Herr Schreiber und der Rechtsstaat

Ein Instrument, das unsere Verfassung und die einfachen Gesetze zur Kontrolle der Regierung durch die Legislative zur Verfügung stellt, ist die „Schriftliche Anfrage„.

Tom Schreiber ist für die SPD (direkt) ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt worden. Der studierte Politik- und Erziehungswissenschaftler versucht sich nun im Strafrecht und stellt allerlei (scheinbar) intelligente Fragen:

Schriftliche Anfrage
Zum Beispiel diese hier:

Unter welchen Voraussetzungen erhalten Angeklagte einen Pflichtverteidiger?

oder diese:

Wie hoch sind in Berlin die Sätze bei Strafverteidigern? Was besagt die Gebührenordnung? (Aufstellung der Preissätze erbeten)

OK, als Erzieher muß man das nicht wissen, auch dann nicht, wenn man für das Studium 13 Jahre (von 2001 bis 2014) gebraucht hat. Ein Politikwissenschafler, der aktiv im Geschäft ist, könnte aber vielleicht mal auf die Idee kommen, diese Fragen selbst zu recherchieren – in Bezug auf den Pflichtverteidiger wird er beispielsweise hier fündig und für die Pflichtverteidiger-Gebühren hier. Das sind alles keine Geheimnisse, mit dessen Lüftung man die Senatsverwaltung für Justiz beschäftigen muß, alles transparent und offen zugänglich.

Nun, Herr Schreiber hat noch mehr Fragen (pdf), mit denen er seine Professionalität als Abgeordneter unter Beweis stellt vorzutäuschen versucht. Und – für den Kundigen jedenfalls – ein merkwürdiges Verständnis von der Funktion einer Strafverteidigung im rechtsstaatlichen Verfahren offenbart.

Ich bin mir ziemlich sicher, daß Herr Schreiber nicht wirklich weiß, wovon er redet, und wenn er fragt:

Wie viele Tatverdächtige und Angeklagte in Verfahren der Organisierten Kriminalität bezogen in den letzten fünf Jahren offiziell Sozialleistungen?

Was Sozialleistungen sind, könnte ihm noch bekannt sein; hinsichtlich des Begriffs „Organisierte Krimininalität“ fürchte ich, daß er seine Kenntnisse aus den Boulevard-Medien bezieht. Denn das ist auch das Niveau, auf dem der Geist seiner Fragen durchklingt.

Ganz in dem Sinne:

Wie kann es sein, daß ein böser Angeklagter einen guten Verteidiger hat?

Für mein Gefühl hat dieser Abgeordnete ein ganz merkwürdiges Verhältnis zum Rechtsstaat. Und zu einer professionellen Strafverteidigung. Ich bewundere die Sachlichkeit, mit der Herr Straßmeir diesen tendenziösen Fragen begegnet, statt ihn auf den Blick in’s Gesetz und – vor allem – in die Verfassungen und Konventionen zu verweisen.

Dem Meister der Freien Erziehungs- und Politik-Künste sei gesagt: Ein Strafverteidiger hat u.a. die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß nicht irgendwelche Künstler nach gesundem Volksempfinden über andere Menschen entscheiden.

Mit Verlaub: Wir leben in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat.

Weiterführende Informationen über die Stellung der Strafverteidigung in einem Rechtsstaat kann auch ein Nichtjurist hier auf unserer Website und auf vielen anderen Präsentationen von guten Strafverteidigern nachlesen.

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Besten Dank an RJF für den Hinweis auf diese schriftliche Anfrage.

Dieser Beitrag wurde unter Politisches, Strafverteidiger veröffentlicht.

16 Antworten auf Herr Schreiber und der Rechtsstaat

  1. 1
    theo says:

    Ich bin mir ziemlich sicher, das die Anfrage nicht von Sts Straßmeir persönlich beantwortet wurde. Dies wäre eher ungewöhnlich. Gewöhnlich hingegen ist es das kleine und große Anfragen an die federführenden Fachreferate zur Beantwortung weitergegeben werden. Die Lobeserdbeeren äh, Lorbeeren für den sachlichen Stil sind daher an die Fachreferate zu richten.
    ;-)

  2. 2
    RA Anders says:

    Sms (Sicherheit mit Schreiber) und “ ich bin sehr konsequent bei Menschen, die diese Demokratie mit Füßen treten“, sind klare Statements.
    Offensichtlich hat Herr Schreiber diese Menschen gefunden, es sind die Sozialleistung beziehenden Gangster und deren Verteidiger, die vom Staat riesige Geldbeträge einstreichen.
    Schade, dass er Themenkomplex Strafverteidigung nicht den blassesten Schimmer hat.

