlte 100 Stunden.

Deswegen beantragt fordert der kundige Strafverteidiger die so genannte Saalentlassung. Nach einer kurzen „Das-machen-wir-hier-aber-sonst-anders-Diskussion“ bekam die Mandantin dann die zweite Ausfertigung dieses Papiers.

Entlassunganordnung

Es gibt nach Schluß der Verhandlung nämlich keinen Grund mehr, die Mandantin in Haft zu behalten, nur weil ein Entlassungs-Verwaltungs-Verwahren nicht abgeschlossen war. Sie konnte in das Auto ihrer Familie einsteigen, die ich bereits vorher informiert hatte, und ihr Zeug selbst und zwar sofort abholen – gegen den anfänglichen Widerstand insbesondere der Protokollführerin, der es grooooße Mühe bereitete, eine zweite Ausfertigung der Entlassunganordnung auszudrucken.

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Bild: © Ulrich Merkel / pixelio.de

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