Der V-Mann hatte das Vertrauen seiner Landsleute, die irgendwie gemeinsam Geschäfte gemacht haben sollen, die nicht unbedingt gesellschaftsfähig sind. Über diese Geschäfte hat er das Bundeskriminalamt informiert, und zwar immer wieder und das über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Irgendwann schnappte die Falle zu und die Landleute sitzen nun als Angeklagte vor der großen Strafkammer.
Stolz berichtete er, der nun als Zeuge geladen war, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft, was seine damaligen Gefährten so alles angestellt haben sollen. Die Staatsanwaltschaft nahm die meist diffusen Schilderungen des Verräters Zeugen vollständig für bare Münze und hofierte ihn. Das Gericht lies den V-Mann an der langen Leine „laufen“ und hörte sich alles interessiert an.
Über sechs Hauptverhandlungstage lang hatte dieser Zeuge sein Forum gefunden, dem er seine „Agententätigkeit“ in epischer Breite präsentieren konnte. Kein Widerspruch und nur wenige Nachfragen des Gerichts störten seinen großen Auftritt.
Am siebten Tag endlich hatte die Verteidigung das Fragerecht. Die Mittagspause mußte vorgezogen werden, weil der ansonsten stahlharte Zeuge plötzlich Konditionsschwächen zeigte. Die Verteidigung hatte eben nicht darauf verzichtet, konkrete Antworten auf konkrete Fragen zu erhalten; wenn der Zeuge eine Frage unscharf oder mit einem Wortschwall beantwortete, wurde die Frage einfach noch einmal gestellt. Und gegebenenfalls noch einmal und noch einmal und noch einmal. Bis eine bestimmte, abgrenzbare und knackige Antwort vorlag.
Der Zeuge war es aber nicht gewohnt, einfach mal mit einem „Ja“ oder „Nein“ zu antworten oder konkrete Daten statt Kaffeesatzleserei zu liefern. Bisher haben immer statt einer Antwort großen Mengen heiße Luft von ihm gereicht, dann kam schon die nächste Frage.
Nach der Mittagspause beschwerte sich der Zeuge dann heftigst über den Dolmetscher. Er würde falsch übersetzen, deswegen verstehe der Verteidiger auch seine Antworten falsch. Die Übersetzungen waren korrekt, die Befragung ging also weiter und weiter und weiter.
Irgendwann ging’s aber nicht mehr. Erst wurde der Zeuge zornig, dann griff er den Verteidiger persönlich an. Es folgten Fragen, und wieder seine indifferenten Antworten. Die Vernehmung mußte schließlich abgebrochen werden, als der V-Mann den Verteidiger und die Angeklagten für alles Elend der Welt, seine Zahnschmerzen, die gestörte Beziehung zu seinen Kindern und was-weiß-ich-noch-alles verantwortlich machte.
Wie ein Häufchen Elend saß der Verräter schließlich da und weinte.
Nein, er hat mir nicht Leid getan und er wird beim nächsten Verhandlungstag mit weiteren Fragen rechnen müssen …