  3. 3
    meine5cent says:

    Dass Abgeordnete dämliche Fragen zu Dingen stellen, die ein Blick ins (ggf. sogar von ihnen selbst mit beratenem und beschlossenem….) Gesetz beantworten könnte, ist allerdings nichts Ungewöhnliches.

    Auch sonst fehlt es gelegentlich an rudimentären Kenntnissen zur Staatsstruktur und -organisation.
    In einer Anfrage der LINKEN wird z.B. nach „kriminaltechnische(n) Institute(n) der Bundesregierung“ gefragt.
    Dass die Bundesregierung solche Institute unterhält, dürfte eine sensationelle Neuigkeit sein.

  4. 4
    Mitleser says:

    Hmmm, nach den Berichten hier im Blog bin ich nicht sicher, ob wirklich *alle* Richter Herrn Hönig für einen *guten* Verteidiger halten?
    Es gibt da ganz sicher eine Fraktion, die sagt: „Aus meiner Sicht ist der Hoenig ein gar böser/garstiger/lästiger/unbequemer Strafverteidiger!“ Natürlich nur unter sich oder auf Facebook.

    Laut Herrn Schreiber Ihre Eintrittskarte in die schillernde Welt der OK („Mafia-Anwalt crh“ :D).

  5. 5
    Knoffel says:

    Ich wollte gerade meinen Senf dazugeben, aber ich lasse es lieber, denn ich rege mich bereits wieder furchtbar auf.

    Dass es immer noch Leute gibt, die den Sinn und Zweck von Strafverteidigung nicht verstanden haben, ist einfach nur traurig.

  6. 6

    Wenn er regelmäßig BZ lesen würde, dann wäre er gut genug informiert, um sich Anfragen der oben dargestellten Qualität zu sparen.

  7. 7
    Waschi says:

    Ach, immer dieses Gemecker. Der Politiker ist da einer ganz großen Sache auf der Spur, und Ihnen geht’s doch in Wirklichkeit nur um die blutbeschmierten und koksbestäubten Banknotenbündel, die Ihnen Ihre finsteren Mandanten mit schmierigen Fingern wöchentlich in dunklen Straßenecken überreichen…

    Aber mal ernsthaft: Abgleich der offiziellen Einkommenssituation von Angeklagten mit der Auswahl der Verteidiger? Wie sollen wir das den machen? Listen mit den „Tarifen“ der häufig auftretenden Strafverteidigern führen?

    Und was, wenn die Verteidiger ihre Vergütungspolitik der StA gegenüber nicht offenlegen wollen (solche renitenten Fälle soll’s ja geben)? Na gut, dann muss man halt stichprobenartig bei jedem Anwalt ein paar Mandantenakten und/oder die Kanzleibuchführung beschlagnahmen und auswerten…

    Wobei mir noch nicht ganz klar ist, was ich mit der Erkenntnis anfangen soll, dass ein angeblich armer Beschuldigter sich einen teuren Anwalt leistet. Gut, man könnte die Tagessatz-Höhe nach oben schätzen, aber reden wir nicht von bösen Mafiosi, bei denen Geldstrafe eh zu milde wäre?

    Oder soll ich den dann einfach anklagen? („Dem Angeschuldigten wird zur Last gelegt, sich durch eine nicht bekannte Zahl von Straftaten doch schon ziemlich viel Geld verschafft zu haben…“)

    Fragen über Fragen…

  8. 8
    Zivilrechtler says:

    @Arne Rathjen: Oder diesen Blog. Da lernt man viel.

  9. 9
    Besserwisser says:

    Wieder ein Beispiel dafür, dass wir mehr direkte Demokratie benötigen. Würde Berlin eine Abwahl („recall“) unfähiger Mandatsträger vorsehen, unterbleiben derartige Anfragen sehr bald.

  10. 10
    Tobias says:

    Tom Schreiber führt schon seit einiger Zeit einen Privatkrieg gegen alles, was ihm zu links ist.

    Siehe z.B. hier:

    … erzählt, wie Mitte November 20 Menschen drei Stunden in einem Polizeikessel vor der Kneipe standen. Sie wollten sich mit zwei kontrollierten Personen „solidarisieren“, dann wurden sie selber festgesetzt. Eine junge Frau sei dabei rabiat aus der Menge gezogen worden. Währenddessen habe der Berliner SPD-Abgeordnete Tom Schreiber in einem Polizeiauto gesessen und getwittert.

