Reiche Anwälte, arme Journalisten

Zum Thema Sozialneid. Diesmal nicht der von Richtern, sondern der eines Journalisten.

Anwälte können mehrere hunderttausend Euro mit einem Auftrag des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg verdienen.

schrieb Sebastian Heiser in der taz. Ich hatte den Artikel bereits unter dem Blickwinkel „Arbeit, die kein Anwalt braucht!“ im Focus. Der taz-Beitrag ist aber so gut, daß er noch einen weiteren Kommentar verträgt.

Es geht um Geld, schreibt Heiser. Um viel Geld:

Der gesamte Auftragswert soll in einer „Spanne von 350.000 bis 560.000 Euro“ liegen,

Das ist der Betrag, der in den Taschen gieriger Anwälte versenkt werden soll. Steuergelder! Da ist Vorsicht geboten.

Aber die Juristen sollen ja auch arbeiten dafür:

Konkret geht es um 500 bis 800 Klagen

Mit diesen Werten – Geld und Arbeit – kann man ‚mal rechnen.
Im Schnitt 455.000 Euro für 650 Klagen. Das sind insgesamt 700 Euro, die der Sozialrechtler für eine Klage abgreifen kann.

Herr Heiser, der Journalist der taz (eine „überregionale Tageszeitung“), wird Herrn Rechtsanwalt Eisenberg kennen. Eisenberg ist zwar kein Sozialrechtler, aber er hat eine Kanzlei. Also ein Unternehmen, das Betriebskosten verursacht.

Ich schätze mal (um die Zahlen unserer Kanzlei nicht veröffentlichen zu müssen), daß Herr Eisenberg und seine Kollegen pro Stunde Kosten in Höhe von 160 Euro für den Betrieb ihrer Kanzlei aufbringen. Das wird bei einer sozialrechtlich ausgerichteten Kanzlei nicht wesentlich anders sein.

So, und nun schauen wir uns mal die Arbeit an einer Hartz-4-Klage an.
Die könnte so aussehen:

    Akte anlegen und Sachverhalt erfassen: Antrage, bisheriger Schriftwechsel, frühere Bescheide. Juristische Prüfung und Konzeptentwicklung.
    Klage des Bürgers prüfen, Klageerwiderung im Entwurf formulieren, diskutieren und einreichen. Abschriften mit Erläuterung an Auftraggeber.
    Weiterer Schriftsatz-Pingpong mit dem Kläger und dem Gericht.
    Mündliche Verhandlung vor Gericht (inklusive An-/Abreise). Berichterstattung an Auftraggeber.
    Kostenfestsetzung und Abrechnung.

Damit der Anwalt an so einer Klage auch etwas verdient, also zum Beispiel den gesetzlichen Mindestlohn der Gebäudereiniger in Höhe von 10 Euro im Schnitt, blieben ihm für jede Klage 4 Stunden (4 * 160 + 4 * 10 = 680 Euro).

Wer sich einmal nur einen (!) Hartz-IV-Bescheid angeschaut hat, kann sich vorstellen, daß ein Verfahren vor dem Sozialgericht nie und nimmer in vier Stunden zu bewältigen ist. Allein die Kostenfestsetzung und die Abrechnung ist nicht unter einer Stunde zu schaffen!

Hartz IV macht reich“ war der reißerische Titel, den Sebastian Heiser für seinen Besinnungsaufsatz gefunden hat, um das Einkommen der Anwälte zu geißeln. Wenn man sich das ganze aber einmal etwas genauer anschaut, wird Herr Heiser nachrechnen können, daß sein Zeilenhonorar die Anwaltsvergütung für diese öffentlich-rechtliche Müllbeseitigung sicherlich übersteigt.

Wollen Sie tauschen, Herr Heiser? ;-)

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Rechtsanwälte veröffentlicht.

30 Antworten auf Reiche Anwälte, arme Journalisten

  1. 1
    RA Will says:

    Schön vorgerechnet!

