Warum ich nichts darüber schreibe

Nur ein Detail: Walter Groß, 1. Vorsitzender des Bayerischen Richtervereins, schreibt einen offenen Brief an Prof. Dr. Henning Ernst Müller:

Allerdings sollte ein Rechtswissenschaftler in diesem Zusammenhang nicht unter den Tisch fallen lassen, dass der Bundesgerichtshof dieses Urteil in der Revision geprüft und weder Rechts- noch Verfahrensfehler – auch nicht in der Beweiswürdigung – festgestellt hat.

Walter Groß ist Vizepräsident des Amtsgerichts Nürnberg. Es kennt die Belehrung von Zeugen, die er zu Beginn ihrer Vernehmung zur Wahrheitspflicht ermahnt. Wie jeder Richter wird auch Herr Groß seine eigene Standardformulierung haben. Inhaltlich sind diese Belehrungen aber identisch. Im Strafprozeß sind die Essentialia in § 57 StPO geregelt.

Vor der Vernehmung werden die Zeugen zur Wahrheit ermahnt und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage belehrt.

Herr Groß wird hunderte Male „seine“ Zeugen ausdrücklich darauf hingewiesen haben, daß auch unvollständige Aussagen Falschaussagen – umgangssprachlich: Lügen – sein können.

Unter dieses Licht möchte ich den oben zitierten Satz des bayerischen Richters stellen, dem Prof. Müller wie folgt entgegen tritt:

Dass der BGH die Entscheidung des LG Nürnberg bestätigt hat, steht [… fest]. Die Revisionsentscheidung des BGH ist nicht veröffentlicht. Ob und ggf. welche Teile des Urteils vom BGH auf Rechts- und Verfahrensfehler überprüft wurden, war mir bislang nicht erkennbar, da diese Prüfung, wie Sie wissen, von den Revisionsrügen und deren Begründung abhängig ist. Ich habe nun aufgrund Ihrer Mitteilung recherchiert, wie die Entscheidung des BGH lautet. Nach dem Ergebnis dieser Recherche wurden infolge der Revisionsrügen Rechtsfehler, aber, entgegen Ihrer Darstellung, keine Verfahrensfehler geprüft (1 StR 6/07 vom 13.02.2007). Die Entscheidung erging nach § 349 Abs.2 StPO, also ohne schriftliche Begründung.

Ich kenne die Details nicht. Aber die Gegenüberstellung dieser beiden Zitate führt mich zu der Schlußfolgerung, daß der Richter … etwas nicht ganz richtig, unvollständig … dargestellt hat. Zwar nicht in einer gerichtlichen Beweisaufnahme, sondern in einer öffentlichen Diskussion. An der Qualität seiner Mitteilung ändert das nichts, sie erscheint schlicht falsch. Nur die Konsequenzen sind andere.

Nicht ganz ohne Grund formuliert die Mainzer Rechtsanwältin Heidrun Jakobs ihre Vermutung, daß sich aus diesem Verfahren in Bayern der „wohl größte Justizskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte“ entwickeln könnte. Wenn das an dieser Stelle schon so losgeht …

Es stehen sich zwei unerbittliche Gegner gegenüber:

Auf der einen Seite der Verurteilte, den ein bayerisches Gericht einmal grundlegend, dann seitdem jährlich wiederholt in verschiedene forensisch-psychiatrische Kliniken geschickt hat. Es gibt viele Menschen, die sich nun zu Wort melden, denen ähnliches widerfahren ist. Dieser Gruppe gemeinsam ist, daß sie sich von der Justiz ungerecht behandelt fühlen. Was dran ist an diesen „Gefühlen“, ist in aller Regel nicht mehr prüf- und belastbar.

Denn auf der anderen Seite stehen Richter und Staatsanwälte, die felsenfest davon überzeugt sind, daß sie gerecht gehandelt und keine Fehler gemacht haben KÖNNEN. Auch wenn es Fakten en masse gibt, alte und neue: An der einmal rechtskräftigen Entscheidung halten sie fest … auf Teufel komm raus.