    • Das hier ist auch gerade anständig, was die ZuLinken da mit dem armen Mann machen: „Auf Twitter macht das Hashtag #tomduarschloch die Runde.“ crh
  11. 11
    Hätte in die Politik gehen sollen says:

    Jetzt mal ohne Witz: wenn mir jemand Geld für ähnliche Fragen zahlt, bitte melden!

  12. 12

    8: Die BZ enthält immer wieder einmal Nachrichten über die Entwicklung der Ehrenwerten Gesellschaft in Berlin.

  13. 13
    Wollmilchsau says:

    Jau, Herr Hoenig, der Herr Schreiber hat erst mit 36 sein Examen gemacht, da waren Sie schon längst … – ja was eigentlich??

    • Als ich 36 war? Das müßte dann so 1992 gewesen sein. In der Zeit – zwischen meinem 1. Examen und Beginn meines Referendariats – war ich Dozent für Polizei- und Ordnungsrecht, Verfassungsrecht und Bauordnungs-/planungsrecht, teilweise an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Bernau und an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Alt Friedrichsfelde, wenn ich das jetzt so richtig erinnere. Steht so ungefähr aber auch in meiner Vita. Mit kurz vor 40 bin ich Rechtsanwalt geworden, vor knapp 20 Jahren.
       
      Warum fragen Sie? crh
  14. 14
    skugga says:

    Tom Schreiber, auf Twitter – siehe weiter oben – immer gerne genommen, wenn man mal mehr oder weniger still in seine Tastatur weinen möchte. Der Mann ist… ach nee, ich lass es. Einer Ihrer Berufskollegen und lieber Kumpel von meiner einer hat das mal unter „engagiert und kenntnisfrei“ subsumiert.

  15. 15
    OscarTheFish(p@k) says:

    In einer Demokratie (oder hilfsweise in der simulierten bzw. suggerierten Form) sollte die Freiheit des Einzelnen bemüht im Vordergrund stehen (hierbei möchte ich insbesondere auch der Artt. 2, 4 und 5 GG hinweisen). Die Freiheit im Allgemeinen umfasst filial auch die Freiheit der Kenntnis und des Wissens sowie die Freiheit peinlicher Gefühle in Tateinheit mit eigenen (dokumentierten) Fehlern.
    Modellhaft steht hier sicherlich auch eine Dame, in deren Namen eine bestimmte Farbe (Spektrum ca. 630-700 nm) mit schlüsslich beigeordnetem „H“ als Mitgliedin der Partei mit dem politmarketinglichen Spektrum von 490-560 nm in Ergänzung vorbildlich zur Verfügung.
    Herr Schreiber lebt seine ihm staatlich / gesellschaftlich zugebilligte Freiheit nachdrücklich aus und ist sicherlich bezüglich Kenntnis und Sachverstand nicht allein im parlamentarischen Biotop. Vermutlich gehörte er zu den Schülern, die kraft freiheitlichen Engagements in der mündlichen Benotung gut abgeschnitten haben (Bestätigung der eigenen Existenz).
    Letztendlich muss man ihm attestieren, dass er offensichtlich lediglich das prototypische Modell erfolgreich plagiiert, das seine Vorgeneration progressiv-philologisch theoretisch entwickelt und praktisch durchgekämpft hat.
    Er wird aber nicht der einzige sein. In diesem Zusammenhang weise ich gerne auf das noch relativ junge Werk der juristischen Biologie hin: „Das Kapitalanlagegesetzbuch“. Selbst beim ornithologischen Lesen (sogenanntes „visuelles Überfliegen“) werden Sie einiges über neue „juristische Organismen“ erfahren. Jura-Adam („juristische Person“) erhält somit eine juristische Biozönose (Gesamtbetrachtung „Juroökosystem“).
    Ansonsten bleibe ich gerne gewogen.

  16. 16
    OscarTheFish(p@k) says:

    In ridikuphiler Form und Atmosphäre möchte ich auf folgenden, vollumfänglich mir anzulastenden Grammatikfehler hinweisen:

    Ich schrub in Zeile 2 und 3:

    „(hierbei möchte ich insbesondere auch der Artt. 2, 4 und 5 GG hinweisen)“

    Mir die Freiheit nehmend und nicht stehlend weise ich darauf hin, dass folgender Wortlaut beabsichtigt war und ist:

    „(hierbei möchte ich insbesondere auf die Artt. 2, 4 und 5 GG hinweisen)“

    Auf das Aussprechen eines zivilrechtlichen Lachverbotes möchte ich vorerst verzichten. Weitere Fehler sind sicherlich aufgrund der reduzierten Photonenpenetrierbarkeit meines Sehapparates im eigenen Textwerk zu vermuten (ggf. auch zahlreich).