Gäfgen gegen Deutschland – erfolgreich!

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat heute entschieden:

Gewaltandrohung gegen mutmaßlichen Kindesentführer durch die Polizei im Verhör:

Konventionswidrige unmenschliche Behandlung, aber keine Auswirkung auf die Fairness des Strafverfahrens

Aus der Pressemitteilung des Kanzlers:

1. Die Folterandrohung machte Magnus Gäfgen zum Opfer der Polizei

Der Gerichtshof war überzeugt, dass die deutschen Gerichte, sowohl im Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer als auch in demjenigen gegen die Polizeibeamten, ausdrücklich und eindeutig anerkannt hatten, dass die Behandlung des Beschwerdeführers bei seinem Verhör gegen Artikel 3 verstoßen hatte.

Er stellte jedoch fest, dass die der Nötigung im Amt bzw. Verleitung eines Untergebenen zur Nötigung im Amt für schuldig befundenen Polizeibeamten nur zu sehr geringen Geldstrafen auf Bewährung verurteilt worden waren. Die deutschen Gerichte hatten eine Reihe von mildernden Umständen berücksichtigt, insbesondere die Tatsache, dass die Beamten in der Absicht handelten, J.s Leben zu retten. Der Gerichtshof erkannte zwar an, dass der vorliegende Fall nicht vergleichbar war mit Beschwerden über brutale Willkürakte von Staatsbeamten. Dennoch erwog er, dass die Bestrafung der Polizeibeamten nicht den notwendigen Abschreckungseffekt hatte, um vergleichbaren Konventionsverletzungen vorzubeugen. Zudem gab die Tatsache, dass einer der Beamten später zum Leiter einer Dienststelle ernannt worden war, Anlass zu grundlegenden Zweifeln, ob die Behörden angemessen auf den Ernst der Lage angesichts einer Verletzung von Artikel 3 reagiert hatten.

Im Hinblick auf eine mögliche Entschädigung für die Verletzung der Konvention nahm der Gerichtshof zur Kenntnis, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe zur Einleitung eines Amtshaftungsverfahrens mehr als drei Jahre anhängig und dass in der Sache noch nicht über den geltend gemachten Entschädigungsanspruch entschieden worden war. Dies gab Anlass zu grundlegenden Zweifeln an der Effizienz des Amtshaftungsverfahrens.

Angesichts dieser Überlegungen war der Gerichtshof der Auffassung, dass die deutschen Behörden dem Beschwerdeführer keine ausreichende Abhilfe für seine konventionswidrige Behandlung gewährt hatten.

Der Gerichtshof kam daher, mit elf zu sechs Stimmen, zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer weiter beanspruchen kann, Opfer einer Verletzung von Artikel 3 der Konvention zu sein und dass eine Verletzung von Artikel 3 vorlag.

2. Aber keine Verletzung der Verfahrensrechte – Art. 3 und Art. 6 EMRK – des Verurteilten

Der Gerichtshof stellte fest, dass der wirksame Schutz des Einzelnen vor Ermittlungsmethoden entgegen Artikel 3 es in der Regel erfordert, Beweismittel von einem Strafverfahren auszuschließen, die unter Verletzung dieses Artikels erlangt worden waren. Dieser Schutz und die Fairness des Verfahrens insgesamt stehen allerdings nur dann auf dem Spiel, wenn die unter Verletzung von Artikel 3 erlangten Beweismittel einen Einfluss auf die Verurteilung des Beschuldigten und auf das Strafmaß hatten.

Im vorliegenden Fall war aber vielmehr das neue Geständnis des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung – nach seiner Belehrung, dass alle seine früheren Aussagen nicht als Beweis gegen ihn verwendet werden dürften – die Grundlage seiner Verurteilung. Die angefochtenen Beweismittel waren folglich nicht erforderlich, um seine Schuld zu beweisen oder das Strafmaß festzulegen.

Im Hinblick auf die Frage, ob die Verletzung von Artikel 3 während der Ermittlungen einen Einfluss auf das Geständnis des Beschwerdeführers vor dem Strafgericht hatte, bemerkte der Gerichtshof, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung unterstrichen hatte, dass er sein Geständnis freiwillig, aus Reue und um Verantwortung für sein Verbrechen zu übernehmen, ablege und dies trotz der Drohungen der Polizei gegen ihn während der Ermittlungen. Der Gerichtshof hatte folglich keinen Grund anzunehmen, dass der Beschwerdeführer nicht gestanden hätte, hätte das Landgericht zu Beginn der Hauptverhandlung die angefochtenen Beweismittel ausgeschlossen.