    Leider berücksichtigen die meisten Menschen – Richter und offensichtlich auch Journalisten eingeschlossen – nicht die Kosten eines Kanzleibetriebes und denken, das ganze Geld wandert direkt in die Tasche des geldgierigen Anwaltes.

    Dass zwischen Umsatz und Gewinn ein Unterschied besteht und dieser Unterschied ziemlich bedeutend ist ist für viele Leute offensichtlich unvorstellbar.

    Ich befürchte aber, dass sich daran auch nie etwas ändern wird.

  2. 2
    Kampfschmuser says:

    Natürlich verursacht eine Kanzlei Kosten, aber die Leute sehen natürlich auch (den Porsche Cayenne, womit der RA regelmäßig zum Golfen fährt.) ;)

    (Den Bereich in den Klammern kann man nach eigenem Gusto beliebig austauschen)

  3. 3
    Behördenleiter says:

    Die Arbeitsstunde eines nach Gr. E 13 TVÖD bezahlten Volljuristen kostet den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber kalkulatorisch etwa EUR 30,- (Berufsanfänger) zzgl. Sachkosten. Es ist deshalb viel ökonomischer, befristet für zwei Jahre jemanden neu einzustellen, 3 Monate einzuarbeiten und dann machen zu lassen. Den kann man sich dann nach zwei Jahren außerdem ansehen und, wenn er gut war, gleich auf einer Dauerstelle dabehalten.

    Im Prozessstadium ist die Sache behördenseits längst aufgearbeitet. Vier Stunden Aufwand pro Sache reichen da dicke (davon schon 2/3 für Termin incl. An- und Abreise).

  4. 4
    PH says:

    1. Es ist ein Zeitungsartikel, der „nur“ Leser anzieht, wenn er reißerisch ist
    2. Es ist die taz

    Unter diesem Gesichtspunkt würde ich es belassen :)

  5. 5
    RA Anders says:

    @Behördenleiter
    Aha, vier Stunden reichen also für die gerichtliche Bearbeitung einer sozial-gerichtlichen Angelegenheit.
    Geben Sie mir bitte Ihre Kontaktdaten, ich würde nämlich gerne meine gelegentlichen Ausflüge ins Sozialrecht bei Ihnen outsourcen. Dann können Sie mir mal zeigen, wie man ca. 500 Seiten Akte (nach meiner Erfahrung eine durchschnittliche Akte im Sozialrecht)in 1,4 Stunden durcharbeiten kann.

  6. 6
    le D says:

    @behördenleiter: Zum ersten Punkt d’accord.

    Zum zweiten Punkt: „Im Prozessstadium ist die Sache behördenseits längst aufgearbeitet.“

    Ein Anwalt sollte nicht die Fehler wiederholen, die das Amt vorher gemacht hat (insbesondere bei komplexen Sachverhalten). Auch da ist eigenständiges Abarbeiten gefragt und nicht Nachplappern, was vorgeplappert wird. Denn: Anwälte sind nicht das Mietmaul des Mandanten.

  7. 7
    RA Will says:

    @ Behördenleiter: in den meisten (allen) Fällen kann man „aufgearbeitet“ mit „verfahren“ austauschen.
    Und den Karren soll dann der Anwalt aus dem Dreck ziehen…

    Ich habe einige befreundete Volljuristen, die bei ARGE bzw. Bundesagentur arbeiten und oft den Kopf schütteln über das Verhalten/Verfahren der Kollegen bei Widersprüchen und Klagen.

    Ich habe wenig Ahnung von Sozialrecht, mache trotzdem den ein oder anderen Widerspruch, die ein oder andere Klage und habe fast immer Erfolg, weil das was von Seiten der Behörde oft verzapft wird mit wenigen Minuten Recherche meist als Quatsch entlarvt werden kann.

