Diesmal keine Rechtsbeugung in Eisenhüttenstadt

Es ging um angebliche rassistische Entgleisungen der Richterin am Amtsgericht Eisenhüttenstadt, Frau Petzoldt.

In der gemeinsamen Presseerklärung des RAV, des Deutschen AnwaltVerein und des VdJ Anfang Juli 2013 hieß es:

Die Richterin hatte in mehreren Urteilen gegen Asylsuchende – die von der Richterin als „Asyltouristen“ bezeichnet werden – Freiheitsstrafen wegen illegaler Einreise verhängt und dies im Wesentlichen damit begründet, dass der Zunahme des „Heeres der Illegalen“ in Deutschland begegnet werden müsse. Schließlich kämen die Flüchtlinge nach Deutschland, „um Straftaten zu begehen“, was dann dazu führe, dass in Deutschland Spannungen entstünden, die sich „durch weitere Straftaten entladen“ würden.

Der Völkerrechtler, Prof. Dr. Andreas Fischer Lescano, stufte diese Äußerungen der Richterin in der Sendung „Report Mainz“ als strafrechtlich relevant ein.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) vertritt eine andere Ansicht. Die gegen die Richterin eingeleiteten Ermittlungen – u.a. wegen Rechtsbeugung – wurden eingestellt. Der Sprecher der Staatsanwalt Ulrich Scherding teilte am Mittwoch mit:

„Es haben sich bei der Überprüfung von Urteilen keine Hinweise auf Straftaten ergeben.“

Das ARD-Magazin „Report Mainz“ berichtete in einem (unbedingt sehenswerten!) Beitrag darüber, die Richterin brauche lediglich nur 15 Minuten, um in einer Hauptverhandlung Asylsuchende zu Haft oder Geldstrafe zu verurteilen. Sie soll ihre Schnellurteile unter anderem damit begründet haben, dass Flüchtlinge «Asyltouristen» seien, deren Zunahme begegnet werden müsse.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ist der Ansicht, daß in diesem Zusammenhang der Begriff „Asyltouristen“ auch keine Beleidigung sei. Sondern eine Feststellung der Richterin, basierend auf ihren beruflichen Erfahrungen.

„Berufliche Erfahrungen“. Mir fällt dazu ein anderer Begriff ein.

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

13 Antworten auf Diesmal keine Rechtsbeugung in Eisenhüttenstadt

  1. 1
    Bert Grönheim says:

    In München läuft der NSU-Prozess, ein paar Kilometer weiter östlich hat man scheinbar noch immer nichts begriffen. Gibt es gegen die Einstellung ein Beschwerderecht?

  2. 2
    Rolf says:

    Ich weiß schon wieso ich mein Westberlin immernoch bevorzuge.

    Hier ist zwar auch nicht alles Gold was glänzt, aber besser als Brandenburg bzw Frankfurt Oder alle male

  3. 3
    Bulli says:

    Mit der Wende wurden die Menschen nicht ausgewechselt oder heiß gewaschen. Die Köpfe sind die Gleichen, nur 24 Jahre älter. Neues System, alte Denke, alte Strukturen.

    Und das Argument „neue Generation“ zieht auch nicht, da diese von der alten Generation ausgebildet wurde und es vorgelebt bekam.

    Nee, in den neuen Bundesländern wundert mich gar nichts mehr. Früher war ich da wirklich optimistisch, die Realität hat mich aber eingeholt.

  4. 4
    Frank Meyer says:

    Also dass ein Bremer Völkerrechtsprofessor – das sind die, die sich mit den Rechtsproblemen beschäftigen, die die Staaten untereinander (!) haben – hier meint: „Also so dass ich denken würde, dass da strafrechtliche Tatbestände möglicherweise durch diese Urteile erfüllt sein können“ – das reicht jetzt schon als Nachweis schwerer Straftaten??

  5. 5
    schneidermeister says:

    Der verlinkte Report-Bericht zeigt eigentlich schon in der Unterschrift „Flüchtlinge genießen …Schutz vor Haft und vor allem vor Strafverfolgung“, dass die Reporter sich entweder nicht im geringsten über die geltende Rechtslage und -praxis in Deutschland (Thema Sicherungs- und Abschiebehaft) informiert haben oder aber bewusst verschweigen, was tatsächlich bei illegaler Einreise über einen Nachbarstaat mit Asylbewerbern passiert.
    Journalist darf sich eben jeder nennen…

  6. 6
    FELLNER, Arne Karl says:

    Es wundert mich sehr, daß es Juristen gibt, die es wundert, daß Rechtsbeugung durch Justizjuristen begangen, nicht bestraft werden. Deshalb fordere ich digitale Prozessbeob8ung, denn wenn sich Juristen selbst überwachen, können auch Trainer im Radsport die Dopingkontrollen übernehmen.

