Nicht entkräftet

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt. Wegen dreier Straftaten, die, wenn sie in Brandenburg begangen worden wären, eine simple Ordnungswidrigkeit gewesen wären. Tatzeit ist Frühjahr 2005. Die Gerichtsakte besteht aus zwei Bänden und vier Beistücken.

Es hat bereits ein Hauptverhandlungstermin stattgefunden, nachdem die Staatsanwaltschaft der Anregung des Gerichts (!) nicht gefolgt ist, die Zustimmung zur Einstellung des Verfahren nach §§ 153, 153a StPO einzustellen.

Nach diesem Termin wurden weitere Ermittlungen durchgeführt, deren Ergebnis das Gericht (erneut) zum Anlaß nahm, an die Staatsanwaltschaft zu schreiben:

Unter Hinweis auf die lange Verfahrensdauer und die schwierige Beweislage wird angeregt, nach §§ 153, 153a StPO zu verfahren.

Darauf erging die folgende Reaktion der Staatsanwaltschaft:

Der Verfasser dieser Zeilen scheint das (Rechtsstaats-)Prinzip nicht verstanden zu haben: Es ist nicht so, daß die von der Verteidigung beantragten Ermittlungen die Tatvorwürfe entkräften müssen. Vielmehr müssen Staatsanwaltschaft und Gericht nachweisen, daß die Tatvorwürfe zutreffen. Und diesen Nachweis haben diese und andere Ermittlungen nicht erbracht.

Aber vielleicht wird das ja noch was … in den nächsten 5 Jahren.

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung veröffentlicht.

18 Antworten auf Nicht entkräftet

  1. 1
    Olli says:

    ok, also ich könnte das noch nicht mal entziffern…

  2. 2
    HD says:

    In Brandenburg wäre es nur bußgeldbewehrt, in Berlin aber ist es strafbar? Um was für Vorwürfe mag es da wohl gehen?

  3. 3
    Jessica says:

    Für so eine Schrift bekommt man in der Klausur pauschal einen Punkt weniger. Wie haben sie das denn entziffern können?

  4. 4
    RA Neldner says:

    Die Entzifferung solcher Vermerke ist nur eine Frage der Übung. Gerade die handschriftlichen „Kritzeleien“ sind oft eine gute Erkenntnisquelle, weil da unbedachter Dinge aufgeschrieben werden (und bleiben), die sonst beim Korrekturlesen geändert werden.

  5. 5
    Malte S. says:

    Wahrscheinlich findet vor dem Endurteil noch ein Dezernatswechsel statt, der derzeit ermittelnde StA wird Richter und übernimmt dann auch diese Sache.

    Da die StA im Ermittlungsverfahren den Tatvorwurf nicht entkräften konnte und der Angeklagte dies auch nicht getan hat, wird wie üblich regulär das Höchstmaß der Strafe ausgeurteilt.

  6. 6
    ben says:

    Erinnert mich an den Schlussvortrag eines LOStA in einer Berufungs-HV. Zitat: „Der Angeklagte hatte in zwei Instanzen Gelegenheit, seine Unschuld zu beweisen.“

  7. 7
    Karin says:

    Gerade habe ich eine Akte auf dem Tisch, betreffend einen Mandanten, der wegen vielfachen Betruges für lange Jahre im Knast sitzt. Es tröpfelt noch eine Kleinigkeit hinterher, angeblich zu Unrecht bezogene Sozialleistungen in Höhe von wenigen hundert Euro. Das muß natürlich sofort zur Anklage gebracht werden; da soll es der Staatskasse auf Pflichtverteidigergebühren, die den Schaden bei weitem übersteigen, auch nicht ankommen.

    Das Gericht fragt sofort nach Eingang der Anklage an: § 154 StPO??? Der Amtsanwalt schüttelt verständnislos den Füllfederhalter: „Das Verfahren ist wegen der Höhe des Schadens nicht für eine Einstellung nach § 154 StPO geeignet.“

    Ich freue mich schon auf die nachträgliche Gesamtstrafenbildung. So 1-2 Tage Knast könnten schlimmstenfalls noch hinzukommen…

  8. 8
    klabauter says:

    War mir auch neu, dass in Brandenburg ein Sonderrecht gilt, wonach Straftaten nur Ordnungswidrigkeiten sind.

      Wenn der Horizont nicht über den § 358 StGB hinausreicht, ist natürlich all das, was nicht vor dieser Norm steht „Sonderrecht“. crh

    Steht das im Einigungsvertrag?

      Nein, aber in Art. 70 GG. Aber wer kennt sich da schon aus, nicht? crh

    Im übrigen: offenbar waren Gericht und StA von der Strafbarkeit aufgrund der bisherigen Aktenlage überzeugt (sonst kann man doch auch nicht nach § 153a einstellen, oder habe ich da etwas falsch verstanden).

      Ja, haben Sie. Die Anregung zur Einstellung nach §§ 153, 153a StPO erfolgte zweimal seitens des Gerichts. crh

    Wenn dann weitere Ermittlungen die einmal gewonnene Überzeugung nicht entkräften, hat das mit der Unschuldsvermutung oder der „Beweislastverteilung“ im Strafprozess eher nichts zu tun. Man hält eben an der bisherigen Überzeugung, dass nach Aktenlage ein Nachweis zu führen ist, fest. Aber jeder interpretiert eben das in eine Aussage hinein, was er will….

