Fehlendes Verständnis

Offenbar nicht tot zu kriegen: Das Unverständnis mancher Journalisten von dem, worüber sie schreiben.

Andreas Wyputta, Inlandskorrespondenz der taz, berichtet über den Auftakt des Verfahrens um das Geschehen bei der Düsseldorfer Loveparade.

Schon die Überschrift signalisiert seine mangelnde Kenntnis des Prozeßrechts.

Das, was sich im Titel andeutet, setzt sich im Text fort:

Ihre angeklagten zehn Untergebenen werden von 32 AnwältInnen verteidigt. Schon am ersten Prozesstag setzten diese auf eine Verzögerungsstrategie:

Was erwartet das Publikum, was erwartet ein Prozeßberichterstatter von einem Verfahren dieses Umfangs? Das nicht im angestammten, aber zu kleinen Landgericht, sondern im Congress Center Düsseldorf Ost (CCD Ost) der Messe Düsseldorf stattfindet?

Aufruf -> Präsenzfeststellung -> Anklageverlesung -> Geständnisse -> Urteil?

Alles mal eben zwischen zweitem Frühstück und Mittagspause?

Verteidigung und Verteidiger
Welche Vorstellungen von der Aufgabe der effektiven Verteidigung in einem solchen Verfahren herrscht selbst bei einem solchen Medium wie der taz? Ich bin enttäuscht.

Lieber Andreas Wyputta, der Job der Verteidigung besteht darin, dafür zu sorgen, daß den Angeklagten ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet wird. Düsseldorf ist nicht die Türkei, um vielleicht an dieser Stelle kurz an Deniz Yücel (und die anderen Inhaftierten) zu erinnern.

Antrags- und Erklärungsrechte
Das Recht, Anträge zu stellen und Erklärungen abzugeben, ist das wichtige Mittel der Verteidigung zur Umsetzung der Rechtsstaatsgarantie im Strafprozeß.

Rechte zur Beteiligung auf Augenhöhe
Zunächst einmal sind sie recht effektive Möglichkeiten, sich an dem Ablauf eines Strafverfahrens zu beteiligen. Statt als passives Objekt staatlichen Handelns untertänigst abzuwarten, was von oben angeordnet und ausgeurteilt wird, kann der effektiv verteidigte Anklagte als aktives Subjekt das mitgestalten, was ehedem kluge Köpfe z.B. in Art. 1 GG und Art. 6 EMRK formuliert haben. Ich ärgere mich darüber, daß gerade einem taz-Journalisten die Sensibilität für diese grundlegende Bürger- und Menschen-Rechte abhanden gekommen ist (oder nie vorhanden war?).

Eingeschränktes, weil störendes Recht
Andreas Wyputta ist allerdings nicht allein mit der in seinem Artikel verkörperten Ansicht, Verteidiger stören nur den kurzen Prozeß. Seit 1950 wurde das Verfahrensrecht, also die StPO, das GVG, die dazugehörige obergerichtliche Rechtsprechung u.v.m., immer wieder geändert.

Das Strafprozeßrecht ist (war?) ausgestaltet als Schutzrecht zugunsten des Beschuldigten, Angeschuldigten und Angeklagten. Damit werden solche hohen Rechte wie „Würde des Menschen“, „Freiheit der Person“, „Recht auf den gesetzlichen Richter“ und andere justizielle Grundrechte in einfaches Recht transportiert, damit sie im Alltag verwirklicht werden können. Und das ging den „Herrschenden“ immer wieder gegen den Strich, was dann zur zunehmenden Abnahme der Schutzrechte führte. Die Prozeßrechte des Angeklagten wurden (und werden immer weiter) zusammengekürzt.

Konsequenzen der Kürzungen
Und jetzt ist es insbesondere das, was Herrn Wyputta auf die Nerven geht, nämlich das „Eröffnungsfeuerwerk“ der Verteidiger zum Prozeßstart, die notwendige Konsequenz aus diesen sich ausweitenden Einschränkungen der Verfassungrechte eines Angeklagten.

Ein Ablehnungsgesuch (vulgo: Befangenheitsantrag) …
.. ist unzulässig, wenn es zu spät gestellt wird, §§ 25, 26a StPO. Will der Journalist wirklich zulassen, daß ein Verletzter zum Richter über den Schädiger urteilt? (Lesehinweis: § 22 StPO)

Zeugen …
… sind das wichtigste, aber zugleich auch das unzuverlässigste Beweismittel in einem Verfahren. Erscheint es dem Journalisten nicht sinnvoll, dieses Beweismittel zu stablisieren und die Erinnerung der Zeugen soweit wie jetzt noch möglich unbeeinflußt zu bewahren? (Lesehinweis: §§ 243 II, 58 StPO)

Die Anklageschrift …
… ist die Geschäftsgrundlage, auf der die Verhandlung geführt wird. Das ist die Stelle, an der die Vorwürfe exakt bestimmt und von anderen Geschehen abgegrenzt werden. Deswegen ist sie an sehr strenge Formen gebunden. Ist die Anklageschrift schon fehlerhaft, dann kann darauf kein fehlerloses Urteil begründet werden. Will der Gerichtsreporter Schlampereien an diesem Fundament zulassen? (Lesehinweis: § 200 StPO)

Verpflichtung der Verteidiger
Wenn ein Verteidiger davon ausgehen kann, daß das Gericht mit Richtern besetzt ist, die kraft Gesetzes oder wegen Befangenheit ausgeschlossen sind, oder die Anklageschrift Mängel aufweist, oder Zeugen beeinflußt werden (können), dann ist er verpflichtet (sic!), entsprechende Anträge zu stellen. Und stellt er sie nicht unmittelbar zu Beginn des Verfahrens, ist das nicht reparabel. Dann entscheiden ausgeschlossene und/oder befangene Richter mithilfe beeinflußter Zeugen über falsch erobenene Vorwürfe. Ich bin überzeugt davon, daß auch Andreas Wyputta das nicht will.

