Ein Auftrag an die Verteidiger

Es hat einen Verteidigerwechsel gegeben. Der Mandant erteilt seinem neuen Verteidiger diese Weisungen:

Wir waren in der Vergangenheit dann stark, wenn wir der Kammer gegenüber selbstbewußt aufgetreten sind, zum Beispiel mit den Befangenheitsanträgen. Wir wurden immer dann kalt erwischt, wenn wir Druck weggenommen haben und freundlich waren. Damit muß es vorbei sein … Ich rufe Sie zur Schlacht – aber sie muß geordnet sein …

Ich bin, wie Sie wissen, unschuldig, und wir müssen nicht mit Freundlichkeit bei der Kammer um Gnade winseln. Wenn die Kammer verurteilungswillig ist und bleibt, möchte ich, daß wir mit allem gekämpft haben, was zur Verfügung steht …

SchloßInkaufnahme der Gefahr einer harten Verurteilung anstatt mit feuchtem Blick um eine milden Strafe zu betteln; so wird der angeklagte (und später freigesprochene) Mandant zitiert.

Warum eine streitige Hauptverhandlung dazu notwendig und geeignet ist, das verloren gegangene Vertrauen in die Richter wiederherzustellen, beschreibt Rechtsanwalt Justizrat Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied, in der aktuellen StraFo 2015, 1-8 (nachzulesen auch bei Juris).

Angeklagte, die unschuldig sind oder, weil der Zweifelssatz das verlangt, für unschuldig gehalten werden müssen, haben ein Recht darauf, konsequent verteidigt zu werden.

In dem höchst lesenswerten Aufsatz reklamiert Salditt „die anschwellende Flut der Absprachen„, die er als Indiz dafür wertet, daß die „realexistierende Strafjustiz“ den Anforderungen des klassischen Strafprozesses nicht (mehr) genügt. Mit Salditt vermisse auch ich:

Zeugenvernehmungen, die ohne Tendenz ergebnisoffen stattfinden; Achtung von Unschuldsvermutung und Zweifelssatz; Bereitschaft, einer Stellungnahme des Angeklagten zuzuhören; Gelassenheit und Distanz; stille Freude am Freispruch, mit dem fundamentale Rechte bekräftigt werden.

Statt ein faires Verfahren zu gewährleisten, bekommt der Angeklagte ein Angebot, das er nicht ablehnen kann: Lieber ein falsches Geständnis und eine milde (Bewährungs-)Strafe, als erhobenen Hauptes in den Streit im Vertrauen darauf, daß es eine faire Auseinandersetzung wird?

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Verteidigung veröffentlicht.

12 Antworten auf Ein Auftrag an die Verteidiger

  1. 1
    Verlobte von Wilhelm Brause says:

    Carsten, das war eine Meisterleistung.

    Gluffke hat die Justiz als Saustall bezeichnet.
    Marianne und Renate haben gesagt, dass Rechtsanwälte auch nur Menschen sind.

    Wilhelm hat gesagt, dass die meisten Anwälte Mist bauen und dann überhöhte Rechnungen schreiben.

    Aber hier lief es, wie es laufen muss!!!

    War das die 4-P-Story?
    (Potsdamer Potenz-Pillen-Prozess?)
    Oder das falsch abgestellte Kinderdreirad im Hausflur?

  2. 2
    Miraculix says:

    Einerseits haben Sie uneingeschränkt Recht.
    Andererseits ist eine Geldauflage von x€ sehr viel preiswerter als 5 Tage Aufwand mit RA und Gericht.
    Diesen Verdienstausfall, der das 5-fache der Geldauflage ausmacht, ersetzt niemand.
    Also wie handeln? Rechtmäßig oder wirtschaftlich?

    • In dem von mir zitierten Aufsatz geht es nicht um den Einzelfall – in dem Sie Recht haben mögen. Wenn diese Frage, die Sie stellen, aber „systembedingt“ ist, geht etwas richtig den Bach runter. Und das ist hier Gegenstand der Kritik. crh
  3. 3
    Fliesenleger says:

    Das ist ein Zitat aus dem [Ich-weiß-wie-es-heißt]-Buch.

  4. 4
    Miraculix says:

    Ich habe das Buch nicht gelesen, aber er wird das ähnlich sehen wie ich.

  5. 5
    Anonym says:

    In den PPP-Prozessen sind Freisprüche nicht vorgesehen, also wird es auch keine geben.

  6. 6
    T.H., RiAG says:

    Naja… zwischen „sich unschuldig verurteilen lassen“ und „das Gericht mit Befangenheitsanträgen zusch*****“ soll es ja auch noch einen Mittelweg geben. :-)

  7. 7
    RA de Berger says:

    Den tatsächlich unschuldigen Mandanten (hat nix gemacht), gibt es ziemlich selten. Den rechtlich unschuldig Mandanten (hat alles so gemacht, wie es in der Anklageschrift steht, ist aber gar nicht oder nicht nach der behaupteten Norm strafbar) gibt es dagegen relativ häufig.

