Pingelig oder arrogant?

Der Halterin eines PKW wurde gem. § 163a StPO eine Zurlastlegung mitgeteilt: „Ihnen wird zur Last gelegt, zu schnell unterwegs gewesen zu sein.

Nach umfangreichen, zweimonatelangen und intensiven Ermittlungen konnte die Behörde mit tatkräftiger Unterstützung durch sachkundige Inaugenscheinnehmer und nach einer kunstgerechten Verteidigungsschrift des erfahrenen Fachanwalts für Verkehrsrecht feststellen:

Der bärtige, bebrillte Fahrer, den das Meßfoto hinterm Lenkrad abbildete, hatte nur wenig Ähnlichkeit mit der Halterin; mit großer Wahrscheinlichkeit konnte deswegen dieser Fahrer nicht die Betroffene sein.

Dann ging es recht flott:
Binnen zweier weiterer Wochen, in denen das Verfahren von einem Schreibtisch zum nächsten getragen wurde, bekam die Halterin Post.

Einstellungsbescheid

Soweit, so klug und so erfreulich.

Bemerkenswert und aufschlußreich ist der letzte Satz dieser Einstellungsnachricht.

Verantwortlicher

Was bisher geschah:
Noch bevor das Verfahren gegen die Halterin eingestellt wurde, hatte Mr. President ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen einen anderen Betroffenen eingeleitet und – auch um sicher den Eintritt der Verjährung auszuschließen – einen Bußgeldbescheid gegen ihn erlassen.

Ob die Bußgeldbehörde diesmal richtig gelegen hat, steht aber noch nicht fest; der Betroffene hat die Verteidigung gegen den Bußgeldbescheid aufgenommen: Einspruch Euer Polizeipräsidialehren!

Dieser Satz ist also bei Lichte betrachtet – zumindest vorläufig – falsch. Er offenbart aber einen erheblichen Mangel bei dem verantwortlichen Textbausteinverfasser und/oder -anwender.

Solange die Fahreridentität nicht sicher feststeht, ist ein Betroffener nicht der „Verantwortliche“. Er ist allenfalls „Verdächtigter“ oder eben „Betroffener“ in einem Bußgeldverfahren.

OK, es sieht ein wenig nach Pingeligkeit aus,
wenn ich mich hier an so einem einsamen Begriff hochziehe. Aber an dieser Kleinigkeit ist doch erkennbar, mit welchem Selbstverständnis – man könnte es auch Arroganz nennen – ein Sachbearbeiter darüber entscheidet, wer für eine Ordnungswidrigkeit „verantwortlich“ ist. Man möchte ihm zurufen: Art. 6 Abs. 2 EMRK gilt auch in Bußgeldsachen.

Und dann noch zum Schluß:
Wenn dann irgendwann einmal feststehen sollte, daß der Betroffene auch tatsächlich der Fahrer war, ist noch zu prüfen, ob der Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung auch im Übrigen zutrifft. Bei dieser Prüfung wirken dann ein Richter, ein Sachverständiger und ein Strafverteidiger mit. Aber sicher nicht ein Textbausteinverschleuderer vom Referat Verkehrsordnungswidrigkeiten und Bußgeldeinziehung beim Polizeipräsidenten in Berlin.

Dieser Beitrag wurde unter Behörden, Ordnungswidrigkeitenrecht veröffentlicht.

11 Antworten auf Pingelig oder arrogant?

  1. 1
    Max says:

    „Pingelig oder arrogant?“ fragen Sie – „vielleicht beides“ antworte ich.
    Pingelig vermutlich, da sind wir uns einig. Übrigens auch darüber, dass der Textbaustein unglücklich gewählt ist, gar keine Frage. Ja, vermutlich haben Sie auch die Intention des Verfassers korrekt erfasst und sind darüber zu Recht irritiert.

