Realitätsferne Justiz-Container

Das Urteil des Amtsgericht Fürstenfeldbruck (das liegt in Bayern) sorgt(e) für Aufregung:

Weil zwei Frauen ein paar Lebensmittel aus einem Mülleimer genommen haben, wurde sie wegen wegen (einfachen) Diebstahls (§ 242 StGB) verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte das Containern sogar als Diebstahl im besonders schweren Fall (§ 243 StGB) angeklagt.

Auch wenn am Ende nur eine zur Bewährung ausgesetzte Geldstrafe mit sozialer Arbeitsauflage dabei herauskam, wirft dieses Verfahren und das Verhalten insbesondere der Staatsanwaltschaft ein übles Licht auf die bayerische Justiz.

Treffend formuliert das Editorial des „Fachdienst Strafrecht“ (Ausgabe 03/2019) des Beck-Verlags diesen hochgradigen Unsinn:

Die Sorge um den Ruf der Justiz liegt nahe. Auf der einen Seite werde regelmäßig und gerade von der Strafjustiz über die Arbeitsüberlastung geklagt und neue Stellen gefordert. Auf der anderen Seite werden dann Fälle, die einen geringeren Unrechtsgehalt kaum haben könnten, mit der ganzen Härte des Gesetzes und einem ersichtlich unverhältnismäßigen Aufwand verfolgt. Wenn man das „Containern“ schon kriminalisiert, dann ist es ein Paradefall für eine Opportunitätseinstellung nach §§ 153, 153a StPO. Sich als Staatsanwaltschaft dieser Vernunftlösung mit dem Argument des „besonderen öffentlichen Interesses“ zu verweigern, ist eher Beleg besonderer Realitätsferne. Wünschenswert für die Zukunft wäre, dass, wenn schon keine Entkriminalisierung durch den Gesetzgeber erfolgt, zumindest eine großzügige und einheitliche Einstellungspraxis durch behördliche Weisungen in den einzelnen Ländern institutionalisiert wird.

Was sonst noch dazu zu sagen wäre, formulierte Tanja Podolski in der LTO

Vielleicht noch eine Ergänzung:
Der Richter hat die Geldstrafe auf 15 Tagessätze festgesetzt. Damit hat er de facto ein Rechtsmittel gegen seine Entscheidung verhindert. Denn gegen dieses Urteil ist ausschließlich die sogenannte „Annahme-Berufung“ möglich, die lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig ist, § 313 StPO. Nur Schelme denken sich bei diesem Strafmaß etwas Böses.

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Bild (CC0): congerdesign / via Pixabay

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Staatsanwaltschaft, Strafrecht veröffentlicht.

17 Antworten auf Realitätsferne Justiz-Container

  1. 1
    Bernd says:

    Im verlinkten Artikel liegt der schwarze Peter bei der StA, die am Merkmal des besonderen öffentlichen Interesses fest hielt und dadurch der Richter keine andere Wahl hatte.

    Bei der Ergänzung hier wird erwähnt, das der Richter wiederum mit der geringen Höhe der Strafe ein Rechtsmittel verhindert hat.

    Nur diese Kombination hat dieses Urteil möglich gemacht. Also haben beide den schwarzen Peter? Oder fehlt noch ein Puzzleteil?

  2. 2
    Kenguru says:

    Wie kann es sein, dass ein öffentliches Interesse besteht beim Diebstahl wertloser Dinge? Die Bezifferung mit 100 Euro ist nicht nachvollziehbar, denn wenn die Waren noch diesen gehabt hätten ….. Sollte man den Entsorger (Filialleiter) wegen Untreue verfolgen.

  3. 3
    Börni says:

    Einfacher Sachverhalt, leicht zu ermitteln, volle Härte der Strafjustiz.

    Schwerer Sachverhalt, schwer zu ermitteln, typisch für white collar crime, regelmäßig Einstellungen. Oder siehe auch aktuell den Loveparade-Prozess.

