Kritischer Verzicht auf die Hoffnung

Die Strategie der Verteidigung eines kompetenten Kollegen zu kritisieren, ist eigentlich verboten. Jedenfalls dann, wenn so einer wie ich bei einem erfahrenen Verteidiger wie Udo Vetter schon erfolgreich abgeschrieben hat. Aber Beitrag „Das vergessene letzte Wort“ im lawblog schreit förmlich nach einem kritischen Kommentar.

Der Verteidiger Vetter erkennt einen glasklaren Fehler: Das Gericht vergißt, dem Angeklagten das ihm zustehende (§ 258 StPO) letzte Wort zu geben. Herr Vetter schreibt:

Ein schwerer Verfahrensfehler, der ziemlich sicher zur Aufhebung des Urteils führt – wenn es angegriffen wird.

Also auch die Perspektive erkennt er zutreffend: Das vergessene letzte Wort ist faktisch ein absoluter Revisionsgrund.

Herr Vetter überlegt und stellt fest:

Die Entscheidung war allerdings fair.

Daß eine Entscheidung, also das Urteil des Gerichts, fair zu sein hat, darauf wird der Verteidiger geachtet und sicherlich sein Scherflein dazu beigetragen haben. Aber auch eine faire Entscheidung ist nicht hinnehmbar, wenn sie falsch ist – und den Mandanten möglicherweise belastet.

Herr Vetter blickt in die Zukunft:

Die Aussicht, dass eine neue Verhandlung zu einem besseren Ergebnis führt, tendiert ziemlich gegen Null.

und kündigt an, auf die Revision und die Verbesserung seiner Erfolgsquoten hinsichtlich dieses Rechtsmittels zu verzichten.

Ich gehe ganz sicher davon aus, daß in dem zitierten Beitrag nicht alle Informationen enthalten sind, die zu dieser Entscheidung geführt haben. Das lawblog ist kein Handbuch für die strafgerichtliche Haupthandlung. Trotzdem: Die Essenz, die durch den journalistischen Filter gelaufen ist, ist höchst kritisch, wenn man die Interessen des Mandanten im Blick behält.

Wenn ein Verteidiger nicht ganz sicher ausschließen kann, daß das Rechtsmittel doch zu einer Verbesserung des Ergebnisses führen könnte, darf er seinem Mandanten nicht dazu raten, das Urteil trotz Vorliegens des Revisionsgrundes zu akzeptieren. Und das kann Herr Vetter nicht, er ist sich nur „ziemlich“ sicher. Schreibt er jedenfalls.

Denn er wird auch wissen:

In der Zeit, die eine Entscheidung des Revisionsgerichts, die Zurückweisung an die Instanz und die Verkündung eines dann richtigen Urteils braucht, wächst ein Pflänzchen, das man nicht „zu vertretende lange Verfahrensdauer“ nennt und das grundsätzlich einen Strafmilderungsgrund darstellt.

Und überhaupt: Wir wissen alle, daß gerichtliche Entscheidung oftmals davon abhängen, mit welchem Bein der entscheidende Richter morgens früh aus der Hohen See aufgestanden ist. Es zudem ist nicht vorhersehbar, welcher Richter später die letzte – fehlerfreie – Entscheidung fällen wird. Und damit erst Recht nicht, wie diese Entscheidung ausfallen wird.

Und noch eins: Wenn es beim Rechtsmittel des Angeklagten bleibt, kann es am Ende nicht schlimmer werden. Die „reformatio in peius“ (oder in deutsch und genauso unverständlich: „Verböserung“) ist unzulässig. Und wie man eine Sperrberufung der Staatsanwaltschaft zuverlässig verhindern kann, wird Herr Vetter wissen.

Und am Ende: Die Revisionsgerichte beantworten die „Beruhensfrage“ nahezu einhellig. Das letzte Wort des Mandanten hätte den Richter umstimmen und ihn zu einem noch „faireren“ Urteil veranlassen können. Und wenn schon Revisions-Richter diese Möglichkeit nicht ausschließen, dann kann das erst Recht nicht ein Verteidiger.