Im Angesicht dieser Überlegungen befand der Gerichtshof, dass die Entscheidung der deutschen Gerichte, die strittigen, unter Androhung von unmenschlicher Behandlung erlangten Beweismittel nicht auszuschließen, unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles keinen Einfluss auf Urteil und Strafmaß hatte. Da die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers respektiert worden waren, musste das Verfahren im Ganzen als fair betrachtet werden.

Ein nicht ganz unumstrittendes Ergebnis:

Der Gerichtshof kam daher, mit elf zu sechs Stimmen, zu dem Schluss, dass keine Verletzung von Artikel 6 vorlag.

[…]

Die Richter Tulkens, Ziemele und Bianku äußerten gemeinsam eine teilweise zustimmende Meinung; die Richter Rozakis, Tulkens, Jebens, Ziemele, Bianku und Power äußerten gemeinsam eine teilweise abweichende Meinung; Richter Casadevall äußerte eine teilweise abweichende Meinung, der sich die Richter Mijovi?, Jaeger, Jo?iene und López Guerra anschlossen.

Trotz der Abweisung der Beschwerde halte ich die Entscheidung für erfolgreich. Zeigt sie doch auf, daß das Verhalten des Polizeibeamten unter keinem Blickwinkel gerechtfertigt war. Die Rüge, die von Straßburg an die deutsche Justiz wegen der Reaktion auf diesen ungeheuerlichen Rechtsbruch geht, ist deutlich. Noch einmal das Zitat:

… erwog er, dass die Bestrafung der Polizeibeamten nicht den notwendigen Abschreckungseffekt hatte, um vergleichbaren Konventionsverletzungen vorzubeugen. Zudem gab die Tatsache, dass einer der Beamten später zum Leiter einer Dienststelle ernannt worden war, Anlass zu grundlegenden Zweifeln, ob die Behörden angemessen auf den Ernst der Lage angesichts einer Verletzung von Artikel 3 reagiert hatten.

Insofern hat Herr Rechtsanwalt Michael Heuchemer, der die Beschwerde vorangetrieben hat, zumindest meine Hochachtung und meinen Dank verdient.

Wer sich den zugrunde liegenden Fall noch einmal in Erinnerung rufen möchte, dem sei diese Dokumentation empfohlen:

Das Buch hat aus juristischer Sicht zwar seine Ecken und Kanten; die Autorin Adrienne Lochte ist eben keine Strafverteidigerin. Aber sie schafft es, ein recht genaues Psychogramm der Tat und des Täters zu zeichnen.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Strafrecht veröffentlicht.

28 Antworten auf Gäfgen gegen Deutschland – erfolgreich!

  1. 1
    Das ich says:

    Meinses erachtens aus Menschlicher Sicht ein Skandalurteil.. Es mag ja juristisch richtig sein, aber ich denke jeder Mensch mit ein bisschen Gewissen wird das hier als Skandalös empfinden.
    Die Rechnung ging ja nun nicht ganz auf…das „Faire Verfahren“ war gegeben. Er ist nunmal ein Mörder. Das verfahren wird nicht neu aufgerollt werden. Die SV wird bleiben. Den „Schadenersatz“ oder was auch immer er da erstritten hat wird er wohl auch nicht kriegen. Da werden die Eltern wohl schon für gesorgt haben.
    Der Junge hatte keine „faire“ Chance.


      Die (mögliche) Geltendmachung von Schadensersatz / Schmerzensgeld war nicht Gegenstand des Verfahrens. Es wurde insoweit auf entsprechende Anträge (ausdrücklich) verzichtet. Bitte lesen Sie die Pressemitteilung (am Ende). crh

  2. 2
    WolfgangP says:

    Für mich als Nicht-Juristen erschließt sich der Erfolg nicht so ganz. Selbstverständlich sollte kein Polizeibeamter Gewalt gegen einen Verdächtigen androhen oder ausführen. Dennoch – die Situation in der sich die Beamten befanden (Ich habe nach Ihrem Post heute früh noch einmal die Details nachgelesen) müssen zu einem schweren Gewissenskonflikt geführt haben, die Rechte des Verdächtigen zu waren, oder mutmaßlich ein Leben zu retten. Insofern kann ich die Milde des Gerichts nachvollziehen gegenüber den beiden Beamten nachvollziehen, zudem Selbstanzeige erstattet wurde. Ich möchte trotzdem nicht der Richter sein, der so etwas entscheiden muss. Und noch weniger ein Beamter in so einer Situation.

