Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung

Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs informiert in ihrer Mitteilung Nr. 050/2016 vom 07.03.2016 das interessierte Publikum über einen Ausnahmefall:

Bundesgerichtshof bestätigt Verurteilung eines Richters am Amtsgericht wegen Rechtsbeugung

Beschluss vom 24. Februar 2016 – 2 StR 533/15

Das Landgericht Erfurt hat nach Aufhebung eines freisprechenden Urteils durch den Bundesgerichtshof und Zurückverweisung der Sache einen Richter am Amtsgericht durch ein zweites Urteil wegen Rechtsbeugung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.

Der Richter am Amtsgericht hatte in einer Reihe von Bußgeldverfahren die Betroffenen durch Beschluss freigesprochen, weil von der Straßenverkehrsbehörde weder ein Messprotokoll noch der Eichschein für das bei der Verkehrskontrolle verwendete Messgerät zur Akte genommen worden sei. Der Angeklagte behauptete, deshalb liege ein Verfahrensfehler im Verantwortungsbereich der Behörde vor, der dazu geführt habe, dass das Messergebnis für das Gericht nicht nachprüfbar und die Ordnungswidrigkeit deshalb nicht beweisbar sei.

Das Thüringer Oberlandesgericht hob mehrere solcher Entscheidungen wegen Verletzung der Aufklärungspflicht des Gerichts auf. Der Angeklagte zog die vermissten Unterlagen aber auch in weiteren Verfahren nicht bei, sondern sprach die Betroffenen wiederum frei oder stellte das Bußgeldverfahren ein.

Die Freisprechung durch Beschluss wegen eines angeblichen Verfahrenshindernisses, das tatsächlich nicht bestand, bewertete das Landgericht Erfurt im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nun als Rechtsbeugung. Der Angeklagte habe mit der Möglichkeit der Unrichtigkeit seiner Entscheidungen gerechnet und diese billigend in Kauf genommen, um die Bußgeldbehörden zu disziplinieren, über deren Aktenführung er sich geärgert hatte. Die elementare Bedeutung der verletzten Aufklärungspflicht des Bußgeldgerichts sei ihm bekannt gewesen.

Der Bundesgerichthof hat die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil, mit der er das Fehlen von Rechtsbeugungsvorsatz und seine krankheitsbedingte Schuldunfähigkeit zur Tatzeit geltend gemacht hatte, durch Beschluss als unbegründet verworfen.

Ein äußerst seltener Fall, weil die Voraussetzungen für die Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung sehr oft nicht nachweisbar sind. In den ganz wenigen Fällen, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahren und in den noch wenigeren Fälle der Erhebung einer Anklage führten, fehlt es an dem Rechtsbeugungsvorsatz. Die Hürden, die in diesen Fällen für den Nachweis vorsätzlichen Handelns überwunden werden müssen, sind außerordentlich hoch. Ein bedingter Vorsatz, wie zum Beispiel bei einem Tötungs- oder Betrugsdelikt, ist dafür regelmäßig nicht ausreichend.

In diesem Verfahren ist also etwas ganz Außergewöhnliches passiert, was nun zu dieser recht heftigen Entscheidung geführt hat, obwohl hier auch „nur“ eine billigende Inkaufnahme vorgelegen haben soll. Nun ja, da scheint sich jemand unbeliebt gemacht zu haben.

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Strafrecht veröffentlicht.

14 Antworten auf Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung

  1. 1
    RA Toelke says:

    Ääh, doch: nach der Rechtsprechung des BGH genügt ein bedingter Vorsatz: BGHSt 40, 272, 276 = NStZ 1995, 31, 32.

    Der BGH macht dies auf der Ebene des objektiven Tatbestandes aber dadurch wieder zunichte, indem er fabuli… formuliert, nur eine bewußte Entfernung von Recht und Gesetz stelle in objektiver Hinsicht eine Beugung des Rechts dar. Was „bewußt“ im objektiven Tatbestand zu suchen hat, verraten die weisen Herrschaften in Karlsruhe allerdings nicht….

    • Danke für die Korrektur. Im Ergebnis sind wir uns einig, daß hier eine sehr intensiv ergebnisorientierte Auslegung aller Tatbestandsmerkmale des § 339 StGB praktiziert wird.
       
