Kachelmann: Befangener Richter?

Der Kollege Udo Vetter berichtet im lawblog über den Artikel der Baseler Zeitung über das Verfahren, das in Mannheim gegen Herrn Kachelmann geführt wird. Es geht in beiden Veröffentlichungen um die mögliche Befangenheit des Vorsitzenden Richters Michael Seidling, dessen Kammer irgendwann ein Urteil zu sprechen haben wird.

In der Zeitung ist zu lesen:

Richter Seidling sagt gegenüber der «SonntagsZeitung»: «Ich kenne weder den Vater noch das Opfer. Es gibt keine Nähe zwischen uns.»

Udo Vetter kritisiert im Wesentlichen, daß der Richter nicht von dem „mutmaßlichen“ Opfer gesprochen habe; nur in einem einleitenden Halbsatz stellt er die Frage:

Wenn man der Basler Zeitung glauben darf, sagte Michael Seidling auf Nachfrage …

Sein weiterer Beitrag problematisiert die Glaubwürdigkeit der Zeitung und die Vollständigkeit des Zitats nicht mehr. Entsprechend fallen die zahlreichen Kommentare aus, für die es festzustehen scheint, daß der Richter tatsächlich so dämlich war, sich derart zu äußern. Das – finde ich – kann nicht zuverlässig behauptet werden. (Nur nebenbei: Das erfolgreiche – historische – Ablehnungsgesuch gegen Herrn VRiLG Bräutigam ist mir bekannt.)

Meine Erfahrung mit den Medien, egal ob es sich nun um diese überflüssigen Gossenblätter handelt oder um die Bürgerlichen oder auch um die taz, zeigt hingegen, daß Zeitungsartikel nicht den Wert eines Wortprotokolls einer Hauptverhandlung haben.

Die Kritik richtet sich daher an Herrn Vetter, der seinen Lesern – sicherlich unbedacht – suggeriert, Herr Seidling steht unmittelbar vor seiner (erfolgreichen) Ablehnung durch die Verteidigung.

Audiatur et altera pars. Das gilt auch zugunsten verdächtiger Richter. Ich bin gespannt, was er sagt wird, wenn er von kompetenter Stelle gehört werden wird.

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Rechtsanwälte, Richter veröffentlicht.

24 Antworten auf Kachelmann: Befangener Richter?

  1. 1
    Zeitungsleser says:

    Genau das habe ich mir auch Gedacht Herr Hoenig!
    Vielen Dank für Ihre aufklärenden Worte.

  2. 2
    Ref.iur. says:

    Herr Hoenig, ich stimme Ihnen voll zu.

    In den letzten Monaten hatte ich u.A. die Aufgabe ein von der Öffentlichkeit verfolgtes Strafverfahren (IKB-Verfahren gegen Herrn Ortseifen) zu verfolgen. Es war erschreckend zu sehen, wie schlecht die Berichterstattung war. Soweit es um den Verfahrensverlauf ging, wurden Dinge teilweise völlig verdreht oder schlicht falsch dargestellt. Bei den Zeugenaussagen wurden weniger die von den Zeugen geschilderten Tatsachen berichtet als vielmehr für die Wahrheitsfindung eher unerhebliche Werturteile der Zeugen verbreitet.

    Alles in Allem kann man selbst bei sehr seriösen Zeitungen / Zeitschriften (FAZ, Handelsblatt, Spiegel) kaum darauf vertrauen, dass die Berichterstattung zutreffend und vor Allem sachlich ist. Ich verstehe nicht, warum eine so große Zeitung wie die FAZ keinen Juristen in der Redaktion hat, der für derartige Berichterstattungen eingesetzt werden könnte. (Wahrscheinlich wäre dessen Berichterstattung selbst für die FAZ zu anspruchsvoll…)

  3. 3
    doppelfish says:

    Die gleiche Formulierung – „ich habe weder Kontakt zum Vater noch zum Opfer“ – findet sich allerdings auch woanders (worauf RA Vetter selber in den Kommentaren hinweist).

