… sonst nichts zu tun

Wir haben das Jahrhundert-Mandat erteilt bekommen. Der Mandant schickt uns den Anhörungsbogen:

Welcher hochgestellte Polizeibeamte – oder war es ein Richter? Ein Staatsanwalt? – hatte sich jetzt neulich erst über die völlig Überlastung der Justiz beschwert? Und daß man mit der Erledigung wichtiger Sachen nicht hinterher käme?

Dieser Beitrag wurde unter Justiz veröffentlicht.

20 Antworten auf … sonst nichts zu tun

  1. 1
    doppelfish says:

    Dem Urheber möchte man ja gepflegt auf Abbildung 1 verweisen. Aber dann gäb’s ja noch mehr Arbeit für die überlastete Strafjustiz.

  2. 2
    Klaus says:

    Wahrscheinlich ist das schlichte rausschicken des Anhörungsbogens die effektivste Möglichkeit, die Akte beiseite zu legen.

    PS: ich will immer noch keine Jura-Domain aus Berlin

  3. 3
    Non Nomen says:

    War es nun der rechte oder der linke Mittelfinger?

  4. 4
    Jule says:

    Jetzt is aber mal langsam gut, oder glauben Sie, dass sich „die Justiz“ die Anzeigen selbst malt? Es sind doch offenbar die stets Beleidigten und Empörten, die online jeden Käse anzeigen, der ihrem Rechtsempfinden zufolge bestraft gehört…

    • OK, Jule, ich werde Ihnen die geplanten Blogbeiträge bzw. die Ideen dazu vorlegen, bevor ich loslege, damit Sie entscheiden können, was ich hier schreiben darf.
       
      Zu Ihrer Kritik: Die Ermittlungsbehörden sind nicht gezwungen, wegen „jedem Käse“ ein Verfahren einzuleiten. Das Prozeßrecht gibt ausreichend Möglichkeiten, so einen Blödsinn wie den vorliegenden gar nicht erst in ein Ermittlungsverfahren münden zu lassen. crh
  5. 5
    NE says:

    Man sollte über die Abschaffung des § 185 StGB nachdenken. Es gibt genügend Rechtsordnungen, die ihn (vergleichbar) nicht kennen, an vielem leiden, aber nicht an der fehlenden Strafbarkeit einer bloßen Beleidigung.
    Mein Gedanke: Entweder hängt meine Ehre so hoch, dass irgendein Heini (m/w) mit seinen Gesten und Worten ohnehin nicht drankommt. Oder Heini (m/w) hat inhaltlich Recht und sich bloß im Ton vergriffen. Wenn kloppe. Lügen etc. dazukommen, können die für sich und separat bestarft werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen.

    Bei Amtsträgern kommt hinzu: Es geht doch gar nicht ums Individuum, sondern um die Rolle. Und die ist Vertreter des demokratischen Rechtsstaats, dessen Ehre nicht zur Disposition von (häufig totalitären) Mittelfinger-/AC…etc-Hanseln (m/w) steht.

    Ein Anfang wäre, wenn der Amtsrichter deswegen einen (straflosen) untauglichen Versuch der Beleidigung annimmt und freispricht.

  6. 6
    meine5cent says:

    @NE
    In Großbritannien hat man die Strafbarkeit für abusive language in public places überhaupt erst 1986 eingeführt, vorher gab es im common law nur die defamation (so grob entsprechend der üblen Nachrede).

    Die Abschaffung würde bedeuten, dass der Pöbler sich auch noch im Recht fühlt, ist ja schließlich erlaubt.
    Es mag sein, dass große Geister derartige Beleidigungen an sich abtropfen lassen oder sich sagen: er meint ja nicht mich, er meint doch nur das Amt, aber nicht jeder ist zu so einer reichsbürgerartigen Persönlichkeitsspaltung in der Lage („die natürliche nicht verschollene Person, die nur unter dem Namen xy bei der BRD-GmbH geführt wird…“) . Und der Klügere gibt meist solange nach, bis er der Dumme ist (und die Dummen herrschen).

  7. 7
    NE says:

    @meine5cent
    idealerweise disqualifiziert sich der Pöbler selbst oder muss sich mit der Gesellschaft von seinesgleichen begnügen.
    Das Bedürfnis Recht zu haben („er hat mich beleidigt“ vs. „ich durfte mich bescheuert benehmen“) ist leider sehr stark.
    Die Persönlichkeitsspaltung benötigt gar keine Reichsbürgerpanne, etwas Differenzierungsvermögen und die Fähigkeit, Ambivalenzen zu erkennen und auszuhalten dürfte schon 98% der Situationen klären. Dass das nicht immer einfach ist, behaupte ich nicht.
    Aber zugegeben: Ggf. ist der 185er ein besseres Ventil als Tonfa, Quarzhandschuhe und Korpsgeist.

