Vorverurteilung durch die JGH?

245071_web_R_K_B_by_Stephanie Hofschlaeger_pixelio.deDie Jugendgerichtshilfe (JGH) ist ja von der Idee her eine sinnvolle Einrichtung. Wenn nun diese Idee auch noch mit Verstand gefüttert würde, wäre es perfekt. Die JGH Berlin arbeitet noch daran.

Meinem sehr jugendlichen Mandanten wird der Vorwurf gemacht, einen schweren Raub (§ 250 StGB) begangen zu haben. Er bestreitet die ihm zur Last gelegte Tat. Die Staatsanwaltschaft hat dennoch Anklage zum Jugendschöffengericht erhoben.

Nun schickt die JGH der Mutter meines Mandanten eine Ein-/Vor-/Ladung.

Straffällige JGH

Die Mutter bittet mich um Rat, was zu tun sei.

  • Soll ich ihr raten, zu einem Sozialarbeiter des Bezirksamtes zu gehen, der die elementaren Grundsätze eines fairen Strafverfahrens nicht verstanden zu haben scheint?
  • Oder ist es vielleicht sinnvoller, darauf zu verzichten, sich noch vor Beginn der Hauptverhandlung schon mal vorsorglich als „straffällig geworden“ disqualifizieren zu lassen? Woher weiß dieser Sozialarbeiter, daß es eine Gerichtsverhandlung mit einen „eventuellen Ausgang (Urteil)“ geben wird?
  • In wessen Lager stehen die Mitarbeiter der JGH eigentlich? Wessen Interessen vertreten sie mit dieser vorurteilsbehafteten Einstellung zu einem Beschuldigten?

All diese Fragen gehen mir durch den Kopf, wenn ich solche – hoffentlich nur gedankenlose – Schreiben dieser Einrichtung lese.

Ich habe noch nicht sehr viele Verteidigungen in Jugendstrafsachen gemacht. Aber in den Fällen, in denen meinen Mandanten das Angebot der JGH angenommen hatten, bin ich regelmäßig enttäuscht worden von der sogenannten Hilfe des Jugendgerichts. Eine Hilfe für den Jugendlichen wäre in diesen Fällen die sinnvollere Alternative gewesen.

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Bild: © Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Justiz veröffentlicht.

12 Antworten auf Vorverurteilung durch die JGH?

  1. 1
    schneidermeister says:

    Woher weiß der Sozialarbeiter, dass es eine Gerichtsverhandlung geben wird? Ganz einfach
    -weil eine Anklage zum Jugendschöffengericht erhoben ist und Eröffnungsbeschluss erlassen wurde. Die Anklage erhält die JGH entweder schon von der StA oder spätestens vom Gericht
    – zudem bereits Termin zur Hauptverhandlung bestimmt ist, zu dem auch die JGH geladen wurde.
    – vielleicht beruhen die Vorurteile darauf, dass die JGH mit dem Kandidaten, der immerhin schon mal eine Anklage zum JSChG gefangen hat, schon die eine oder andere Erfahrung gemacht hat (- Blick ins Erziehungsregister?)

  2. 2
    tapirat says:

    Ich finde es etwas übertrieben, sich derart an allgemein gehaltenen offensichtlichen Textbausteinen zu stören.

    • Sensibilität für Sprache gehört zum Handwerkszeug. Von der Wahl der Formulierungen und Worte erhält man stabile Hinweise auf die dahinter stehenden Gedanken, Herr Freud. crh

    Vielleicht wissen Sie aufgrund Ihrer wenigen Erfahrung mit Jugendstrafsachen noch nicht, wie überlastet die regelmäßig aufopfernd arbeitenden JGH aufgrund von Personaleinsparungen vielerorts sind. Es würde mich wundern, sollte das in Berlin anders sein.

    • Eben deswegen gehört es zu den Aufgaben eines Verteidigers, den Mandanten vor den Auswirkungen der Überlastung zu schützen. Überlast-Fehler sind zwar verständlich, aber nicht akzeptabel für jemanden, dem es dadurch(!) dann an den Kragen gehen soll. crh

    M. E. erledigen die meisten einen guten Job – selbstverständlich auf Seiten der verunsicherten Angeklagten, die durch Sie wichtige Unterstützung im Vorfeld und während der Verhandlung erfahren. Es hat leider nicht jeder junge Angeklagte einen solch guten Anwalt wie Sie, der sich stets rührend um seine Mandanten kümmert und bei Bedarf sogar den besten Kaffee wo gibt bereithält. ;)

    Etwas platt gefragt:
    Ist ein Freispruch kein Urteil?

    • Es gibt z.B. noch die Einstellung. crh

    Wie sieht das Gericht die Ablehnung der Hilfe durch die JGH?

