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Helmpflicht für Radler durch die Hintertür?

Das Schleswig-Holsteinische OLG entschied am gestrigen Tag, dass ein Radfahrer, der im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen – sich verkehrswidrig verhaltenden – Verkehrsteilnehmer (Kfz; Radfahrer usw.) kollidiert und infolge des unfallbedingten Sturzes Kopfverletzungen erleidet, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, sich grundsätzlich ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen müsse. Schon rauscht es durch den Blätterwald, dass damit quasi die Helmpflicht für Radler eingeführt sei.

Die Radfahrerin im konkreten Fall war gegen die sich unvermittelt öffnende Fahrertür eines am rechten Fahrbahnrand parkenden Pkw gefahren. Sie fiel auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zu, die u.a. einen zweimonatigen Krankenhausaufenthalt nach sich zogen. Da die ärztliche Behandlung und die berufliche Wiedereingliederung noch nicht abgeschlossen waren, verlangte die Fahrradfahrerin vor Gericht zunächst die Feststellung, dass die Halterin und deren Kfz- Haftpflichtversicherung verpflichtet sind, ihr alle aus dem Unfall entstandenen und zukünftig entstehenden Schäden zu ersetzen, insbesondere ihr auch ein Schmerzensgeld zu zahlen.

Das Gericht nahm ein anspruchsminderndes Mitverschulden der Radlerin an, da nach den Feststellungen eines gerichtlichen Sachverständigen der Umfang der Kopfverletzung mit einem Fahrradhelm zwar nicht hätte verhindert, in einem gewissen Umfang doch aber hätte verringert werden können.

Fahrradfahrer sind heutzutage jedoch im täglichen Straßenverkehr einem besonderen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Der gegenwärtige Straßenverkehr ist besonders dicht, wobei motorisierte Fahrzeuge dominieren und Radfahrer von Kraftfahrern oftmals nur als störende Hindernisse im frei fließenden Verkehr empfunden werden. Aufgrund der Fallhöhe, der fehlenden Möglichkeit, sich abzustützen (die Hände stützen sich auf den Lenker, der keinen Halt bietet) und ihrer höheren Geschwindigkeit, z.B. gegenüber Fußgängern, sind Radfahrer besonders gefährdet, Kopfverletzungen zu erleiden. Gerade dagegen soll der Helm schützen. Dass der Helm diesen Schutz auch bewirkt, entspricht der einmütigen Einschätzung der Sicherheitsexperten und wird auch nicht ernsthaft angezweifelt. Die Anschaffung eines Schutzhelms ist darüber hinaus wirtschaftlich zumutbar. Daher kann nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird, soweit er sich in den öffentlichen Straßenverkehr mit dem dargestellten besonderen Verletzungsrisiko begibt.

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 05.06.2013., Aktenzeichen: 7 U 11/12

Auch wenn es allgemeine Empfehlungen zum Tragen eines Fahrradhelmes gibt und die Eignung des Tragens von Schutzhelmen zur Vermeidung bestimmter Kopfverletzungen wissenschaftlich belegt ist, es gibt keine Helmpflicht für Radfahrer.

In der bisherigen Rechtsprechung begründete das Radfahren ohne Schutzhelm – zumindest bei Erwachsenen – bislang auch nicht den Vorwurf des Mitverschuldens (so z.B. OLG Hamm NZV 2001, 86; OLG Hamm NZV 2002, 129; OLG Stuttgart VRS 97, 15; OLG Nürnberg DAR 1991, 173; OLG Nürnberg DAR 1999, 507; OLG Karlsruhe NZV 1991, 25; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Januar 2003, Az.: 1 U 110/02; OLG Celle, Urteil vom 11.06.2008, Az: 14 U 179/07).

Selbst eine Unterscheidung zwischen herkömmlichen Freizeitradfahrern, die sich im Straßenverkehr ohne sportliche Ambitionen bewegen, und Rennradfahrern, setzte sich nicht so recht durch.

Das OLG Düsseldorf entscheid zwar mit Urteil vom 12.02.2007, Az: I-1 U 182/06), dass bei einem Radrennfahrer – ungeachtet der Tatsache, dass eine gesetzlich normierte Pflicht zum Tragen eines Fahrradhelms nicht besteht – ein erhebliches Mitverschulden darin gesehen werden muss, dass der Rennradfahrer zum Unfallzeitpunkt keinen Schutzhelm trug. Eine Selbstgefährdung werde durch die Rechtsordnung regelmäßig nicht verboten; gleichwohl sehe § 254 BGB als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Anspruchsminderung des Geschädigten vor, wenn er vorwerfbar die eigenen Interessen außer Acht lässt und ihn insofern ein “Verschulden gegen sich selbst” treffe.

Das Urteil wurde wohl rechtskräftig und das OLG Düsseldorf blieb bei seiner Linie und nahm bei einem weiteren Radsportler die Obliegenheit zum Tragen eines Schutzhelmes an (Urteil vom 18.06.2007, Az: I-1 U 278/06). Der BGH hob das Urteil dann aber auf und verwies die Sache zu neuer Entscheidung an das OLG Düsseldorf zurück (BGH, Urteil vom 6. 11. 2008 – VI ZR 171/ 07). Ein Mitverschulden des Radfahrers sei zwar anzunehmen, allerdings – darauf wies der BGH hin – nicht wegen des nicht getragenen Fahrradhelms.

Ob das Schleswig-Holsteinische OLG hier die Revision zugelassen hat, ist der Pressemitteilung nicht zu entnehmen. Selbst wenn das Urteil rechtskräftig wird, eine generelle Helmpflicht gibt es damit nicht. Außer in Schleswig-Holstein vielleicht.

Quelle: Pressemitteilung des OLG Schleswig Nr. 9/2013 vom 17.06.2013

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