Gefährlicher Small Talk

Es ist für einen Beschuldigten schwierig, sich bei einer förmlichen Vernehmung auf sein Recht zu beziehen, sich nicht vernehmen zu lassen. Gut geschulte Polizeibeamten wissen, wie sie auf diese Verteidigung durch Schweigen zu reagieren haben, um dann doch an begehrte Informationen zu gelangen.

Noch schwieriger, schon fast unmöglich eigentlich, ist es für einen Untersuchungsgefangenen, sich einem vermeintlich lockeren Gespräch (über „blonde Strähnchen“ und „Fehmarn-Urlaube„) mit einem Polizisten zu entziehen: 23 Stunden auf der Hütte und 1 Stunde Hofgang am Tag, kaum Kontakt zu Gesprächspartnern. Das führt zu einem enormen Druck beim Häftling, einfach mal ein paar Worte zu schwätzen.

Das wissen auch Ermittler. Über einen solchen Angriff auf das Schweigerecht berichtet Holger Schmidt in seinem Beitrag Der “Zschäpe-Flüsterer” vom BKA.

In diesem Beitrag klingt die Freude durch, daß es einem Small-Talk-Spezialisten des BKA gelungen ist, der Beschuldigten Beate Zschäpe an ihrem Schweigerecht vorbei Informationen zu entlocken. Daß „die Verteidiger von Beate Zschäpe schäumten“, ist nachvollziehbar. Denn mit dem Einsatz eines Vernehmungsspezialisten des Bundeskriminalamts als Ausflugsbegleiter wurde gezielt versucht, das durch die Verteidigung begleitete Aussageverhalten der unter Mordverdacht stehenden Beschuldigten zu unterlaufen.

Selbstverständlich hatten die Verteidiger die Ermittler vor dieser Ausantwortung darauf hingewiesen, daß „Beate Zschäpe weiterhin nicht aussagen wolle und werde.“ (Dafür gibt es in jeder gut eingerichteten Strafverteidiger-Kanzlei entsprechende Textbausteine.) Insoweit haben sie ihren Job erwartungsgemäß gut gemacht.

Man könnte den Verteidigern allenfalls vorwerfen, sie hätten auf die Fairness der Ermittler vertraut. Aber müssen wir Verteidiger wirklich immer davon ausgehen, daß Ermittlungsbeamte das Vertrauen in ihr rechtsstaatliches und faires Verhalten mißbrauchen?

Das Motiv der Vernehmungstrickser ist nachvollziehbar. Ganz besonders in diesem Fall. Aber trotzdem: Nein, auch dieser Zweck heiligt nicht den Einsatz perfider und hinterhältiger Vernehmungsmethoden.

Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist das von Holger Schmidt beschriebene Verhalten der Ermittlungsbehörden

Denn EKHK B. packte seine Fähigkeiten als “Zschäpe-Flüsterer” aus und entlockte ihr allerhand Informationen.

nichts anderes als eine Täuschung unter Ausnutzung einer Drucksituation, um ein Ziel zu erreichen, an das man mit handwerklich sauberer Arbeit nicht oder kaum gelangt. Die Methode Daschner war schlicht und dumpf, die hier angewandte sportlich-gelassene Strategie ist gefährlich hinterfotzig.

Daß der Beamte dann dabei und damit auch noch versucht, einen Keil zwischen die Angeklagte und ihre Verteidiger zu treiben, macht es wirklich nicht besser.

Ob diese Methoden durch die der Angeklagten zur Last gelegten Taten gerechtfertigt sind oder ob das Niveau der Straftaten mit dem Niveau der Ermittlungsmethode in einer Wechselbeziehung zu stehen scheinen, muß jeder für sich selber entscheiden.

Anlaß zur Freude oder gar Häme bieten diese Taschenspielertricks der Bundesbeamten aber sicher nicht.

Dieser Beitrag wurde unter Polizei, Verteidigung veröffentlicht.

20 Antworten auf Gefährlicher Small Talk

  1. 1
    Thomas Will says:

    Ich weise die Mandanten immer darauf hin, auch nicht mit den Beamten zu plaudern. Auf keinen Fall, auch nicht über Belangloses. Bei Mandanten, denen ich nicht zutraue, den Mund zu halten, gehe ich auch gerne mal zur ED-Behandlung mit.