      Aber ich will ja nicht meckern; für uns Anwälte passiert Vergleichbares im § 261 StG, der für uns den dd1 voraussetzt. Eine bedingt vorsätzliche Geldwäsche können wir also nicht begehen. crh
  2. 2
    Matthias says:

    Auffällig häufig sind die Fälle, in den freisprechende Rechtsbeuger (nicht nur Richter, sondern auch Sachbearbeiter in Bußgeldbehörden) mit dem Hammer der Rechtsbeugung verfolgt werden.
    Das verurteilende verfolgt werden, liest man wesentlich seltener.
    Man merkt nach wie vor, dass der Paragraph historisch benutzt wurde.

  3. 3
    WPR_bei_WPS says:

    Na, da hat der Richter wohl zweierlei Pech gehabt:
    1. Er hat sich bei seinem Balanceakt zu sehr zur falschen Seite (der des Delinquenten) gelehnt.
    2. Er war Einzelrichter und nicht ton angeben in einem Spruchkoerper. Da ist das nämlich de facto straffrei, da unbeweisbar (siehe OLG Naumburg / Fall Görgelü.

  4. 4

    De facto ist doch schon längst das Legalitätsprinzip durch das Opportunitätsprinzip ersetzt worden.
    Gründe: etwa der massive Personalabbau, der jahrzehntelang andauerte, Mangel an Sachressourcen, massiver Ausbau der Exekutive zulasten der Judikative, Konzentration auf die Abarbeitung politisch gelagerter Fälle, u.a.m..

    Selbst der gezielte systematische und kontinuierliche Rechtsbruch aus politischen Zweckmäßigkeitserwä-gungen heraus ist dann nicht mehr als Rechtsbeugung zu qualifizieren.

    Wenn dieser Zustand ein oder zwei Jahrzehnte angedauert hat, wirkt die normative Kraft des Faktischen. Die alte Ordnung ist verschwunden, siehe da.

    Was mich allerdings wundert, ist, dass der betroffene Richter in dem oben genannten Fall nicht einfach wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand geschickt worden ist. Vielleicht wollte man einfach partout die Urteile, die in wohl rechtswidriger Weise fabriziert worden sind , beseitigen, was nicht möglich gewesen wäre, hätte man ihn nur für dienstunfähig erklärt. Denn: das Urteil eines geistesgestörten Richters ist sehr wohl gültig.

    —-

    crh: Nebenbei… ich würde mir vielleicht einmal Gedanken über § 261 Abs. 5 StGB machen.

    • Habbich jemacht. Und ich schließe mich dem Votum unseres Bundesverfassungsgerichts und der Literatur an. Hier zum Nachlesen:

      BVerfG NJW 2004, 1305, 1311 f; NJW 2005, 1707, 1708; zustimmend: Matt JR 2004, 325 f; im Ergebnis auch: Barton JuS 2004, 1037; Bermejo/Wirtz ZIS 2007, 404, 406; Fertig 224 ff; W-Hillenkamp Rn 902; L-Kühl Rn 5 a; Schrader 263 ff. Für eine „Mischlösung“, bei der fehlender direkter Vorsatz den objektiven Tatbestand ausschließt: Beulke Rudolphi-FS 401, 403; Winkler 294 ff; für einen Strafausschließungsgrund Bussenius 163 f.
      (geklaut aus: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, StGB § 261 Rn. 124 – 128, wo es u.a. auch noch heißt:

      Danach greift § 261 Abs.2 Nr.1 StGB nur ein, wenn der Strafverteidiger im Augenblick der Annahme des Honorars oder Vorschusses sicher weiß, dass das Geld aus einer Katalogtat stammt; auch Abs.5 findet keine Anwendung.)

       
      Lieber Sven: Don’t panic! crh

    Die Geldwäsche ist zwar ein in Deutschland durchaus wichtiger Wirtschaftsfaktor, aber das muss nicht unbedingt ewig halten.

  5. 5
    Rotkäppchen says:

    Angesichts dieses Urteils können in deutschen Anwaltskanzleien endlich mal wieder die Sektkorken knallen!

    • Das ist nicht richtig! Sie verkennen die Aufgabe eines Rechtsanwalts.
       