  3. 3
    Das ich says:

    Ob der Anwalt da gute Arbeit geleistet hat? Ist es jetzt so, dass jeder dem ich sage das er aufs Maul bekommt direkt wegen Folterandrohung zu Gericht laufen kann? So in etwa wird der juristische Laie dies bewerten. Und ich kann es ihnen nicht einmal verdenken.
    Dieses Urteil wird wohl zur Folge haben, dass die Beamten in Zukunft dann eben geschlossen aussagen werden, dass sie ihm keine „Schmerzen“ angedroht haben.
    Oder ihr beliebtes „Verteidigen durch Schweigen“.
    Damit ist keinem geholfen.
    Dieser Prozess war das Dümmste was der Anwalt mitmachen konnte. Ein Erfolg ist das nicht! Aber es bringt ja Gebühren.

      Daß das mit den Gebühren nicht zutrifft, werden Sie leicht nachvollziehen können, wenn Sie imstande sind, die Finger an Ihrer linken Hand fehlerfrei durchzuzählen. Bei dem extremen Umfang der Arbeit, die hinter dieser Beschwerde steckt, wäre eine angemessene Bezahlung auch für einen erfolgreich praktizierenden Kiefernchirurg nicht finanzierbar; erst Recht nicht durch einen Jurastudenten, der im Knast sitzt. Heuchemer hat – außer der Reputation – nichts von diesem Mandat. Und der Ruf, den er dadurch bekommen hat, ist in den Kreisen, in denen Sie verkehren dürften, auch nichts wert. crh

    Was sind wir eigentlich für ein Pussy-Staat. Mörder heulen rum ihnen würde es nicht gut gehen und Bundespräsidenten treten wegen persönlicher Kränkung zurück…etc.
    Elender Waschlappenverein.
    Der Rest der Welt lacht sich nur noch über und kaputt.

    Lena for President.
    (Ob der Art. 54, 1 GG mit dem AGG § 1 konform geht sei mal dahingestellt;-)

  4. 4
    AH says:

    „Er unterstrich aber, dass das absolute Verbot unmenschlicher Behandlung völlig unabhängig vom Verhalten des Opfers oder der Beweggründe der Behörden gilt und keine Ausnahmen zulässt, nicht einmal wenn ein Menschenleben in Gefahr ist.“

    Gut, dass das noch einmal klar herausgestellt wurde. Ich habe keine Lust auf ein Revival von Hexenprozessen.

    Und für die „und wenn es dein Kind wäre“-Fraktion:

    Was ich als Vater in einer solchen Lage machen würde (und für was ich mich in letzter Konsequenz verantworten müsste) steht nicht zur Debatte.

    Vorliegend geht es darum, was der Staat machen darf.

  5. 5
    Lexus says:

    Realität trifft Strafrecht kritisch.

    Das Urteil zeigt ein gewisses Fingerspitzengefühl, was vielen Juristen wohl im Laufe ihrer Karriere abhanden gekommen ist.

    Natürlich darf in einem rechtstaat weder gefolter werden, noch Folter angedroht werden und natürlich müssen Beamte die dies tun bestraft werden. Hier haben die Beamten aber nicht in böser Absicht gehandelt, sonder wirklich probiert ein Menschenleben zu retten. Daher ist eine milde Strafe auch angemessen. Ob es zu mild war oder nicht, mag man drüber streiten (Und tat ja das Gericht wohl auch)

    Das Gericht hat meiner Meinung nach auch richtig erkannt, dass ein Mörder nicht weniger ein Mörder ist, nur weil gegen ihn selbst Unrecht begangen wurde.

  6. 6
    Das ich says:

    „[…]ist in den Kreisen, in denen Sie verkehren dürften, auch nichts wert[..]

    So, in welchen Kreisn verkehre ich denn?
    Woher nehmen Sie ihre Informationen?
    Nur weil ich hier das ganze ein wenig ins Lächerliche ziehe, sollte Sie nicht voreilig zu irgendwelchen Schlüssen kommen;)
    Woher wissen Sie, ob nicht vielleicht seine Familie das ganze Spiel finanziert?

    Eltern sind zu manchem fähig.Da wird auch schonmal ein Haus verkauft um die Pleite der Kinder zu finanzieren. Also so leicht kommen Sie mir nicht davon. Da wissen wir beide zu wenig.
    Aber einen Anwalt der so eine Nummer durchzieht und für lau arbeitet, müssen Sie mir zeigen.

      Der dritte von links, leider etwas unglücklich abgelichtet. crh

    PS. Im laufe des Tages habe ich mit befreundten Strafverteidigern darüber diskutiert. Die Meinung geht geteilte Wege. Und ich vertrete eben meine Meinung: Ganz schön Dumme Sache das. Sie mögen da anderer Auffassung sein. Jedoch leben wir noch in einer Demokratie (manchmal leider)…oder?
    Da verweise ich auf Voltaire: Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. Ich habe mich nicht über das Gericht beschwert. Nur über die Umstände.
    Was sagt Ihnen denn ihr Herz zu der Sache? Lassen Sie mal ihr juristisches Wissen beiseite und sagen Sie mir was Sie als Elternteil und Mensch von soetwas halten. Da werden ehrbare Leute bestraft, die versuchen ein anderes Leben zu retten. Da kriegt ein Kindermörder der nicht angefasst wurde!, Recht gegen einen Demokratischen Staat weil dieser versucht hat das Leben eines Mitbürgers (Kindes) zu retten.
    Ich bitte um ehrliche Antwort.

