Kollegialität aus der untersten Schublade

Einer der 19 20 21 Verstorbenen war auch ein beliebter und stets hilfsbereiter Teilnehmer an einer Mailingliste für Rechtsanwälte. Die Nachricht von dem Tod des 38-jährigen Kollegen, die heute über die Liste ging, lies niemanden ungerührt. Das Unglück war für die „Listigen“ nur bis dahin eines, das weit weg ist. Plötzlich war der persönliche Bezug vorhanden. Ich bin nachdenklich geworden …

Ein Rechtsanwalt, der gleichzeitig auch Steuerberater ist, drückte sein Befinden auf folgende Weise aus:

… sorry aber es ist nicht nur die Veranstaltung selbst bei der man bestimmt einiges besser machen könnte – ja, es sind auch die Leute, die da hingehen.

Wer zu so einer Veranstaltung geht ist m. E. der Natur nach jemand, der alles auf die Leichte Schulter nimmt und das ist alles andere als verantwortungsbewußt: Alkohol schon im Vorfeld, und wenn jemand da Bedenkenträger ist heißt es „ach so ein Spießer“.

Das hab ich mir heute gedacht und ich glaube nicht, daß wir alle jetzt in allertiefster Trauer sein sollten, nur weil ein Listenmitglied leider verstorben ist.

Ich darf hier nur denken, aber nicht schreiben, was ich von diesem Rechtsanwalt und Steuerberater halte.

Dieser Beitrag wurde unter Rechtsanwälte veröffentlicht.

20 Antworten auf Kollegialität aus der untersten Schublade

  1. 1
    Andreas says:

    Die zitierten Formulierungen gefallen mir so auch nicht, aber es gibt einen für mich entscheidenden Punkt in der Argumentation, dem ich zustimme: Der Mensch sollte bemüht sein, für sich Verantwortung zu übernehmen.

  2. 2
    Ö-Buff says:

    Andreas, man kann nur dann für sich Verantwortung übernehmen, wenn man selbst Herr seines Handelns ist. Das war für etliche Opfer der Loveparade zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gegeben.

  3. 3
    Wolf says:

    Auch dieses Listenmitglied wird eines Tages sich selbst begegnen.
    Das heisst, er wird jemanden finden, der oder die ihn mit derselben Kaltschnäuzigkeit zum Ende geleitet oder einfach liegen lässt.

    Das nur zum Trost.

  4. 4
    Malte S. says:

    Hätte er anders reagiert, wenn der verstorbene Kollege an einem Unfall oder einem sonstiges Alltagsrisiko verstorben wäre? Höchstwahrscheinlich Ja.
    Die Abwertung erfährt der verstorbene Kollege also nur, weil er auf der Love Parade war. Das ist nicht nur eine mehr als peinliche Zurschaustellung der eigenen Vorurteile. Es ist schlicht ignorant und beleidigend.
    Wie würde der Autor dieser mitfühlenden Zeilen wohl reagieren, wenn man ihm bei dem Tod eines nahestehenden Menschen ähnliches sagen würde? Vermutlich würde er gleich die zivilrechtliche Keule herausholen?

  5. 5
    Besucher2778 says:

    live and let die

  6. 6
    gb says:

    der letzte Kommentar von Malte S. brachte mir grade den Gedanken dieser verschissenen (sorry ;)) Doppelmoral.

    Das sind genau die, die ueber aussereheliche ‚Vergnuegungen‘ schimpfen und sich dann 2x monatlich im Dorfpuff (weit entfernt ;)) die Sau rauslassen.

    Und genau die, die Wasser predigen und Wein saufen (duerfen die eigentlich ihrer kleinen Jungen Alk geben, oder nur selber trinken?).

    Und auch genau die, die aufgrund des Ansehens ihrer Stadt (aka Geltungssucht) sich ueber alle moeglichen Bestimmungen hinwegsetzen, zwischen 250k und 1.4 Mio. ist doch kein wesentlicher Unterschied…….