    Und in Bayern ticken die Uhren ja nochmal ein bißchen anders. Aber jetzt hat der StA auch seine 15 Minuten fame gehabt, alles gut.

  4. 4
    matthiasausk says:

    Da haben die Frauen aber nochmal Glück gehabt: Zu zweit waren sie schon – es ist davon auszugehen, daß zusätlich jemand den Container ausbaldowert und jemand (wenn auch offenbar unzureichend) Schmiere gestanden hat.

    Da ist die Grenze zur Banden- bzw organisierten Kriminaltität in einigen Hirnen aber ganz schnell überschritten …

  5. 5
    Forist says:

    Vorweg: Ich möchte mich hier nicht der Bestrafung der containernden Studentinnen das Wort reden, dies nur um entsprechenden Reaktionen vorzubeugen.

    Ich habe allerdings vor einigen Tagen gelesen, daß eben diese Container *verschlossen* waren, was zumindest den Vorwurf des schweren Diebstahls ein wenig erklärt.

    Davon ist nun weder hier noch bei der LTO die Rede. Was wäre denn die fachliche Meinung anwesender Juristen, wenn es nicht um weggeworfene Lebensmittel im Container, sondern um brachiale, d.h. zerstörende oder wahlweise intelligente (lockpicking) Öffnung eines fremden Schlosses auf fremdem Grund und Boden ginge?

    • Der BSD (besonders schwerer Fall des Diebstahls) ist ausgeschlossen, wenn es um wertloses Zeug geht, § 243 II StGB. Wenn das Gemüse werthaltig gewesen wäre, hätte es nicht im (verschlossenen) Mülleimer gelegen.
       
      Eine Sachbeschädigung am Container oder dessen Verschluss bzw. Hausfriedensbruch war nicht angeklagt. Wohl weil die Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren. crh
  6. 6
    Flamebeard says:

    Kommt denn nicht trotzdem, gerade aufgrund der Lage des Falls, eine Berufung nach § 80 Abs. 1 OWiG (Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) in Frage?

    Und @Forist (5) bzgl. hättewärewenn: Ging es aber nicht. Ihre Formulierung an sich ist schon Whataboutism in Reinform.

    Der Richter dürfte schon erkannt haben, dass ein Schloß an Müllcontainern eher Leute daran hindern soll, da ihren Kram rein zu werfen. Also neben dem Punkt, dass „Müll“ an sich meistens eher einen subjektiven Wert hat. (Bei Bio-Müll eventuell noch den Wert, den die X Kilo Gärmasse in der städtischen Biogasanlage haben)

  7. 7
    WPR_bei_WBS says:

    @ Flamebeard:
    OWiG im Strafverfahren?

    Bzgl. der 15 Tagessätze: Mit dem Argument kann man (konsequent zuende gedacht) den Strafrahmen under Grenze auch gleich abschaffen. Und waeren es mehr gewesen, dann haette man sich hier echaufiert, dass die Strafe so hoch sei und der Richter sie nicht mehr alle haette.

    Grundsätzlich halte ich die Rechtslage für richtig und auch eine Verfolgung. Aber in der Tat, warum man hier nicht gegen Auflage eingestellt hat? Vielleicht ein Jung-StA, der sich profilieren will und/oder die beiden Studentinnen noch von der Uni kannte?

  8. 8
    RABammel says:

    Abgesehen davon dass mE eine Einstellung nach 153 richtiger gewesen wäre finde ich es nicht sooo furchtbar wie crh.
    Es war eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, also das Minimum dessen, was ein Richter verhängen kann, wenn sich Beschuldigter und StA der Einstellung verweigern. Die Aktivistinnen hatten eine Einstellung angeboten bekommen, wollten das aber nicht,sondern schön vor dem AG mit Rehleinaugen in die versammelten Kameras blicken.

