In dubio contra reo

Die Polizei versuchte, einen Motorradfahrer anzuhalten. Dieser hatte sich verbotswidrig an einer langen Schlange Autos, die vor einer roten Ampel warteten, vorbei in die „pole position“ gemogelt, startete damit auch als erster bei grün und „beschleunigte … sehr stark (Aufheulen des Motors mit hoher Drehzahl)„. Deswegen gelang es den Beamten auch nicht mehr, hinter den 180 japanischen PS herzukommen. Eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung, ein Rotlichtverstoß und dann die Flucht über einen Kaufhausparkplatz zwischen Kunden und Einkaufswagen hindurch folgten. Der Motorradfahrer wurde nicht angehalten.

Halter des Kraftrads ist ein Motorradhändler. Mein Mandant hatte sich das flüchtige Motorrad ausgeliehen, bestreitet aber der Flüchtling gewesen zu sein. Ihm wurde vom Amtsgericht per Beschluß gleichwohl am 15.8.05 die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen, da die Amtsanwaltschaft und das Gericht von seiner Täterschaft überzeugt waren.

Ich habe mit dieser Beschwerde am 3.9.05 dagegen gehalten, weil ich die Beweise keineswegs für eindeutig halte. Die Beschwerde wurde vom Landgericht knapp 3 (!) Wochen später mit diesem Beschluß als unbegründet verworfen.

Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) lautet:
„Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“

Ah-ja. Und Käse ist ein Gemüse?!

Dieser Beitrag wurde unter Allgemeines (Kanzlei) veröffentlicht.

11 Antworten auf In dubio contra reo

  1. 1
    Gabriel says:

    Worauf wollen Sie hinaus? Dass § 111a StPO gegen die Unschuldsvermutung verstößt und deshalb verfassungswidrig ist bzw. gegen die EMRK verstößt? Im technischen Sinne „bewiesen“ ist die Schuld zu dem Zeitpunkt nämlich nie.

    Oder wollen Sie nur ein gutes Wort für die Wahrheit der Einlassung Ihres Mandanten einlegen? O.K., das ist Ihr Job – aber mir hätte der Umstand, dass Ihr Mandant das Motorrad 15 Min. vor und nach der Tat erwiesenermaßen im Besitz hatte, auch genügt, jedenfalls „vorläufig“.

  2. 2
    Ingmar Greil says:

    Kleine I-Tüpferlreiterei, wenn Sie gestatten: Meine Lateinkentnisse sind zwar auch schon ein wenig eingerostet, aber ich glaube micht zu erinnern, dass „contra“ (anders als „pro“) nicht den Ablativ erfordert. Korrekt wäre also wahrscheinlich „… contra reum“.

    Am Inhalt ändert das natürlich nichts :-)

  3. 3

    @Gabriel:

    § 111 a StPO ist schon verfassungskonform. Aber die Norm verlangt „dringende Gründe für die Annahme …, daß die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.“ Und die „dringenden“ Gründe sehe ich nicht, weil die Alternativen zu dem festgestellten Sachverhalt vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen nicht sonderlich unwahrscheinlich sind.

    Es gibt eben viele Interessenten für eine Probefahrt mit der neuen GSXR 1000, aber nicht alle haben die erforderliche Fahrerlaubnis dazu.

  4. 4

    @ Ingmar Greil:

    Ich bin beim Versuch, das „Große Latinum“ zu erhalten, wohl zu Recht gescheitert. ;-) Wer hilft uns weiter?

  5. 5
    MM says:

    Ich habe „contra legem“ gefunden, und notiere, dass i-Tüpfelchen in Österreich i-Tüpferl heißt. Wird es denn in Deutschland nicht doch ein Pickelchen geben?

  6. 6
  7. 7
    Administrator says:

    Ok, richtig scheint „reum“ zu sein. Der Sprachgebrauch (vulgo: google) meint „reo“. Vorschlag (auf Grundlage des Links von 6.): Einigen wir uns auf: In dubio pro secco?
    Salute! ;-)

  8. 8
    O.Vogt says:

    Sehr geehrter Herr Hoenig,
    ich verstehe Ihre frustration leider nur begrenzt. Zum einen hat Ihr Mandant eine Erklärung unterzeichnet – vor Antritt der Probefahrt- und damit kann sein Besitz an dem Motorrad auch bejaht werden, es sei denn, Ihm sei sie in dieser Zeitspanne abhandengekommen – Beweislast trägt dann aber Ihr Mandant und nicht mehr die Staatsanwaltschaft.
    Zum anderen wenn man Ihren Gedankengang weiterverfolgt, wie soll der subj.TB nachgewiesen werden, wenn nicht auch durch Indizien ?

  9. 9
    RA Hoenig says:

    Sehr geehrter Herr Vogt.

    Der Beschuldigte hat das Krad 5 Minuten nach Antritt abgegeben und 5 Minuten vor Rückgabe wieder zurückbekommen. In der Zwischenzeit ist ein Dritter (Verwandter oder jemand ohne Fahrerlaubnis) gefahren. So lautet die Einlassung. Es steht danach der *objektive* Tatbestand nicht fest.
    Die Einlassung ist nicht widerlegt und es kann auch nicht verlangt werden, daß der Beschuldigte seine Rechte aus § 55 StPO aufgibt, um sich gegen den Vorwurf zu verteidigen. Eine Beweislastumkehr wie im Zivilrecht kennt die StPO (bzw. ich) im übrigen nicht. :-)

  10. 10
    RA Groß says:

    Lieber Herr Kollege Hoenig,

    aber die „richterliche“ Überzeugung gibt’s halt als Joker, der „in dubio pro reo“ sticht!

    In aus Erfahrung geborenem Mitgefühl

    Ihr

    U. Groß

  11. 11
    Bernhar Kaiser says:

    Sehr geehrter Herr Hoenig,

    Meinen größten Respekt für das Geleistete. Sie haben ganze Arbeit geleistet und können sich meiner Empfehlung innerhalb meiner Motorradclubs sicher sein.

    Hiermit möchte ich mich nochmal bei einem großartigen Verteidiger bedanken.

    Gruß Bernhard Kaiser