      Ganz einfach: Wer als Träger der Staatsgewalt foltert, gehört aus- und weggeschlossen. Ohne Wenn und Aber. EOD. crh
  7. 7
  8. 8
    Das ich says:

    Ok, die Frage ist nicht beantwortet…aber ich gebs auf.
    Anscheinend muss man als Strafverteidiger irgendwie auch Unmenschliche Meinungen vertreten können.
    Dr. Heuchemer hat sicherlich gute Arbeit geleistet.
    Auch EOD.

  9. 9

    Ob sich der damalige Verteidiger jetzt ärgert? Ob der dem armseligen Gäfken damals zum erneuten Geständnis geraten hat? Das letztlich verhängte Strafmaß konnte wohl kaum ein Anreiz dafür sein. Emotional wird das Urteil wohl keinem gefallen, aber wer den Rechtsstaat ernst nimmt, dürfte das sauber begründete Urteil nicht wirklich kritisieren …

  10. 10
    unitedbrands says:

    Die spannende Frage ist doch, ob die Polizei nicht dem Täter und z.B. dem Vater des Opfers und ggf. seinen Freunden einfach einen Raum zur Verfügung stellen sollte, um sich einmal in Ruhe unterhalten zu können.

    Die wären ja alle über 32 gerechtfertigt, da das ohnehin unsinnige Folterverbotsgebotenheitsargument nicht greift. Für die Polizisten fehlt es damit an der Haupttat.

    Polizeirechtlich liegt bei richtiger Vorgehensweise schon gar kein Eingriff vor, der einer Rechtfertigung bedürfte (wenn nämlich die Polizisten einfach den Raum verlassen oder gar dabei bleiben und nichts tun). Oder aber man lässt den Täter halt einfach frei, wenn sich der Vater und entspr. Personen vor dem Dienstgebäude eingefunden haben.

    Eine Verletzung von 3 und 8 EMRK durch Handeln des Staates scheidet dann aus. Eine Verletzung der duty to protect wäre schwierig zu konstruieren und eine entsprechende Feststellung des EGMR tut auch keinem weh. Sie wäre auch äußerst zynisch, bedenkt man, dass auch das Opfer einen Schutzanspruch gegen den Staat hat, der wohl eher nicht hinter dem des Täters zurückstehen sollte. Das führt wohl dazu, dass die Polizei richtigerweise sogar verpflichtet ist, dem Gespräch zwischen Retter und Täter untätig zuzusehen.

  11. 11
    Malte S. says:

    @unitedbrands: Hm, die Polizisten, die dabei im Raum bleiben dürften durch Unterlassen handeln. Die anderen je nach Auffassung in mittelbarer Täterschäft oder durch Anstiftung / Beihilfe. Für die Verwertbarkeit dürfte auch ein solches Verhalten ein KO-Schlag sein, vielleicht sogar noch intensiver weil es geradezu vor krimineller Energie strotzt.

    Soooooo billige Umgehungsversuche traue ich selbst den „Hau-drauf-Freunden“ von der Einsatzbereitschaft oder dem SEK nicht zu… entweder ganz direkt oder deutlich unterschwelliger / verdeckter.

  12. 12
    Das Ich says:

    @ Klaus
    also so Klar war das alles nicht. Die Begründung mag aus juristischer Sicht korrekt sein, aber nicht einstimmig.
    Schon der BGH und das BVG haben da anders entschieden.Meines erachtens auch richtig.
    Selbst die erste Kammer des EugH hat so entschieden. Und wenn es eine noch grössere Kammer mit noch mehr Richtern geben würde…ich bin sicher die würden das Urteil wieder kassieren.
    Wem nützt dieses Urteil.Es war ja nochnichteinmal Folter…nur „unmenschliche Behandlung“.
    Und jetzt? Kann mir hier einer sagen was uns das Urteil bringt? Rechtsgestaltend ist es nicht.
    Das „Foltern“ und „unmenschliche Behandlung “ verboten ist, weiss jeder.
    Dieser Streit war eine Farce und ein Schlag für die Eltern des OPFERS!
    Ich kann Daschner nur Gratulieren. Er ist ein Ehrenmann.
    Solch ein Fall zeigt uns die Grenzen unseres eigenen Rechtssystems auf.
    Jeder der auf Seiten des Täters steht und ihm behilflich ist das Leben eines Opfers zu gefährden, sei es durch unterlassene Hilfeleistung (auch Rettungsfolter gehört weggesperrt oder in die Psychatrie.
    Jeder der auch nur ein Fünkchen Menschenverstand hat und das Leben respektiert, muss dieses Urteil für einen Skandal halten. (Anwälte mal ausgenommen)

