Jahresarchive: 2010

Eisenbieger beim Amtsgericht

Andreas Müller arbeitet seit 1997 als Jugendrichter am Amtsgericht Bernau. Er vertritt die Ansicht:

Es bringt nichts, Skinheads die Glatze zu streicheln

In einem Interview mit Sandra Dassler vom Tagesspiegel berichtet er stolz über einen Fall, der an den Stammtischen zu Applaus geführt hat.

Also hab’ ich zum Beispiel eine ganze Gruppe aus dem Gerichtssaal heraus ins Gefängnis geschickt – vor der gesamten anwesenden Bernauer Szene.

Skinheads sind – darüber besteht ja grundsätzlich und weitestgehend Einigkeit – Menschen, die irgendwo auf dem halben Weg der Evolution stecken geblieben sind. Die Gesellschaft – und damit auch die Justiz – muß auf die Aktionen dieser Dumpfbacken reagieren; auch darüber gibt es eigentlich keinen Streit. Aber, bitteschön, unter Berücksichtigung der Spielregeln, die unsere Rechtsordnung vorgibt.

Vielleicht sollte jemand diesen Richter einmal daran erinnern, daß er an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 III GG) ist.

Der Abschreckungsgedanke, also die Generalprävention, hat im Jugendstrafrecht nichts verloren. Und Saalverhaftungen, bei denen kein Verteidiger die Rechte der Angeklagten gegenüber einem aus dem Ruder gelaufenen Richter vertritt, gab es sicherlich schon vor 21 Jahren in demselben Gericht, in dem Richter Müller sich heute als Eisenbieger hervortut.

Das gesunde Volksempfinden, nach dem „Nazis auf’s Maul“ gehört, ist keine Richtschnur für Richter. Auch dann und gerade dann nicht, wenn es eigentlich nicht die Falschen trifft.

Danke an HU für den Hinweis.

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Der Flugzeughangar beim Amtsgericht

Ein Tor von der Größe des Eingangs der Halle, in der der A 380 gewartet wird, rannte die Richterin bei mir ein.

Es ging um einen psychisch erkrankten Mann, den man bei drei Versuchen erwischt hat, aus Kaufhäusern eine Mütze, zwei Zeitungen, eine Deospray, eine Packung Papiertaschentücher, eine Dose Erbsen mittelfein und ein paar Schokoladenkekse mitzunehmen, ohne sie zu bezahlen. Der in den drei Anklagen addierte Gesamtschaden lag deutlich unter 50 Euro.

Die Vita des 32 Jahre alten Mannes war klassisch, sie führte am Ende über Alkohol und Betäubungsmittel in einen Suizidversuch, der eine 9 Monate lange stationäre Behandlung nach sich zog. Es folgten die bekannten Probleme, sich in der Welt zurecht zu finden. Und eben die gescheiterten Ladendiebstähle, einer davon unter Alkohol-Einfluß.

Was macht man mit so Menschen, der bislang „strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist„?

Der übliche Reflex der Staatsanwaltschaft: „Empfindliche Geldstrafe zur Einwirkung auf den Täter.“ Nicht nur ich fasse mich dabei an den Kopf und frage mich, was in der Vita des Staatsanwalts wohl schief gegangen ist.

Die Richterin deklinierte statt dessen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch und stelle die beiden ausschließlichen Möglichkeiten in den Raum, die das Strafrecht vorhält: Geld- oder Freiheitsstrafe.

Ist eine solche Sanktion geeignet, im konkreten Fall eine Wiederholung zu verhindern? Wohl kaum. Das lernen Psychiater im ersten Semester ihrer Ausbildung.

Ist sie erforderlich? Wohl auch nicht. Eine Therapie und eine professionelle sozialarbeiterische Unterstützung wären erfolgversprechender als eine Geldstrafe, die im Zweifel in einer Ersatzfreiheitsstrafe mündet.

Ist sie angemessen? Diese Frage stellt sich bereits nicht mehr, da es bereits an der Geeignetheit und an der Erforderlichkeit mangelt.

Also straffrei? Geht auch nicht, da die Voraussetzungen des § 20 StGB hier nicht erkennbar vorlagen.

Und jetzt? Ist unser Sanktionssystem (im Erwachsenenstrafrecht) teilweise verfassungswidrig, weil es keine Möglichkeiten zur Verfügung stellt, auch auf die Taten psychisch kranker Menschen mit gerade noch vorhandener Schuldfähigkeit zu reagieren?

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Das Kammergericht von innen-oben

So sieht es aus, wenn der Anwalt in der zweiten Etage des Kammergerichts auf den Mandanten wartet, der vor lauter Lampenfieber den Eingang nicht findet. Der (Eingang) ist nämlich gut versteckt auf der Rückseite des Gebäudes – von der Elßholzstraße aus gesehen.