    Aber ist das auch zwingend korrket? Ihre Kritik scheint mir potentiell auch von der Arroganz des, vermeintlich, dem Sachbearbeiter bei Behörde oder Gericht geistig Überlegenen getragen. Denn hätten Sie sich mit den Begrifflichkeiten des OWiG hinreichend genau auseinandergesetzt, ehe Sie dem Verfasser einen „erheblichen Mangel“ (woran eigentlich?) bescheinigen, wäre Ihnen aufgefallen, dass auch Ihr Post einen (wegen der vergleichbaren Unachtsamkeit dann wohl auch: erheblichen) Mangel hat.

    Das OWiG verwendet den Begriff des Verantwortlichen gar nicht, sondern spricht vom Täter (z.B. § 6, § 7 Abs. 1, § 14 Abs. 4, § 17 Abs. 4 OWiG) bzw. Beteiligten (§ 14 OWiG).
    Die Verantwortlichkeit behandelt das OWiG in drei Fällen: Erstens in (der redaktionellen Überschrift zu) § 12 OWiG, also bezüglich der Vorwerfbarkeit der Tat. Zweitens bezüglich des Handelns für juristische Personen oder Personenvereinigungen (§§ 29 f. OWiG). Drittens, auch die einzige Verwendung des Begriffs „Verantwortlicher“, hinsichtlich der Verantwortung für Tiere (§ 121 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Die StPO verwendet ihn im Übrigen nicht, die StVO so wie § 121 OWiG (§ 49 Abs. 2 Nr. 3 StVO).

    Dem, schon im Gesetz (so) nicht verwendeten Begriff „Verantwortlicher“ im Textbaustein also die Bedeutung als „Täter“ zuzuschreiben überspannt den Wortlaut des OWiG deutlich. Zumal, wie Sie selber feststellen, es hinreichend andere Begriffe gegeben hätte, wenn der Verfasser eine Verfahrensstellung des Adressaten des nächsten Bescheides hätte bezeichnen wollen.
    Es sei denn, Sie wollen in dem Bescheid lesen, dass der Verfasser auch über die Frage der persönlichen Vorwerfbarkeit der Tat eine Entscheidung getroffen haben will. Da bei einem bärtigen Fahrer wohl kaum die Vorwerbarkeit aus Altersgründen gemeint sein kann, müsste es um die Zurechenbarkeit nach § 12 Abs. 2 OWiG gehen. Glauben Sie ernsthaft, dass der Verfasser diese Aussage treffen wollte – oder sich über eine mögliche Unzurechenbarkeit überhaupt Gedanken gemacht hat?
    Andere, m.E. näher liegende, Deutungen wie die als „Verursacher“ (des Ermittlungsverfahrens) scheinen Sie erst gar nicht in Betracht zu ziehen.

    Ihre Kritik ist damit im Ergebnis jedenfalls nicht sauber begründet und wohl vorurteilsbeladen. Vermutlich wäre es jedenfalls der Stimmung bei Verfasser und Empfänger des Schreibens zuträglich, nicht sofort das Schlimmste zu unterstellen. Art. 6 Abs. 2 EMRK und so.

  2. 2
    Jochen says:

    Gerade der Umstand, dass in der Einstellungsnachricht ein geschlechtsunspezifischer Textbaustein verwendet wird („die Verantwortliche / den Verantwortlichen“), zeigt doch, dass hier gerade nicht die Verantwortlichkeit einer bestimmten Person unterstellt wird.

  3. 3
    GrumpyPig says:

    Ich dachte… ja ich hoffe da käme noch eine Pointe die meine Zeitaufwendung rechtfertigen würde. Leider nein.

    Schwach.

    • Na wenistgens hatten Sie noch genügend Zeit, einen intelligenten Kommentar zu schreiben. Stark! crh
  4. 4
    Felix Berger says:

    Hm, irgendwie ein ziemlich arroganter Beitrag von Ihnen. Von oben herabsehend.

    Gefällt mir nicht!

  5. 5
    jk says:

    Herr Hoenig, Sie sehen das falsch, der/die Sachbearbeiter/in geht offensichtlich davon aus, dass man gegen den Zeitreduzierer* mittels ASOG vorgehen muss und ihm per unmittelbarem Zwang zu Leibe rücken kann, um zukünftige Fahrten zu verhindern.