    @ Kampfschmuser: Das sind dann oft die Kollegen, denen irgendwann die Zulassung entzogen wird, weil sie Mandantengelder unterschlagen haben. Kannte auch welche, die haben sich vom Existenzgründungsdarlehen erstmal einen Jaguar gekauft…

    Mal ganz abgesehen davon…je nach Leasingkonditionen zahle ich für nen Cayenne nicht mehr als für nen Golf…

  8. 8

    Hm, also wenn man sich die Mittelgebühren der Zoffern 3102 und 3106 VV RVG anschaut sind 700 EUR nicht sooo wenig – obs genug ist, ist eine andere Frage, und dass der taz-Bericht tendenziell ist, brauch ich auch nicht extra zu schreiben.

    Gleichwohl wollte ich auf den RFakt auch mal hinweisen.

  9. 9

    Fakt statt Rakt, sorry

      Fixed. crh
  10. 10
    Torsten says:

    Umsatz und Gewinn. Der Unterschied ist Nichtselbständigen, insbesondere Staatsdienern, nicht beizubringen. Wie oft muß man Anklagen wegen angeblicher Unterhaltspflichtverletzung bearbeiten, weil ein findiger Staatsanwalt anhand der beschlagnahmten Geschäftsunterlagen eines Selbständigen festgestellt hat, daß dieser 30.000,- Euro Umsatz im Jahr mache und trotzdem keinen Unterhalt zahle…

    Kosten für Büro? Angestellte? Papier? Technik? Altersversorgung? Das kennt ein Nichtselbständiger nicht, weil er von seinem Arbeitgeber das Rundumsorglospaket mit 30 Urlaubstagen bei voller Entgeldfortzahlung erhält, ebenso im Krankheitsfall.

  11. 11
    knuttel says:

    Reine Unkosten von 160 Euro pro Stunde ?
    Einfach lächerlich.
    Lange nervige Kundengespräche entfallen hier.

  12. 12
    raz says:

    Auch wenn es sein mag, dass der Beitrag in der taz tendentiös geschrieben ist, so stellt sich für mich eine Frage: Sind nicht 160 Euro Kosten für eine Kanzlei pro Stunde etwas sehr hoch angesetzt?

      Nein. Gerechnet wird in diesen Modellen mit einem Arbeitstag. Also je nach Belieben mit 8 bis 12 Stunden. crh

    Wenn ich mich nicht verrechnet habe, macht das 3.840 Euro Kosten an einem Tag oder – umgerechnet auf einen Durchschnittsmonat von 30 Tagen – 115.200 Euro pro Monat. Ich kann mir – mit Verlaub – schwer vorstellen, dass eine durchschnittliche Kanzlei eines oder – im Falle von Eisenberg und Kollegen – dreier Rechtsanwälte Kosten in dieser Größenordnung erzeugt.

    Selbst wenn ich pauschal das Gehalt eines angestellten Anwalts auf 7.000 Euro brutto und das Gehalt einer Reno auf 4.000 Euro brutto ansetze und jedem der drei Anwälte zwei Renos zurechne, bin ich bei Lohnkosten von 45.000 Euro.

    Ich halte es für schwerlich vorstellbar, dass Miete, Nebenkosten und sonstige Sachkosten tatsächlich mit 70.000 Euro zu Buche schlagen sollten.

    Im Ergebnis werde ich also das Gefühl nicht los, dass auch die Gegenrechnung nicht ganz frei von gewissen Tendenzen ist, bin aber gerne bereit, mich eines Besseren belehren zu lassen.