    Ich finde die zweite Alternative beinahe noch ärgerlicher. Da wird jemand mit einem Strafverfahren überzogen, weil die beteiligten Ankläger und erstinstanzlichen Richter keinen Kommentar lesen können. Merkwürdigerweise sind diese Mandanten dann gar nicht unbedingt auf einen Freispruch aus. Denn sie haben ja getan, was ihnen „vorgeworfen“ wird, auch wenn der Verteidiger (zutreffend) sagt, das sei gar nicht strafbar. Wenn in einem solchen Fall am Ende einer mehrtägigen Hauptverhandlung der beleidigte Richter dann auch noch meint, von einem „Freispruch dritter Klasse“ reden zu müssen, weil zwar kein Strafgesetz verletzt (!), aber die ganze Sache doch irgendwie moralisch fragwürdig sei, könnte ich mit dem Meyer-Goßner werfen… :-)

  8. 8
    RA_Dury says:

    Moral-Justiz hat uns gerade noch gefehlt :)

  9. 9
    Leser says:

    Den Punkt mit der Anklage nicht strafbarer Taten möchte ich unterstützen.

    In meiner begrenzten strafrechtlichen Erfahrung hat sich bei mir ein Eindruck gebildet, dass die Verlesung der Anklageschrift hauptsächlich dazu dient, dass der Richter wenigstens den Gegenstand des Verfahrens kennt – denn vorher gelesen wird sie offenbar häufig nicht. Denn auch offensichtlich nicht strafbares oder nicht nachweisbares Verhalten wird gern einmal angeklagt, oder ein zweifelhaftes Verhalten unter eine offensichtlich falschen Strafnorm.

    Ein wenig mehr Formalismus wäre da wünschenswert:

    Falsche Strafnorm benannt? -> Freispruch

    Nicht strafbaren Sachverhalt angeklagt -> zwingende Einleitung eines Disziplinar-/Strafverfahrens gegen den Ankläger, auf dass dann auch dokumentiert werde, dass der handelnde StA rechtlich geirrt hat.

  10. 10
    Paule says:

    „In meiner begrenzten strafrechtlichen Erfahrung hat sich bei mir ein Eindruck gebildet, dass die Verlesung der Anklageschrift hauptsächlich dazu dient, dass der Richter wenigstens den Gegenstand des Verfahrens kennt – denn vorher gelesen wird sie offenbar häufig nicht.“

    @ Leser: Entschuldigung, Sie haben offensichtlich überheit keinen Schimmer von dem was Sie schreiben.

  11. 11

    […] un­schul­dig ist, braucht die bes­ten An­wälte“ Ein Auf­trag an die Ver­tei­di­ger Stu­die über Fahr­rad­fah­ren un­ter Al­ko­hol­ein­fluss: „Mit 1,6 Pro­mille kann […]

  12. 12
    Justizfreund says:

    @Paule
    Ich habe das auch schon erlebt.

    Zu Beginn der mündlichen Verhandlung musste der Richter erstmal herausfinden, worum es überhaupt geht. Interessiert hat den Richter ansonsten nichts und es kamen Alltagsweissheiten und Stammtischwahrheiten. Natürlich wurde zum Nachteil des niederen Proleten entschieden was ja schon vorher fest stand.

    In der Regel wird dem Antrag der Staatsanwaltschaft gefolgt und das um so mehr je weniger man anwaltlich vertreten ist.

    Am schwersten hat es der finanziell schwache Unschuldige vor dem (Straf-)Gericht.

    Der ehemalige Stuttgarter Oberstaatsanwalt Werner Schmidt-Hieber über den Deal vor Gericht „Handel mit Gerechtigkeit“ in DER SPIEGEL 1993, Seite 78:

    Ein Lehrer, der heute mit seiner Schulklasse das Gericht besucht, darf sich nicht mit einem einzigen Strafprozeß begnügen: Er wird seinen Schülern zeigen müssen, daß die kaltblütige Pedanterie des Strafverfahrens nur den Armen und Schwachen gilt. Je höher der soziale Status eines Angeklagten, desto menschlicher wird die Justiz. … Heute aber hat die Entscheidung des Richters und des Staatsanwaltes für oder gegen den Handel nur den eigenen Nutzen im Auge: Wie bekomme ich mein Verfahren am schnellsten und bequemsten vom Tisch? Dieser unverhohlene Opportunismus einer überlasteten Justiz schafft ein Zweiklassen-Strafrecht, eine kaum faßbare Bevorzugung des Wohlstandskriminellen.
    Kaum eine Chance hat der Kleinkriminelle: er ist den Förmlichkeiten der Justiz bis zur Komik unterworfen. Er darf nur nach Aufforderung aufstehen, sich hinsetzen, reden – und wird beliebig unterbrochen.

    Das kenne ich auch zur Genüge, aber immer besonders dann, wenn man anwaltlich nicht vertreten ist:

    Insbesondere sozialwissenschaftlichen, psychologischen und kriminologischen Erkenntnissen begegnet die Richterschaft in ihrer überwiegenden Mehrheit mit erschreckender Ignoranz und greift statt dessen lieber auf Alltagsweisheiten und Stammtischwahrheiten zurück.

    Richter am BGH Wolfgang Neskovic: ZAPHeft 14/1990, S. 625