  7. 7
    nachtschattengewächs says:

    Ähem, bei allem Respekt: war den Beteiligten § 95 AufenthG bekannt und der Umstand, dass es dort nicht allzuviel zu prüfen gibt? Eingereist, kein Titel, und fertich? Jedenfalls die 15 Minuten finde ich jetzt eher nicht so spektakulär… Ob man die Urteilsbegründung mit abwertenden politischen Kommentaren versehen muss, ist eine andere Frage und könnte Anlass für dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen sein. Aber wo ist die Rechtsbeugung? Bei wiederholtem Verstoß gegen § 95 AufenthG und einer beim besten Willen ungünstigen Sozialprognose liegt eine Freiheitsstrafe nicht völlig fern… nur, dass es dazu ja in der Regel gar nciht kommt, weil man die Leute schon vorher ab- bzw. zurückgeschoben hat. Deshalb: was habe ich verpasst? Und: kann mal bitte irgendjemand das Gesetz ändern?

  8. 8
    jj preston says:

    DDR 2.0

  9. 9
    RA Trebur says:

    Zugegeben: bei § 95 AufenthG gibt es nicht viel zu prüfen. Gleichwohl erscheinen 15 Minuten pro Verhandlung doch arg knapp um die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Angeklagten und dessen Motivationslage festzustellen (§ 46 StGB). Meiner Erfahrung nach haben selbst sog. „Asyltouristen“, die hier einreisen, obwohl objektiv kein Asylgrund vorliegt, oftmals menschlich nachvollziehbare Motive und reisen in gutem Glauben und mit Hoffnungen ein. Niemand verläßt leichtfertig seine Heimat und reist tausende Kilometer in ein ihm fremdes Land, um „Asyltourismus“ zu betreiben. Aber die wahre Geschichte hinter der „Tat“ wollen Richter/innen wie die Dame aus Eisenhüttenstadt zumeist nicht hören.

    Ein Mandant sagte kürzlich, nachdem ihm routinemäßig das letzte Wort erteilt worden war und er gefragt wurde, ob er noch etwas zu sagen habe: „Nur wenn Sie mir gestatten, einige Minuten lang meine Geschichte zu erzählen, sonst ergibt das keinen Sinn.“ Die Zeit wurde ihm augenrollend gewährt. Seine Geschichte war ergreifend und erschütternd. Er erhielt trotzdem die „Standardstrafe“, ohne jede Berücksichtigung seiner Motive.

    Ich bin zwar kein gehässiger Mensch, wäre aber gar nicht traurig, wenn solche Richter einmal auf Urlaubsreise im Ausland in die Mühlen der dortigen Justiz gerieten. „Dolmetscher? Pflichtverteidiger? Der versteht doch alles, der tut nur so…“.

  10. 10
    Verkehrsteilnehmer says:

    @ Bulli
    Um die konkrete Personallage in Frankfurt (Oder) weiß ich nichts – aber ihre Verallgemeinerung „Neues System, alte Denke, alte Strukturen“ für alle fünf neuen Bundesländer kann ich so nicht stehenlassen.

    In Sachsen (wie gewiss auch in den anderen vier Ex-DDR-Ländern) wurden sämtliche Führungsstrukturen durch ‚Aufbauhelfer‘ aus der alten Bundesrebublik besetzt und sind es teilweise heute immernoch.

    Hier in Dresden waren von König Kurt bis zum Zoo-Direktor nahezu alle Führungspositionen westlich ‚besetzt‘.

    Gerade die Justiz wurde nach der Wende – zu Recht – völlig neu aufgebaut – mit Hilfe von Westbeamten. Dazu kamen dann noch während des Ämter- und Behördenaufbaus ab 1990 die ersten 3 Legislaturperioden eine absolute Mehrheit für die CDU.
    Es dürfen gern Vergleiche mit Bayern gezogen werden.

    Für den rechtschaffenden westlichen Bürger liest sich das immer so schön selbstgerecht: „Diese ehemalige Zone – immernoch alles Stasi und alte Seilschaften.“
    Die Seilschaften gibt es, und zwar nicht zu knapp, an den Knotenpunkten sitzen aber meist Zugreiste oder Zöglinge aus den vergangenen 23 Jahren..

  11. 11
    nachtschattengewächs says:

    @Nr. 9:
    Das Problem ist m. E., dass man die „wahre Geschichte“ leider fast gar nicht würdigen darf. Das deutsche Asylrecht und die begleitenden Strafgesetze sind, fürchte ich, „Verhinderungsasylrecht“, und die Möglichkeiten, die – politisch gewollten – Härten des Gesetzes abzumildern, sind m. E. begrenzt. Was trotzdem niemanden daran hindern sollte, Angeklagte in jeder Verfahrenssituation, egal was den Hintergrund anbelangt, anständig und mit Respekt zu behandeln.

    Zumal viele illegal eingereiste Menschen schlicht nur das gleiche wollen wie man selbst: in einer leidlich sicheren Umgebung unter dem Schutz eines im Großen und Ganzen wesentlich besser als im Herkunftsland funktionierenden Rechtsstaates mit wirtschaftlichen Möglichkeiten leben, arbeiten (sehr viele wollen nichts als – legal – arbeiten) und sich eine Existenz aufbauen.