  13. 13
    RA Will says:

    @ raz: ihre rechnung verstehe ich nicht so ganz. wieviele stunden hat denn bei ihnen ein tag? bei mir nur 24, von denen ich vielleicht 10 arbeite.

    sie vergessen auch, dass der arbeitgeber mehr zahlt als das reine brutto.

    lassen sie mich raten, sie sind weder selbständig noch bwler?

    was mir jetzt mal so spontan an kosten einfällt:

    büromiete
    strom
    darlehen für büroausstattung
    versicherungen
    berufshaftpflicht
    telefon
    leasing/wartung kopierer
    wartung pc/netzwerk
    büromaterial
    literatur
    datenbanken
    werbung
    angestellte
    kammerbeiträge
    und und und

    dann sollte man auch nicht die umsatzsteuer und die einkommenssteuer und das versorgungswerk vergessen…

  14. 14
    Behördenleiter says:

    @ RA Anders: Ich frage mich, wer hier noch nie eine typische ALG-II-Prozessakte auf dem Tisch hatte. Dass die dick ist, hat doch nichts damit zu tun, um wieviel am Ende auch tatsächlich vor Gericht gestritten wird.

    Wenn Sie 10 Akten nehmen, haben Sie 5 mit jeweils einer einzigen Frage – zumeist auch aus einem relativ kleinen Kreis von immer wiederkehrenden Standardproblemen – , die schaffen Sie in zusammen 2 Stunden. Die anderen 5 sind individueller und deshalb schwieriger, aber wenn Sie für die im Schnitt je 2 – 3 Stunden ansetzen, ist das schon viel. Mit der Aufgabe des Sozialrechtsanwalts, der einen Bescheid bekommt und zusammen mit dem Mandanten erst einmal die denkbaren Einwände herausarbeiten muss, ist das gar nicht zu vergleichen.

  15. 15
    raz says:

    @RA Will: Auch bei mir hat der Tag 24 Stunden. Dass in der obigen Rechnung aber die 160 € Kosten pro Stunde nur auf Arbeitsstunden gemünzt sein sollen, erschließt sich – jedenfalls mir – nicht. Außerdem wäre es dann doch sachgerechter, anzugeben, welche monatlichen Kosten anfallen, da ich nicht davon ausgehe, dass alle Anwälte genau 10 Stunden pro Tag arbeiten. Und – auch ohne BWL studiert zu haben – weiß ich, dass es für die Kosten pro Arbeitsstunde dann doch einen nicht unerheblichen Unterschied macht, ob ich acht oder vierzehn Stunden pro Tag ansetze.

    Was das Brutto angeht, so haben Sie Recht, dass ich vergessen habe, ausdrücklich von Arbeitgeberbrutto zu sprechen; es ist mir also sehr wohl bewusst, dass neben dem, was der Arbeitgeber Arbeitnehmer (editiert. crh) als Bruttolohn erhält, noch Arbeitgeberanteile an der Sozialversicherung existieren, die die Lohnkosten in die Höhe treiben.

    Die übrigen von Ihnen angeführten Posten leuchten mir unmittelbar ein, auch wenn ich gerne darauf hinweise, dass ich nach meinem Dafürhalten den Posten „Angestellte“ schon in meine Rechnung gesondert eingestellt habe.

    Was die anderen von Ihnen genannten Posten angeht, so will es mir trotzdem nicht in den Kopf, dass sich diese insgesamt auf 70.000 Euro monatlich summieren sollten. Insbesondere die Umsatzsteuer scheint mir insoweit ein „durchlaufender“ Posten zu sein, der redlicherweise in diese Rechnung nur einbezogen werden kann, wenn die von der Verwaltung ausgeschriebene Summe schon inkl. Umsatzsteuer zu verstehen ist. Die Einkommensteuer schließlich – soweit reichen meine Erfahrungen im Bereich der selbstständigen Arbeit – wird auf die steuerbaren Einkünfte, d. h. den Überschuss der Einnahmen über die Kosten erhoben, sodass sich auch insoweit ein differenzierteres Bild ergibt.