  4. 4
    chi says:

    @ Ref.iur.: Ja, ich wundere mich derzeit auch über die Berichte vom Solln-Prozeß in verschiedenen Zeitungen, die sich teilweise so gar nicht decken oder offenbar sehr unterschiedliche Ausschnitte des Verlaufs hervorheben. Dann spricht Zeitung A von einer „Wende“ und meint aufgrund der Erkenntnisse des Tages, der Mordvorwurf sei wohl vom Tisch, während Zeitung B aufgrund desselben Tages die Position der Staatsanwaltschaft gestärkt sieht.

  5. 5
    RA JM says:

    Die Anhörung von kompetenter Seite als allerdings noch bisschen dauern. ;-)

  6. 6
    Herr K. says:

    Mittlerweile haben Kommentatoren im Lawblog nachgewiesen, dass jedenfalls in dem Zitat gegenüber der SonntagsZeitung, auf das sich die BaslerZeitung bezieht, das Wort „Opfer“ überhaupt nicht vorkommt.

  7. 7
    eborn says:

    Richter sollten gar keine Interviews in Verfahren, in die sie beruflich involviert sind, geben.

  8. 8
    eborn says:

    Staatsanwälte natürlich auch nicht.

  9. 9

    Ich könnte mir vorstellen, daß ein erfahrener Strafrichter den Terminus Technicus „Geschädigte“ verwendet hat.
    Es sei denn, er wollte das Verfahren los werden. So wie damals auch Bräutigam.

    P.s.: Ich hätte Mielke damals auch gerne in der Zelle besucht.;-))

  10. 10
    Burschel says:

    Vetter hat – ohne dies kenntlich zu machen – seinen Beitrag schlicht abgeschrieben, nämlich hier: http://www.heidrun-jakobs-blog.de/archives/110

  11. 11
    PH says:

    @Burschel: „abgeschrieben“? Irgendwie erscheinen mir die Artikel nur hinsichtlich des Gegenstandes gleich.

    Auch wenn ich die Ausführung von RA Vetter unter Verweis auf die BaslerZeitung problematisch halte, hat er doch bereits darauf hingewiesen, dass der Richter in der Schwetzinger Tageszeitung ähnlich wiedergegeben wird. Aber es bleibt dabei: Warum gibt ein Richter bzgl. eines bei ihm rechtshängigen Verfahrens ein Interview??

  12. 12
    Tourix says:

    Abgeschrieben hat Vetter nicht, wenngleich er diese Quelle benutzt haben dürfte.
    Heidrun Jakobs schreibt schon seit längerem über diese seltsame „Zustände“.

    Richter, Staatsanwalt und sogar der Knastdirektor geben Interviews die entweder die Öffentlichkeit nichts angehen, oder die auf einer Vorverurteilung schließen lassen, die für die Justiz äußerst blamabel ist.
    Dazu kommen noch persönliche Verquickungen, wegen denen ein vernünftiger Mensch längst den Fall abgegeben hätte.

  13. 13
    kuno says:

    „Die Kritik richtet sich daher an Herrn Vetter, der seinen Lesern – sicherlich unbedacht – suggeriert, Herr Seidling steht unmittelbar vor seiner (erfolgreichen) Ablehnung durch die Verteidigung.“

    unbedacht?
    Das ist die Vetter-Masche !

    Nach Auffassung aller Billig- und Gerechtdenkenden steht die Ablösung dieses unfähigen Menschen unmittelbar bevor.

    Sollte diese Erwartung nicht eintreten, waren finstere Mächte im Spiel, was nur zeigt, wie unfähig und verfilzt dieser Staat doch ist

  14. 14
    Burschel says:

    „Abgeschrieben hat Vetter nicht, wenngleich er diese Quelle benutzt haben dürfte.“

    ja, Sie haben wohl recht, sorry

  15. 15
    fernetpunker says:

    Ich finde den fraglichen Blog-Beitrag auch tendenziös und suggestiv. Sich an einem einzigen Wort („Opfer“) aufzugeilen ist auch für einen Strafverteidiger unseriös.

  16. 16
    fernetpunker says:

    p.s. Zumal es fraglich ist, ob der Richter dieses eine Wort überhaupt gebraucht hat.