  8. 8
    WPR_bei_WBS says:

    Soweit es die Polizei betrifft, greift das IIRC doch das Legalitätsprinzip bzw. die Regelung, dass die jede Anzeige aufnehmen / annehmen müssen, so dass die StA immer Herrin des Verfahrens bleibt. iMHO auch richtig so.

    Ansonsten schließe ich mich Klaus an: Den Anhörungsbogen raiszujagen kauft erstmal Zeit und ist vermutlich im Halbschlaf gegen Schichtende erledigt. Einstellen wegen mangelnden öffentlichen Interesses kann man immer noch.

    BTW: Hat der Anzeigende nicht auch ein echt darauf, dass seiner Anzeige nachgegangen wird? Dass man (und ich persönlich) die Strafbarkeit von ein paar Worten oder einer Geste für Unfug haelt ist ein anderes Thema und liegt auch im Kompetenzbereich der Legislative, nicht der Exekutive in Form der StA.

  9. 9
    Belenus says:

    „Zu Ihrer Kritik: Die Ermittlungsbehörden sind nicht gezwungen, wegen „jedem Käse“ ein Verfahren einzuleiten. Das Prozeßrecht gibt ausreichend Möglichkeiten, so einen Blödsinn wie den vorliegenden gar nicht erst in ein Ermittlungsverfahren münden zu lassen. crh“

    Was meinen Sie? Wird denn das Ermittlungsverfahren nicht zwangsweise nach Strafantrag eingeleitet? Ich würde so nen „Käse“ auch nicht anzeigen. Andere Menschen sind aber nun einmal näher am Wasser gebaut als Sie und ich. Es kann doch auch nicht angehen, dass man sich jeden Mist bieten lassen muss und die Sachen dann – unter Hinweis auf die Überlastung der Justiz- eingestellt werden.
    Eine weitaus bessere Methode, um der Lage Herr zu werden, wären doch wohl mal Neueinstellungen.

    Mit freundlichen Grüßen

  10. 10
    Strafantrag says:

    Die Polizei macht nur ihre Arbeit genauso wie Sie, Herr Hoenig. Oder soll sich der sachbearbeitende Beamte wegen Strafvereitelung im Amt schuldig machen?

  11. 11
    quicker-easier says:

    Naja. Die Polizei kann die Akte direkt an die StA schicken (zum Einstellen) oder vorher noch so ein Anhörungsschreiben absenden und ein paar Wochen auf eine etwaige Antwort warten. Mehraufwand: minimal.

    Und das gleiche gilt auch für die StA: ob die das Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellt oder einen Strafbefehl beantragt, ist vom Aufwand her ziemlich egal.

    Einen merklichen Aufwand verursacht so ein Verfahren erst, wenn es wirklich mal zur Hauptverhandlung kommt. Was kaum je der Fall sein wird.

  12. 12
    HugoHabicht says:

    Wenn die Hälfte solcher Anhörungsbögen mit einem Geständnis zurück kommt und man dann zugunsten der Staatskasse mit einem Obolus einstellen kann, lohnt sich die Sache doch.

  13. 13
    RA Ullrich says:

    Die Justizschelte sind hier ausnahmsweise wirklich fehl am Platz. Ja, es gibt genug Möglichkeiten, solche Kleinverfahren einzustellen. Um ein Verfahren einstellen zu können (auch nach 153 StPO) muss es aber denknotwendig erstmal eingeleitet worden sein, wenn ein Anzeigeerstatter nunmal darauf besteht, so einen Kleinkram zur Anzeige zu bringen, dann muss auch eine Akte her, zumindest um die Anzeige und deren gesetzmäßige Behandlung ordnungsgemäß zu dokumentieren, selbst wenn postwendend wegen Geringfügigkeit eingestellt wird. Und wenn man schonmal den Aktendeckel angelegt hat, kann es nicht schaden, dem Beschuldigten vor der Sachentscheidung zumindest mal rechtliches Gehör zu gewähren. Justizschelte sind hier frühestens dann angebracht, wenn sowas gegen einen ansonsten nicht vorbelasteten Beschuldigten tatsächlich weiter verfolgt wird.
    Der Gesetzgeber könnte allerdings in der Tat die Justiz nicht unerheblich entlasten, wenn er den § 185 ersatzlos streichen würde, die persönliche Ehre wäre vor Angriffen, welche das Ansehen wirklich beeinträchtigen können, durch §§ 186 f. StGB (üble Nachrede, Verleumdung) durchaus hinreichend strafrechtlich geschützt