Nein, ich hätte – die bekannten Informationen zugrunde gelegt – meinem Mandanten zur Revision geraten. Das Risiko, mich damit bei dem „geständigen“ Richter unbeliebt zu machen, nähme ich dabei in Kauf. Aber vielleicht ist die Wochenfrist ja noch nicht abgelaufen, lieber Herr Kollege Vetter.

Denn schließlich gilt in unserem Gewerbe: Die Hoffnung stirbt nicht immer.

Dieser Beitrag wurde unter Verteidigung veröffentlicht.

16 Antworten auf Kritischer Verzicht auf die Hoffnung

  1. 1

    Hallo Herr Hoenig, die Frage: Revision einlegen ja oder nein, hängt sicherlich von vielen Umständen ab, die man sorgfältig gegeneinander abwägen muss. Ich denke, dass wird auch Herr Vetter getan haben :-). Auf eins will ich aber hinweisen: Sie schreiben: „Das vergessene letzte Wort ist faktisch ein absoluter Revisionsgrund.“ ok, aber m.E. muss man da wohl jetzt besser schreiben: „Das vergessene letzte Wortist hoffentlich noch immer faktsich ein absoluter Revisionsgrund.“ Denn: Übersehen Sie nicht: Die nachträgliche „Protokollberichtigung“ ist jetzt auch zulässig, wenn damit der Verfahrensrüge des Angeklagten der Boden entzogen wird. Und von der Möglichkeit wird, wie die Rechtsprechung des BGH zeigt, Gebrauch gemacht.

  2. 2
    ra kuemmerle says:

    Wie wahr, wie wahr. Als ich den Beitrag las, dachte ich auch sofort an die Verfahrensverzögerung, die der Angeklagte schließlich nicht zu vertreten hat. Da es bei Zurückverweisung zutreffend nicht „schlimmer“ werden kann, gleichzeitig aber eine Kompensation stattzufinden hat, wäre schon de facto ein besseres Ergebnis zu erzielen gewesen.

  3. 3
    Alfons Kaiser says:

    Meint Ihr, dass auch folgendes (vergessene) „letzte Wort“ das Gericht möglicherweise zu einer „noch faireren“ Strafe veranlasst hätte?
    „Das Plädoyer meines Anwalts hat mich jetzt auch von meiner Unschuld überzeugt. Ich widerrufe mein Geständnis und beantrage ebenfalls Freispruch!“

  4. 4
    TeeKay says:

    Aus Anwaltssicht mag das so sein. Aus Angeklagtensicht gibts da noch Dinge wie: Prozesskostenrisiko, zusätzlicher Aufwand bei einer Revision, den Wunsch, die Sache einfach abzuschließen, ein Wertesystem, das die empfangene Strafe als gerecht ansieht und keinen Grund, die minimal mögliche Strafe unter Ausnutzung jedweder Verfahrenstricks anzustreben.

  5. 5
    Roland says:

    „Eigentlich“ gehört es sich nicht zu schreiben, dass man sich für klüger und gewiefter hält als den Kollegen.

    Aber wenn die Gelegenheit gar zu schön ist, muss man halt mal eine Ausnahme machen, gell Herr Hoenig?

  6. 6
    Sara says:

    TeeKay hat Recht. Es ist erstaunlich, wie viele Mandanten sich mit einem Urteil zufrieden geben und keinesfalls ein Rechtsmittelverfahren durchführen wollen, selbst wenn man ihnen die hervorragenden Chancen eines günstigeren Ausgangs glasklar darlegen kann.