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Braune Brühe für Strafverteidiger

Seit geraumer Zeit schon steht im Anwaltszimmer des Kriminalgerichts eine Plastik-Kiste, aus der braune Brühe kommt, wenn man in den dafür vorgesehenen Schlitz eine bestimmte Menge Münzen einwirft:

Woraus die braune Brühe hergestellt wird, ist der Aufschrift auf der Kiste nicht zu entnehmen.

Es gibt aber Dinge im Leben, die möchte ich auch gar nicht wissen.

Übrigens:
Die Anwaltszimmer werden von der Rechtsanwaltskammer unterhalten. Die Berliner Anwälte zahlen jährlich jeweils einen Mitgliedsbeitrag in Höhe von 264,00 Euro an die Kammer. Für eine Caffè-Maschine reicht das augenscheinlich nicht.

Vielleicht sollte ich bei der nächsten Mitgliederversammlung mal ein paar Fragen an den Vorstand richten … und an die Wahl-Kandidaten, die sich um einen Sitz im Vorstand bewerben.

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Die Reue des Trolls kommt zu spät

Der Kollege Nebgen berichtete über Trolls, die sich in den Kommentaren herumtreiben. Er trifft den Nagel auf den Kopf.

Dazu möchte ich noch eine kleine Ergänzung liefern. Ein Kommentator schreibt mir per eMail:

Sehr geehrter Herr Hoenig,

Die Gefahr billigend in Kauf nehmend, dass sie eine Minute ihres geruhsamen Nachmittages für mein Anliegen vergeuden, möchte ich Sie um einen Gefallen bitten.

Ich habe einen unten aufgeführten Kommentar in Ihrem Blog hinterlassen, den ich im Nachhinein lieber nicht gepostet hätte und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie diesen zeitnah entfernen könnten. Ich hoffe, die Bitte bereitet Ihnen keine größeren Umstände. Der Tatbestand der Beleidigung (falls er hier denn vorsatzlos erfüllt sein sollte) erscheint mir jedoch ein gar schwammiges Gebilde zu sein, sodass ich meinen nicht Eintrag nicht mehr gutheißen kann …

Ich bedanke mich herzlich, verbleibe mit freundlichen Grüßen und wünsche ein schönes Wochenende,

Spricht für sich, denke ich. Muß ich nichts mehr zu sagen.

@Christoph Nebgen:
Die Kommentarfunktion lasse ich offen. Bewußt. :-)

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Einfach nur Ruhe

Die eine Mitarbeiterin hat Urlaub, damit sie sich fortbilden kann. Die andere hat sich krank gemeldet und kämpft gegen das Fieber an. Die dritte hatte um 13:30 Uhr Feierabend und hat gleich auch die Praktikantin mit genommen. Die anderen beiden Mitarbeiterinnen sind ohnehin freitags nicht hier. Der Sozius besucht eine Fortbildungsveranstaltung.

Keine Fragen, keine Aufforderungen zum Unterschreiben, keine Geräusche – mit Ausnahme der Regentropfen auf dem Fensterbrett – und das Telefon hat eine Taste: „Weiterleitung“ steht da drauf.

Ein göttlicher Freitag-Nachmittag. Erholung beim Arbeiten …

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Asche auf mein Haupt

Aus einem Urteil des Berliner Anwaltsgerichts:

Der Auffassung des Rechtsanwalts kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil diese nicht der ständigen Rechtsprechung des Anwaltsgerichts Berlin entspricht.

Ich bitte vielmals um Entschuldigung, daß ich mir – offenbar in einem Anflug von Größenwahn – erlaubt habe, eine andere Ansicht zu vertreten als das ehrenwerte Berliner Anwaltsgerichts.

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Der Baum am 05.11.2010

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Papierstau

Ich hatte der Staatsanwaltschaft einer Mittelstadt in Süddeutschland einen Zweizeiler geschickt. Unser Faxprotokoll notierte ein „Alles-bestens-gerne-wieder“; soweit – so gut.

Heute erhalten wir ein Rückfax:

Ist das nicht süß?

Aber immerhin: Man hat festgestellt, daß da was hätte ankommen müssen.

Nebenbei: Das Rückfax ging an unsere (alte) Telefon(!)-Nummer, trotzdem erreichte uns die Meldung. Vielleicht deswegen, weil wie seit vielen Jahren schon kein Papierfax mehr nutzen? Könnte man in Süddeutschland auch mal drüber nachdenken.

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Nazis bei der GEZ?

Eine 54-jährige Ulmerin wurde wegen dem Zeigen verfassungsfeindlicher Zeichen zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie hatte ihm Rahmen ihrer Tätigkeit für die GEZ einen Gastwirt in Munderkingen (Raum Ulm) beleidigt und ihm den Hitlergruß gezeigt.

Quelle: Claudia Krieg in der taz

So eine Gebühreneinzugszentrale kann sich die Mitarbeiter ja schließlich nicht aussuchen. Bestimmt nur ein bedauerlicher Einzelfall.

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