    Trotzdem: wenn jemand zum dritten oder vierten Mal sich hat erwischen lassen, naturgemäß weder einen festen Wohnsitz noch eine sichere Arbeitsstelle vorweisen kann, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (aus menschlich höchst nachvollziehbaren) Gründen immer wieder versuchen wird, in die BRD zurückzukehren und – gerade weil das deutsche Recht ihm jegliche Möglichkeit vorenthält, bei „illegaler Einreise“ eine „legale Existenz“ aufzubauen – nicht viel außer seiner einnehmenden Persönlichkeit und eben politisch nicht gewollter Mitmenschlichkeit strafrechtlich gesehen für ihn spricht – der Ermessensspielraum bezüglich der Straffolge ist dann denkbar gering. Und dann ist die Enttäuschung umso größer, wenn sich die Gerichtsperson tatsächlich für die Geschichte hinter dem Menschen interessiert hat. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es klug ist, Erwartungen zu wecken, von denen man weiß, dass man sie wegen Bindung an Recht und Gesetz nicht erfüllen kann. Selbst wenn der einnehmendste, anständigste Illegale vor mir sitzt, dem ich mit ganzem Herzen helfen möchte, darf ich, wenn ich nicht tatsächlich Rechtsbeugung begehen will, nicht von einer Anwendung des geltenden Rechts absehen, und zwar selbst dann nicht, wenn ich das Gesetz persönlich für politisch falsch, aber verfassungsgemäß erachte. Deshalb: 15 Minuten mit Dolmetscher durchaus sportlich, aber, da es einfach nicht viel zu fragen gibt, werden viel mehr als 30 – 45 Minuten wohl auch nicht bei anderen Richtern angesetzt werden können, wenn man – worauf der Bürger ja auch ein Recht hat – das Dezernat nicht explodieren lassen will und jedem das Recht auf ein zügiges Verfahren gewähren möchte.

    Und, bitte nicht vergessen: es gibt unglaublich viele Menschen, bei denen einem die Entscheidungen des Gesetzgebers zum Aufenthaltsrecht unglaublich hart erscheinen. Aber auf der anderen Seite gibt es, wie immer, auch diejenigen Menschen, die illegal einreisen, ihren Ehrgeiz darin zu legen scheinen, möglichst viele Strafgesetze in möglichst kurzer Zeit zu brechen, und, werden sie angeklagt oder erscheinen in anderem Zusammenhang vor Gericht, großen Wert darauf legen, dass der deutsche Staat gar nicht so hart reagieren könne, dass sie auf Grund ihrer harten Lebensschule in irgendeiner Form davon beeindruckt sein könnten.

    Wie gesagt: jeder (im Übrigen selbst der Richter) verdient eine respektvolle und anständige Behandlung.

    Es dürfte aber in jedem Fall darum gehen, das richtige Maß zu finden. „Asyltouristen“ ist in dieser Form pauschal sicherlich nicht richtig, rein spekulative, nicht durch einen BZR-Auszug gedeckte Erwägungen zur beabsichtigten Begehung von Straftaten, auch dann, wenn die Strafzumessung nicht darauf gestützt wird, dürften unnötig und außerdem u. U. Ausdruck einer politisch problematischen Gesinnung sein. Aber vor allem wegen der Bezeichnung, des Hinweises auf den Umstand, dass viele Illegale (wenn auch sicherlich nicht aus freien Stücken) weitere Straftaten begehen, um sich ihren Aufenthalt zu finanzieren, und der Verhandlungslänge gleich jemanden unter voller Nennung des Namens und des Dienstortes einer Straftat zu verdächtigen und die zuständige Staatsanwaltschaft gleich mit, könnte, auch berechtigte Skepsis zugutegehalten, das rechte Maß überschreiten.

  12. 12
    nachtschattengewächs says:

    Ähem, der vorige Kommentar richtete sich natürlich nicht nur an Nr. 9.

  13. 13
    jansalterego says:

    @ nachtschattengewächs:
    Auch die Straftatbestände aus dem AufenthG sind Strafrecht, auch hier gilt für die Strafzumessung § 46 StGB, weswegen die „wahre Geschichte“ nicht nur berücksichtigt werden darf, sondern für ein rechtsfehlerfreies Urteil berücksichtigt werden muss. Auch noch bei der x-ten Hauptverhandlung.

    Das auf Druck der Neonazis 1993 umgestaltete deutsche Asylrecht ist sicher eines der reformbedürftigsten Rechtsgebiete, auch die Anwendung ist aber relevant und die Entscheidungsspielräume sind dann doch nicht so klein. Ich hätte als Richter keine Probleme damit, die Verhandlung im wesentlichen damit zu verbringen, den Staatsanwalt zur Zustimmung zu einer Einstellung nach § 153 StPO zu bewegen. Für deren Voraussetzungen aber ist die „wahre Geschichte“ durchaus relevant.

    Die Richterin dagegen hat gezeigt, wes Geistes Kind sie ist, als sie die Morde der Nazis mit den (befürchteten!) Straftaten von Asylbewerbern gerechtfertigt hat (anders ist die oben zitierte Aussage nicht zu verstehen) und verdient deshalb nicht allzu viel Mitleid.