Verräter, weil Diener zweier Herren?

Ein Dauerbrenner auf dem Anwaltsmarkt:

Sobald zwischen dem Rechtsanwalt und der Rechtsschutzversicherung eine Geschäftsbeziehung besteht, wächst die Gefahr einer Interessenskollision zu Lasten des Versicherten. Denn die Versicherung mindert ihr Kostenrisiko, wenn der Rechtsanwalt dem Versicherten vom Rechtsstreit abrät und es nicht zum Prozess kommt,“ erklärt die bayerische Justiz- und Verbraucherschutzministerin.

Quelle:
Pressemitteilung Nr. 79/11 des Bayerischem Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Rechtsschutzversicherer – wie alle am Markt tätigen Unternehmen – sind angetreten, um Gewinne zu erwirtschaften. Für sich gesehen ein vertretbares Ziel. Gewinne erwirtschaften sie, indem die Einnahmen (z.B. Versicherungsprämien) die Ausgaben (insbesondere Versicherungsleistungen) übersteigen.

Wenn die Gewinne kleiner ausfallen, ist es eine schlaue Idee, die Ausgaben zu mindern. An dieser Stelle sind die Rechtsschutzversicherer an Rechtsanwälte herangetreten und haben mit verschiedenen Kanzleien Verträge abgeschlossen.

Gegenstand solcher Verträge kann sein, daß der Anwalt auf einen Teil seines Honorars verzichtet, wenn er seine Rechnungen schreibt. Und das funktioniert so:

Die Anwalts-Rechnung muß eigentlich der Mandant bezahlen. Der aber hat auch einen Vertrag, nämlich mit dem Rechtsschutzversicherer. Darin ist vereinbart, daß nicht der Mandant bezahlen muß, sondern der Versicherer. Dafür zahlt der Mandant Versicherungsprämien.

Wenn jetzt der Anwalt seinem Mandanten weniger Honorar berechnet, muß der Versicherer auch weniger erstatten und dann steigt der Gewinn. Eine ganz einfache Geschichte.

Da aber der Anwalt auch Gewinne erwirtschaften will, muß der Versicherer ihm einen Ausgleich für den Verzicht auf einen Teil des Honorars im einzelnen Fall versprechen. Auch das geht ganz einfach: Der Versicherer vermittelt dem Anwalt neue, viele Mandanten.

Nun hat der Anwalt zwei Vertragspartner: Einmal den Mandanten und dann noch den Versicherer.

Und da beginnt das Problem: Der Mandant möchte professionelle und unabhängige Beratung. Die kostet aber Geld, das der Versicherer erstatten muß. Wenn jetzt der Anwalt von einer Maßnahme – z.B. von einer Klage – abrät, entstehen dem Versicherer geringere Kosten. Der Versicherer freut sich, sein Gewinn steigt (siehe oben).

Und wenn der Versicherer sich freut, vermittelt er dem Anwalt neue Mandanten, denen er dann wieder von einer Klage abrät, damit sich der Versicherer freut und ihm neue Mandanten vermittelt, denen er dann wieder … So schließt sich der Kreis.

Allerdings stellt sich mir hier die Frage, ob das nicht ein Kreis des Teufels ist. Denn wo es Gewinner gibt, muß es auch Verlierer geben. Und das ist hier der Mandant. Denn durch den (empfohlenen) Verzicht auf die Klage verzichtet er auch auf die Chance, diese Klage zu gewinnen.

So ähnlich meint das auch der Gesetzgeber, der für so ein Anwaltsverhalten extra eine Rechtsnorm geschaffen hat: § 356 StGB.

Ich halte das Verhalten mancher Anwälte, die sogenannte „Gebührenvereinbarungen“ mit Rechtsschutzversicherungen abschließen für hochgradig gefährlich. Rechtsanwälte sollen Berater sein, keine Verräter. Pakte mit Versicherern haben mit der freien Advokatur nichts mehr gemein.

Meine Ratschläge:

  • Den Mandanten sei dringend angeraten, sich Berater zu suchen, die nicht auf der Schwelle zum Verrat stehen. Davon gibt es glücklicherweise noch einige.
  • Den Anwälten, die mit dem Gedanken spielen, sich auf diese Weise zu prostituieren, sei geraten, die Kosten einer Strafverteidigung wegen Parteiverrats mit in die Rechnung einzukalkulieren.
  • Den Kollegen in den Rechtsanwaltskammern sei geraten, Verräter gnadenlos vom Hof zu jagen.

 

Dieser Beitrag wurde unter Rechtsanwälte veröffentlicht.

17 Antworten auf Verräter, weil Diener zweier Herren?

  1. 1
    Das Ich says:

    Woher weiß ich als Mandant, dass der Anwalt einen Vertrag mit der RS hat? Muss er das irgendwie offenlegen?

