Jahresarchive: 2010

Intensivtäter

Polizeilicher Vermerk aus einer Ermittlungsakte in einer Jugendstrafsache:

Bei dem Geschädigten Wilhelm Brause handelt es sich um einen staatsanwaltschaftlichen Intensivtäter

Ich finde, bei der Staatsanwaltschaft gibt es ausschließlich Intensivtäter.

In diesem Zusammenhang gleich noch ein schönen Begriff: Kiezorientierter Mehrfachtäter.

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Erfolgreiche Explosion und verlorene Wette

Es war eine Steuerstrafsache und ich hatte eine „böswillige“ Akteneinsicht beantragt. Die Akten mußten aufgrund ihres Umfangs in acht Umzugs-Kartons in einem besonderen Raum im Gericht gelagert werden. Aufgrund der mit der Akteneinsicht signalisierten Verteidigungsstrategie war für beide Tatvorwürfe ein Ende in Form der Verjährung realistisch.

Der eine Verjährungseintritt stand unmittelbar bevor. Auf den Eintritt der Verjährung in der zweiten Sache ein Jahr später wollte ich wetten.

Über diese explodierende Akteineinsicht hatte ich bereits berichtet.

Nach einigen Telefonaten mit dem Gericht erhielt ich heute Post:

Man hat den Weg des geringsten Widerstandes gewählt.

Der Tatvorwurf lautete auf einen so genannten Vorsteuerbetrug. Meinem Mandanten wurde vorgeworfen, Rechnungen von Unternehmen in seine Buchhaltung übernommen zu haben, die nicht existierten. Die Umsatzsteuer, die diese Rechnungen enthielten, hat er vom Finanzamt erstattet bekommen. Insgesamt ein mittlerer sechsstelliger Betrag.

Der Mandant hat vorgetragen, daß die Leistungen der Unternehmen erbracht worden seien, die Unternehmen daher auch existierten und er deren Rechnungen samt Umsatzsteuer auch bezahlt hätte.

Der Finanzverwaltung ist es weder im Besteuerungsverfahren, noch in dem Strafverfahren gelungen, den Gegenbeweis zu führen.

Mit der Einstellung dieses Strafverfahrens gibt es nun auch keine Verjährungsunterbrechung bzw. keine Verlängerung der kurzen Verjährung im Besteuerungsverfahren. Die von der Finanzverwaltung geltend gemachten Steuerforderungen sind damit ebenfalls der Verjährung anheim gefallen.

Ich zitiere vor diesem Hintergrund noch einmal die Einstellungsbegründung:

eingestellt, weil dessen etwaige Schuld gering wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.

Wenn diese Entscheidung nicht nahezu ausschließlich positive Konsequenzen für meinen Mandanten bedeuteten, würde ich sie als völlig absurd disqualifizieren.

Aber so halte ich als Interessenvertreter meines Mandanten besser den Mund.

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Was man so braucht …

… in Neukölln.

Ein Endrohr pro Ventil, sozusagen. Für die Abgase hätten es eigentlich auch drei Rohre getan.

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Motocross aus Sicht der Staatsanwaltschaft

Aus einer Anklageschrift, in der einem Motocrosser eine fahrlässige Körperverletzung in mehreren Fällen vorgeworfen wird:

Der Angeschuldigte Wilhelm Brause war am 30.02.2010 um 10.30 Uhr als Teilnehmer der Motocrossveranstaltung des MC Bullmannsdorf beim ersten Lauf zum „Bullmans-Pokal 2010“ auf der Strecke Krummer Weg 14 in Bullmannsdorf mit einem Motocross-Gespann mit KTM-Motor unterwegs. Im Beiwagen befand sich der Zeuge Gottfried Gluffke.

Am Streckenpunkt 8, einer Berganfahrt mit anschließender 180 Grad Rechtskurve, verkannte der Angeschuldigte aus Unachtsamkeit die Notwendigkeit, vor der Biegung die Geschwindigkeit rechtzeitig zu drosseln.

Dies hatte für ihn vorhersehbar und vermeidbar zur Folge, dass er ungebremst mit dem Gespann geradeaus weiterfuhr und am Kurvenbeginn links den Folienzaun durchbrach und in die Gruppe der dahinter stehenden Zuschauer raste, wodurch vier Zuschauer und der Beifahrer Gluffke verletzt wurden.

Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß die Staatsanwaltschaft zum Beweis dieser Behauptung eine höhere zweistellige Anzahl an Zeugen benannt hat. Eben die Zuschauer und einige Fahrer. Und natürlich wurde ein Sachverständigengutachten erstellt, um die Frage zu klären, ob das KTM-Gespann irgendwelche Mängel hatte.

Das dürfte wohl ein spektakuläres Verfahren vor dem kleinen Amtsgericht werden, in dem die örtliche Staatsanwaltschaft ihre Kompetenz auf dem Gebiet des Motorsports und den dort geltenden Regeln unter Beweis stellen darf. Wilhelm Brause jedenfalls kann auf gut zwei Jahrzehnte aktiven und international erfolgreichen Motorsport zurückblicken. Und er hat zwei Verteidiger, die wissen, wie man sich bei einer Berganfahrt im Gerichtssaal bewegt.

Ich befürchte nur, daß man in diesem Nest auch ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung einleitet, wenn sich zwei mit Turnhosen bekleidete Männer in einem Boxring gegenseitig auf die Nase hauen.

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Kantinenrichter

Das Kriminalgericht hatte mal zwei Gerichtskantinen. Die eine, kleine, schnuckelige im Untergeschoß, in der man Strafrichter, Strafverteidiger, Straftäter und Staatsanwälte gleichermaßen bei der Mittagspause antreffen konnte, hat man schon vor langer Zeit – aus Kostengründen? – geschlossen. Das habe ich bedauert, zumal an der Kantine (und dem dort montierten Zapfhahn) auch noch nette Erinnerungen an meine Referendarzeit hingen.

Danach gab es nur noch die hier:

Eine Bahnhofshalle mit einem Speiseangebot, von dem man das Gefühl hatte, es kommt direkt aus der sechs Stockwerke tiefer liegenden Küche der Untersuchungshaftanstalt.

Aber auch diese Kantine gibt es schon länger nicht mehr:

Da gibt es aber nichts zu bedauern. Außer, daß die netten Bedienungen wohl arbeitslos geworden sind. Aber das sind ja auch keine unkündbaren Richter und Beamte.

Da kommt mir gerade ein Gedanke … wenn demnächst wieder mal eine Kantine eröffnet werden sollte … und man nicht weiß, wohin mit dem einen oder anderen Richter

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Man glaubt’s nicht!

Auf dem Weg in die Mittagspause:

Es gibt Zeitgenossen in Kreuzberg, die gehören zusammen gefaltet. Da bittet der Hauseigentümer höflich und mit nachvollziehbarer (erkennbarer) Begründung darum, den Zaun nicht weiter zu beschädigen:

Und was macht dieser Radfahrer? Er schließt sein Rad an den alten und wackeligen Zaun an.

Aber er hat einen verhängnisvollen Fehler gemacht …

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Freie Kapazitäten bei der Staatsanwaltschaft

In einer nicht ganz einfachen Wirtschaftsstrafsache mit Bezug zum Ausland hatte ich Akteneinsicht. Der Mandant hat mich mit weiteren Informationen versorgt. Nun ging es darum, die Verteidigung im Ermittlungsverfahren zu planen.

Es besteht der Verdacht des gewerbsmäßigen Verstoßes gegen das Markengesetz und des gewerbsmäßigen Betruges durch Verkäufe gefälschte Kleidungsstücke der Marke „WBF – Wilhelm Brause Fashion“, die unter anderem für die europäische Gemeinschaft unter Reg.-NR. ABC 00012345678 für Bekleidungsstücke, Schuhwaren und Kopfbedeckungen geschützt ist.

Diese Handlung ist mit Strafe bedroht gemäß §§ 143 MarkenG, 263, 53 StGB. Der Tatverdacht beruht auf einer Anzeige der Firma „WBF“ und den weiteren Ermittlungen des Zollfahndungsamts Frankfurt/Main.

… lautet auszugsweise der Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts. Die durchgeführte Wohnungs- und Geschäftsraumdurchsuchung verlief „ohne Erfolg“ ; es wurden keine verwertbaren Beweismittel gefunden.

Ich habe nun mehrfach versucht, den zuständigen Dezernenten bei der Staatsanwaltschaft zu erreichen. Leider auch „ohne Erfolg“. Auch mit telefonisch hinterlassenen Rückrufbitten kam ich nicht weiter. Deshalb habe ich zum Fax gegriffen und mitgeteilt, worum es mir geht.

Gern möchte ich den Fortgang des Ermittlungsverfahrens und mögliche Erwartungen der Staatsanwaltschaft an die Verteidigung erörtern.

