Unbekanntes Melderegister

Es wurde ermittelt, gegen Frau Gluffke. Die Staatsanwaltschaft bekam Post, anonym: Nicht Frau Gluffke sei diejenige, welche. Sondern Herr Brause. Sie Staatsanwaltschaft fordert die Akten von der Polizei zurück und erhebt Anklage. Gegen Herrn Brause. Keine Anhörung, kein nichts vorher.

Das Gericht stellte die Anklage Herrn Brause zu. Genauso wie ein paar Wochen später die Ladung zum Hauptverhandlungstermin. Beides ging in den Bullmannweg 23. Weil Brause dort aber seit 2004 nicht mehr wohnt, wußte er von nichts. Staatsanwaltschaft und Gericht hätten es aber wissen können müssen; schließlich enthielt die Akte eine Auskunft aus dem Melderegister.

Wer nicht zum Termin erscheint, wird verhaftet. So einfach ist das. Drei Monate später wurde Herr Brause von zwei freundlichen Polizeibeamten an seiner aktuellen Meldeanschrift in der Müstraße, seinem Wohnsitz seit 2004, gepflückt und eingetütet.

Weitere zwei Wochen später fand auf Antrag des Verteidigers ein Haftprüfungstermin statt. Der Staatsanwalt nörgelt rum, weil der Verteidiger reklamiert, daß elementare Rechte des Herrn Brause verletzt wurden. Der Verteidiger hat nun einen Freund weniger bei der Staatsanwaltschaft. Der Haftbefehl wurde aufgehoben.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemeines (Kanzlei) veröffentlicht.

12 Antworten auf Unbekanntes Melderegister

  1. 1
    Bääärbel says:

    Da hat der Staat mal wieder ein schönes Theaterstück aufgeführt. Herr Brause hat sich bestimmt riesig gefreut unnötig rund zwei Wochen im Knast gesessen zu haben.

  2. 2
    doppelfish says:

    Dafür hat der Verteidiger jetzt einen Freund mehr, irgendwo in der Müstraße. Und der Staatsanwalt hat die aktuelle Adresse – falls mal wieder ein Fresszettel ankommt, wo draufsteht, „Der Brause war’s!“.

  3. 3

    Positiv, weils deutlich macht, dass der Verteidiger alles richtig gemacht hat.
    Negativ, weils traurig ist, dass nicht irgendwelche versteckten Verfahrensregeln missachtet werden, sondern das kleine 1×1 der StPO.
    Dabei werden Staatsbedienstete doch nach Noten ausgewählt. Viele Punkte die Nichtkenntnis von Anhörungs- und sonstigen Rechten wohl gebracht hätte in der Prüfung?

  4. 4
    C.J. says:

    Freunde sind was für Weicheier.
    Was heute zählt sind Connections, Connections, Connections. ;-)

  5. 5
    rhabarber says:

    Wie, sowas passiert tatsächlich? Aufgrund eines anonymen Hinweises wird ohne weiteres für ZWEI WOCHEN verhaftet? Hallo?

    Meinetwegen kann ja auch in der Justiz – wie überall – was schieflaufen (obwohl das ja schon ein kritischer Bereich ist). Das Schlimme ist aber, dass sich dann niemand drum kümmert. Prinzipiell sollte so etwas innerhalb von zwei Tagen aufklärbar sein. Bloß ist da ja keiner zuständig, und Zeit hat auch niemand.

    Die Politiker sollten endlich mal ihre Prioritäten richtig setzen und statt Prestigeprojekten und Pseudoterrorbekämpfung Ordnung in die Justiz bringen. Genügt es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht mittlerweile im Monatstakt Untersuchungsgefangene herauspaukt, weil die Haftdauer – wohlgemerkt, U-Haft – ohne jedes Maß sind?

