Das Amtsgericht und der Zirkelschluss beim Plakettenverstoß

Vor dem Amtsgericht in Bußgeldsachen ist es häufig notwendig, die Unschuld des Betroffenen zu beweisen. An einem alltäglichen Fall aus der unsäglichen Umweltzone wird dies deutlich.

Der „Plakettenverstoß“ wird in Berlin duch die Parkraumbewirtschaftung (Ordnungsamt) geahndet. Es werden also parkende Autos aufgeschrieben. Dass man einem parkenden Auto nicht ansieht, wer es wann wohin gefahren hat, liegt in der Natur der Sache. Wer „am Verkehr teilgenommen“ hat, ist für die Politesse nicht ersichtlich.

In unserem Sonderfall ging es um ein besonderes Sammlerfahrzeug. Der Betroffene konnte anhand von Bildern belegen, dass er das plakettenlose Fahrzeug mit einem Anhänger bis zum Parkplatz gebracht hat und es dort in die Parkbucht geschoben wurde. Dort wurde es von einem Mitarbeiter des Ordnungsamts entdeckt, ein Bußgeldverfahren wurde eingeleitet. Es ging also um Ziffer 153 BKat.

Um den Unsinn dieser Umweltzonen-Bußgeld-Regelungen noch einmal darzulegen und um Rechtssicherheit für den Betroffenen zu bekommen, habe ich ihn mit dem Ziel „Freispruch“ vor dem Amtsgericht verteidigt. Es entstand in der Verhandlung folgendes Gespräch:

Richter:
Das was Sie vortragen, kann ich Ihnen nicht widerlegen. Ich werde das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einstellen.

Verteidiger:
Wenn der Vorwurf nicht nachgewiesen werden kann, ist freizusprechen, nicht einzustellen.

Richter:
Ich halte es hier aber für unverhältnismäßig, noch weiter zu ermitteln, daher stelle ich ein.

Verteidiger:
Was wollen Sie denn noch ermitteln?! Es steht doch überhaupt kein Beweismittel zur Verfügung, das den Tatvorwurf bestätigen könnte.

Richter:
Was ich noch ermitteln müsste, würde ich mir überlegen, wenn ich nicht einstellen würde.

Es wird also das Verfahren wegen unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwands eingestellt, damit nicht überlegt werden muss, was noch ermittelt werden muss.

Ein Rechtsmittel gegen diese Gerichtspraxis gibt es nicht. Der Betroffene bleibt auf seinen Anwaltskosten sitzen, wenn er keine Rechtsschutzversicherung hat.

Dieser Beitrag wurde unter Ordnungswidrigkeitenrecht veröffentlicht.

14 Antworten auf Das Amtsgericht und der Zirkelschluss beim Plakettenverstoß

  1. 1
    Mirco says:

    Wieviel günstiger wär das Ticket gewesen?

    • Der Vergleich zwischen der Höhe des Bußgeldes und der der Verteidigerkosten, den Sie hier ansprechen, geht am Problem vorbei. Entscheidend ist hier, daß das Ordnungsamt ein Bußgeldverfahren einleitet, und sich nur derjenige wehren kann, der die Kosten nicht fürchten muß – das sind die Kunden der Rechtsschutzversicherer.

      Es wäre eine böse Unterstellung, wenn man den Polizeibehörden vorwürfe, sie würden Ordnungswidrigkeiten-Verfahren nur deswegen einleiten, weil sie wissen, daß sich mehr als die Hälfte aller Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid aus Kostengründen nicht wehren *können*.

      Die Einstellung des Verfahrens nach § 47 II OWiG mit der Konsequenz, daß der Betroffene seine Auslagen selbst tragen muß, stellt eine Einschränkung der Kontrolle der Behörden durch das Gericht dar. Und wenn es diese gerichtliche Kontrolle nicht mehr gibt, macht die Exekutive eben, was sie will und nicht mehr das, was gesetzlich vorgeschrieben ist.

      Oder noch böser formuliert: Rechtsschutz im Bußgeldverfahren gibt es nur für Reiche – oder für Rechtsschutzversicherte. Ist es das, lieber Mirco, was Sie fordern mit Ihrem Vergleich? crh

  2. 2
    Stefan says:

    Kann man gegen die Kostenentscheidung nicht vorgehen?

  3. 3
    Andreas says:

    Na ja, DAB geht ja immer. Daneben würde ich noch – was allerdings nicht sonderlich praxisrelevant sein dürfte – an § 839 BGB oder Verfassungsbeschwerde denken. Problem wird natürlich sein, dass die oben zitierten sachwidrigen Erwägungen wohl kaum im Sitzungsprotokoll stehen werden…

  4. 4
    Ingo says:

    Zeit, dass sich die Strafverteidiger mal zusammenrotten und eine auf Änderung des § 467 Abs. 4 StPO gerichtete Petition einbringen.

