Nicht geäußert. Oder vereitelte Äußerung?

113414_web_R_by_raps_pixelio.deEs geht um den Vorwurf eines Abrechnungsbetrugs zu Lasten von Krankenkassen. Ziemlich genau vor zwei Jahren habe ich mich als Verteidiger einer der Beschuldigten gemeldet. Zuvor haben Wohn- und Geschäftsraum-Durchsuchungen stattgefunden. Die Ermittler haben reichlich Abrechnungsunterlagen und selbstredend auch die Computer beschlagnahmt.

Vier Monate später habe ich Akteneinsicht erhalten. Ein paar Wochen danach konnte ich das erste Telefonat mit der Staatsanwältin führen. Sie war längere Zeit krank und konnte sich nur dunkel an den Akteninhalt erinnern. Wir haben uns darauf geinigt, einen Monat später noch einmal miteinander zu sprechen. Das war für Anfang Oktober 2014 geplant.

In diesem Gespräch haben wir uns auf eine Besprechung einen weiteren Monat später, für November geeinigt: Die Staatsanwältin hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich in die Akte einzuarbeiten.

Das Ganze zog sich hin. Bis in den April 2015. Zwischenzeitlich habe ich immer mal wieder versucht, sie zu erreichen. Jedes Mal habe ich mir die Zeit genommen, eine kurze Notiz zu schreiben. Diese hier stammt von einem Telefonat vom 19. Dezember 2014:

Erreicht

Ich habe es auch nicht versäumt, mich in Einzelfällen für die Telefonate via Fax bei der Staatsanwältin zu bedanken und noch einmal die Vertagungsvereinbarung schriftlich zu bestätigen. Was in der Akte drin ist, kann nicht vergessen werden. Dachte ich mir.

Im April 2015 ging die Akte nochmal zurück an das LKA zu weiteren Ermittlungen. Im August 2015 haben wir uns auf ein Telefonat in der ersten Septemberwoche geeinigt, kurz vor dem Urlaub der Staatsanwältin. Sie wollte sich melden, wenn sie sich endlich durch die Aktenberge durchgearbeitet hat.

Danach passierte nichts. Bis in den Januar 2016. Überraschend wurde den Beschuldigten die Anklageschrift zugestellt. Aber ohne daß den Beschuldigen Gelegenheit gegeben wurde, zum Gegenstand und Ergebnis der Ermittlungen Stellung zu nehmen. Unerhört, wie ich meine. Denn dadurch hatten sie keine Chance, auf den Inhalt der Anklageschrift Einfluß zu nehmen.

Der letzte Absatz der Anklage sieht dann so aus:

NichtzumTatvorwurfgeäußert

Liebe Frau Staatsanwältin M.

Erst erwecken Sie den Eindruck, mit Ihrem Dezernat vollkommen überfordert zu sein. Die Verteidigung hat stets darauf Rücksicht genommen, obwohl dieses offene Verfahren die Beschuldigten massiv belasten; es geht hier schließlich um nichts weniger als deren gesamte berufliche und wirtschaftliche Existenz.

Dieser kurze Satz, die Angeschuldigten hätten sich nicht zur Sache geäußert, empfinde ich als Boshaftigkeit. Er unterschlägt nämlich den Umstand, daß Sie es entgegen Ihrer wiederholten Zusagen unterlassen haben, den Beschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren.

Das ist ein nicht akzeptables Verhalten und einem fairen Umgang der Beteiligten nicht dienlich. Ich sehe es als meine Pflicht an, andere Verteidiger darauf hinzuweisen, daß Sie Ihre Versprechen nicht halten und wir uns nicht auf Sie verlassen können.

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Bild: © raps / pixelio.de

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6 Antworten auf Nicht geäußert. Oder vereitelte Äußerung?

  1. 1
    Spandauer says:

    „Bis in den Januar 2015“, nicht Januar 2016?

    • Einmal mehr ein Dankeschön. crh
  2. 2
    Klaus says:

    Link zum Bild defekt.

    • Danke. Repariert. Hoffentlich. Jetzt endlich. #Jetpack crh
  3. 3
    WPR_bei_WBS says:

    Wie heißt es so schön: „Erkläre nicht mit Boshaftigkeit, wozu auch Inkompetenz ausreicht.“. Wobei der Spruch natürlich nichts über das gemeinsame Auftreten der beiden Dinge sagt…

  4. 4
    Kai says:

    Ist das alles, was Sie in der Sache machen können? Andere warnen?

  5. 5
    Flamebeard says:

    @Kai: Das geht ja so aus dem Blog-Eintrag nicht hervor. Ich bin zwar nicht vom Fach, aber es sollte durchaus Mittel und Wege geben, das Geschehene zum Nutzen der Mandanten verwerten zu können.

    Wie aus dem letzten Absatz hervor geht, ging es hier ja auch primär darum, andere Verteidiger, die eventuell ebenfalls in der Warteschleife hängen, frühzeitig auf den möglichen Ausgang vorzubereiten. Damit bietet sich anderen die Möglichkeit, frühzeitig anders zu reagieren bzw. der betreffenden Dienststelle eben nicht nachsichtig entgegen zu kommen, wenn diese mal wieder „überlastet“ ist…

  6. 6
    RA Krieger says:

    Warum schreiben Sie im Interesse Ihrer Mandantschaft nicht einfach einen Brief um die Sache schon im Vorverfahren totzumachen wenn Sie etwas von Wert beizutragen haben?

    • Lieber Kollege Krieger, wir sind hier nicht im Zivilrecht; mit Briefeschreiben kommt man im Strafrecht nicht weit, wenn man nicht vorher den Boden dafür bereitet hat, daß die Post dann auch gelesen und – noch viel wichtiger – richtig verstanden wird. Mit Schriftsätzen, die zum falschen Zeitpunkt und/oder mit mißverständlichem Inhalt ankommen und/oder von der falschen Person *bewertet* werden, kann man die sonnigsten Aussichten verhageln.
       
      Im konkreten Fall war der (mit der StAin besprochene!) Plan eben so, daß die zuerst die Akteninhalte nach Abschluß der Nach-Ermittlung analysiert, dann besprochen werden sollten. Und erst danach wäre eine Verteidigungsschrift sinnvoll gewesen, um Einfluß auf den Inhalt der (von Anfang an erkennbar unvermeidbaren) Anklageschrift zu nehmen. Nun haben wir eine „Vorratsanklage“, die wir in einer aufwändigen und teuren Beweisaufnahme auseinandernehmen müssen. Damit ist niemandem gedient.
       
      Entscheidend (für diesen Blogbeitrag) war aber der Vertrauensbruch, den die StAin begangen hat. Es läuft im Strafrecht sehr viel über informelle (nicht schriftliche, s.o.) Abreden. Wenn man (also Ri, StA und Vert.) sich dabei nicht zu 100% auf sein Gegenüber verlassen kann, bricht dieses System zusammen. Deswegen reagieren alle(!) Beteiligte sehr empfindlich auf gebrochene Versprechen. Das wird diese StAin jetzt zu spüren bekommen. crh