Selbst ein intaktes Hymen kann bei Richtern keine Zweifel an der „Tatsache“ hervorrufen, daß die im rechtskräftigen Urteil einmal festgestellten vielfachen brutalen Vergewaltigungen durch zwei erwachsene Männer stattgefunden haben. Und wenn in einem Urteil einmal festgeschrieben steht, daß die „Mörder“ ihr Opfer zerstückelt und Hunden und Schweinen zum Fraß vergeworfen haben, dann ändern diese Richter ihre Ansichten auch dann nicht, wenn man die nach einem Unfall relativ unversehrte Leiche findet.

Und dann gibt es noch eine Gruppe von Insidern, die solche Verfahren sehr gut nachvollziehen können. Nicht stets in den hier geschilderten Ausmaßen, sondern vielfach im Kleinen und bei wenig öffentlichkeitswirksamen Verfahren. Dieser Gruppe gehören Strafverteidiger an, die immer wieder an die Grenzen ihrer Möglichkeiten herangeführt werden, weil Richter und Staatsanwälte eben mit einer „Staatsgewalt“ ausgestattet sind, die im Zweifel kaum zu überwältigen ist.

Wer sich vorbereiten will auf das, was sich nun in diesem Fall Mollath entwickeln wird, kann sich die beiden oben beschriebenen Fälle anschauen. In diese Reihe gehört dann auch das Berliner Verfahren der ehemaligen Arzthelferin, die nach ihrer Verurteilung wegen Vatermordes und 888 Tage Untersuchungshaft freigesprochen wurde.

Mich regen solche Fällen zu sehr auf, als daß ich darüber berichten möchte. Und mit lügenden Richtern will ich auch nichts zu tun haben.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Richter, Staatsanwaltschaft veröffentlicht und mit den Begriffen verschlagwortet.

9 Antworten auf Warum ich nichts darüber schreibe

  1. 1
    Matthias says:

    Lügende Richter gibt es doch gar nicht.
    Sagte der BGH
    Und die Bayern klagten den Rechtsanwalt an, der das in der Revision behauptete.
    Und sonst gilt:
    Rechtskraft geht vor Recht.

  2. 2
    Gerhard says:

    Herr Professor Müller scheint der Ansicht zu sein, dass Fehler in der Beweiswürdigung nur auf eine Verfahrensrüge hin in der Revision geprüft würden.

    Herr Professor Müller scheint zudem der Ansicht zu sein, dass aus der Tatsache einer Beschlusszurückweisung nach § 349 II StPO abzuleiten sei, dass nur eine allgemeine Sachrüge erhoben worden ist.

    Beides wird Herr Hoenig vermutlich besser wissen.

    Warum er trotzdem meint, der Richterverbandsvorsitzende „lüge“, ist sein Geheimnis.

  3. 3
    Gabriele Wolff says:

    Es bleibt nachzutragen, daß es so gut wie kein erfolgreiches Wiederaufnahmeverfahren gibt, dessen zugrundeliegendes Fehlurteil nicht zuvor vom BGH bestätigt worden wäre.
    Qualitätssiegel sind unbegründete Verwerfungsbeschlüsse nach § 349 II StPO jedenfalls nicht.

  4. 4
    stimmviech says:

    Jedenfalls kommt Mollath ohne Lügen nicht mehr aus der Forensik heraus.

    Und das gilt vermutlich sogar trotz des öffentlichen shitstorms gegen die Justiz. Man steht in Treue fest zueinander und entläßt lieber gefährliche Täter, die zu lügen und zu schmeicheln verstehen.

  5. 5

    […] Walter Groß, der zugleich auch Vizepräsident des Amtsgerichts Nürnberg ist, es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, wenn er meint, der Bundesgerichtshof habe Verfahrensfehler im Mollath-Urteil […]

  6. 6

    Ich sehe diesen Blogeintrag jetzt erst.