    Anscheinend ist die Rechtsschutzversicherungs-Lobby nicht stark genug, um eine Änderung dieser Vorschrift durchzusetzen.

    Oder man probiert es mal mit einer Verfassungsbeschwerde zum BerlVerfGH; die Beschwer liegt dann in der Kostenentscheidung.

    [wobei ich mich dunkel erinnern kann, dass das BVerfG mal gesagt hat, alleine eine Beschwer in den Kosten reicht nicht – dennoch: Versuch macht kluch!]

  5. 5

    In einem solchen Fall – Freispruchsituation – habe ich erfolgreich eine Anhörungsrüge gegen die Kostenentscheidung erhoben! – Der Mandant war glücklich, denn die Rechtschutzversicherung zahlte nicht.

  6. 6
    Denny Crane says:

    Neulich auf dem Gerichtsflur grüßte ich freundlich einen Richter und fragte aus Höflichkeit beiläufig: „Wie geht’s?“, ohne eine ernsthafte Antwort zu erwarten. Da sprudelte es aus ihm heraus: Ach, Richter zu sein, mache einfach keinen Spaß mehr. So viele Leute hätten eine Rechtschutzversicherung und scheuten die Kosten nicht mehr. Alles müsse man entscheiden…

    Der Arme wünscht sich vermutlich, daß man mehr Menschen zu einem Vergleich oder zur Rücknahme ihrer Rechtsbehelfe nöt… ermuntern könnte.

  7. 7
    Stefan says:

    Eine Verfassungsbeschwerde dürfte sinnlos sein:

    § 467 Abs. 4 StPO ist verfassungsgemäß und verstößt insbesondere nicht gegen die Unschuldsvermutung (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Februar 2002 – 2 BvR 9/02 -).“ (http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040402_2bvr038604.html)

  8. 8
    Ingo says:

    Das mit der Anhörungsrüge habe ich mir auch schon des öfteren überlegt.

    Das Probelm im geschilderten Fall von RA Glienke ist aber: Hier wurde ja angehört. Der Richter hat die Anhörung ja auch in seiner Entscheidung berücksichtigt. Er hat eben trotzdem anders entschieden.

  9. 9
    Andreas says:

    @ Stefan

    Es geht hier nicht darum, ob § 153 Abs. 1 StPO oder § 47 Abs. 2 OWiG an sich verfassungsgemäß sind, sondern ob die WILLKÜRLICHE Annahme der Einstellungsvoraussetzungen – nämlich fehlende FREISPRUCHSREIFE – verfassungsgemäß ist. Daran habe ich erhebliche Zweifel. Andererseits dürfte natürlich auch klar sein, dass die Leute beim BVerfG – verständlicherweise – wenig Lust auf solche Verfassungsbeschwerden haben, zumal das mögliche Unrecht sich im Einzelfall noch in überschaubaren Grenzen hält.

  10. 10
    Joachim Breu says:

    Guckst Du StraFo 06/2013, 241 – Aufsatz Olaf Möller wg. AG Lebach, Beschluss 25.10.2012, StraFo 2013, 249 (im selben Heft) im Hinblick auf § 154 StPO.

  11. 11
    Daarin says:

    Würde es nicht ausreichen, die Einstellung an die Zustimmung der Verteidigung zu koppeln, da ja die Kosten trotzdem der Staatskasse angelastet werden könnten, die Richter es nur nicht tun? Würde das das Ziel das hinter der Einstellung steckt nicht wieder herstellen?

  12. 12
    Mirco says:

    Für die Mandaten ist der Vergleich Tickte zu Verfahrenskosten schon entscheidend. Die Erziehung der Exekutive eher weniger. Als Mandant würde ich eine solche Kostenabwägung auch erwarten.

  13. 13
    Zwerg says:

    Das hat man als Richter davon wenn man mit dem Verteidiger redet. Irgendwas ist ja immer. Statt des vorliegeden Dialogs einfach:

    Richter:
    Ich beabsichtige das Verfahren nach 47 Owig einzustellen. Sie haben Gelegenheit zu Stellungnahme.

    Verteidiger:

    Richter verkündet den Beschluss

    The End.

    P.S.: In der Sache hat der Verteidiger aber Recht. Wo nichts mehr zu ermitteln ist und der Angekl. bzw Betroffene nicht überführt ist, ist freizusprechen und nicht einzustellen.

  14. 14
    Zwerg says:

    P.S.: Hinter Verteidger in meinerm vorherhigen post sollte stehen „erzählt irgendwas“