  13. 13
    Detlev Lechert says:

    Herr Dr. Heuchemer hat sich um unseren Rechtsstaat enorme Verdienste erworben. Sein selbstloser Einsatz um die Wahrung der Rechte des Kindesmörders Magnus Gäfgen werden mir unvergeßlich bleiben. Alle Achtung!!!

  14. 14
    Tourix says:

    Folter oder auch die Androhung von Folter und Schmerzen dürfen nicht sein.
    Klar ! – Aber …
    Stellen wir uns mal vor, ein Kindesentführer sitzt vor uns. Dann besteht die größte Gefahr, dass das Kind verhungern, verdursten oder gar ersticken muss.
    Der Kindesentführer kann das kind ja nicht mehr versorgen.
    Auch wenn Daschner Gäfgen einfach freigelassen hätte, wäre damit zu rechnen, dass Gäfgen bestimmt nicht zum Versteck des Kindes läuft.
    Daschner musste sich somit entscheiden.
    Vollkommen auf das klare Recht und Gesetz achten und damit wahrscheinlich kaltschnäuzig den qualvollen Tod eines Jungen in Kauf nehmen,
    oder das Recht biegen (Nothilfe) und versuchen, den Jungen zu retten.
    Unser Recht ist doch eher Gutmenschentum geprägt
    und somit manchmal ziemlich kaltschnäuzig gegenüber den Opfern.

  15. 15
    Andi says:

    Als Laie verstehe ich nicht:

    Das Rechtsgut (?) „Schutz des Straftäters vor Folterandrohung“ wird höher gewertet als das Rechtsgut (?) „Recht auf Leben des Entführungsopfers“?

    Ist das so?

  16. 16
    unitedbrands says:

    @ malte:

    Die Verwertbarkeit ist im betreffenden Moment egal. Wenn ich mich entscheiden müsste, wäre es mir lieber, das Kind zu retten und den Täter ungestraft zu lassen als umgekehrt.

    Bei mir sind auch die Polizisten über 32 gerechtfertigt. Wenn man den mal durchprüft, kommt man bei einem besonnen handelnden Polizisten auch über die Erforderlichkeit hinweg. Eine Einschränkung bei der Gebotenheit, wie sie im konkreten Fall angenommen wurde, weil der Retter zufällig auch Polizist ist, erscheint mir nicht sinnvoll (damit stehe ich auch nicht alleine da). Da im konkreten Fall nach dem Landgericht Schluss war, wissen wir aber nicht, wie der BGH das sehen würde. Wenn er das aber auch so sieht wie das LG hier, muss man überlegen:

    Eine Teilnahme der Polizisten scheidet mangels Haupttat aus. Eine mittelbare Täterschaft scheidet mangels Tatherrschaft aus – der Retter ist kein Werkzeug sondern handelt eigenverantwortlich ohne Defekt im eigenen Interesse und aus eigenem Antrieb. Eine Mittäterschaft könnte problematisch sein.

    Die im Raum bleibenden Polizisten sind Garanten. Ein 240, 13 könnte aber an der Entspechensklausel scheitern oder möglicherweise (naja…) an der obj. Zurechnung (Dazwischentreten Dritter). Dann bliebe aber immernoch der 223, 224, 226 (bei mir wäre ja gleich der erste Finger ab, damit er weiß, dass ichs ernst meine), 13… Da kommt man wohl wirklich nicht sauber raus.

    Fazit ist also, dass es wohl sehr davon abhängt, wie sehr man den Polizisten unbestraft lassen will.

    Von eine „Umgehung“ kann allerdings keine rede sein, weil ja jeder Dritte unproblematisch Foltern darf, 32.

  17. 17
    Dreizwei says:

    lawblog 2.0

  18. 18
    Pascal Rosenberg says:

    @Andi: Herr Hoenig würde jetzt sagen: Nein, beide Rechte liegen gleich schwer und somit kann das eine (Recht des Entführers) nicht zum Vorteil des anderen (Recht des Opfers) gebogen werden.

