Dreisprung zum faktischen Präjudiz

Urteile sind Einzelfallentscheidungen. In drei schlichten Schritten kann solch ein einsames Verdictum jedoch ganz flott zur h.M. (herrschenden Meinung) avancieren und damit die Vorlage für zahllose weitere „Einzelfallentscheidungen“ werden:

Erstens, ein Gericht entscheidet im Einzelfall.

Zweitens, der Kommentator hält den Fall für beispielgebend und wird, insbesondere in einem „Praktikerkommentar“ kaum ernsthaft begründen, wie er zu dieser Bewertung kommt.

Drittens, die forensischen Praktiker schließen sich der unbegründeten Bewertung an, weil die leichte Greifbarkeit des Kommentars als faktisches Präjudiz wirkt.

Quelle: Martin Rath, „Holzschnitzer“ und Journalist, in der LTO

Martin Rath erinnert in dem (sehr empfehlenswerten) Artikel, aus dem ich das Zitat entführt habe, an den 60. Todestag von Otto Palandt. Der von Rath beschriebene Dreisprung war eine Ursache für die Perversion des Rechts durch die Nazis, an der nicht nur Palandt unterstützend mitgewirkt hat.

Man mag sich fragen, warum ein führender Kommentar bis heute den Namen eines NS-Juristen trägt, für den Frauen, Juden und Demokraten in der deutschen Richterschaft nichts zu suchen hatten.

Vielleicht weil Theodor Maunz, Ernst Forsthoff und andere Juristen, die durch ihre Arbeiten als „geistige Quartiermacher“ dem NS-Regime juristische Legitimität verschafft haben, auch heute immer noch auf dem Schreibtisch eines jeden Jurastudenten stehen?

Sensible Praktiker denken daran, wenn sie mal wieder einen Kurzkommentar der Hand halten.

 

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Philosophisches veröffentlicht.

4 Antworten auf Dreisprung zum faktischen Präjudiz

  1. 1
    Horst Wurst says:

    Auch Hartz 4 ist ja auch nach einem Kriminellen benannt.

  2. 2
    Matthias says:

    Daher kommt auch die Redlichkeit von Richtern und Staatsanwälten, die weder lügen, noch das Recht beugen und schon gar nicht für das, was sie anrichten verantwortlich sind.
    Es sind die mit dem Gendefekt, dem fehlenden Entschuldigungsgen. An dessen Stelle haben sie zwei Rechtfertigungsgene.

  3. 3
    Nicht mehr aus Trier says:

    Natürlich war es nur ein Tipfehler, aber ich erlaube mir doch den Hinweis, dass in dem zitierten Beitrag an den 60. Todestag des Otto P. erinnert wird. Der 60. Geburtstag dürfte schon ein paar Jährchen her sein. ;-)

      Danke.
      Es ist Sonntag und es war noch sehr früh, als ich den Beitrag geschrieben habe. ;-) crh
  4. 4
    Pietätlos says:

    … besser tot als lebendig. …