  16. 16
    RA Will says:

    @ raz: kein mensch berechnet kosten pro stunde auf 24h pro tag. das sollte einleuchten.

    ich habe auch noch einige positionen vergessen. steuerberater und reinigungsfirma z.b. wollen auch bezahlt sein.

    umsatzsteuer…die verwaltung wird wohl das ausschreiben, was sie auch bezahlen muss…und da ist die umsatzsteuer nunmal auch drin. oder meinen sie, die staatskasse zahlt keine umsatzsteuer???

    und wer hat von 70t im monat geredet? sie, aber ihre rechnung ist ja auch falsch;-)

    man kann grob sagen, dass ein einzelanwalt ungefähr 200 bis 250t im jahr einnehmen sollte, wenn er davon leben will. leben, nicht reich werden und ferrari fahren…

  17. 17
    raz says:

    @RA Will:

    Ich habe zu keinem Zeitpunkt abgestritten, dass auch Körperschaften des öffentlichen Rechts umsatzsteuerpflichtig sind. Ich darf aber auf http://blogs.taz.de/hausblog/files/2010/08/215921.pdf verweisen. Dabei handelt es sich um den Ausschreibungstext für die hier gegenständlichen Dienstleistungen. Und der liest sich an der entscheidenden Stelle so: „Geschätzter Gesamtwert des Auftrags über die Gesamtlaufzeit der Rahmenvereinbarung geschätzter Wert ohne MwSt. Spanne von 350 000,00 bis 560 000,00 EUR“.

    Verstehen Sie mich außerdem bitte nicht falsch: Mir liegt es fern, zu behaupten, Anwälten entstünden für ihre Tätigkeit keine Kosten, deren Deckung sie – betriebswirtschaftlich gedacht – mindestens erreichen müssen. Wenn ihnen das als Minimum gelingt und sie darüber hinaus noch Gewinne erwirtschaften, mögen alle Anwälte von mir aus auch Ferrari fahren, wenn ihnen das Freude bereitet.

    Ich bin nur der Meinung, dass man, insbesondere wenn man anderen fehlerhafte Rechnungen vorhalten will, seine eigene Berechnungsgrundlage hinreichend transparent machen sollte. Und dazu gehört nach meinem Dafürhalten auch, zu sagen, auf welche Messgröße sich der Wert von 160 Euro pro Stunde beziehen soll.

  18. 18
    S. Heiser says:

    Hallo Herr Hoenig!

    Freut mich, dass Sie sich mit meinen Artikeln häufiger und auch diesmal wieder eingehend beschäftigen! Vorab: Meinen Beruf als Journalist würde ich gerade für kein Geld der Welt tauschen…

    In der taz neigen wir ja zu übergeigten, überspitzten, ironischen oder sonstwie witzig gemeinten Überschriften. Hier haben wir uns für „Hartz IV macht reich“ entschieden, weil das mit den üblichen Erwartungen an Hartz IV bricht und Neugierde erzeugen soll. Wir vertrauen dabei natürlich darauf, dass unsere Leser dieses taz-Prinzip kennen und die Überschriften nicht auf die Goldwaage legen.

    Im Text selber wird mit keiner Formulierung angedeutet, dass die Anwälte für die Leistung zu hoch bezahlt werden. Auch die SPD-Abgeordnete Radziwill kritisiert das in meinem Text nicht. Sie fragt sich lediglich, ob das Jobcenter das Geld nicht besser in das eigene Personal investieren sollte statt in externen Sachverstand. Dieser Aspekt – die Auslagerung staatlicher Aufgaben an private Dienstleister – ist auch der Grund, warum ich den Sachverhalt berichtenswert fand.

    Man liest sich!
    S. Heiser

  19. 19
    ExRA says:

    @Heiser:
    Sie legen aber keinen Wert darauf, dass man Sie als „seriösen“ Journalisten bezeichnet, oder?

  20. 20
    gulliver says:

    Vor 2 bis 3 Jahren im Büro eines Staatsanwalt, dort aus dem Fenster in den Hof schauend:
    „Wer fährt denn hier Porsche?“
    „Rechtsanwälte!“

  21. 21
    Scharnold Warzenegger says:

    Naja. Anwälte sind darauf gebürstet Dritten – zumeist der Gegenseite oder Richtern – den größten Unsinn als richtig und plausibel zu vermitteln.