    In U-Haft ist es natürlich um ein Vielfaches schwerer, einem netten und gesprächigen Beamten gegenüber die Klappe zu halten.

  2. 2
    HD says:

    Mandanten sind nicht die Marionetten ihrer Verteidiger. Insofern finde ich die Vorstellung, Verteidiger könnten Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht igendwie instruieren, wie sie mit ihren Mandanten umzugehen hätten, sehr merkwürdig. Kriminalistische List ist erlaubt. Weiß der Beschuldugte, dass er beschuldigt wird und schweigen darf, dann ist es seine Sache, ob er nun mit dem freundlichen Beamten Konversation treibt oder es doch lieber sein lässt. Diese Verantwortung können Verteidiger ihren Mandanten nicht abnehmen, das ist nicht ihr Job – meine Meinung.

    Fände es daher besser, man sähe das auf Verteidigerseite eher sportlich, statt sich lauthals über „Taschenspielertricks“ zu beschweren.

  3. 3
    jj preston says:

    Ob HD das wohl auch „sportlich“ sähe, wäre er/sie Beschuldigte/r?
    Falls Sie denken, Blockflöten passiert sowas nicht, könnten Sie Recht haben. Dass Demokraten allerdings schon als Staatsfeinde gelten, wissen wir ja nicht erst seit Lothar König.

  4. 4
    Trino says:

    Ich sehe das wie HD. Wenn der Gesetzgeber die von Hr. HönigHoenig geforderte Konsequenz gewollt hätte, dann hätte eine Norm erlassen, die z.B. besagt, dass Aussagen nur im Beisein eines Anwalts abgegeben werden dürfen.

    Und im Zschäpe Prozess hat die Verteidigung ja wohl auch deshalb „geschäumt“ weil in der Aussage des Polizisten auch erwähnt wurde, dass Zschäpe über ihre Anwälte geschimpft hat.

  5. 5
    Willi says:

    Schon mal drüber nachgedacht, wie es auch gewesen sein könnte? Dass Z. sich gar nicht auf den Smalltalk eingelassen hat und jetzt einfach ein paar der Anklage genehme Erinnerungsstücke aus dem Nirgendwo auftauchen? Es ist doch merkwürdig genug, dass da jetzt plötzlich Sachen auftauchen von denen zuvor keiner gehört hat. Ich denke man will diesen Schauprozess einfach nur gewinnen und da ist jedes Mittel recht.

  6. 6
    nwer says:

    „perfider und hinterhältiger Vernehmungsmethoden“ trifft es sehr gut. nicht nur in diesem fall.
    wurde ja schon oft genug hinterfragt, ob das hier (noch) ein rechtsstaat ist…

  7. 7
    keks says:

    Niemand hat sie gezwungen zu quatschen… Selber Schuld.

    • Nein, der Polizeibeamte hat sie getäuscht. Und das ist das Unerhörte: Zwang ist auf den ersten Blick erkennbar/spürbar. Die Vorspiegelung falscher Tatsachen („Ich will mit Dir nur übers Wetter, Fehmarn und blonde Strähnchen reden.“) erkennt die Getäuschte (wie hier) erst später, wenn der „Schaden“ bereits eingetreten ist. Und vor dem Hintergrund der Zusage des Staatsanwalts, das zu unterlassen, um anschließend genau das zu tun, ist schlicht nicht akzeptabel; jedenfalls nicht in einem fairen Verfahren. crh
  8. 8
    ???? says:

    Was Frau Beate „und die beiden Uwe´s“ angerichtet haben, ist nicht fein.
    Da ist der Gedanke des Staates, das aufzuklären, aller Ehren wert.
    Trotzdem, in Jena wird sie wohl das „Westfernsehen“ verfolgt haben und schon vor der Einheit aus dem Tatort gewusst haben, dass es das Prinzip „guter Bulle – böser Bulle“ gibt.
    Ein richtiger Anwalt wird ihr natürlich raten, zu schweigen, das ist in Ordnung.
    Aber bei Kaffee und Zigarretten sind die Gefangenen „kooperativer“, hat ein hochrangiger Kriminalbeamter mal in einer Zeitung gesagt.
    Das ist eine Binsenweisheit.