    Faktisch ist es nun mal so, dass unser System zuerst einmal die Täter schützt und nicht die Opfer. Es gibt da in einigen Bussen, die in Berlin fahren schöne Plakate des Weissen Rings: „Der Staatsanwalt kümmert sich um den Täter, die Polizei kümmert sich um den Täter, der Psychologe kümmert sich um den Täter. Der Rechtsanwalt des Täters kümmert sich um ihn. Und wer ist eigentlich beim Opfer?“

    Das beschreibt die Situation hier. Oder wie wird so oft gesagt: Ein Strafverteidiger ist nicht Mutter Theresa.

    Es ist ihm vielleicht nicht egal ob da ein Kind gestorben ist, interessiert ihn aber beruflich auch eben nicht. Die Frage ist natürlich, ob Herr Hoenig auch so reden würde, hätte er ein Kind auf diese Art verloren. Das ist auch eine Frage, die man anderen Strafverteidigern stellen müsste.

    Darauf werden Sie jedoch in den seltensten Fällen eine Antwort erhalten.

    Ich persönlich finde, dass jemand, der eine wehrlose Person der Gefahr eines Todes aussetzt und den Tod dann auch noch billigend in Kauf nimmt sämtliche Rechte, die ein Rechtsstaat bietet, verwirkt hat.

    Das ist nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar, das weiß ich. Aber die Entführung und das Sterbenlassen eines Kindes sind das auch nicht. Das mag rechtsstaatlich falsch sein, was ich sage, ist aber meine Meinung. ;)

  19. 19
    Andi says:

    @Pascal Rosenberg
    Danke für Ihre Antwort. Ich kann mir als Nicht-Jurist erlauben, das ähnlich zu sehen.

    Was mich nur auch interessiert: Wie ist das juristisch? Steht das Recht des Täters nicht mit Folter bedroht zu werden tatsächlich höher oder genauso hoch wie das Recht seines Opfers zu leben?

  20. 20
  21. 21
    Uwe says:

    @ Andi:

    Über dieses Problem – man kann es auch Dilemma nennen: der Staat muss die Rechte von beiden schützen – werden vermutlich noch ganze Bibliotheken verfasst, ohne dass jemand mit einer Patentlösung wird aufwarten können.

    Der Fall Gäfgen ist da natürlich verführerisch, weil es der – damals – Tatverdächtige auch wirklich war. Schlagwortartig könnte man sagen: Was sind denn schon zwei, drei zerquetschte Finger des Täters gegen ein vielleicht zu rettendes Menschenleben?

    Was nun, wenn die Sache so liegt: Der verantwortliche Polizist stellt fest, dass dem Opfer die Zeit davonläuft, man hat aber nun einen Verdächtigen vor sich, dessen Tatbeteiligung unklar ist und der auf die Empfehlung von Herrn Hoenig und seinen Kollegen hört und zu den erhobenen Vorwürfen zunächst einmal schweigt. Dann foltert man den, um den Entführten zu finden – und später stellt sich heraus, dass der vermeintliche Täter mit der ganzen Angelegenheit in Wirklichkeit nichts zu tun hat.

    Die Einwände hiergegen sind vorhersehbar: „Foltern darf man aber nur dann, wenn es absolut sicher ist, dass der Täter vor einem sitzt.“ Was aber heißt „absolut sicher“? Wer entscheidet das? Und wer kontrolliert den Entscheider und möchte dadurch auch die Verantwortung dafür übernehmen? – Geständnisse können falsch sein, vermeintlich eindeutige Beweisanzeichen ebenso (siehe das Phantom von Heilbronn) und vor Irrtümern und Denkfehlern ist man – gerade unter Anspannung wie in solchen Fällen – ebenso wenig gefeit. So sehr sich die Kriminialistik und die Kriminaltechnik über die Zeit entwickelt haben, lässt sich so etwas nicht ausschließen.

    Und dabei ist die „Dammbruch“-These, nämlich die Befürchtung, dass recht schnell Begehrlichkeiten entstehen werden, solcherlei peinliche Befragungen dann auch in anderen Fallgestaltungen anzuwenden, wenn man nicht weiterkommt (oder ein weiterer spektakulärer Kriminalfall mit einem Opfer im Kindesalter ansteht), noch gar nicht mit in die Waagschale geworfen. Dem Glauben, so etwas ließe sich sicher einhegen, mag ich nicht recht überzeugen.

    Auch wenn dies auf leidenschaftlichen Widerspruch stoßen wird: Es ist Teil des Lebensrisikos, zum Opfer eines Verbrechens zu werden. Das kann nicht einmal ein heillos überzüchteter Polizeistaat verhindern. Ebenso wenig ist zu verhindern, dass jemand unberechtigter Weise zum Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren wird und in die oben beschriebene Situation gerät. Dagegen ist es keineswegs zwingend, dass nun jedes größere Polizeipräsidium einen Spezialabteilung für – hm – besondere Vernehmungsmethoden einrichtet.