    Ich tippe mal in 50% der Fälle gelingt das. Und damit meine ich nicht, daß bei einem Streit regelmäßig eine der Parteien 50% darstellt. :-)

    Der jetzige Vortrag des Herrn Hönig ist mir jedenfalls nicht glaubhaft. Klar gibt es Kosten. Und natürlich will der Anwalt was verdienen. Aber das möge er doch mal der Handwerksfirma erzählen, die 35 Euro die Stunde nimmt. Auch der Handwerker hat Kosten für Büro, Porto, Mitarbeiter usw.

    Zugegeben, beim Handwerker wird JEDE Mitarbeitersrunde abgerechnet. Aber wenn man das mal einfach pauschal verdoppelt und auf einen Anwalt einen Mitarbeiter rechnet, dann kommt man auf 70 Euro pro Stunde. Dabei hat der Anwalt dann aber schon 35 selbst verdient.

    Klar, ein Anwalt muß wegen seiner Ausbildung mehr verdienen. Aber das Märchen, von den notwendigen 200 Euro die Stunde, ist doch Quatsch. Mir erscheinen 100 Euro plausibel. Wobei es allerdings durchaus verständlich ist, wenn der Anwalt gern mehr verdienen möchte…

    Das war diesmal nicht überzeugend. Sorry. ABER: mir hat die Argumentation und der Einsatz gut gefallen. Gute Arbeit. Wenn ich mal einen Anwalt brauche…

  22. 22
    Burschel says:

    Der Anwalt, der den Zuschlag bekommt, wird Folgendes tun.
    1. Sich mit Hilfe der ARGE (man kennt sich ja nun) ein paar Arbeitskräfte zur Registratur der Akten suchen
    2. 2 – 3 Referendare werben, denen er (in Einzelgesprächen) verspricht, sie bei guter Arbeit fest anzustellen (spätere Sozietät nicht ausgeschlossen).
    3. Die Refs werden die Akten strukturieren. Ich schätze, in den 800 Akten stecken maximal 10 – 15 immer wiederkehrende sozialrechtliche Probleme.
    4. Sodann wird für jedes Problem eine Musterbausteinklagerwiderung entworfen und abgesandt. Das Haftungsrisiko ist gering, schließlich gilt der Amtsermittlungsgrundsatz
    5. Schon wegen der Terminsfülle müssen die Refs auch zur Terminsvertretung ran, hilfsweise sucht man sich über einschlägige Seiten ein paar billige Terminsvertreter. Auftrag: vergleichsvorschläge des Gerichts unbedingt annehmen

  23. 23
    Kai says:

    Ich schließe mich dem 160€-Kritiker voll an. Keine Frage, dass Kosten entstehen.

    Aber in der Höhe finde ich es nicht nachvollziehbar, wenn man nicht gerade einen Porsche, 2-3 Angestellte und ein teures Büro in bester Lage annimmt.

    8Std*20Tage*160€ = 25600€ Kosten im Monat pro Anwalt.

    Und dass Handwerkerstunden zu 100% berechnet werden können, halte ich für eine Legende. Die haben auch Ausfallzeiten.

  24. 24
    Christian says:

    Ach herrlich, alles ist immer so einfach…

    Ich freue mich, das raz hier auch versucht, den Argumenten der Anwaltschaft zu folgen und nicht stur auf seinem Standpunkt beharrt.
    ———–

    Vergessen bei der Stundensatzberechnung wurde auch, dass der Anwalt auch mal krank wird oder Urlaub macht. In dieser Zeit erzielt man keinen Umsatz, muss die anderen Kosten aber dennoch tragen.

    Google-Tipp: stundensatz dienstleistung berechnen.

    Da komme ich auch auf 160 Euro. Und bitte nicht vergessen: Der Handwerker kostet vielleicht „nur“ 40 €/Stunde, bei Sachen, die er einbaut (Amatur, Auspuff o.ä.) schlägt er aber auch einen bestimmten Satz drauf.