  14. 14

    Zutreffend ist selbstverständlich, daß bei Verdacht auf eine oder Anzeige einer möglichen Straftat ermittelt werden muß, § 160 I StPO – Legalitätsprinzip. Gleich wohl haben die Rechtsprechung und der Gesetzgeber Konstellationen entwickelt, in denen davon abgesehen werden kann, unsinnige förmliche Ermittlungen einzuleiten.

    Trotz schlüssigen Anfangsverdachts und gegebener Verfahrensvoraussetzungen sind die Behörden zu Ermittlungen nämlich nicht verpflichtet, soweit das sog. Opportunitätsprinzip gilt. Dann ist der Verweis auf den Privatklageweg geboten, z.B. wenn kein öffentliches Interesse an einem Einschreiten von Amts wegen besteht oder wenn evident ist, dass die Voraussetzungen der §§ 153, 154 StPO vorliegen.

    Bei einem ausgestreckten Mittelfinger im Straßenverkehr den Polizei- und Ermittlungsbehörden-Apparat in Bewegung zu setzen, halte ich vor dem Hintergrund der knappen nicht vorhandenen Ressourcen für aberwitzig. Exakt für so ein Mimimimi wie in meinem Fall hat der Gesetzgeber den § 374 StPO geschaffen.

    Derjenige, dessen Ehre zutiefst durch so eine Kapitalstraftat mittels Stinkefinger verletzt ist, wird der erste sein, der den Mantel des Vergessens darüber legt, sobald er selbst Hand anlegen muß, statt die Arbeitskraft der steuerfinanzierten Beamten zu seinen eigenen Interessen zu nutzen.

  15. 15
    Rechtsanwalt Jörg Jendricke says:

    Das Problem in der praktischen Umsetzung liegt – zumindest in meinen Gefilden – allerdings darin, dass die Staatsanwaltschaft faktisch nicht mehr Herrin der Ermittlungsverfahren ist, sondern die Polizei.

    Dort werden die Verfahren ausermittelt soweit es geht, und zwar wegen jeden Pupses. Erst dann wird an die StA vorgelegt und über die Anwendung von 153 ff StPO entschieden.

  16. 16
    @law says:

    Volle Zustimmung zur Aufhebung des §185!
    Pflichtfach im Schulunterricht: wie lerne ich nicht beleidigt zu sein.
    Wenn mich einer anbrüllt: „Du 宂çª@ø窓 dann sage ich immer:“ den habe ich schon in meiner Sammlung, kennen Sie keinen neuen?“
    Gut ist auch: „Dieses Schimpfwort sollten Sie sich für Ihre Mutter/Ihren Vater aufheben“.

  17. 17
    Fry says:

    „denknotwendig“. Schönes Juristenwort.
    denknotwendig denknotwendig denknotwendig

  18. 18
    Fry says:

    Ja, ich meine auch, Beleidigung gehört ins Zivilrecht und dort soll der Klagende erstmal eine Extragebühr zahlen, weil er die Justiz daran hindert, sich mit Wichtigerem zu befassen.

    Aber wir leben in einem Land, in dem Kanzler schon vor Gericht gezogen sind, weil sie nicht ertragen konnten, wie jemand mutmaßte, sie färbten sich die Haare…

  19. 19
    Michael says:

    … oder wo eilgerichtlich einstweilige Verfügungen mit Strafandrohung von 250.000 € oder Ersatzweise sechs Monate Haft wegen einer unzulässigen Werbe-E-Mail erlassen werden, weil der Störer sich uneinsichtig und pampig in seiner Antwort gezeigt hat.

    Das hat alles formaljuristisch seine Richtigkeit und Gründe.

    • … und hat mit dem Inhalt des Blogbeitrags nichts zu tun. #WhatAboutism #TuQuoque crh
  20. 20
    Michael says:

    Herr Hoenig hat recht, ich habe mich verführen lassen auf Kommentar #18 Bezug zu nehmen. Der Sinn eines Blogs ist weniger, die Kommentare zu kommentieren, sondern günstigstenfalls den Blogbeitrag itself und mit einem Hashtag kann ich auch nicht dienen.