    • Das ist ein wichtiges Kriterium, ja. Wenn deren Arbeit aber besser von einem (nicht überlasteten) Strafverteidiger erledigt wird/wurde/werden kann, ist das sicherlich der guten Stimmung, die Sie ansprechen, nicht abträglich. crh

    Jedenfalls steht nach der Kontaktaufnahme – wie auch im vorliegenden Fall – üblicherweise ein Erstgespräch zum Kennenlernen an. In dem hätte Ihr Mandant dann u. a. erklären können, dass er die zur Last gelegten Straftaten nicht begangen hat.

    Ich bin gespannt, ob es tatsächlich zu keiner Gerichtsverhandlung kommt und nehme an, Sie unterrichten Ihre Leserschaft.

    Vorab ein schönes Wochenende und Ihrem hoffentlich unschuldigen jungen Mandanten alles Gute. :)

    • Gerade den „schuldigen“ Menschen sollte man alles Gute wünschen! #Resozialisierung ;-) crh
  3. 3
    Gerhard says:

    Ich habe als Jugendlicher gestohlen. Die JGH entlockte mir Informationen und gab dann vor Gericht bekannt, ich würde das Unrecht meiner Tat nicht einsehen. So wurde ich zu einer vergleichsweise hohen Strafe verurteilt (30 Sozialstunden; es war eine Lapalie).

    Die JGH ist jedenfalls nicht auf der Seite des Mandanten.

  4. 4
    Bembel says:

    Die JGH wirkt bisweilen (wie übrigens Sanitäter an einem Unfallort, die den unter Schock stehenden Betroffenen „vernehmen“) wie eine inoffizielle Ermittlungsperson der StA.

  5. 5
    RA Ullrich says:

    Die eigentliche Aufgabe der JGH im Jungendstrafverfahren ist es, im Auftrag des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft (je ach Verfahrensstadium) nähere Informationen zu den persönlichen und familiären Verhältnissen des Jugendlichen zu ermitteln und dem Gericht eine sachkundige Einschätzung aus sozialpädagogischer Sicht zu liefern ob
    – ein Jugendlicher die für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Jugendstrafrecht wegen des Tatvorwurfs notwendige Verstandesreife besitzt
    – ob ein Heranwachsender im Hinblick auf seine Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichzustellen ist
    – ob es in der Erziehung und im Umfeld des Jugendlichen allgemein Probleme gibt, die das (mögliche) strafbare Verhalten des Jugendlichen begünstigen und ob deshalb ggf. die Anordnung einer Maßnahme der Hilfe zur Erziehung (durchzuführen durch das Jugendamt) im Urteil angebracht sein könnte
    – ob bei dem Jugendlichen schädliche Neigungen vorliegen.

    Insofern finde ich das Schreiben dieser JGH tatsächlich etwas merkwürdig, da hier die eigentliche Aufgabe ja fast schon verschleiert ist. Fragen zum Verfahrensablauf zu beantworten oder gar den Jugendlichen zu seinem Prozessverhalten zu beraten ist nämlich ganz sicher NICHT Primäraufgabe eines Jugendgerichtshelfers (deshalb heißt er auch Gerichtshelfer, nicht Angeklagtenhelfer), dazu ist er erstens aufgrund der fehlenden Vertraulichkeit dieser Gespräche gegenüber dem Gericht nicht geeignet und (als Nichtjurist mit meist nur oberflächlichen Kenntnissen des Strafprozessrechts) auch nicht qualifiziert.

    Ich persönlich rate meinen Jugendlichen Mandanten und deren Eltern meist, das Gespräch zwar wahrzunehmen, dabei aber ausschließlich die Fragen zum Umfeld und zu den Lebensverhältnissen zu beantworten und ein Gespräch über die Tat selbst mit dem Hinweis auf sein Schweigerecht abzulehnen und (je nach abgesprochener Taktik) anzukündigen, dass er sich hierzu in der Hauptverhandlung bzw. im Ermittlungsverfahren schriftlich über den Verteidiger äußern wird. Hat bisher noch bei allen JGH-Leuten aus meiner Gegend anstandslos so funktioniert.

  6. 6
    K75 S says:

    „-ob bei dem Jugendlichen schädliche Neigungen vorliegen.“
    ?? Wer entscheidet denn bitte, was schädliche Neigungen sind?

  7. 7
    Waschi says:

    @Gerhard: Ich weiß natürlich nicht, was Sie als Jugendlicher genau gemacht haben. Aber 30 Arbeitsstunden sind keine „vergleichsweise hohe Strafe“. Und zu „es war eine Lapalie“: Wenn ein Jugendlicher eine Lapalie begeht, wird das Verfahren eingestellt. Dann kommt es nicht zur Hauptverhandlung. Also hat jedenfalls die Staatsanwaltschaft die Sache offenbar nicht als Lapalie angesehen.

