Kein Haftbefehl zur Ahndung von Ungehorsam

Auf welche krude Ideen manche Strafrichter kommen, zeigt der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 26. Januar 2011 (Az.: 537 Qs 8/11).

Sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch die Richterin am Amtsgericht hielten eine Hauptverhandlung entbehrlich; es wurde also auf dem Dezernatswege ein Strafbefehl erlassen und gegen die Angeklagte eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen erlassen. Dagegen hatte die Angeklagte Einspruch eingelegt und die Richterin hatte einen Termin anberaumt, zu dem die Angeklagte nicht erschienen war.

Die Angeklagte ließ sich durch ihren Verteidiger vertreten, sie machte also von seinem Recht aus § 411 II StPO Gebrauch. Offenbar ging der Richterin das gegen den Strich, sie wollte die Angeklagte trotzdem sehen, weil sie „einen persönlichen Eindruck von der Angeklagten unabdingbar“ hielt. Weitere Gründe nannte sie nicht und erließ – quasi aus der Hüfte geschossen – einen Haftbefehl nach § 230 StPO.

Das fand nicht nur die Angeklagte, sondern auch das Landgericht ungeheuerlich:

… der Erlass des Haftbefehls war im vorliegenden Fall unverhältnismäßig. Der Haftbefehl im Strafbefehlsverfahren, dem die Verhaftung des Angeklagten strukturell fremd ist, erfüllt nicht den Selbstzweck, den Ungehorsam des Angeklagten zu ahnden.

Es ging in diesem Verfahren nicht darum, z.B. die Täter-Identität feststellen zu können. In diesem Fall hätte gar nicht erst ein Strafbefehl erlassen werde dürften. Folgerichtig schrieb das Landgericht:

Es ist nicht ersichtlich, weshalb hier das persönliche Erscheinen der Angeklagten zur Sachaufklärung geboten war.

Zu allen weiteren wesentlichen Punkten war die Anwesenheit der Angeklagten im übrigen entbehrlich, die sich bereits seit dem Ermittlungsverfahren durch Schweigen verteidigte:

Dies ist jedoch angesichts des Schweigerechts der Angeklagten und der Tatsache, dass sie auch im Ermittlungsverfahren keinerlei Einlassungen zur Sache getätigt hat, nicht nachzuvollziehen,·da der persönliche Eindruck vor allem für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage von Bedeutung sein kann, hier jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die Angeklagte sich zur Sache äußern wolle.

An dieser Stelle stand also schon fest, daß der Haftbefehl wohl nur der Maßregelung der Angeklagten dienen sollte und nicht etwa dem eigentlichen Zweck, der Sicherung der Durchführung der Hauptverhandlung.

Worum ging es eigentlich? Um 50 Tagessätze Geldstrafe, im konkreten Fall um 1.000 Euro. Und dafür soll jemand verhaftet werden, der sich verteidigen läßt und deswegen meint, nicht zum Gericht zu müssen, weil das Gesetz ihm diese Möglichkeit eröffnet. Ein Haftbefehl geht gar nicht in so einem Fall, meint das Landgericht:

Schließlich hat das Amtsgericht nicht erkennbar berücksichtigt, dass es sich um den Vorwurf einer Tat von eher geringer strafrechtlicher Bedeutung handelt, worauf bereits die Festsetzung einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen in dem Strafbefehl schließen lässt.

Diese Richterin sollte sich schämen; der Beschluß des Landgerichts gibt ihr reichlich Stoff zum Nachdenken.

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Strafrecht, Verteidigung veröffentlicht.

9 Antworten auf Kein Haftbefehl zur Ahndung von Ungehorsam

  1. 1

    „Diese Richterin sollte sich schämen; der Beschluß des Landgerichts gibt ihr reichlich Stoff zum Nachdenken.“

    Stoff zum Nachdenken sicher. Aber wird auch Nachgedacht?

  2. 2
    fernetpunker says:

    Was wäre denn hier das mildere Mittel gewesen? Zwangsweise Vorführung? Das Gericht muss doch seinen Wunsch vom persönlichen Eindruck der Angeklagten durchsetzen können, oder nicht?

      Erst mal die Androhung „empfindlicher Übel“ wäre so ein Gedanke, und auch die Vorführung (§ 230 II Var. 1 StPO) wäre weniger einschneidend. crh
  3. 3
    Paolo Pinkelt says:

    Und welche Konsequenzen hat es für die Richterin?
    Keine vermutlich.
    Ausser Nachdenken.

  4. 4
    egal says:

    Dass die Vorführung sicherlich milder ist, ist unbestreitbar. Der Haftbefehl kann ja ganz einschneidende Konsequenzen haben, wenn man zB an der Grenze grad angetroffen wird und dann zB von Konstanz nach Berlin verschubt wird…

    Nichtsdestotrotz ordnen einige Richter hier in Tiergarten grundsätzlich nur den 230er Haftbefehl an, weil die Vorführung oftmals leerläuft und der HB einfach sicherer ist. Amtsrichterlicher Erfahrungsschatz? ;)

    Zum LG-Beschluss: mir scheints, dass sich das Amtsgericht das etwas zu einfach mit der Begründung gemacht hat. Oftmals mögen solche lapidaren Formulierungen genügen und nur selten wird man dagegen vorgehen. Aber wenns mal soweit kommt, dann hält das natürlich nicht vor der Kammer.

    Ist im Prinzip ja auch meistens egal, wenn der Haftbefehl schon vollstreckt wurde.

  5. 5
    Andreas Neuber says:

    Böse Kinder bekommen nun mal Stubenarrest !

  6. 6
    NoName says:

    Das Problem hier ist, dass dieser Unfug für die Frau Richterin keine Konsequenzen haben wird. Wenn Sie möchte kann sie’s Morgen genau so wiederholen – wa hat keine Folgen.

  7. 7
    ojessen says:

    Interessanter Gedankengang: Für die ursprünglich verfügte Strafe war ja anscheinend kein persönlicher Eindruck notwenigd, warum sollte sich das dann in der Verhandlung ändern?

  8. 8
    auch hier says:

    Hat das LG vielleicht § 236 StPO übersehen? Vielleicht sollten die mal in sich gehen…

  9. 9
    ExRA says:

    Leider funktioniert der upload des LG-Beschlusses nicht, sodass nicht nachgelesen werden kann, ob sich die Staatsnoten-Juristen in Berlin mit 236 StPO auseinandergesetzt oder diesen, wie „auch hier“ argwöhnt, schlichtweg übersehen haben. Könnten Sie das mit dem upload des links reparieren, lieber Kollege Hönig? Danke!