  6. 6
    BV says:

    Es wurde nicht aufgrund eines anonymen Hinweises verhaftet. Der Hinweis hat lediglich zu Ermittlungen geführt, die in einer Anklage mündeten. Danach kommt es praktisch zwingend zur Hauptverhandlung. Und wer da als Angeklagter nicht erscheint wird eben vorgeführt oder verhaftet. Das ist so gesehen ganz normal und überhaupt nicht zu beanstanden. Das Problem liegt hier einfach darin, dass die Staatsanwaltschaft offenbar unsauber gearbeitet hat und das Ganze Prozedere deutlich hätte abgekürzt werden können.

  7. 7
    rhabarber says:

    @6: Aus Sicht des Betroffenen sieht das so aus, wie ich das verkürzt habe. Dass es da Ladung und Verhandlung vorher gab, konnte er ja nicht wissen.

    Und das Problem liegt nicht nur daran, dass der Staatsanwalt „unsauber“ gearbeitet hat. Wenn Staatsanwälte „unsauber“ arbeiten, werden Leute zu Unrecht eingesperrt. Deswegen sollte die Arbeitslast von Staatsanwälten nicht so hoch werden, dass sie „unsauber“ arbeiten.

    Ich weiß zu wenig von der Arbeitsteilung der Justiz, aber anscheinend verlässt sich dann wiederum der Richter (der auch gut zu tun hat) auf den Staatsanwalt. Und der Postzusteller (oder macht das ein Gerichtsvollzieher?) natürlich auch auf die richtige Adresse, die der Staatsanwalt eingesetzt hat. Und als der Richter den Haftbefehl erlassen hat, hat er auch nicht nochmal gestutzt, sondern sich blind auf den Staatsanwalt verlassen. Die ausführende Polizei und das Personal der JVA, der der Häftling sicher auch sein Leid klagt, verlassen sich wiederum blind auf den Richter. Dass es in solchem Fall erst einer Haftbeschwerde bedarf, ist ein Skandal. Menschen mit geringerer Beschwerdekraft wären wahrscheinlich einfach bis zur Verhandlung still und leise eingesperrt geblieben.

    Wenn die Nachlässigkeit einer einzelnen Person, die anscheinend auch oft überlastet wird, zu solchen Ergebnissen führt, dann ist das kein Zufall und kein „unsauberes Arbeiten“, das ist in Kauf genommener Kollateralschaden.

  8. 8
    Das Ich says:

    Als erstes würde ich mir mal die Adresse des Staatsanwaltes besorgen;-) Ein Schelm wer hier böses denkt.

  9. 9
    Kand.in.Sky says:

    Zwei Leser, ein Gedanke…

    Ich wäre für die Einführung von Prügelstrafen für solche kompetenten Staatsanwälte, alternativ einen Termin beim Gesundheitsamt zur Überprüfung des Geisteszustand.

    Unfassbare Geschichte sowas..!

    #k.

  10. 10
    Hans says:

    Das soll wirklich alles so passiert sein?

    Anklage allein aufgrund anonymer Beschuldigung und ohne den Beschuldigten überhaupt davon zu unterrichten, dass ein Ermittlungsverfahren läuft, und ohne den Versuch einer verantwortlichen Vernehmung?

    Zwei förmliche Zustellungen (Ladung + Anklageschrift) an einer Adresse, an der der Angeklagte seit 4 Jahren nicht mehr wohnt?

    Vorführung beim Richter (§ 115 StPO), ohne dass über all dies gesprochen worden wäre?

    Extrem unwahrscheinlich. Natürlich, shit happens, auch in der Justiz, aber dass sich gleich ein halbes Dutzend solcher seltenen Fehler kumuliert haben sollen, glaube ich schlicht nicht.

  11. 11

    @ Hans:
    Sie glauben dann gewiß auch an die Gerechtigkeit der Urteile, die in Moabit gefällt werden?

  12. 12
    Anton Hosenträger says:

    leider auch in Österreich möglich: „Zugleich verwies Pleischl jedoch auf die „strukturelle Überlastung“ bei den Anklagebehörden, die notgedrungen Fehleranfälligkeit mit sich bringe.“

    gesehen in: „Justizirrtum: Mann zum Tatzeitpunkt in Haft“ auf http://wien.orf.at/stories/302992/