  17. 17
    kari says:

    Wenn es in der Zeitung steht dann könnte der Richter eine Gegendarstellung machen.
    Wenn er das nicht tut dann hat er es auch so gesagt.

  18. 18
    chi says:

    @ kari: Aha, wer nicht gegendarstellt, stimmt also zu? Wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetzt, daß man jedem Unsinn ausdrücklich widersprechen müsse, werden manche Blätter bald nur noch aus Gegendarstellungen bestehen.

  19. 19
    nomen est omen says:

    ein bekannter berliner leitender oberstaatsanwalt (a.d.) pflegte immer gern zu sagen: „worte sind unsere werkzeuge“. ich finde, daran muss sich gerade auch ein richter messen lassen!

  20. 20

    @fernetpunker:
    In der Schwetzinger Zeitung vom 21.Juli wird der Richter (mit Anführungsstrichen für wörtliche Rede) so zitiert: «Ich habe weder Kontakt zum Vater noch zum Opfer gehabt.» Laut diesem Artikel hat er mit den Journalisten der Schwetzinger Zeitung gesprochen.
    Wären diese Worte so gefallen, wäre also der Richter korrekt so zitiert worden, dann wäre dies m.E. durchaus ein Anlass zur Besorgnis der Befangenheit. Es ist in der Tat die alles entscheidende Frage, ob die Anzeigeerstatterin Opfer ist oder nicht. In anderen Fällen mag eindeutig sein, dass jemand Opfer ist (und nur etwa die identität des Täters fraglich sein), dann wäre diese Aussage unproblematisch, aber in diesem?
    Herr Hoenig wirft aber zu Recht die Frage auf, ob der Richter sich tatsächlich so geäußert hat, oder ob die Schwetzinger Zeitung ihn falsch zitiert.

  21. 21
    fernetpunker says:

    @Henning Mueller, selbst wenn der Richter „Opfer“ gesagt hat, spricht das nicht unbedingt für Befangenheit. Dazu gibt es mehrere Kommentare im Lawblog, die sich auch auf die StPO stützen.

  22. 22
    fernetpunker says:

    p.s.: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2010/07/30/kachelmanns-richter-und-sein-interview/#comments

    Kommentar 29 von zwerg. Ich kann nicht beurteilen, wie stichhaltig die Argumentation ist. Das Hauptargument ist wohl, dass die StPO auch von Opfer spricht, wenn noch keine Verurteilung vorliegt, aber das behauptet Udo Vetter ja wohl, dass im Wort „Opfer“ eine Vorverurteilung liegt.

  23. 23

    Ich halte den Kommentar von Zwerg überhaupt nicht für stichhaltig. In vielen Fällen mag die Frage, dass es ein Opfer gibt und wer das ist, völlig unproblematisch sein. Da kann dann auch im Ermittlungsverfahren von „Opfer“ gesprochen werden. Man muss aber selbstverständlich auf den Einzelfall schauen und der ist hier eben so gelagert, dass die Frage, ob die Anzeigeerstatterin Opfer ist, DIE EINZIG relevante Frage des Prozesses ist. Wenn sich der Richter, von dem alles abhängt, schon vorher so äußert, gibt das Anlass zur Besorgnis. In § 154c StPO geht es doch um eine ganz andere Frage, nämlich eine des Verfahrens gegen das Opfer einer Erpressung – und eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft(!), die in § 25 StPO gar nicht betroffen ist. Auch hier wäre aber eine Besorgnis gegeben, wenn sich ein Gericht vor der Hauptverhandlung äußert, X sei Opfer einer Erpressung, sofern gerade dies die entscheidende noch offene Frage wäre.
    Wie schon gesagt, ist im hiesigen Fall allerdings fraglich, ob der Richter in der Zeitung korrekt zitiert wurde.

  24. 24
    Unsachverständiger says:

    Ist gegen den Richter Seidling Befangenheitsantrag gestellt worden? Wenn ja, wann und von wem (bitte um Quellenangabe)? Ich suche seit Tagen vergeblich einen entsprechenden Hinweis im Netz. Gegen diverse Zeitungs-, Foren- und Blogmeldungen, er sei (evtl.) befangen, muss er sich ja wohl nicht verteidigen, oder doch?