  7. 7
    RA Grigutsch says:

    Warum nur drängt sich mir die Frage auf, ob der Kollege ebenso reagiert hätte, wenn eine derartige Panik bei einer Aufführung von Wagners „Lohengrin“ aufgetreten, nein verursacht worden wäre?

    Aber nein, kann nicht sein, d a s ist davon völlig unabhängig … Es geht rein darum, dass n a t ü r l i c h jeder in Duisburg am Wochenende besoffen, zugekifft und/oder sonstwie zugedröhnt, jedenfalls aber suspekt war.

  8. 8
    Das Ich says:

    Jeder Besucher hat auf den Veranstalter vertrauen dürfen. Dieser hätte/hat für ein schlüssiges und funktionierendes Sicherheitssystem zu sorgen.
    Muss man sich deshalb in einen kompletten Vollrausch begeben…frei dem Motto: Wird schon gutgehen?
    Wir wissen es nicht und sicherlich hat das Zusammenspiel vieler Faktoren erst zu so einer Katastrophe geführt.
    Ob nun vollgedrogt und vollgesoffen…die Leute wären so oder so in den Tunnel gegangen. Das macht nun keinen Unterschied. Allein die Querulanten die wohl (man sagt das es so war) meinten sie müssten Absperrungen und Treffen raufklettern tragen Mitschuld.
    Mal sehen wer für diese ganze Nummer gehängt, geteert und gefedert vom Hof gejagt wird.

  9. 9
    Andi says:

    Eva Herman ist nicht allein.
    Abstoßend.

  10. 10
    Susanne says:

    Ich war noch nie in Duisburg. Will sagen: ich sehe mich nicht in der Lage, jedes Unglück in der großen weiten Welt zu betrauern und mich damit auseinanderzusetzen. Eine weitere negative Folge der Globalisierung – die, überspitzt formuliert, ja bereits damit begann, daß man sich mit dem Aufkommen von Zeitungen im 18. Jh. plötzlich mit Dingen beschäftigen „mußte“, die außerhalb der eigenen Stadtmauern passierten – ist, daß jeden Tag Nachrichten von schrecklichen Unglücken auf uns einprasseln, die heute die Schlagzeilen beherrschen und morgen so etwas von vergessen sind, daß einem der vormalige Medienhype und der Umstand, daß jeder vom Schulkind bis zum Bundeskanzler per Fernanalyse binnen 5 Minuten eine politisch korrekte Meinung zu dem Thema haben „muß“, fast schon peinlich zu sein hat. Würde mir ein psychiatrischer Sachverständiger mangeldes Empathievermögen attestieren, wenn ich das Ereignis nur schulterzuckend zur Kenntnis nehme, den Fernseher ausgeschaltet lasse und mich statt dessen um den Zustand meines Gartens sorge?

    Tue ich dem gegenüber meine politisch korrekte Pflicht und Schuldigkeit, wenn ich Standardphrasen („zutiefst erschüttert, „Abscheu und Empörung“) in die nächstbeste Kamera labere und per Twitter die Welt mit meiner Kurzmeinung beglücke?

    Wie geht’s eigentlich den Erdbebenopfern in Haiti und Italien? Dieses Jahr schon gegen die Schweinegrippe geimpft…?

      Es geht – auch im Zusammenhang mit dem von mir beschriebenen Fall – nicht darum, zu jedem Unglück seine Betroffenheit formulieren zu müssen, um sich politisch korrekt zu verhalten. Es muß auch gestattet sein, eine „unkorrekte“ Ansicht zu vertreten.

      Aber es gibt durchaus Momente, in denen man aus Respekt vor den Gefühlen anderer schlicht die Schnauze halten sollte. crh

  11. 11
    Besucher2778 says:

    touché

  12. 12
    Susanne says:

    @Hoenig:

    Das ist ja richtig. Aber nicht gerade ein aufrichtiger Rat aus dem Mund eines Strafverteidigers.

