Optimistische Staatsanwaltschaft

Gegen die Mandantin werden mehrere Ermittlungsverfahren geführt. Unter anderem eines in Norddeutschland, ein so genanntes Sammelverfahren. Dort hat die Staatsanwaltschaft bereits im Mai Anklage erhoben. Die Anklageschrift umfaßt knapp 30 Seiten, einige 100 Fälle von Betrug. Sie liegt auf dem Tisch der Wirtschaftsstrafkammer beim zuständigen Landgericht.

Ich hatte bereits im frühen Sommer versucht, mit dem Vorsitzenden Richter einen Termin für die Hauptverhandlung zu vereinbaren. Der Vorsitzende mahnte mich freundlich, doch mal locker zu bleiben. Ich solle mich nochmal im Herbst 2012 bei ihm melden; dann könnten wir ganz entspannt die Termine vereinbaren.

Heute bekomme ich eine Akte aus Süddeutschland. Auch dort wird gegen die Mandantin ermittelt. Die Staatsanwältin hat herausgefunden, daß ihr Thema auch schon in Norddeutschland diskutiert wurde. Deswegen stellt sie das Verfahren gegen die Mandantin nach § 154 StPO vorläufig ein. Weil sie meint, das Ding in Norddeutschland reicht, um der Mandantin den Garaus zu machen; da bedarf es nicht noch des Kleinzeugs aus Süddeutschland.

Neugierig ist die Staatsanwältin aber nun doch; sie will wissen, wie das norddeutsche Verfahren aufgegangen ist und verfügt im Oktober eine Wiedervorlage:

    (Anm.: WV m.E. sp. 3 Mon. steht für „Wiedervorlage mit Eingang, spätestems 3 Monate“.)

Offenbar hat sie die Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer nicht gelesen. Oder sie kennt sich in Wirtschaftsstrafsachen nicht so gut aus. Denn die Erwartung, daß eine 30-Seiten-Anklage, die eine knapp dreistelligen Anzahl an Zeugen benennt, und die im Mai erhoben wurde, bereits am Jahresende in einem Urteil gemündet ist, ist nicht mit Optimismus zu erklären.

Aber vielleicht will die Staatsanwältin die Mitarbeiter auf ihrer Geschäftsstelle auch nur in Bewegung halten, weil sie sonst nichts zu tun haben.

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8 Antworten auf Optimistische Staatsanwaltschaft

  1. 1
    Lexus says:

    Für was steht denn m.E sp. ?

  2. 2
    Scharnold says:

    m.E. sp. = meines Ermessens spätestens?

    Vielleicht werden solche Sachen in Süddeutschland zügiger bearbeitet?

    Im Übrigen finde ich es schlecht, wenn eine gewerbliche Betrügerin noch jahrelang weitermachen kann, ohne endlich weggesperrt zu werden.
    Ups, ich vergaß, sie ist ja nur mutmaßlich eine Betrügerin und somit als unschuldig anzusehen; sie darf somit ihren „Gewerbebetrieb“ prosperierend bis zum „bösen Zeigefinger“ weiterführen.

    Im Ernst: ein Urteil – wie auch immer es ausfällt – darf doch keine Jahre dauern.

  3. 3
    code says:

    m.E. = meines Erachtens
    sp. = spätestens

    Seltsame Art, eine Frist zu verfügen. Soll die Geschäftsstelle sich jetzt eine Frist ausdenken oder drei Monate eintragen?

  4. 4
    Ollitown says:

    Ist die Gewerbeuntersagung abhängig vom Ausgang des Strafverfahrens? Wenn genug Beweise vorliegen, ist m.E. nach doch eine Untersagung möglich.

    Die Anordnung der sofortigen Vollziehung dürfte jede weitere Tätigkeit dann zerschlagen…

  5. 5
    d.h. says:

    Evtl. muss sie so etwas aus formalen Gründen verfügen und in Wirklichkeit passiert nichts.

  6. 6
    egal says:

    3 Monate sind ja die übliche Frist, soweit nichts anfällt. Man muss ja auch das Beschleunigungsgebot bedenken, mit dem sich das Liegenlassen von Akten über längeren Zeiträumen wie etwa 6 Monaten wohl kaum vereinbaren lassen.

    Nach 3 Monaten kann man ja sowieso nochmal reinschauen und dann schon mal einen Anklageentwurf machen; das dauert ja eh auch noch paar Monate bis dieser aus der Schreibkanzlei zurück ist ;)

  7. 7
    Ein Staatsanwalt says:

    In Süddeutschland sind wir es einfach gewohnt, dass die Verfahren etwas schneller laufen. Anderthalb Jahre zwischen Anklageerhebung und der Terminierung sind hier wirklich eher selten.

    (Übrigens: WV m.E. sp. 3 Mon. steht für Wiedervorlage mit Eingang, spätestems 3 Monate.)

      Danke für die Übersetzung. crh
  8. 8
    klabauter says:

    Nun ja, dass Termine erst 2 1/2 Jahren nach Anklageerhebung stattfinden, ist mE jedenfalls in Süddeutschland eher ungewöhnlich.
    Die 3 Monate WV sind dagegen nicht ungewöhnlich, zumal es ja in Wirtschaftsstrafsachen sehr häufig zu Verständigungen kommen soll und ein Verfahrensende neun Monate nach Anklageerhebung (zumindest in Haftsachen) nicht aus der Welt liegt. 30 Seiten Anklage besagen hierzu ebenso wenig wie eine Zeugenliste bei den Beweismitteln.