    Ich frage mich also, ob die JGH nicht damals einfach Recht hatte mit der Einschätzung, Sie hätten das Unrecht der Tat nicht eingesehen…

  8. 8
    Reiner Unsinn says:

    Die JGH ist gut gedacht, aber nicht gut gemacht, weil sie weder Fleisch noch Fisch ist.

    Als Anwalt würde ich mich von dem im Schreiben verwendeten Passagen nicht generell negativ stimmen lassen, weil diese eher eine generelle Aufgabe beschreiben, ohne auf den konkrekten Fall einzugehen.

    Es ist natürlich nicht so einfach der Mutter eine Empfehlung zu geben. Vielleicht kann ein Telfonat des Anwaltes mit der Dame/dem Herrn von der JGH einen gewissen Aufschluss geben.

  9. 9
    Jk says:

    Aber ein Urteil (ob positiv oder negativ) hat er in jedem Fall doch zu erwarten. Finde das gar nicht so schlecht formuliert.

    • Nope. Es gibt nicht nur den Freispruch und die Verurteilung durch Urteil, sondern auch noch die Möglichkeit einer Einstellung nach § 47 JGG. crh
  10. 10
    Lord says:

    Die JGH ist so sinnvoll wie die bewährungshilfe. HILFE bekomt man eh keine; es geht alleine um Ausforschung. Wer reden will sollte das mit einem Psychologen oder anderen zur Verschwiegenheit verpflichtetetn Stellen machen. Alternativ kann man sein herz auch dem StA ausschütten, der ist genauso unvoreingenommen.

  11. 11
    RA Lößel says:

    RA Ullrich sagt:
    8. April 2016 um 11:53
    Die eigentliche Aufgabe der JGH im Jungendstrafverfahren ist es, im Auftrag des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft (je ach Verfahrensstadium) nähere Informationen zu den persönlichen und familiären Verhältnissen des Jugendlichen zu ermitteln und dem Gericht eine sachkundige Einschätzung aus sozialpädagogischer Sicht zu liefern ob
    – ein Jugendlicher die für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nach Jugendstrafrecht wegen des Tatvorwurfs notwendige Verstandesreife besitzt
    – ob ein Heranwachsender im Hinblick auf seine Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichzustellen ist
    – ob es in der Erziehung und im Umfeld des Jugendlichen allgemein Probleme gibt, die das (mögliche) strafbare Verhalten des Jugendlichen begünstigen und ob deshalb ggf. die Anordnung einer Maßnahme der Hilfe zur Erziehung (durchzuführen durch das Jugendamt) im Urteil angebracht sein könnte
    – ob bei dem Jugendlichen schädliche Neigungen vorliegen.
    Insofern finde ich das Schreiben dieser JGH tatsächlich etwas merkwürdig, da hier die eigentliche Aufgabe ja fast schon verschleiert ist. Fragen zum Verfahrensablauf zu beantworten oder gar den Jugendlichen zu seinem Prozessverhalten zu beraten ist nämlich ganz sicher NICHT Primäraufgabe eines Jugendgerichtshelfers (deshalb heißt er auch Gerichtshelfer, nicht Angeklagtenhelfer), dazu ist er erstens aufgrund der fehlenden Vertraulichkeit dieser Gespräche gegenüber dem Gericht nicht geeignet und (als Nichtjurist mit meist nur oberflächlichen Kenntnissen des Strafprozessrechts) auch nicht qualifiziert.
    Ich persönlich rate meinen Jugendlichen Mandanten und deren Eltern meist, das Gespräch zwar wahrzunehmen, dabei aber ausschließlich die Fragen zum Umfeld und zu den Lebensverhältnissen zu beantworten und ein Gespräch über die Tat selbst mit dem Hinweis auf sein Schweigerecht abzulehnen und (je nach abgesprochener Taktik) anzukündigen, dass er sich hierzu in der Hauptverhandlung bzw. im Ermittlungsverfahren schriftlich über den Verteidiger äußern wird. Hat bisher noch bei allen JGH-Leuten aus meiner Gegend anstandslos so funktioniert.

    Genau das.

    Keine Einlassung zum Tatvorwurf „Mein Verteidiger hat mir verboten Angaben zum Tatvorwurf zu machen, sonst zieht er mir die Ohren lang“.

    Im Übrigen aber umfangreiche Angaben und in 15-jähriger Tätigkeit wurde dann noch immer die Anwendung von Jugendstrafrecht empfohlen.

  12. 12
    Sonstwer says:

    Es heißt Jugendgerichtshilfe, nicht Gerichtsjugendhilfe – für mich enthält das eine Aussage darüber, wem geholfen wird, die man mit einem Bindestrich nach dem ersten Wort nur geringfügig deutlicher machen kann.