    Gegenargument zum „wertlos“:
    wenn es wertlos wäre, würde man es nicht aus dem Container holen, denn dann würde man sich keinen Aufwand für den Lebensmittelkauf sparen. Also wertvoll jedenfalls für die „Diebinnen“.
    Und bloßer Ablauf des MHD führt nicht dazu, dass das Lebensmittel unverkäuflich wird, sondern nur, dass bis zum Verfalldatum der „Inverkehrbringer“ für eine ordnungsgemäße Aufbewahrung inkliusive evtl.Kühlung verantwortlich ist. Deshalb dürfen ja auch die Tafeln vermeintlich „wertloses“ Zeug verkaufen.

  9. 9
    RABammel says:

    p.s.
    Vielleicht spielt in Strafverfolgers Hinterkopf auch eine Rolle, dass man künftigen Supermarkteinbrechern/Pfandgutdieben die schlaue Einlassung, sie hätten nach Übersteigen des Zauns mit Brecheisen, Flex etc nur Containern und wetloses Zeugs mitnehmen wollen, verleiden will….

  10. 10
    Hufflepuff says:

    Quelle Bayerischer Rundfunk:
    „“Es gefällt mir nicht, dass ich Sie verurteilen muss, aber ich bin gezwungen“, hatte der Richter das Urteil kommentiert. Zwar sei es den beiden bestimmt darum gegangen, auf den problematischen Umgang der Gesellschaft mit Lebensmitteln und Ressourcen generell hinzuweisen. Aber sie hätten nun mal mit einem Werkzeug einen verschlossenen fremden Müllcontainer geöffnet und Sachen herausgenommen, die noch dem Supermarkt gehörten.“

    Link ist hier: https://www.br.de/nachrichten/bayern/containern-verurteilte-studentinnen-legen-rechtsmittel-ein,RHPmVhs

    Meine persönliche Meinung als Laie:
    1.) Natürlich ist es albern, zwei Studentinnen wegen sowas zu verurteilen. So lange die Rechtslage allerdings so ist, dass Müll noch Eigentum von irgendjemandem ist, geht es wohl nicht anders, sofern jemand Klage erhebt.
    2.) Die acht Stunden gemeinnütziger Arbeit bei der Tafel schaden den beiden Mädels sicherlich nicht. Und die 225 Euro müssen sie ja eh nur zahlen, wenn sie sich nochmal was zu schulden kommen lassen. Daher finde ich die Revision albern. Sowas geht nur, wenn der Papa Geld hat und einem als Studentem echt langweilig ist.
    3.) Mir persönlich würde das auch nicht passen, wenn in meinem privaten Mülleimer ständig irgendwelche fremden Leute rumwühlen würden.
    4.) Was muss man eigentlich geraucht haben, um in fremder Leute Mülleimer rumzuwühlen? ;-) Ich meine, wir haben ja auch zu Studentenzeiten einigen Blödsinn gemacht, aber… grins ;-)

    Noch was: Bei meinem Arbeitgeber (Krankenhaus) wühlen auch ständig Leute im Müll rum und fischen gebrauchte Fentanyl- oder andere Opiatpflaster raus. Die Junkies kochen daraus einen Tee oder kauen darauf rum (ja, bäh!), um sich die tägliche Dosis Opiat zu verschaffen. Fällt das eigentlich auch unter den Begriff des Containerns? ;-)

    Just my few words… :-)

  11. 11
    K75 S says:

    Laut dem verlinkten Bericht soll sich die ruchlose Tat in Olching zugetragen haben. Mein Filius (9) attestierte sofort: „Das sind Olchis!“

  12. 12
    Flamebeard says:

    @ 7 WPR_bei_WBS: Das hatte ich in der Tat übersehen.

    @10 Hufflepuff: „Containern“ ist in der Tat relativ verbreitet. Normalerweise fragt man da aber vorher im Supermarkt, ob dieser ein Problem damit hat. (Wenn die „über“-Ware nicht eh direkt an die Tafeln o.Ä. gehen)
    Zu mindest im weiteren Bekanntenkreis kenne ich ein Paar, dass so einen Teil ihrer Versorgung so bestreitet. Und den Rest (vom Obst und Gemüse) ans hofeigene Vieh verfüttert. Allerdings eben nach Rücksprache mit der Marktleitung. Welche froh ist, nicht gar so viel für die Entsorgung zahlen zu müssen.