      Ein Richter, der sich falsch verhält, ist nicht das Risiko eines Anwalts, sondern das derjenigen, deren Fälle der Richter zu entscheiden hat; macht der Richter Fehler, geht das in der Regel zulasten des/eines Bürgers.
       
      Und dann übersehen Sie in diesem Fall, daß man dem Richter vorgeworfen hat, falsch zulasten der Justiz/Ordnungsbehörde gehandelt zu haben. Viele Bürger sind durch dessen Entscheidungen sanktionslos geblieben, obwohl sie – aus Sicht der Justiz – hätten belangt werden müssen.
       
      So oder so: Es gibt keinen Anlaß für eine Party, wenn die Rechtsbeugung eines Richters festgestellt wird.
      crh
  6. 6

    Als juristischer Berufs- und Berufungsahnungsloser stelle ich anheim, meinen folgenden Gedanken (im Sinne frei rauschender und lediglich partial-konditionierter Einlassungen) zu folgen:

    1. Welches Alter hat der bescholtene Richter?
    2. Wer rügt die Mängel der Bußgeldstelle und verlängerten Bußgeldstelle (zuständige Staatsanwaltschaft)?
    3. Sind die gerichtlich (weiland) anhängigen Bußgeld nun verfristet (verjährt)?

    Ad 1.: Da es sich um einen Amtsrichter handelt, gehe ich davon aus, dass dieser noch nicht in annähernder Nähe des Pensionsalter ist und ihm ggf. ein stattlich vorgezogener Vorruhestand vorenthalten werden soll.

    Ad 2.: Sind dort zur Entlastung Praktikanten aktiv tätig?

    Ad 3.: Fußend auf der Verurteilung stellt sich noch die Frage, inwieweit der Richter nun haftbar wird (war sicherlich so nicht mit den Vorgesetzten besprochen und abgestimmt).

    Zusammenfassung:
    Robin Hood darf es nur einmal geben (ist schon erniedrigend genug) und schon gar nicht in schwarz.

  7. 7
    BV says:

    @ OscarTheFish, # 6:

    1. Der verurteilte Richter ist 60 oder 61 Jahre alt.

    2. Allenfalls Referendare. Aber die bearbeiten die Akten nicht in dieser Weise und sprechen die Betroffenen auch nicht frei (bzw. stellen die Verfahren ein).

    3. Der Staat wird den Richter nicht in die Haftung nehmen. Im Übrigen hat der Richter lediglich einen Dienstvorgesetzten, allerdings keinen fachlichen Vorgesetzten, mit dem er irgendwas be- oder gar absprechen müsste bzw. überhaupt nur dürfte. Ein Richter ist völlig unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.

  8. 8
    egal says:

    Das Problem des Richters war wohl nicht, dass er das Recht doch sehr nach seiner eigenen Auslegung ausgelegt hat, sondern dass er damit nicht aufgehört hat, nachdem „sein“ Obergericht ihm das wohl (mehrfach?) erklärt hat, dass es so nicht geht. Das ist dann das entscheidende Wissenselement.

    Offenbar führt also eine gewisse amtsgerichtliche Renitenz in Verbindung mit einem allzu großen Abweichen vom Erwarteteten zu einer Rechtsbeugung.

    Dass es ausgerechnet die Freispruchfälle betrifft, ist natürlich kein Wunder, weil ja sicherlich nur diese vor dem Bußgeldsenat überprüft werden bzw. Verurteilungen vermutlich eher bestätigt werden.

    Insgesamt dürfte sich ein Bußgeldrichter also dann doch fragen, ob er jemand im Zweifel wirklich freispricht oder nicht. Wer sagt, dass eine solche Entscheidung nicht die Unabhängigkeit der anderen Richter betrifft, biegt sich sein Weltbild wohl gewohnheitsmäßig schön ;)

  9. 9
    egal says:

    @BV

    Es ist wohl zu erwarten, dass bei einem Richter, der offenbar ständig die Verwaltungsbehörde der schludrigen Aktenführung bezichtigt und darauf die Leute freispricht, durchaus ein Vertreter der Staatsanwaltschaft anwesend sein wird.