Das führte dann zu einer Reaktion:

Nun, denn. Der Herr Gruppenleiter bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt will es schriftlich haben. Offenbar hat man bei den dortigen Ermittlungsbehörden noch reichlich freie Kapazitäten.

Es fragt sich, wie lange noch.

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Enttäuscht

Für das Publikum im Gerichtssaal war es eine Enttäuschung: Schon nach wenigen Minuten endete der Prozess gegen Jörg Kachelmann am ersten Verhandlungstag mit einer Unterbrechung.

schreibt Gisela Friedrichsen auf SPON.

Ja, so geht’s natürlich nicht. Man hätte wenigstens ein bisschen verhandeln können. Wo doch alle extra nach Mannheim gekommen sind.

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Der Bock zum Gärtner

… darum werde ich ab heute den Kachelmann-Prozess an manchen Tagen auch ganz aus der Nähe, im Sitzungssaal Nr. 1 des Landgerichts Mannheim, verfolgen – und mindestens einmal wöchentlich in BILD berichten.

Quelle: Alice Schwarzer auf Bild.de

Dazu paßt:

„Sie hat ihren Mann entwaffnet. (…) Eine hat es getan. Jetzt könnte es jede tun. Der Damm ist gebrochen, Gewalt ist für Frauen kein Tabu mehr. Es kann zurückgeschlagen werden. Oder gestochen. Amerikanische Hausfrauen denken beim Anblick eines Küchenmessers nicht mehr nur ans Petersilie-Hacken. (…) Es bleibt den Opfern gar nichts anderes übrig, als selbst zu handeln. Und da muss ja Frauenfreude aufkommen, wenn eine zurückschlägt. Endlich!“

Quelle: Alice Schwarzer in Emma 1994, zitiert nach der Rechtsanwäldin

Das zum Thema „Medienberichterstattung“

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Der Preis der frischen Luft

Weniger Schmerzensgeld bei fehlender Schutzkleidung, so urteilte der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (12 U 29/09).

Der Fall

Es ging um einen Unfall, der sich so ähnlich schon vor einigen Jahren ereignet hatte. Ein Klassiker, der sich aber immer wieder in unterschiedlichen Varianten wiederholt:

Unmittelbar nach dem Aufwachen fällt Wilhelm Brause ein, daß ihm das zweit- und drittwichtigste in seinem Leben fehlt: Tabak und Kaffee.

Noch völlig im Tran greift er nach seinem Jethelm, steigt auf die V-Max und brezzelt los zur nahegelegenen Tankstelle. Für die kurze Strecke in die Kombi? Vergiß es! Boxershorts und Muscleshirt reichen ebenso wie die Badelatschen. Es gelingt Wilhelm, trotz Nikotin- und Koffeinentzug heil an der Tankstelle anzukommen, bezahlt wird – wie im Werbefernsehen – mit der Karte, nur nicht so lasziv. Ein kurzer small talk mit dem Tankwart, dann schlurft Brause noch rauchend zum Mopped.

Er genießt die frische Luft auf der Haut und tuckert gemütlich vor sich hin, als von links Bulli Bullmann mit seinem 30 Tonner auf die Hauptstraße einbiegt. Durch die überlange Nachtfahrt völlig übermüdet, sieht Bullmann den vorfahrtsberechtigten Moppedfahrer nicht. Brause gelingt es so eben gerade, einen Zusammenstoß mit dem Truck zu verhindern, überbremst aber dabei das Vorderrad und rutscht auf seinem eigenen Hinterteil hinter der V-Max her und knapp am LKW vorbei. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In der Poliklink, wo man ihm den Splitt aus dem Gesäß operiert, beide Knie- und beide Ellenbogengelenke ruhig stellt sowie diverse andere Blessuren an Händen und Füßen verarztet.

Die Tränen sind noch nicht ganz getrocknet, als Brause auch nach Verdienstausfall, Ersatz der von ihm zutragenden Heilungskosten und Schmerzensgeld von Bullmanns Haftpflichtversicherer schreit.