  13. 13
    RA Müller says:

    Es handeltr sich nicht zufällig um einen älteren Kollegen, der mit so neumodischem Kram wie Musikfestivals wenig anfangen kann und der „Jugend von heute“ generell wenig abgewinnen kann?

  14. 14
    Andreas says:

    Ö-Buff, ich kann mir nicht vorstellen, dass die meisten Besucher seit Monaten im Vollrausch waren und/ oder Analphabeten sind und/ oder keinen Internetzugang haben. So konnte man sich über den Verlauf der Love Parade in Duisburg informieren, die Gründe zur Absage der Veranstaltung in Bochum zur Kenntnis nehmen usw. usf. … Ansonsten hast Du recht, irgendwann gibt es einen Punkt, an dem man nicht mehr Herr der Lage ist.

  15. 15
    R. Tape says:

    Also der Kommentar ist schon makaber. Die Leute sind ja nicht hingegangen, um sich vollaufen und niedertrampeln zu lassen. Die Leute sind zum Feiern gegangen. Sie wollten ausgelassen sein, ihren Spass haben. Das war die ganze Nation, als die Fußball-WM lief. Es gibt auf solchen Ereignissen auch sehr viele Menschen, die keinen Alkohol zu sich nehmen.

    Das Unglück ist weder durch die Party, noch durch Alkohol entstanden. Dieses Ereignis resultiert aus den besonderen Umständen des Eingangs zum Gelände. Das wäre an jedem Ort und bei jeder anderen Gelegenheit wiederholbar, hat also nichts mit Loveparade oder Alkohol zu tun.

    Bei Schiffsunglücken gibt es ähnliche Situationen. Und hier wird wohl niemand auf die Idee kommen, dass die Schiffsreisenden verantwortungslos sind.

    Was dieser Schreiber da von sich gab,war einfach gedankenlos, unüberlegt.

  16. 16
    Mausflaus says:

    scheiße formuliert, aber im Kern kann ich doch zustimmen: das geheuchelte Massenentsetzen, was an jeder möglichen und v.a. unmöglichen Stelle geäußert wird uns absolut niemandem mehr hilft; nervt ziemlich.
    um die 4.000 Verkehrstote jährlich (die im überwiegenden maße auch nix dafür können) hört man dagegen selten Kollektivtrauer

  17. 17

    […] war das wieder eingefallen, als ich die Diskussion beim Kollegen Hoenig gelesen hatte. Dort ging es um einen “Nachruf” eines anderen […]

  18. 18
    Torsten says:

    Kollektiv ist aber viel schöner. Zusammen erregen, trauern, freuen. Egal ob Erdbeben, Schweinegrippe, Unfälle: jeder kann sich heute sofort eine Meinung bilden und diese über 1000 Kanäle auch gleich wieder hinauströten. Wozu hat man denn Kamera-Handys, wenn man nicht ständig draufhalten und die Sachen auf YouTube hochladen kann? Wozu gibt es denn Twitter, wenn man die Ergebnisse der BuPräs-Wahl nicht schon vor ihrer Verkündung verbreiten darf? Ich finde, wir brauchen noch viel mehr Kommunikationskanäle. Und die Ignoranten, die sich nicht sofort eine Meinung bilden, sollten gesetzlich gezwungen werden, mindestens drei Stunden am Tag BILD und RTL zu konsumieren. Natürlich auch die Online-Angebote! Mehr Kommunikation und Meinung für uns alle!

  19. 19
    Kand.in.Sky says:

    Darf man nach Duisburg noch tanzen gehen?
    (frei nach Adorno)

    #k.

  20. 20
    gb says:

    btw – gerade wenn ein Anwalt ‚betroffen‘ ist, bietet es sich doch foermlich an gegen die offensichtlich unautorisierten Fotoveroeffentlichungen (tlw. gar auf der Titelseite eines Tagesblaettchens in der zweitgroessten Stadt Deutschlands, sicher auch woanders) vorzugehen?