    Ich möchte auch im Zusammenhang mit dieser Ausschreibung erinnern, dass in der Vergangenheit auch schon Großkanzleien Gesetzesentwürfe für die Ministerien erarbeitet haben.

    Und ganz offen gesagt denke ich, dass die Jobcenter den Anwälten nicht das gelbe vom Ei zukommen lassen, sondern den Rotz an Akten. (Tschuldigung. Ich kann’s nicht anders sagen.)

  25. 25
    RA Müller says:

    Auch wenn ich damit hier jetzt wohl eine Mindermeinung vertrete: Vier Stunden Arbeit für ein sozialrechtliches Klageverfahren dürften durchschnittlich machbar sein, wenn man sich vornehmlich mit Sozialrecht befaßt. Es gibt einfach zu viele Sachverhalte, in denen die rechtliche Argumentation seeehr ähnlich ist, so daß die Einarbeitungszeit wegfällt.

    Die dicken Akten in Sozialrechtsfällen rühren doch meist daher, daß die Akte nicht wie in Strafsachen nur einen Sachverhalt erfaßt, sondern vielmehr die ganze Historie des Sozialleistungsbezuges des Mandanten darstellt. Da können die „Altlasten“ relevant sein, sind sie aber doch eher selten.

    Ich bearbeite Sozialrecht eher selten. Wenn ich da an meine jüngsten Verfahren denke (etwa wegen eines Anspruches auf Beteiligung an den Heizkosten über den Regelsatz hinaus ODER die teilweise Bedarfsgemeinschaft wegen Umgangskontakten), so habe ich da sicherlich mehr als vier Stunden mit verbracht. Wenn solch eine Rechtsfrage mir dafür erneut über den Weg liefe, dann dürfte das deutlich schneller gehen.

    Wer sich auf Sozialrecht spezialisiert hat, wird also im Durchschnitt vermutlich recht wenig Zeit auf die einzelnen Akten verwenden müssen. Damit will ich indes NICHT sagen, daß die Anwälte zu gut bezahlt werden. Wer sich Spezialwissen aneignet, der sollte auch entsprechend honoriert werden :)

  26. 26
    Christian says:

    Sehr geehrter Kollege Müller,

    ich stimme gerne zu, wenn Sie feststellen, dass mit zunehmender Erfahrung auch die Bearbeitungszeit sinkt. Ich schmiede gleich mal ein Gegenargument daraus: Wenn Sie oder im SozR erfahrene Kollegen bzw. FAe weniger als 4 Stunden bräuchten, dann frage ich mich, warum das Jobcenter die Akten outsourcen will. Schließlich haben die Mitarbeiter der Rechtsstelle jeden Tag (!) ausschließlich (!) mit Sozialrecht zu tun. Da müssten -überspitzt- die 800 Akten in 3200 Stunden (= 400 Arbeitstage = 2 Stellen, befristet auf ein Jahr) machbar sein.

    Ich bleibe lieber bei meiner „Rotz“-These.

  27. 27
    RA Neldner says:

    @Christian: Bearbeitung durch die Behörde und durch einen (selbständigen) Rechtsanwalt sind zwei grundverschiedene Dinge. Ich kenne beides aus eigener praktischer Erfahrung. Zwei wesentliche Aspekte:
    1. Bei der Behörde gibt es für die Mitarbeiter kaum ein Interesse, dass die Bearbeitungszeiten sinken. Es reicht, wenn das Soll erfüllt ist. Bei einem Rechtsanwalt ist das anders. Zeit „verschwende“ ich, wenn ich ein wie auch immer geartetes persönliches Interesse an der Sache habe. Sonst muss es schnell gehen.
    2. Als Rechtsanwalt entscheide ICH und muss anschließend für MEINE Entscheidung geradestehen. In Behörden wird so etwas typischerweise auf viele Köpfe verteilt. Erst recht, wenn komplizierte Entscheidungen anstehen, die sich außerhalb der üblichen Abläufe bewegen. Das kostet irrsinnig viele Zeit.