In der Entscheidung, die das OLG Brandenburg zu treffen hatte, ging es „nur“ noch um das Schmerzensgeld. Der materielle Schaden war bereits reguliert. Und

Die Lösung

Das brandenburgische Gericht meint, wer sich nicht schützt, obwohl er sich schützen könnte, bekommt eben weniger. Die Mithaftung aufgrund Mitverschuldens an den erlittenen Schmerzen führt zum Abzug, und zwar mit folgender Begründung:

Schließlich ist auch in gewissem Umfang […] ein Mitverschulden des Klägers insoweit anzunehmen, als er an den Beinen keine Schutzkleidung getragen hat, sondern lediglich mit einer Stoffhose bekleidet war. Zwar existieren anders als bei der Helmpflicht keine gesetzlichen Vorschriften darüber, dass jeder Motorradfahrer über das Tragen eines Helmes hinaus insgesamt eine Motorradschutzkleidung zu tragen hat. Ein Mitverschulden des Verletzten ist aber auch bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (BGH NJW 1979, 980, in einem Fall, in dem der Geschädigte noch vor Einführung der Helmpflicht keinen Helm getragen hat). Zu berücksichtigen sind bei der Beantwortung der Frage, ob ein so genanntes Verschulden gegen sich selbst vorliegt, die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie der Gesichtspunkt, was den Verkehrsteilnehmern zuzumuten ist, um diese Gefahren möglichst gering zu halten. Eine Schutzbekleidung hat die primäre Aufgabe, den Motorradfahrer vor den negativen Folgen eines Sturzes zu schützen bzw. diese zu vermindern. Aufgrund der Instabilität des Fahrzeugs ist der Motorradfahrer nicht nur bei Rennveranstaltungen, sondern auch im normalen Straßenverkehr besonders gefährdet. Deshalb empfehlen sämtliche maßgeblichen Verbände, die sich u. a. mit der Sicherheit und im Besonderen auch mit der Motorradsicherheit befassen, einen Schutz bei jeder Fahrt mit sicherer Motorradbekleidung. Entsprechende Empfehlungen findet man z. B. beim ADAC, beim Institut für Zweiradsicherheit (ifz), das zudem eine Statistik veröffentlicht hat, wonach die Verletzungshäufigkeit gerade im Bereich der Beine bei etwa 80 % liegt, sowie des Deutschen Verkehrssicherheitsrates e. V. Letztgenannter hat im Jahre 2008 beschlossen, an die Motorradfahrer zu appellieren, Schutzkleidung einschließlich Protektoren zu tragen. Die meisten Motorradfahrer empfinden es heutzutage als eine persönliche Verpflichtung, mit Schutzkleidung zu fahren. Jeder weiß, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein um ein vielfaches höheres Verletzungsrisiko in sich birgt, wobei natürlich nicht verkannt werden soll, dass auch mit dem Tragen von Motorradschutzkleidung nicht jeglichen Verletzungsgefahren entgegengewirkt werden kann. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, zu welchen Leistungen das Motorrad letztlich in der Lage ist. Auch für „kleine Maschinen“ kann auf Schutzkleidung zur Vermeidung schwerer Verletzungen nicht verzichtet werden. Dass es ungeachtet von Überlegungen (auch in der EU) zur Einführung einer Tragepflicht von Motorradkleidung noch nicht zu einer entsprechenden normierten Festlegung gekommen ist, ändert nichts an der Tatsache, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens eine Schutzkleidung trägt und er, sofern er darauf verzichtet, bewusst ein erhebliches Verletzungsrisiko im Falle eines Unfalls eingeht und es deshalb sachgerecht erscheint, im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes ein Verschulden gegen sich selbst schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen (so auch – allerdings ohne Begründung – OLG Düsseldorf NZV 2006, 415 f).

Vorliegend hat der Kläger auf das Tragen einer Schutzkleidung ausgerechnet an den Beinen (Kopf und Oberkörper waren hinreichend geschützt), also dort, wo die Verletzungsgefahr am Größten ist, verzichtet. Es kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil der am linken Bein erlittenen Verletzungen wie Prellungen und Riss-wunden, die eine umfangreiche chirurgische Wundversorgung erforderten, nicht eingetreten wären, wenn der Kläger auch an den Beinen eine Schutzbekleidung getragen hätte.

Soweit das hohe Gericht, wie ich finde, mit einem nachvollziehbaren Standpunkt.

Die Anmerkung

Ich weiß nicht, ob eine solche Entscheidung zum Tragen von schwerem Leder in der Stadt bei sommerlichen Temperaturen motivieren kann. Allerdings wissen wir, neben dem üblichen Risiko, das unser Hobby so mit sich bringt, lauern weitere Gefahren auf uns, wenn man die Protektoren ablehnt.

Und wenn sich diese Gefahren realisieren, sollte man nicht jammern. Das ist eben der Preis für die frische Luft auf der – dann ehemaligen – Haut.

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