Das Auge der Vorsehung im Knast

Es gibt immer wieder etwas, das es noch nicht gegeben hat.

Im Bereich der Untersuchungshaftanstalt, die für die Besprechungen der Gefangenen mit ihren Verteidiger vorgesehen ist, warte ich auf meinen Mandanten. Die Anklage ist zugestellt, ich habe am Vortag die Termine für die Hauptverhandlung mit dem Vorsitzenden Richter abgesprochen.

Nun wollte ich dem Mandanten ein paar „Hausaufgaben“ stellen, mit denen er die Verteidigung unterstützen sollte. Auch die weitere Strategie – Schweigen? Einlassung? … – wollte ich mit ihm absprechen. Dazu hatte ich ihm auch den kompletten Kopiesatz der Ermittlungsakten mitgebracht und ein paar Ordnungsmittel (Heftlinge, Textmarker …).

Bei meinem letzten Besuch, etwa 14 Tage zuvor, hatten wir vorbesprochen, wie wir uns vor der Strafkammer aufstellen wollen. Zu dieser Zeit war der Mandant zwar auch nicht gerade fröhlich. Aber immer hatte ich den Eindruck, er ist motiviert.

200px-ChristianEyeOfProvidence.svgIch sah ihm sofort an, daß er sich total verändert hatte in den gut zwei Wochen. Er hatte massiv abgenommen und sah ziemlich zerzaust aus.

Mit einem völlig wirren Blick schaute er mich an, verlangte wortlos nach einem Stift und Papier, auf das er sehr unbeholfen das „Auge der Vorsehung“ aufmalte. Er forderte mich auf, mir seine Stirn anzusehen, auf der dieses Auge zu sehen sei.

„Ich brauche keinen Verteidiger!“ waren seine einzigen Worte, die er zu mir sprach. Dann verließ er die Besprechungszelle und ließ mich da sitzen.

Bei einer Straferwartung, die in diesem Falle durchaus zweistellig ausfallen könnte, sehe ich das mit der Notwendigkeit eines Verteidigers eher anders.

Und deswegen habe ich nun ein Problem, das hatte ich noch nicht.

Grafik: Wikipedia

Dieser Beitrag wurde unter Kanzlei Hoenig Info veröffentlicht.

6 Antworten auf Das Auge der Vorsehung im Knast

  1. 1

    Lässt man ihn untersuchen, ohne dafür seine Zustimmung einholen zu können? Ich habe mich mal durchgerungen, das zu tun, es hat dem Mandaten (vermutlich) das Leben gerettet und viele Jahre Knast erspart (manische Depression).

  2. 2
    Timo says:

    Das hört sich nach einem Krankheitsbild an. Ist da man als Anwalt eigentlich verpflichtet, in einer irgendeiner Form einzugreifen?

  3. 3
    oy-oy-oy says:

    Hört sich nach Drogen an.

  4. 4
    ui-ui-ui says:

    Antrag auf Betreuung beim Amtsgericht stellen und sich als Betreuer vorschlagen? Gibt es Angehörige?

  5. 5
    Thomas R. says:

    @ui-ui-ui
    Ein Betreuer, der ein aktives Geschäftsverhältnis mit dem Betreuten hat, dürfte schwierig sein…

  6. 6
    Joachim Breu says:

    @Timo – Eine gesetzliche Pflicht sehe ich nicht. Mir selbst wäre allerdings unwohl nach so einem Vorfall. Ich würde mir einen Schließer zur Brust nehmen und mal ganz allgemein darüber informieren lassen, was denn hier in der Anstalt konkret gegen Suizidgefahren unternommen wird. Der fragt nach dem Anlass meines Informationsbedürfnisses. Ich berufe mich auf die Schweigepflicht. Und klopfe soweit möglich ab, ob seine Bezugsperson(en) draußen womöglich die Brücken abgebrochen haben und warum und wie, oder wie der letzte Besuch war. Auch beim rationalsten aller denkbaren Geister schlägt ein Frühling im Knast auf’s Gemüt und bricht Seelen.