  10. 10
    reggenezrawhcs says:

    Warum konnte die Behörde eigentlich nicht die vom Richter geforderten Unterlagen beibringen? Wäre doch nicht so schwer gewesen, nachdem man dort wusste, dass der Fall sonst zum Freispruch wird.

  11. 11
    Jörg von Kiedrowski says:

    Den Freispruch eines Proberichters aus meinem Beritt vom Vorwurf der Rechtsbeugung hatte der BGH vor längerer Zeit aufgehoben und an das LG Kassel zurück verwiesen (2 StR 610/11). Leider hat man von dem Verfahren nie wieder etwas gehört. Weiß zufällig einer der Mitlesenden etwas neues?

  12. 12
    Engywuck says:

    @reggenezrawhcs: wenn ich den zweiten Absatz richtig verstanden habe hat der Richter die Unterlagen gar nicht erst angefordert sondern sofort entschieden „was nicht in der Akte *ist* existiert nicht“. Stichwort: Aufklärungspflicht.

    Klar hätte das nun jedesmal angeheftet werden können, aber das macht die Akten dicker und wenn man hundert Messungen vom selben Tag hat wäre das dann hundertfach in den Akten. Wenn die anderen Richter das nicht haben wollen…

    Klingt nach einem Richter, der sich Standardverfahren verinfachen wollte, oder generell gegen Bußgeldverfahren ist, oder einen Strauß mit der Bußgeldstelle ausfechten wollte („wenn ihr das nicht macht wie ich will dann gibts nix!“). Textbaustein vor Verfahrenseröffnung („bitte bringen Sie Messprotokolle und Eichzertifikat zur Verhandlung mit oder reichen Sie rechtzeitig vorher ein“) wäre ja auch möglich gewesen…

  13. 13

    crh: die neue EU – Geldwäscherichtlinie verlangt unter anderem auch Anwälten ab, Risikoprofile und Ähnliches von Mandanten zu erstellen, kaum zu glauben, aber
    wahr … wenn man also nicht ein umfassendes Überwachungssystem installiert, um Geldströme zu kontrollieren , steht man mit einem Bein da, wo man nicht hin will. Möglicherweise wird allerdings das Bundesverfassungsgericht weite Teile dieser Richtlinie wieder einkassieren.

  14. 14
    Cage_and_Fish says:

    @Engywuck @egal

    Sie verkennen, wie das Bußgeld-/Owi-Verfahren in der Praxis inzwischen läuft. Da alle anderen Beteiligten eingespart sind, turnt der OWi–Richter quasi alleine vor. Bei der Staatsanwaltschaft werden die Akten nur durchgewunken, die nimmt auch nur in einem von 1000 Fällen an der Verhandlung teil, und meist auch egal ob „Böses“ droht oder nicht.

    Die Bußgeldbehörde nimmt schon gar nicht teil, es sei denn, der Richter ordnet das ausdrücklich an. Wenn er das aber in allen Verfahren macht, hat er danach in 50 % Terminsverlegungsanträge etc. auf dem Tisch liegen und noch mehr Beteiligte zu koordinieren. Für jede Akte hat er aber nur 5-10 Minuten in der Vorbereitung.

    Erkennen Sie den systematischen Fehler?

    Ich meine, im Ergebnis ein glattes Fehlurteil. Mag das OLG 100 mal so entschieden haben, der Amtsrichter ist aus guten Gründen unabhängig. Und wer ihn alleine vorturnen lässt, muss auch akzeptieren, dass sich eine Art „private“ Verfahrensordnung herausbildet.

    Die Kanzlei Hoenig wird das vielleicht bestätigen können: Wenn Sie mit 100 Bußgeldrichtern sprechen, werden Sie 100 kleine Abweichungen in der Sachbearbeitung feststellen, die aber alle darauf ausgerichtet sind, die Massen der Verfahren irgendwie sinnvoll zu beherrschen.

    Solange die Rechtsauffassung noch irgendwie vertretbar ist, kann kein Vorsatz vorliegen, auch kein bedingter. Und hat nicht kürzlich erst das OLG Naumburg entscheiden, dass die Behörde jetzt doch eine Lebensakte des Messgerätes zu führen oder jedenfalls im Nachhinein anzufertigen hat? Das wurde in den letzten 20 Jahren noch als unvertretbar angesehen…