  2. 2
    Metallkopf says:

    Fragen Sie Ihn doch einfach, oder fordern eine Zusicherung. Wenn der Kollege dann wahrheitswidrig antwortet, hat er sich noch tiefer geschaufelt, als er dann ohnehin schon wäre.

  3. 3
    PH says:

    Ich würde es nicht ganz so drastisch formulieren, aber es trifft m.E. zu. Wenn z.B. Kanzleien zu einem gewissen Grad von Mandanten der RSV leben, z.B. 20 %, ist eine starke Abhängigkeit geschaffen. Die kann nicht gut für den Mandanten sein.

  4. 4
    Thorsten says:

    Richtig so!

    Und den Mandanten sei insbesondere geraten, eher *nicht* zu dem Rechtsanwalt zu gehen, den die Rechtsschutzversicherung ihm empfohlen hat bzw. diese Empfehlung zumindest genauestens zu prüfen.

  5. 5

    […] Sobald zwischen dem Rechtsanwalt und der Rechtsschutzversicherung eine Geschäftsbeziehung besteht, wächst die Gefahr einer Interessenskollision zu Lasten des Versicherten. zum Artikel […]

  6. 6
    JCL says:

    Bei der Betrachtung bleibt aber außer Betracht, dass es für den Versicherer keine Gewinnminderung bedeutet (sprich er zahlen muss), wenn der Rechtsstreit gewonnen wird, weil dann der Gegner zahlen muss.
    Dementsprechend dürfte die Interessenkollision weit weniger bestehen, als es hier dargestellt wird. Denn letztendlich dürfte das Interesse des Anwalts nur daran steigen, von aussichtslosen bzw. wenig aussichtsreichen Klagen abzuraten. Und das ist ja durchaus im Interesse des Mandanten.

    Oder übersehe ich da jetzt was?

  7. 7
    PH says:

    @JCL: Im Arbeitsrecht z.B. trägt jede Partei in der ersten Instanz seine Kosten selbst, egal wie das Verfahren ausgeht.

  8. 8
    ExRA says:

    Ich glaube kaum, dass der Gesetzgeber den § 356 StGB „extra für so ein Anwaltsverhalten geschaffen hat“. Der Parteiverrat stand sinngemäss meines Wissens bereits im Reichsstrafgesetzbuch von 18.05.1871 (Inkrafttreten 01.01.1872), und ob es da schon Rechtsschutzversicherungen gab, wage ich zu bezweifeln. Aber wie dem auch sei, eine Kooperation zwischen Anwalt und RSV, die VN zu diesem Anwalt schickt, kann auf Dauer nur zu Lasten der Mandanten gehen.

  9. 9
    Andreas says:

    @ crh / ExRA

    Ich bezweifele auch sehr, dass sich so ein Verhalten unter den Tatbestand des Parteiverrats subsumieren lässt.

    Mit beide Parteien dürfte die jeweilige Gegenseite gemeint sein und nicht der Rechtsschutzversicherer, der – ungeachtet des wirtschaftlichen Interesses, Kosten so gering wie möglich zu halten – ja grds. auf Seiten der Partei steht, die er versichert.

    Es drängt sich manchmal der Verdacht auf, dass so wie bei ungeliebten Richtern gerne mal das böse R-Wort gebraucht wird, der Parteiverrat das Pendant für ungeliebte Anwaltskollegen ist.

  10. 10
    R24 says:

    Naja, im Umkehrschluss heißt das, alle rechtschutzversicherten Bürger werden schlechter beraten und vertreten als Bürger ohne RSV.

  11. 11
    ExRA says:

    @Andreas: Ich bin reiner „Zivilunke“ und kein Strafrechtler wie der Kollege Hoenig, seines Zeichens ja sogar Fachanwalt für Strafrecht, aber ich denke schon, dass im Dreiecks-Verhältnis RSV – VN (bzw. Mandant)- RA der Anwalt in bestimmten Konstellationen durchaus den Tatbestand des § 356 StGB erfüllen kann. Zum Beispiel: Die RSV will eine Sache nicht decken, weil sie ihr zu teuer ist, der VN geht zum Anwalt, der dem Mandanten wider besseres Wissen wegen Aussichtslosigkeit von einer Weiterverfolgung seiner Sache abrät und dafür von der RSV weitere VN geschickt bekommt. Für mich ein klassischer § 356 II StGB, oder die Herren Strafrechtler?

  12. 12
  13. 13
    Andreas says:

    @ ExRA

    Ich bin auch kein Strafrechtler, aber als mir letztes Jahr ein FA für FamilienR in einer allg. Zivilsache unterstellte, ich hätte mit meiner rechtlichen Ausführung, warum die von ihm angedrohte Vollstreckungsgegenklage offensichtlich keine Erfolgsaussicht habe, einen Parteiverrat begangen, habe ich das einmal zum Anlass genommen, mir die Kommentierungen anzusehen (und ihm ein paar deutliche Worte zu seinem Gebahren zurückzuschreiben…).