  9. 9
    DerKlaus says:

    Ich glaube, man kann das Ganze erst verstehen, wenn man mal in der Situation war. Oder über einige Empathie verfügt.
    Etwas zu wissen und es umzusetzen, sind zwei verschiedene Dinge. Und Frau Zschäpe war dieser Vernehmungstechnik ja auch einige Zeit ohne Fluchtmöglichkeit ausgesetzt.
    Sogar mein Psychologieprof hat mal erzählt, wie er Probleme hat mit bestimmten Vertretermaschen umzugehen. Er kennt die Tricks. Er kann sie erklären. Aber er ist nur ein Mensch und die Tricks funktionieren nunmal. Es schwer sich dagegen zu wehren.
    Besonders hinterfotzig ist natürlich, wenn man dem Verteidiger sagt, dass man es nicht versuchen wird und es dann doch tut.

  10. 10

    […] hoenig: Gefährlicher Small Talk. Über das Vorgehen der Cops, Beate Zschäpe auf übelste Art Informationen zu […]

  11. 11
    Denny Crane says:

    Und da war da noch…. der Strafrichter, der gleichzeitig der Betreuungsrichter des Angeschuldigten war. Als Betreuungsrichter entlockte er dem Angeschuldigten ein Geständnis, bevor er ihm als Strafrichter einen Pflichtverteidiger bestellte und diesem mitteilte, der Angeschuldigte habe anläßlich des Betreuungsrichtergesprächs schon alles gestanden… Der IQ des Angeschuldigten, der nur eine „Sonderschule“ besucht hatte, lag knapp über Zimmertemperatur.

    Aber alle Ermittlungspersonen meinen es ja nur gut mit den Beschuldigten.

  12. 12
    franz says:

    Das ist die typische Verteidigersicht.
    Verteidiger dürfen selbstverständlich alle Tricks und Kniffe anwenden. Verfahren werden verzögert und mit von vornherein offensichtlich sinnlosen Anträgen überfrachtet.
    Die Strafverfolgungsbehörden sollen dagegen keine Eigenintiative entwickeln. Kriminalistische List gilt gleich als verpönt.
    Aber warum sollte das so sein? Ich jedenfalls will, dass Straftaten aufgeklärt werden. Dabei sollen die Strafverfolgungsbehörden alle rechtlich zulässigen Mittel anwenden. Erst recht, wenn es um schwere und schwerste Straftaten geht. Wann eine Vernehmungsmethode verboten ist, regelt § 136 a StPO. Das Verhalten des BKA-Beamten fällt nicht darunter, ist also zulässig. Ob das den Verteidigern gefällt, spielt keine Rolle.

  13. 13
    Ingo says:

    Tja, das ist schön und gut, dass man hier diskutiert über die Zulässigkeit dieser Methoden..

    Aber einem o.g. Einwand wurde m.E. noch nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl er nicht von der Hand zu weisen ist:

    Was, wenn sie das wirklich nicht gesagt hat?

  14. 14
    ui-ui-ui says:

    Das Verhalten des BKA hat für mich nichts mit „kriminalistischer List“ zu tun. Es ist einfach nur schäbig und eines Rechtsstaates unwürdig. Für mich ist § 136a Abs. 1 StPO einschlägig, weil über den Charakter des Gesprächs als Vernehmung einer Beschuldigten getäuscht wird. Und weil sie durch Einsperren und Vollquatschen trotz gegenteiliger vorheriger Schweigeankündigung zu Aussagen gezwungen wurde. Eine Einwilligung liegt nicht vor und wäre auch unbeachtlich, vgl. § 136a Abs. 3 Satz 1 StPO, nämlich das Gegenteil einer Einwilligung liegt vor: die strikte, unbedingte und unbefristete Ausübung des Schweigerechtes.

  15. 15
    Zivilrechtler says:

    Ich glaube, dass die Verteidiger weniger aus Wut geschäumt haben als auch Freude. Je mehr Ansatzpunkte für einen Revision (Beweisverwertungsverbot) gefunden werden, desto besser. Oder wie sehen das die strafverteidigenden Kollegen?

  16. 16
    Alan Shore says:

    @ franz

    Ja, die bösen Verteidiger. Allein (oder bestenfalls zu dritt) streuen sie für krösusartige Pflichtverteidigergebühren Sand in das Getriebe eines Ermittlungsapparats, der, wie im NSU-Fall, aus lediglich ein paar hundert Polizeibeamten sowie zahlreichen Staatsanwälten und Richtern besteht, die arbeitsteilig mit Steuermitteln einen Belastungsberg von mehreren zehntausend Seiten aufbauen.