  13. 13
    Hufflepuff says:

    @12 Flamebeard: Wenn man den Supermarkt vorher fragt, finde ich „Containern“ völlig in Ordnung. Ebenso wie ich natürlich die Abgabe von verkehrsfähiger Ware an die Tafeln definitiv für richtig halte.

    Als Kind gab es in meiner direkten Nachbarschaft auf dem Land eine Gaststätte. Da stand nach einer Hochzeit oder dergleichen auch ab und wann die Inhaberin vor unserer Türe und fragte nach, ob man denn kostenfrei Interesse an dem übriggebliebenen Essen haben würde, bspw. 5 Portionen Sauerbraten mit Knödeln in bester Qualität – natürlich war das vorher auf keinem Teller. Das haben meine Eltern natürlich dankbar angenommen.

    Ich kann aber auch verstehen, dass es einem Supermarktbetreiber nicht passt, wenn nachts in seinen Mülleimern rumgewühlt wird – insbesondere wenn dabei die verschlossenen Mülleimer aufgebrochen werden.

    In Frankreich gibt es ein Gesetz, dass Supermarktbetreiber Lebensmittel nicht wegwerfen dürfen, sondern spenden oder recyclen müssen. Sowas darf man gerne hier in Deutschland ebenfalls einführen.

    Wer möge, kann sich auch die App „Too good to go“ aus dem AppStore herunterladen. Dort kann man nachsehen, ob bei den Gaststätten aus der Umgebung Essen übrig geblieben ist und es sich für einen kleinen Obulus mitnehmen.

  14. 14
    Peter Knows says:

    Weil dir Presse gerne die Hälfte vergisst:
    Den beiden Damen wurde bereits im Ermittlungsverfahren eine Einstellung gem. 153 II gegen kleine Geldauflage, vom Richter dann gegen 8 Sozialstunden angeboten. Wollten sie Beide nicht. Es sollte ein Freispruch sein.

  15. 15
  16. 16
    -thh says:

    @Hufflepuff (10): Das „Containern“ am Krankenhaus muss ja sinnloss sein, weil Betäubungsmittel nach § 16 Abs. 1 BtMG so vernichtet werden müssen, dass eine auch nur teilweise Wiedergewinnung ausgeschlossen ist. Da Fentanylpflaster demnach nach Gebrauch nicht „einfach so“ in den Müll geworfen werden dürfen, kann sie auch keiner herausholen und auskochen – es sei denn, die Klinik verstößt gegen das BtMG. ;)

  17. 17
    Hufflepuff says:

    @thh: Der Passus im BtMG mit der Vernichtung von nicht mehr verkehrsfähigen BtMs in Gegenwart von zwei Zeugen mit gleichzeitiger Erstellung eines Vernichtungsprotokolls bezieht sich auf die Vernichtung von abgelaufenen (=nicht mehr verkehrfähigen) BtMs. Er bezieht sich nicht auf die Vernichtung von gebrauchten BtMs.

    Dennoch empfehlen wir als Krankenhausapotheke bei einer Stationsbegehung den Schwestern und Pflegern, die Pflaster mehrmals durchzuschneiden und dann wegzuwerfen. Und falls mir sowas bei einer Stationsbegehung auffällt, kommt das auch in den Mängelbericht.
    Das Dumme ist jedoch: Die Jungs und Mädels sind chronisch unterbesetzt, überarbeitet und äußerst schlecht bezahlt. Da stellt sich halt dann in der Realität doch öfters die Frage, ob man das BtM jetzt wirklich erstmal sauber ein paar mal durchschneidet oder ob man sich stattdessen lieber um den nächsten Patienten kümmert. ;-)

    Das Problem mit dem „Containern“ durch Junkies haben viele Krankenhäuser, viele Pflegeheime und andere Gesundheitseinrichtungen.