Ständiges Angebot
Es gibt genügend Strafjuristen, die einem um solide Berichterstattung bemühten Journalisten gern hilfreich zur Seite stehen werden. Das Angebot muß nur angekommen werden. Für eine solche Berichterstattung wie die hier zitierte fehlt mir daher das Verständnis.

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Strafrecht, Strafverteidiger veröffentlicht.

9 Antworten auf Fehlendes Verständnis

  1. 1
    Andreas says:

    Es ist nicht so schwer zu verstehen: „Kein Flugzeugabsturz in Tegel“ ist keine Meldung, schon gar keine, die Auflage oder Klicks erzielt. Wer sich für die Reichweite seines Artikels interessieren muss, weil sonst der Kühlschrank leer bleibt, wird also garantiert nie schreiben, dass am ersten Verhandlungstag in der „eigentlichen Sache“ nichts passiert ist, sondern notwendige und sinnvolle Formalitäten abgearbeitet wurden.

  2. 2
    HugoHabicht says:

    Man müsste die Anträge der Verteidiger inhaltlich prüfen, um zu erkennen, wer hier recht hat. Sind sie an den Haaren herbei gezogen, liegt der Verdacht einer Prozeßverschleppung schon nahe. Ich tippe mal darauf, dass im Verfahren sowohl sinnvolle, als auch solche Anträge gibt, die nur Sand in das Getriebe streuen sollen.

    Was mich aber stört: Der schwarze Peter ist hier bei der Staatsanwaltschaft zu suchen und das thematisiert niemand. Warum brauchen die sieben Jahre(!) bei einem Sachverhalt, der sich in der Öffentlichkeit abspielt. Ist ja nicht so, dass die Toten erst kürzlich bei den Beschuldigten im Keller gefunden worden sind.

  3. 3
    M.R. says:

    „Andreas Wyputta, Inlandskorrespondenz der taz, berichtet über den Auftakt des Verfahrens um das Geschehen bei der Düsseldorfer Loveparade.“

    Die Loveparade fand in Duisburg statt. By the way: Herr Wypotta ist nicht die Nachricht, er produziert sie.

    • Danke, ist nun korrigiert. crh
  4. 4
    Thomas Sander says:

    ja!

  5. 5
    Egbert Sass says:

    Nun ja, manche AnwältInnen scheinen es mit ihren beruflichen Pflichten auch nicht ganz genau zu nehmen.

    Zitat: „Die Berliner Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Strafrechtsanwältin Stephanie B. wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. B. wird vorgeworfen, Drogen in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit geschmuggelt zu haben. Doch damit nicht genug: Wie im Zuge der Ermittlungen herausgekommen sein soll, soll die Anwältin im Gebäude-Komplex des Kriminalgerichts Moabit Sex mit mehreren Mandanten gehabt haben. Auf einem Video, das der Staatsanwaltschaft vorliege, soll Stephanie B. im Anwaltszimmer beim Sex mit einem Gefangenen zu sehen sein.“

    Quelle: https://www.morgenpost.de/berlin/article212799641/Anwaeltin-schmuggelt-Drogen-in-JVA-und-hat-Sex-mit-Haeftling.html

    Wenn die Vorwürfe stimmen, toppt das alles, was Herr Hoenig jemals über „Gossenjournalisten“ geschrieben hat und noch schreiben wird.

    • Und was hat der von Ihnen geschilderte Fall jetzt mit dem Beitrag zu tun? Bleiben Sie doch bitte beim Thema. #whataboutism
       
      Wenn Sie einen Themenvorschlag haben, schicken Sie mir den gern mit Quellenangabe an die bekannte eMail-Adresse. Dann schaue ich mal, ob ich dazu was schreiben möchte. crh
  6. 6
    Mendel says:

    ich hab‘ in den Nachrichten gehört, dass in dem Fall bis März ein Urteil gefallen sein muss, sonst wäre die Tat verjährt. Diese Verhandlung scheint Fehlinformationen förmlich anzuziehen.

  7. 7
    Flo says:

    @HugoHabicht, den schwarzen Peter kann man in meinen Augen nicht so einfach der Staatsanwaltschaft geben.
    Zum einen muss im Rahmen der Ermittlungen geklärt wer durch welche konkrete Tat/Handlung wie zur Katastrophe beigetragen hat. Das wird schon einen rechtlichen Grund haben warum nicht sofort nach wenigen Tagen eine Anklage gegen die Herren Sauerland und Schaller fertig war.
    Zum anderen lag die fertige Anklage ~2 Jahre zur Prüfung beim Gericht und als dies die als unzureichend abgelehnt hat, hat die Prüfung durch das OLG auch nochmal ~1 Jahr gedauert.

  8. 8
    Engywuck says:

    @Flo: wobei sich dann wieder die Frage stellt, ob die Staatsanwaltschaft durch eine andere/bessere Anklageschrift die Bearbeitungszeit beim Gericht hätte verkürzen können. Im Allgemeinen liegen auch komplexere Fälle ja (hoffentlich) kürzer zur Prüfung dort. (oder irre ich mich hier?)

  9. 9
    Mirco says:

    Vielleicht wird im Prozess noch die ein oder andere Sauerei aufgearbeitet. Das dies strafrechtlich genau die Angeklagten treffen muss, halte ich aber für fraglich. Am Ende gibt es dann Einstellungen nach 153a.