    Generell halte ich das Angebot des Jobcenters für fair. Eine spezialisierte Kanzlei mit guten Arbeitsabläufen sollte den Auftrag gut gewinnbringend abarbeiten können, für alle anderen wird es schon schwerer.

    Allerdings frage ich mich, welcher spezialisierte Berliner Sozialrechtler diesen Auftrag annehmen kann, ohne berufsrechtlich und beim Marketing (und beim Selbstverständnis) durch diesen Seitenwechsel Probleme zu bekommen. Das ist ja, als ob eine überlastete Staatsanwaltschaft von Strafverteidigern Entscheidungsvorschläge schreiben lassen würde.

  28. 28
    RA Müller says:

    Problematisch dürften die Anwälte es (hoffentlich) empfinden, die Bearbeitung streng Anweisungen der Jobcenter auszurichten, wenn diese der Rechtsprechung deutlich widersprechen ;)

  29. 29
    gesundesvolksempfinden says:

    Wie so oft liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Der Behördenleiter wendet leider nicht den richtigen Tarifvertrag an. Bei der Bundesagentur für Arbeit gilt der ein eigener Tarifvertrag. Sachbearbeiter für die Widerspruchsverfahren werden wohl in die Stufen III bis V eingruppert, so dass sich ein Festgehalt in Höhe von 1.800 bis 2.800 Euro pro Monat ergibt. Nicht schlecht aber auch nicht besonders gut. Was sowohl er Behördenleiter als auch der „Referendareinsteller“ übersieht ist die Komplexität der Aufgabe. Hartz IV ist kein einfaches Gesetz. Das kann man allein an der Zahl der Entscheidungen des BSG ablesen, bei denen die Sache an das Landessozialgericht zurückverwiesen wird. Für die Sachbearbeitung ist ausserdem eine sehr gute Kenntnis des Verfahrensrechtes (SGB I, SGB X und SGG) erforderlich. Will man hier gute Arbeit leisten, bedarf es Erfahrung und sehr guter Kenntnisse. Die notwendigen Kenntnisse kann man sich sicherlich aneignen. Diese werden jedoch weder durch Studium und Referendarausbildung noch durch einen Fachanwaltslehrgang vermittelt. Für Anfänger ungeeignet.

  30. 30
    ra streifler says:

    Ich finde das ganze Ausschreibungsverfahren merkwürdig.

    1. Ein im Sozialrecht erfahrener Kollege wird ja wohl größtenteils gegen die ausschreibende Behörde geklagt haben. Dann müßten dort ja alle anhängigen Mandate niedergelegt werden, wegen der Interessekolision. (dieser Umstand fehlt noch in der o.g. Kostenrechnung)

    2. Wenn bereits die Teilnahme an der Ausschreibung als Mandatsanbahnung zu werten ist, dann hätten die teilnehmenden Kollegen bereits ein Problem, wenn sie unter 1. fallen.

    3. Wenn man erfolgreich teilgenommen hat, dann wird dort höchst wahrscheinlich ein großer Teil der Arbeitszeit diesen Mandaten eines Auftraggebers gewidmet werden müssen. Bei einer konsequenten Spezialisierung kommen eigentlich auch nicht viel mehr Auftraggeber in Betracht. Die sozialrechtlichen Einzelmandate scheiden aus, wegen Interessenkollision, die verkehrsrechtlichen Mandate passen nicht zur Spezialisierung, d.h. Syndikuss + Scheinselbständigkeit ist vorprogrammiert.

    Ich kann mir eigentlich keinen Kollegen vorstellen, der sich auf solche Konditionen einlassen kann und auf das Ausschreibungsprofil paßt.

    Würde mich freuen zu erfahren, wie die Sache ausgeht.