    Wirklich schäbig, wie drei Pflichtverteidiger ihre hoffnungslose zahlenmäßige, finanzielle und logistische Unterlegenheit schamlos ausnutzen und wie edel und gut von einem Rechtsstaat, vollständige Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung herzustellen. Das nenne ich wahre richterliche Unparteilichkeit und staatliche Neutralität!

    Interessant auch die Vorstellung des EKHK, Verteidiger verdienten pro Verhandlungstag 1.000,- Euro. Im RVG steht etwas von 434,00 Euro brutto (VV 4120, 4121), mit Längenzuschlag 612,- Euro brutto. Die betriebswirtschaftliche Auswertung meiner Kanzlei sagt mir, daß man sich mit einem solchen Tagesumsatz, der etwa dem eines Bierkiosk an der Straßenecke entspricht, vorsorglich mit Insolvenzrecht beschäftigen sollte, zumal die Bearbeitung anderer Mandate kaum möglich ist, wenn man tagelang in München weilen muß.

  17. 17
    Jerry Espenson says:

    Schließe mich Danny und Alan an, derartiges zeugt wirklich von einem gruseligen Rechtsstaatsverständnis auf Ermittlerseite.
    Und ja, franz, Verteidiger dürfen – im Rahmen des erlaubten, der für sie recht weit ist – alle möglichen Tricks anwenden; der Rahmen des Erlaubten ist – was Tricks anbelangt – für die Ermittlungsbehörden sehr viel enger. Eben weil es in einem Rechtsstaat keine Strafverfolgung um jeden Preis gibt und geben darf. Eben weil genau deshalb die Regeln des Strafverfahrens nicht darauf ausgelegt sind, optimale Ermittlung zu ermöglichen. Damit wir nicht plötzlich bei Hobbes` Leviathan ankommen. Gerade in diesem Verfahren hätte es den Ermittlern gut angestanden, wenigstens zum Schluss ihrer Irrfahrt alles richtig zu machen… Ein fehlerhafter Schuldspruch ist hier noch viel eher geeignet, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu erschüttern, als unter Einhaltung aller Regeln erzielter (Teil-)Freispruch. Und das sage ich, obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass die Sonne für Nazis nicht scheint (vgl. DÄ).

  18. 18

    […] daraus hervorgegangenen Beiträge zum Schweigen im Strafverfahren, zum “Nicht-mal-Reden-Dürfen“, “Einfach mal Plaudern“, “Schweigen […]

  19. 19

    […] Jetzt zum Thema: In den letzten Tagen wurde viel darüber geschrieben, dass ein BKA-Vernehmungsexperte auf die Hauptangeklagte des NSU-Prozesses angesetzt wurde, um auf dem langen Transportweg von Köln nach Gera mit ihr ins Gespräch zu kommen: “Wortgewand mit offenbar unerschütterlicher guter Laune, viel Faktenwissen über den ‘Nationalsozialistischen Untergrund’, aber auch gute Kenntnisse über die Besonderheiten deutscher Wetterphänomene oder die Reize der Insel Fehmarn in früheren Zeiten” – eben eine “Geheimwaffe mit Charme” dieser Erste Kriminalhauptkommisar (EKHK). Das geschah, obwohl die Verteidiger ausdrücklich darauf bestanden, dass keine Gespräche mit ihr stattfinden. “23 Stunden auf der Hütte und 1 Stunde Hofgang am Tag, kaum Kontakt zu Gesprächspartnern. Das führt zu einem enormen Druck beim Häftling, einfach mal ein paar Worte zu schwätzen.”, so der Kreuzberger-Verteidiger Hoenig in seinem diesbezüglichen Blogbeitrag “Gefährlicher Small-Talk“. […]

  20. 20

    Anzumerken wäre noch, dass eine Begleitung der Mandantin auf dieser Fahrt durch einen der damals noch zwei Verteidiger seitens BKA und GBA abgelehnt wurde. Die Zusage der Bundesanwaltschaft, dass keinerlei Befragungsversuche während der Fahrt unternommen werden würden, bekommt vor diesem Hintergrund ein anderes Gewicht, denke ich.