    Da unterscheiden sich häufig Verteidiger- und Mandantensicht. Nachvollziehbar mag das bei Menschen sein, die in ihrem Leben einen einmaligen Fehltritt begangen haben und bereit sind, mit den von ihnen selbst als gerecht empfundenen Konsequenzen zu leben. Bei Kandidaten, bei denen man mit einem baldigen Wiedersehen rechnet, ist das aber höchst unvernünftig. Aber wegen dieser Unvernunft stehen sie vielleicht häufiger vor Gericht…

  7. 7

    […] als Anlass sieht, Revision einzulegen, plädiert der Kollege Hoenig unter der Überschrift: Kritischer Verzicht auf die Hoffnung“ dafür, i.d.R. immer, wenn Hoffnung auf Urteilsaufhebung besteht, Revision einzulegen, auch […]

  8. 8
    Ref.iur. says:

    Im Einzelfall mag es vielleicht möglich sein, mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu sagen, dass eine Strafe nicht geringer ausfallen wird (z.B. wenn ohnehin Verurteilung zur Mindeststrafe erfolgt ist). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass das Strafverfahren für den reuigen Angeklagten eine peinliche Tortur sein kann oder dass der Mandant diese Sache, beispielsweise aus beruflichen oder familiären Gründen, um jeden Preis abgeschlossen haben will.

  9. 9
    HobbyVerteidiger says:

    Immerhin kostet eine weitere Instanz meist weiteres Geld.

    Und wie man „eine Sperrberufung der Staatsanwaltschaft zuverlässig verhindern kann“, wüsste ich auch gerne.

  10. 10

    @HobbyVerteidiger: „Und wie man “eine Sperrberufung der Staatsanwaltschaft zuverlässig verhindern kann”, wüsste ich auch gerne“. Das ist leider nicht so ganz einfach, aber dazu gibt es das ein oder andere Mittel. Dazu gibt/gab es einen Beitrag im StraFo 2009, 229 und im StRR-Heft 12/2009. Es geht immer um das sog. pflichtgemäße Ermessen der StA hinsichtlich der Berufungseinlegung.

  11. 11
    matze says:

    Ich nehme mal an das das Strafmaß gering lag, was sollte man da noch Zeit und Geld vergeuden wenn am Ende doch gar nix oder nur wenig rausspringt.

  12. 12
    Betroffener says:

    Liebe schreibenden Verteidiger,

    für Sie kurz meine Argumente „gegen“ eine Revision.
    Nach:
    – 1,5 Jahren U-Haft, tgl. 23h weggeschlossen, nur mit ein paar Zeitungen ohne Strom (ergo Radio, Fernseher, Kaffemaschine usw.)
    – 4 Haftbefehlen, stets nach Beschwerde durch neue Taten ersetzt
    – 9 Monaten bis zur Anklageerhebung
    – 9 Monate Verhandlung
    – vor Gericht lügenden Staatsanwältinnen und LKA-Leuten
    – finanzieller Ruin durch Anwalts-, Gerichts-,Haftfolge- und Besuchskosten

    War es für mich sofort bei Verurteilung klar, dass es die Revision geben muss, da ich selbst immer noch der Meinung bin, „unschuldig“ zu sein. Ich glaubte die größte Ungerechtigkeit der Welt zu erleben.

    Jetzt weiß ich, dank Ihrer blogs, dass Unfähigkeit, Parteilichkeit und Wahrheitsrelativierung durch StA, Gutachter und LKA bei mir keine Ausnahme waren.

    Mittlerweile hat sich meine Sicht auf die Revision geändert. Ich warte seit über einem Jahr auf eine Entscheidung des BGH. Es wird wohl noch Monate dauern. Und aus heutiger Sicht frage ich mich, ob Revision richtig war:
    1. Variante: keine Revision. Die handvoll Restmonate in einem normalen Vollzug hätte ich evtl. absitzen können. Die Sache wäre seit Monaten erledigt und ich hätte meinen Job, Familie und Ruhe. Ich hätte ab Urteil eine Schuldenbereinigung starten können, was mir jetzt nicht möglich ist, da die Kosten (meine Schulden) und Verfall noch nicht feststehen.

