Depressive Notgemeinschaft

Der Mandant sitzt nun schon seit geraumer Zeit in der Untersuchungshaft. Daß das kein Kindergeburtstag ist, liegt auf der Hand – auch wenn sich im Laufe der Zeit einiges eingeschliffen hat.

Die Haft soll an dem Mandanten nicht spurlos vorbeigegangen sein, meint jedenfalls der Anstaltsarzt: Er – der Mandant (!) – leide an Depressionen. Deswegen wurde ihm – quasi zur stimmungsaufhellenden Unterhaltung – ein Mitgefangener auf die Hütte gelegt. Darüber informiert uns die Anstalt:

Die beiden leben jetzt also in der so genannten „Notgemeinschaft“ in einer Zelle. Das allein ist schon kein Anlaß zur Freude, wenn man – wie der Mandant – das Leben auf den 10 qm lieber allein verbringt.

Zusätzlich wurde noch ein „roter Punkt“ an die Zellentür angebracht.

Der Tagesspiegel hat die Folgen mal so formuliert:

Ein Teil dieses Überwachungssystems ist der rote Punkt. Das Signal auf der Zellentür zeigt den wachhabenden Justizvollzugsbeamten die Risikofälle an, bei denen sie stündlich eine so genannte „Lebendkontrolle“ vorzunehmen haben. Rund 200 Türen der JVA Moabit sind mit einem roten Punkt versehen. In den Zellen brennt außerdem während der ganzen Nacht das Licht.

Man möge mal versuchen, nachts ein Auge zuzubekommen, wenn in einem Meter Abstand ein Schnarchsack liegt, das Licht brennt und jede Stunde nachgeschaut wird, ob man noch lebt.

Nebenbei: Der Mandant bestreitet, an Depressionen zu leiden, und macht während der Hauptverhandlungstermine auch keinen solchen Eindruck.

Aber der Anstaltsarzt wird es besser wissen. Und wenn die JVA diese Maßnahmen über einen längeren Zeitraum aufrecht erhält, wird er wohl Recht behalten.

Dieser Beitrag wurde unter Knast, Mandanten veröffentlicht.

11 Antworten auf Depressive Notgemeinschaft

  1. 1
    Gerd says:

    Rührend… Es gibt ja noch eine Alternative sich eine 10qm Zelle nicht mit jemand anderem teilen zu müssen: Nicht kriminell werden.

  2. 2
    Malte S. says:

    @Gerd: Erst lesen, dann posten. Der Mandant sitzt in U-Haft, ist also nicht verurteilt.

    Kann man gegen derartige Maßnahmen eigentlich irgendwie vorgehen?

  3. 3

    Nachdem ich zu einer 10jährigen Haftstrafe verurteilt worden war, musste ich beim Leiter der U-Haftanstalt antreten. Er teilte mir mit, aus Sicherheitsgründen werde man mir ein paar Tage lang einen zweiten Mann auf die Bude legen – bis dato hatte ich meine 8 Quadratmeter Wohnklo knapp 20 Monate lang für mich alleine gehabt.

    Ich antwortete ihm, diese Maßnahme alleine sei schon ein Grund, um mich umgehend wegzuhängen. Er schaute wie ein Auto. Der Anstaltsarzt wurde dazu nicht befragt.

    Nach zwei Tagen hatte ich meinen Zwangsmitbewohner aber Gott sei dank wieder los. Offenbar hatte es gewirkt, dass ich zu den zuständigen Abteilungsbeamten sehr zeitnah gesagt hatte:

    „Noch eine Nacht mit diesem Penner – und ich reiche ihn euch morgen früh beim Wecken SCHEIBCHENWEISE durch die Kostklappe raus!“

    Aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, mochte er mich danach seltsamerweise nicht mehr.

    Vollzugsteilnehmer

  4. 4
    Ann O. Nym says:

    Wow, sowas kannte ich bisher nur bei Bradley Manning.

  5. 5
    Jan says:

    @Gerd:
    Treibt man diese Argumentation auf die Spitze, kann man auch Demütigungen, Folter, Missbrauch und dergleichen mehr an Strafgefangenen rechtfertigen.

    Sie hatten es ja selbst in der Hand. Wären sie nicht straffällig geworden, wäre ja nix passiert. Ergo: Selbst schuld.

  6. 6
    RAWill says:

    Einer meiner Mandanten wurde auch mal wegen Suizidgefahr – die Begründung war lediglich die Straferwartung „lebenslänglich“ – viertelstündlich kontrolliert. Nach 2 Tagen meinte er auch, dass er sich umbringt, wenn das auch nur einen Tag so weiter geht.

  7. 7
    ojessen says:

    Hört sich ziemlich merkbefreit an – für den psychologischen Laien in mir ist es zumindest naheliegend, dass 24h am Tag Beleuchtung bei Depressionen eher zur Verschlechterung beiträgt. Ist diese „Lichttherapie“ nicht auch Teil des Behandlungspakets in Guantanamo?

  8. 8
    Tilman says:

    Eine interessante Frage ist nun, ob man unterstellen kann, dass der Mandant „weichgekocht“ werden soll. Also z.B. weil er eisern schweigt und die Beweise, naja, nicht ganz gerichtsfest sein könnten. Oder ist es ganz anders, z.B. so dass der Arzt sicherheitshalber jeden für selbstmordgefährdet erklärt der kein Dauergrinsen auf den Lippen hat?

  9. 9
    Ms. Brisby says:

    …oder die JVA ist voll, so dass depressive Insassen eine platzschaffende Maßnahme darstellen…

  10. 10
  11. 11
    H.B. says:

    In Krefeld ist es ein rotes Vorhängeschloss, dass an der Türe hängt.