  9. 9
    Johannes says:

    Fragwürdig ist das schon. Von Ermittlungen, die von der Verteidigung angeregt worden sind, wird aber auch nichts geschrieben.
    Vielleicht ist es auch nur mißverständlich? Die StA muss auch für den Angeschuldigten ermitteln.
    Aber nicht nur…

  10. 10

    Witzig!

    Ich hab‘ da auch gerade eine ähnlich widerspenstige und beratungsresistende StAin im Nacken, die trotz gerichtlicher Anregung partout nicht zustimmen will, das Verfahren nach § 153 II StPO einzustellen.

    Mehr dazu im Laufe des Tages im Blog.

    Vollzugsteilnehmer

  11. 11
    egal says:

    Es ist natürlich schon recht schwer, etwas zum Fall zu sagen, wenn man noch nicht mal weiß, wegen was und auf welcher Beweismittelgrundlage hier etwas angeklagt wurde.

    Allgemein kann man daher nur sagen, dass das Gericht anfänglich eine Verurteilung für wahrscheinlich hielt. Diese Meinung muss sich nicht zwingend geändert haben, aber offenbar ist die Beweislage schlechter als erwartet rsp. der Verteidiger verhindert, dass der Angeklagte sich selbstbelastet. Immer ne doofe Situation für den Richter, der dann auf Grund dieser Grundlage schlecht verurteilen kann, wenn nicht der klare Beweis erbracht ist.
    Oftmals sind ja Richter durchaus schon überzeugt, aber die Begründung im Urteil wäre wohl zu wacklig und generell ist natürlich eine Einstellung nach §§ 153, 153a vor allem für den Richter (und auch den schuldigen Angeklagten) eine win-win-Situation.

    Wenn die Staatsanwaltschaft das nicht mitmachen will, weil sich nicht wesentlich viel in der HV geändert hat, ist das ihr gutes Recht, keine Zustimmung zu erteilen. Denn was wäre die Konsequenz, wenn der Richter nicht verurteilen kann auf Grund wackliger Beweissituation? Klar, ein sauberer Freispruch für den Angeklagte ohne Kostenfolge und BZR/AStA-Eintrag. Besser gehts doch nicht.

    Im Übrigen hat meines Erachtens der Angeklagte sowieso ein Recht auf seinen Freispruch, wenn die Beweisaufnahme ohne Schuldnachweis geendet ist. Eine Einstellung nach 153 wäre hier schon ein Schlag ins Gesicht und für 153a müsste man ja überhaupt erst von einer nachweisbaren (geringen) Schuld ausgehen.

    Von daher geht wohl die Entscheidung der StA hier in Ordnung, auch wenn vermutlich bei einem Freispruch fristwahrend Rechtsmittel eingelegt würde.

  12. 12
    klabauter says:

    @hoenig:
    Ich kann mich nur egal anschließen:

    Das Gericht geht davon aus, dass das Verhalten strafbar ist (sonst müsste es freisprechen oder nur wegen OWi verurteilen). Hält aber die Schuld für gering und das Interesse an der Strafverfolgung für beseitigungsfähig nach §§ 153 a. Aus irgendeinem Grund wurden Nachermittlungen geführt. Das Gericht meint immer noch: § 153 a/153.
    Die StA sah ursprünglich die Schuld nicht als gering an und ist nach dem Ergebnis der Nachermittlungen nicht davon abgerückt. So what. Soll vorkommen.

    Vielleicht wäre es hilfreich, Sachverhalt und Tatvorwurf mitzuteilen, dann würden sich auch Fragen wie „warum OWi in Brandenburg und Straftat in Berlin“ etwas einfacher beantworten lassen als mit Hinweisen auf § 358 StGB..

  13. 13
    egal says:

    Wenn man den Hinweis auf § 358 StGB aufnimmt, könnte man sich eine Geschichte ausdenken, in der ein Amtsträger (Polizist?) aus Berlin in der brandenburgischen Pampa einen Verkehrsunfall baut – möglicherweise bei Nacheile? – und dann nicht nur wegen Verkehrs-OWi verfolgt wird, sondern nur wegen fahrl. Körperverletzung im Amt, §§ 229, 340 I S.1 2. Var., III StGB iVm § 42 OWiG.

  14. 14
    HD says:

    Wenn es um Taten geht, die nach Landesrecht strafbar bzw. nicht strafbar sind, dann ist der Fall vielleicht zu speziell, als dass ohne Verletzung des Anwaltsgeheimnisses noch weitere Details preisgegeben werden dürfen?

  15. 15

    Mistverständnis:

    § 358 StGB ist die letzte Norm im Strafgesetzbuch, das wiederum nicht das einige Gesetz ist, nach dem man sich strafbar machen kann.

    Mit meiner Polemik in Kommentar Nr. 08 wollte ich den Kommentator auffordern, seinen Blick auch auf Vorschriften zu lenken, die nicht im StGB (Bundesrecht) stehen; es gibt eine Menge Strafvorschriften in den Landesgesetzen.

    Alles klar nun?

  16. 16
    luDa says:

    Ich tippe mal auf § 32 BlnDSG im Verhältnis zu § 38 BbgDSG.

  17. 17
    Donnerkatze says:

    Heiteres Strafverfahren-Raten?
    Robert Lemke läßt grüßen „Welches Schweinderl hätten’s denn gern?“
    (am besten das, daß DURCH die rosa Brille guckt) ;-)
    Hmm, scheint so, als sei es fast wie in der HV?

  18. 18
    klabauter says:

    @ 15
    Jetzt ist der Groschen gefallen.