    2. Ist-Variante:
    Seit Monaten plagen mich Existenzängste und Zweifel. Was wird passieren. Wird meine Familie einen erneuten Prozess überstehen, es war wohl sogar eine Seltenheit, dass sie 1,5 J UHaft „unbeschadet“ überstand. Wenn ich einen Freispruch erhalte, steht mir trotzdem nochmal das ganze Verfahren bevor und ich treffe die gleichen, von mir verabscheuten, LKA- und StA-Menschen wieder. Wenn das Urteil so bleibt, habe ich demnächst oder in ferner Zukunft je nach Revision trotzem noch Monate vor mir. Warscheinlich erst in 1-2 Jahren. Dann erst erfahre ich den Verfall. Dann erst kann ich eine private Insolvenz starten. Bis dahin habe ich Angst, ich verliere vielleicht meinen neuen Job und finde vielleicht nie wieder einen. Bis dahin habe ich die Ängste, dass meine Ehe daran scheitern kann.

    Würde ich heute nach Revision gefragt… weiß ich nicht.
    Hätte ich eine für mich zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit ertragen, könnte ich mir seit einem Jahr eine neue Existenz aufbauen. Nun kämpfe ich für gefühlte Gerechtigkeit, kann eigentlich nichts gewinnen, habe seit über einem Jahr Existenzängste und Zusammenbrüche und weiß, dass es mit ungewissem Ausgang noch Jahre so weitergehen kann.

    Also kann auch eine mit Erfolgsaussichten gespickte Revision für den Mandanten ein Schrecken ohne Ende sein…. Lieber ein Ende mit Schrecken..

  13. 13
    Blaumeise says:

    @Betroffener: Ihre Geschichte scheint geradezu nach einer kompletten Veröffentlichung in den Medien zu schreien, wenn das tatsächlich ein derartiger Justizskandal ist.
    Nur wenn solche Fälle von lügenden Beamten veröffentlicht werden und in das Bewußtsein dringen, wird sich vielleicht irgendwann etwas ändern.
    Siehe: http://www.yunus-rigo-prozess.de/

  14. 14
    peter says:

    @HobbyVerteidiger: in diesem Fall scheint eine exzessive Ausnutzung der Frist bereits ausreichend zu sein :-)

  15. 15

    @Betroffener
    Wenn denn Ihre tränenrührende Geschichte stimmen sollte, fragt sich der geneigte Leser, ob Sie schon darüber aufgeklärt wurden, dass man Revisionen auch zurücknehmen kann.

  16. 16
    Betroffener says:

    @Blaumeise: als die StA sich nach den Verhaftungen in den Medien feierte, war das ok. Als wir eigene Recherchen, die das LKA nicht annehmen wollte („Wenn Sie Beweise haben, geben Sie die dem Anwalt, wir nehmen von Ihnen nichts an“) als CC mit an Bekannte bei einem großen Tagesmedium schickten, gab es dezente Hinweise der StA über den Richter im Sinne der in UHaft befindlichen und des Verfahrensablaufes solche Aktionen mit der Presse tunlichst zu unterlassen.
    @Peter: Fristen nutzen wenig, die sind bei Gericht sehr schwammig. Bei der 6-Monatsprüfung wurde die lange UHaft von den Richtern abgewiegelt mit „da die Staatsanwältin glaubhaft versicherte, die Anklage in den Tagen einzureichen“. Es dauerte noch 2 Monate.
    @RA Siebers: Ja, ich hätte es vorher auch nicht geglaubt ;-) Die Revisionsrücknahme wird auch gelegentlich angesprochen. Wenn ich es richtig verstanden habe, wäre die Rücknahme meiner Revision u.U. auch nachteilig für andere Beteiligte. Ich bin kein Jurist, aber so wie es mir erklärt wurde, sind aufgezählte Fakten im Urteil fix, auch wenn es nicht so gesagt wurde. Man kann nur Verfahrenssachen rügen. Bei mir z.B., dass ich für x Taten schuldig befunden wurde, aber Einzelstrafen für 2*x Taten bekommen habe.

    Übrigens gibt es nicht nur Protokollberichtigungen, sondern auch Urteilsberichtigungen. Nachdem die Revision eingereicht wurde, bekam ich ein Schreiben der Richter, dass auf den Seiten xyz jeweils die Zahl a durch b zu ersetzen ist, weil es sonst keinen Sinn ergibt, was wir auch so bemängelten. Die Abschlussfloskel enthielt dann noch, dass es ja offensichtlich sei, dass es sich um einen Schreibfehler handelt.