    Man muss das Verhältnis Mandant (möglicher Kläger) ./. möglicher Beklagter sowie Mandant ./. Rechtsschutzversicherung trennen. Ein Parteiverrat käme ausschließlich im Verhältnis Mandant ./. Rechtsschutzversicherung in Betracht. Hier müsste der RA beiden Parteien in derselben Rechtssache pflichtwidrig DIENEN. „Der Begriff des ‚Dienens‘ erfasst die gesamte berufstypisch-rechtsbezogene Tätigkeit in der anvertrauten Angelegenheit zur Förderung der Interessen des Mandanten, kurz: die Dienstleistung in Rechtssachen“ (Dahs in MüKo-StGB, 1. Aufl. 2006, § 356 Rn. 37). Ein solches berufstypisches Dienen durch Erteilung von Rat oder Ähnlichem findet gegenüber dem Versicherer gerade nicht statt (auch wenn es natürlich dienlich für den Versicherer sein mag, wenn der RA dem Mandanten eine Klage ausredet).

    Dieses pflichtwidrige Dienen wird in der Regel nur vorliegen, wenn ein Anwalt auf die Seite des Kontrahenten überläuft oder sich nach anfänglicher Beratung beider Parteien auf eine Seite schlägt.

  14. 14
    Marco says:

    Es ist sicherlich richtig, dass die beschriebene Gefahr besteht. Aber ich sehe auch die realistische Möglichkeit, dass der RA — der tunlichst nicht von einer solchen Zusammenarbeit wirtschaftlich abhängig sein sollte — sich eben nicht dahingehend beeinflussen lässt, eher von Klagen abzuraten.

    Wenn tatsächlich die einzige Gegenleistung des Anwalts in der Kooperation mit der Versicherung die gemeinderte Gebühr (was ja auch nur außergerichtlich zulässig ist) ist, halte ich das für recht unproblematisch.

    Natürlich muss sich der Anwalt, der solche Vereinbarungen schließt, zwei Sachen bewusst sein:

    1. Der Mandant könnte bei einer Empfehlung durch die RSV genau den im Blogeintrag beschriebenen Gedanken haben und der Empfehlung deshalb gerade nicht folgen, so dass die Zusammenarbeit evtl. gar kontraproduktiv ist ==> Das muss beobachtet werden und ggf. die Notbremse gezogen (die Zusammenarbeit mit der RSV beendet) werden.

    2. Die Versicherung könnte genau die beschriebenen Erwartungen haben ==> Diese darf der RA auf keinen Fall erfüllen und muss dann halt damit leben, dass die RSV die Zusammenarbeit evtl. beendet.

    Wenn das so gehandhabt wird, sehe ich kein Problem in dieser Praxis.

  15. 15
    Goofy says:

    Vielleicht kann man erwähnen, dass derartige „Kooperationen“ im Gesundheitswesen recht gängige Praxis sind:

    Dort haben die gesetzlichen Krankenkassen beim Bezug von z.B. Bettüberzügen bei Milbenallergie eine Vereinbarung mit einem Leistungserbringer geschlossen, der zum Kassentarif den Milbenüberzug liefert.
    Da spricht zunächst mal nichts dagegen. Wenn man sich aber ansieht, dass das liefende Unternehmen ein Tochterunternehmen der Krankenkasse ist, wird die Betrachtung differenzierter, insbesondere wenn man sich ansieht, dass die Qualität, die man hier erhält, echt mies ist.

    Andere Leistungserbringer (wie Sanitätshäuser oder Apotheken) könnten zum selben Preis vergleichbare miese Qualität liefern oder halt dem Kunden empfehlen, bei seinem Bettüberzug gegen seine Hausstauballergie mal 50 Euro aufzuzahlen, damit er was vernünftiges hat (also keinen Bettüberzug, der sich anfühlt als ob man auf Plastik liegt).

    Allerdings bekommt der GKV-Kunde vorab ein Schreiben, dass er sich das doch beim Krankenkassenshop kaufen solle. Somit bestellt der Patient dort auch und bekommt gar nicht mal die Info, dass es sowas auch, gegen Aufpreis, in einer deutlich besseren Qualität geben würde.

    Dieselbe Nummer bei Blutdruckmessgeräten: Die Kasse zahlt 15 Euro, dafür bekommt man schon ein „Blutdruckmessgerät“ minderer Qualität. Für 50 Euro (=35 Euro Aufpreis) bekommt man allerdings schon etwas vernünftiges, was einem nicht nach einem Jahr wieder auseinanderfällt.

    Ehrlicher Interessenskonflikt zu diesem Post von meiner Seite: Ich bin Apotheker.

  16. 16

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