    Ich kann nur hoffen, dass irgendjemand den Sachbearbeiter davon Abhält sich mit gezogener Pfefferspraydose vor den Abgebildeten zu stellen um ihn am Autofahren zu hindern. Oder, im Sinne einer potentiellen Mandantenakquise, vielleicht eher nicht…

    * Zeit = Distanz / Geschwindigkeit. Fährt man schneller, braucht man weniger Zeit.

  6. 6
    Steffen says:

    Vorsorglich auch gegen einen anderen einen Bußgeldbescheid erlassen? Ist das den zulässig? Ich meine, da könnte man ja hier und da mal sicherheitshalber jedem Familienmitglied einen Bescheid schicken, irgendeiner wird schon mit Papas Auto gefahren sein…

  7. 7
    Waschi says:

    Ein bisschen pingelig, finde ich. Jedenfalls wenn man bedenkt, dass das eine Art Zusatzservice der Behörde ist: Die Bußgeldstelle ist m.E. nicht verpflichtet, überhaupt darauf hinzuweisen, dass das Verfahren gegen einen anderen Beschuldigten noch weitergeht; sie könnte den Satz auch ganz weglassen.

  8. 8
    jj preston says:

    Die Berliner und das Deutsch…

    „Der/Die Verantwortliche“ bezeichnet zunächst mal die Person, die für die Ordnungswidrigkeit verantwortlich ist – also die Person, die sie begangen hat. Die Tatsache, dass es sich um eine bärtige, bebrillte Person handelt, lässt zudem nicht auf eine Geschlechteridentifikation schließen (ich hab in Berlin schon Frauen gesehen, die aussahen wie Bud Spencer als Ramon Serrano…).

    Wenn also das Verfahren gegen „den Verantwortlichen / die Verantwortliche“ fortgeführt wird, ist damit zunächst mal die bärtige, bebrillte Person gemeint. Aus der Formulierung geht nicht hervor, dass diese mit der Person identlisch ist, gegen die der Bußgeldbescheid läuft. Man kann die Schlussfolgerung ziehen, dass die sachbearbeitende Person in der Behörde die Person, gegen die der Bußgeldbescheid erlassen wurde, für die verantwortliche Person HÄLT, was eine Willkürhandlung ausschließen würde. Dass diese Person verantwortlich IST, lässt sich daraus nicht ablesen.

    Diese Verbindung wird erst dadurch gezogen, dass mindestens eine mit der Einstellung befasste Person die Person, gegen die sich der neue Bußgeldbescheid richtet, kennt, und sie besteht auch nur für diese Person(en).

    Auch als Ihre Mandantin als Kraftfahrzeughalterin einen Bußgeldbescheid bekam, richtete sich das Verfahren gegen „den Verantwortlichen / die Verantwortliche“. Es hätte ja durchaus sein können, dass Ihre Mandantin Bart und Brille beim Autofahren trägt, als Ausdruck ihres persönlichen Entfaltungsrechts oder auch aus medizinischen Gründen. Eine persönliche Inaugenscheinnahme vor Erlass des Bescheids in jedem Einzelfall hielte ich jedenfalls für übertrieben…

  9. 9
    ct says:

    Eine verantwortliche Person gibt es aber nur, wenn überhaupt eine OWi vorliegt, was nicht die Behörde, sondern das Gericht entscheidet.

    Trotzdem etwas pingelig. Ich glaube, die Verfasser der EMRK hatte eher andere Sachverhalte im Sinn…

  10. 10
    Manuel says:

    Interessanter Artikel. Blog ist abonniert.

  11. 11
    Janndh says:

    Herr Angeklagter:

    Ihnen wird zur Last gelegt sie hätten an dem Mast gesägt und damit den Gast zerlegt!

    Irgendwie erinnert mich ein Teil des Schreibens an Ottos legendäre Gerichtsnummer !