    Deshalb denke ich: Finger weg von solchen Methoden.

    Zum Thema generell noch eine Anmerkung:

    Mit am bemerkenswertesten an der Entscheidung und – mehr noch – der Diskussion hier und anderswo ist folgendes: Sonst wird immer mit Verve bestritten, dass erstens Strafen und Strafandrohungen umso abschreckender sind, je höher sie ausfallen, und dass zweitens überhaupt eine solche generalpräventive Wirkung existiere.

    Und nun applaudiert man dem EGMR rückhaltlos, wenn er feststellt, dass die gegen Daschner verhängte Sanktion nicht abschreckend genug, weil zu niedrig gewesen sei.

    Genau diesen Widerspruch spießt übrigens auch eines der Sondervoten zu der Entscheidung auf. Lustig, nicht? ;)

  22. 22
    Andi says:

    @uwe
    Vielen Dank. Sehr nachvollziehbar.

    Ja, es ist ein Dilemma. Und ich bin sehr froh, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nie in die konkrete Lage geraten werde.

  23. 23
    Friedrich der Große says:

    Man braucht da gar nicht lange herumzuschwurbeln, unsere Bundesjustizministerin hat es auf die einfache, klare und allgemeinverständliche Formel gebracht: „Das Folterverbot gilt absolut!“

    Oder wie Prof. Ernst Benda sagte: „Gefoltert werden dürfen Verdächtige auch dann nicht, wenn die Hoffnung begründet ist, hierdurch vielleicht sogar lebensrettende Informationen erlangen zu können.“

    Die Androhung von Folter ist selbstverständlich auch Folter, in der Hinsicht ist das EGMR-Urteil leider zu milde ausgefallen.

    Eine Strafe die die sofortige Entfernung aus dem Dienst bedingt wäre das mindeste für folternde Polizeibeamte. Eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ist ein Witz, ein schlechter.

    BTW, es ist wohl noch nie das Leben eines Entführten durch polizeiliche Folter gerettet worden (in dem Sinne, daß der Entführte sonst kurzfristig gestorben wäre und keine anderen Mittel zur Verfügung standen) – die sog. „Rettungsfolter“ ist ein fiktives Konstrukt der Folter-Fans

  24. 24
    James B. says:

    Wenn W. Daschner also wirklich zur „Abschreckung aller Folterer“ ganz hart bestraft worden wäre, Höchststrafe also, was würde denn langfristig in der Deutschen Gesellschaft damit erreicht werden? Wie werden sich denn die „die Gäfgen“ aller Arten vermutlich zukünftig verhalten? Einen Vorgeschmack konnte man ja im Fall Dominik Brunner erleben. Zitat aus der SZ:
    „Noch bei seiner Festnahme trat Markus Sch. den Polizisten selbstbewusst entgegen: „Ich bin 18 Jahre alt und kenne meine Rechte“, habe er gerufen, so erinnerte sich ein Kriminalbeamter an das „trotzige Auftreten“ des jungen Mannes.“
    Nachzulesen unter

    http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/vermischtes/solln-mordprozess-in-muenchen-einer-von-vorne-und-einer-von-der-seite-1.975107

    Okay, dann mal los, das kannst Du ja noch steigern, mein Junge, Du hast ja auch nun ein ganz großes Vorbild noch dafür, eine Ikone, den „Juristen“ Magnus Gäfgen mit seinen vermeintlichen „Rechtskenntnissen“, aber nur als Kenntnisse seiner eigenen „Rechte“ ganz allein. Da kann man ja noch viel daraus machen, so kann man sogar heute berühmt und prominent werden.
    Tja, immer auch noch etwas weiter denken als andere, auch als einige Juristen, das kann doch auch nie schaden.

    meint dazu James, der Butler

  25. 25
    James B. says:

    Was ist eigentlich die staatliche Androhung und auch Anordnung von Unterbringungsmaßnahmen für einen Menschen, dem oft nichts anderes anzulasten ist, außer, daß ihn einige andere Menschen, z.B. Erbschleicher oder andere Übelwollende, nur weghaben wollen, weil er doch angeblich nicht mehr „ganz normal“ wäre? Und die sich auch eines willfährigen Psycho-„Gutachters“ dann noch bedienen? Danach pumpt man ihn auch oft mit Gewalt noch mit Psycho-Drogen voll und fesselt ihn ans Bett. Diese Fälle gibt es doch zuhauf!

    Und wer bei der nächsten Kindesentführung wieder um das Leben seines Kindes bangen muß, wie im Fall des Jakob v. Metzler, der wird dann auch gefoltert vom Staat, der da ja dann nichts mehr machen kann, außer abwarten.

