Vergeigt

Der Mandant hatte sich 2 Jahre und 4 Monate beim Amtsgericht gefangen. Während einer offenen Bewährung; dort stand noch eine Reststrafe von 1 Jahr und 3 Monaten offen. Insgesamt also eine echt düstere Perspektive. Das war vor etwa einem Jahr.

Gegen das Amtsgerichtsurteil haben wir Berufung eingelegt. Dem Mandanten habe ich eindringlich nahegelegt, sich während der Zeit bis zur Berufungsverhandlung um die Stabilisierung seiner Verhältnisse zu bemühen. Dann könnten wir es vielleicht schaffen: 4 Monate weniger und die Freiheitsstrafe könnte – theoretisch zumindest, § 56 II StGB – nochmal zur Bewährung ausgesetzt werden.

Dann kam der Bewährungswiderruf in der „alten“ Sache. Dagegen haben wir uns beschwert. Und das Oberlandesgericht (OLG), das über die Beschwerde zu entscheiden hat, zum Stillhalten bewegt. Die Oberlandesrichter wollten die Berufungsentscheidung abwarten. Die Perspektive für den Mandanten besserte sich wieder.

Die Vorgespräche mit dem Vorsitzenden des Berufungsgericht verliefen auch erfreulich. Er fand die Entscheidung des Amtsgerichts doch etwas heftig. Es hellte sich also weiter auf.

Die Hürde bestand nun „nur“ noch in dem Widerstand der Staatsanwaltschaft. Den wollten wir brechen mit dem „neuen Leben“ des Mandanten seit seiner Verurteilung: Fortbildung und konkrete Vorbereitung der Einrichtung eines kleinen Unternehmens, behördlich für gut befunden und vom „Arbeitsamt“ unterstützt; einer Inanspruchnahme weiterer Förderungsprogramme stand auch nichts mehr im Wege. Und oben drauf auch noch eine funktionierende Ehe mit einer ganz sympatischen Frau.

Mit Optimismus bin ich zum Landgericht gefahren. Die 2 Jahre zur Bewährung waren greifbar nah. Und damit auch die Entscheidung des OLG, in der alte Sache die Bewährung nicht zu widerrufen. Es hätte echt gut laufen können …

… wenn der Mandant nicht zwischenzeitlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre. Stolz zeigte er mir auf dem Flur des Landgerichts das Urteil. Ganz allein und ohne Verteidiger habe er es geschafft, daß diese 6 Monate zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Nicht berücksichtigt hatte er aber, daß diese Freiheitsstrafe mit den 2 Jahren und 4 Monaten zur Gesamtstrafe zusammengerechnet werden; der Bewährungsbeschluß eignet sich nur fürs Familienalbum. Und um darauf zu hoffen, von den (addierten) 2 Jahren, 10 Monaten doch noch auf bewährungsfähige 2 Jahre runter zu kommen, braucht man schon mehr als meinen Optimismus.

Und dann legte die Staatsanwältin auch noch einen nach. Und einen druckfrischer Auszug aus dem Bundeszentralregister auf den Tisch: Wegen vier Schwarzfahrten („Erschleichen von Leistungen“) hat es von einem anderen Amtsgericht eine Geldstrafe von 65 Tagessätzen gegeben. Ebenfalls ohne Verteidiger.

Herzlichen Glückwunsch! Das war’s dann endgültig mit der Strafaussetzung zur Bewährung. Mehr als eine Paketlösung, bei der das Sonderangebot von 2 Jahre und 7 Monate herauskam, war jetzt nicht mehr drin. Dazu kommt noch der Bewährungswiderruf des OLG, der jetzt so sicher wie das Amen in der Kirche ist.

Macht 3 Jahre und 10 Monate. Das sieht nicht gut aus für die stabilen Verhältnisse.

Manchen Leuten ist einfach nicht zu helfen.

Noch eine Anmerkung zum Schluß:
Mit etwas Engagement hätte es gelingen müssen, die beiden weiteren Verfahren, in denen der Mandant auf die Hinzuziehung eines Verteidigers verzichtet hatte, zu einem anderen Ende als zu einer Verurteilung zu bringen. Beide Fälle waren Fälle „notwendiger Verteidigung“, er hätte also jeweils einen Pflichtverteidiger bestellt bekommen, den er erst einmal nicht hätte bezahlen müssen. Ich glaube, da beißt sich heute jemand in den Hintern. Aber richtig.

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten, Verteidigung veröffentlicht.

6 Antworten auf Vergeigt

  1. 1
    BV says:

    Tja, sowas gibt’s in allen Rechtsgebieten. Der Anwalt hat gute Ideen, macht gute Arbeit und glaubt, dass er für seinen Mandanten mit etwas Glück richtig viel erreichen kann. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er aber noch nicht mit seinem Mandanten gerechnet…

  2. 2

    Der hat es nun wirklich nicht besser verdient.

  3. 3
    RA says:

    Der größte Feind des Anwalts ist der Mandant…das hat man mir schon während dem Referendariat beigebracht…

  4. 4
    Kamfpschmuser says:

    Sauber eingetütet. Für soviel Dummheit sind 3 Jahre und 10 Monate eigentlich noch zu wenig. Ob die ganz sympatischen Frau so lange wartet?

  5. 5
    Brandau says:

    Und dann auch noch wegen so einem Mist wie Fahren ohne Führerschein und Schwarzfahren. Wenn man weiß, dass es eng wird kann man darauf doch wirklich verzichten. Da kann man wirklich nichts mehr machen!

  6. 6
    MaxR says:

    Aber für 3 Jahre irgendwas wird es jetzt geregelte Verhältnisse geben. Sehr geregelte.