    • Und ich habe Ihren Kommentar leider erst jetzt (1.12.12 / 21:40 Uhr) im Spamfilter gefunden. Pardon. crh

    Zu Gerhard:
    1. Nein, ich bin nicht der von Ihnen vermuteten Ansicht. Dennoch wäre in dem Fall eine Verfahrensrüge/Aufklärungsrüge sinnvoll gewesen, denn weder wurde die Ärztin als Zeugin gehört noch wurde bei der Verlesung des Attests dessen Datum verlesen.
    2. Ich weiß, dass lediglich die Sachrüge erhoben wurde, das habe ich nicht aus § 349 II zurück geschlossen, wie kommen Sie denn darauf? In der Begründung der Sachrüge wurden die von mir angeführten Lücken in der Aufklärung/Würdigung nicht benannt. Der BGH hat sich aber auch erkennbar nicht die Mühe gemacht, aufgrund der allg. Sachrüge überhaupt über Beweislücken nachzudenken.

    Zum Offenen Brief des bayrischen Richtervereins:
    Die mir (fälschlich) vorgeworfene Aufforderung zum Rechtsbruch einer von der Politik veranlassten Prüfung erfolgt nun durch Herrn Seehofer und durch die Ministerin selbst. Zudem warf man mir vor, meine Urteilskritik fördere Verschwörungstheorien. Bislang hat sich der Bayerische Richterverein weder für seine Vorwürfe entschuldigt, noch hat er dieselben Vorwürfe gegen die Staatsregierung erhoben. mal abwarten, ob das eine oder andere noch kommt.

    Henning Ernst Müller

  7. 7
    O.García says:

    War schon der Offene Brief daneben, so ist die gestrige Pressemitteilung von Walter Groß nur noch dreist:

    http://www.bayrv.de/

    Der zutreffenden Stellungnahme von Prof. Müller – gegen den Groß wieder stänkert („beauftragter oder selbsternannter Experten“) – auf http://blog.beck.de/2012/11/29/fall-mollath-wie-geht-es-weiter (2. Nachtrag) ließe sich einiges hinzufügen.

    Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Vereinsmitglieder wirklich mehrheitlich glücklich damit sind, wie der Vizepräsident des in das Justizversagen verstrickten AG Nürnberg seine Stellung als Erstem Vorsitzenden des Vereins in dieser Weise instrumentalisiert.

    In seinem Offenen Brief von letzter Woche hatte Groß Prof. Müller noch für Äußerungen hart angegriffen, die hinter den jetzigen Äußerungen des Ministerpräsidenten zurückbleiben. Da Groß aber nicht den Mut hat, den Ministerpräsidenten offen anzugreifen, schießt er wie ein Amokläufer auf alles, was sich bewegt, insbesondere die Medien. Sogar zum nochmaligen Hervorkramen des Kampfbegriffs „Verschwörungstheorien“ ist er sich nicht zu schade.

    Aber was allem die Krone aufsetzt ist, daß er tatsächlich versucht, der Öffentlichkeit weiszumachen, daß sich auch ohne öffentliche Aufmerksamkeit etwas im Fall Mollath bewegt hätte.

    Eines Gute hat die Pressemitteilung immerhin, nämlich daß sie nur das Gegenteil von dem bewirken kann, was Groß beabsichtigt: Daß nun genauer nachgesehen wird, wie es um die richterliche Unabhängigkeit bestellt ist. Das Grundproblem im Fall Mollath ist ja, daß sie gerade fehlte. Richter, die die Wahrheitsfindung praktisch in die Hände von Psychiatern legen, sind nicht unabhängig.

  8. 8

    […] in einem Beitrag zu meinem Artikel kommentiert nun „OG“ die Pressemitteilung des Bayerischen Richterverbands […]

  9. 9
    Walter Keim says:

    Richter sind laut Grundgesetz dem Gesetz unterworfen, das der Gesetzgeber verabschiedet. Hier haben Richter gegen Gesetze gehandelt ohne dass der Bundesgerichtshof Verfahrensfehler und Beweiswürdigung geprüft hat. Gemäß Art. 20 (2) GG geht „Alle Staatsgewalt (…) vom Volke aus“. Urteile werden im Namen des Volkes abgegeben. In Bayern werden Richter von der Exekutive angestellt, befördert und unterliegen ihrer Dienstaufsicht. Deshalb hat die Presse („4. Gewalt“) die Aufgabe vor der Wahl die Wähler darüber zu informieren, wie die Justiz funktioniert, damit der Souverän der Demokratie Bescheid weiß was läuft und die richtige (Ab-)Wahl treffen kann.