    Richtig, das ist aber dann alles nicht nur eine angedrohte, sondern doch auch da schon eine ausgeführte Folter!

    James B.

  26. 26
    James B. says:

    @ „Friedrich der Große“ mit Zitat vom 11. Juni 2010 um 12:37 :

    „BTW, es ist wohl noch nie das Leben eines Entführten durch polizeiliche Folter gerettet worden (in dem Sinne, daß der Entführte sonst kurzfristig gestorben wäre und keine anderen Mittel zur Verfügung standen) – die sog. “Rettungsfolter” ist ein fiktives Konstrukt der Folter-Fans“

    Eine abenteuerliche und reine Propaganda-Behauptung ist das doch lediglich.
    Schon der Begriff „Folter“ hierbei, der damit die mittelalterliche Tortur unterschwellig unterstellt, ist schon eine Verfälschung, und hat hier auch nichts verloren, und das hatte auch der EGMR ja so festgestellt im Urteil, aber „Friedrich der Große“ zeigt sich faktenresistent, ihn ficht das ja nicht an, er will ja Propaganda verbreiten.

    Und auch durch Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs sind sehr wohl schon öfters Menschenleben auch noch gerettet worden, auch nachdem dann Täter doch noch ausgesagt hatten. Ich zitiere mal dazu:

    „Den Zeitungsmeldungen zufolge war ein Kind in Bremen entführt worden. Der Erpresser forderte, das Lösegeld aus einem fahrenden Zug, der von München nach Hamburg fuhr, auf Funksignal abzuwerfen. Nach dem Abwurf konnte der fliehende Geldabholer gestellt werden. Erst durch Zwangsanwendung nannte er das Versteck des Kindes. Eine Kiste in einer Kleingartenanlage in Frankfurt/M. Das Kind lebte noch. Im zweiten Fall bemerkte ein Villeneinbrecher, dass sich wider Erwarten in dem Haus eine Frau und deren acht Monate altes Enkelkind aufhalten. Er ändert seine Taktik, schlägt die Frau nieder und nimmt das Kind mit, um so die ver-mögenden Eltern zu erpressen. Bei der Geldübergabe wird auch er gestellt, und zwar von einem Polizeihund. Auch jetzt gibt er den Aufenthaltsort des Kindes erst nach Zwangsanwendung bekannt. Doch das Kind ist leider tot. In beiden Fällen wird von der Staatsanwaltschaft das Handeln der Polizei als rechtfertigender Notstand angesehen.“

    Quelle dazu ist:
    http://weihmann.info/images/Aufsaetze/Daschner-Urteil,%2022.4.2005.pdf

    Tja, meine Damen und Herren, einige schwadronieren offensichtlich wohl sehr gerne.

    Mit den besten Wünschen dann

    James, der Butler

  27. 27
    James B. says:

    Demnächst wird man ja voraussichtlich auch neben den unsäglichen literarischen Bemühungen des ja nun endgültig verurteilten Mörders Magnus Gäfgen – unter emsiger verlegerischer Beihilfe seines gegenwärtigen Verteidigers – auch einen der Ermittler aus Frankfurt noch zum Mord an Jakob v. Metzler lesen können. Der Verteidiger Dr. M. H. wollte ja (Zitat):

    „Was Dr. Michael Heuchemer tun wird bei einem Erfolg in Straßburg, steht schon fest: Zum Abitur hat er vom Vater, Regierungsdirektor beim Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, eine 1971er Erbacher Michelmark Trockenbeerenauslese bekommen — die wird entkorkt…“

    Vielleicht berichtet er von dieser Verköstigung ja ebenfalls wieder sehr ausführlich, oder hat er die Flasche nun doch einstweilen noch verkorkt gelassen?
    Der schlichte Hesse sagt da gewöhnlich „Mer waas es net ….“ und nippt an seinem sauer g’spritzten Äppelwoi im Gerippten, serviert natürlich vom Butler James – oder dem Lisettsche – in der alten Apfelwein-Kneipe in Frankfurt-Sachsenhausen in der Klappergass, oder aber anderswo in der Nähe von Frankfurt am Main, dem Ort des Geschehens mit der Entführung und Ermordung eines ihm bekannten arglosen 11-jährigen Kindes, das der Mörder aus reiner Geldgier und übersteigerter Geltungssucht in einen Hinterhalt gelockt hatte.

    James, der Butler

  28. 28
    Karin says:

    Ich denke, das ist so einer der Fälle, wo man sich als Bürger und als Elternteil fragt, warum überhaupt über sowas diskutiert wird. Aber aus juristischer Sicht wurde damals natürlich falsch gehandelt.