Die Auflösung – Wie würden Sie bestrafen

Ich hatte über einen bemerkenswerten Fall berichtet, in dem es um einen mehrfach vorbestraften Mandanten ging, der vier Bewährungsstrafen „offen“ hatte.

Nun stand er erneut vor Gericht wegen einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt. In der ersten Instanz hatte die Sitzungsvertreterin eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten ohne Bewährung beantragt.

Da es nach mehrstündiger Verhandlung, in der drei Zeugen vernommen und der Betreuer des Mandanten angehört wurden, mehrere „Gespräche außerhalb des Protokolls“ gegeben hatte, konnte ich auf einen konkreten Antrag verzichten. Ich ahnte, daß die Staatsanwaltschaft das Urteil nicht akzeptieren werde und wollte mir auf diesem Wege alle Optionen der Verteidigung in der Berufungsinstanz offen halten.

Der Mandant wurde im August 2009 zu einer Geldstrafe verurteilt. 50 Tagessätze. Bingo! Aber ich brauchte keine Glaskugel, um zu erkennen, daß das Urteil nicht halten wird.

Aus den Gründen:

Der 33 Jahre alte Angeklagte ist ledig und hat keine Kinder. Er ist zu 50 % geistig behindert und steht unter Betreuung. Er arbeitet 35 bis 38 Stunden wöchentlich in einer Behindertenwerkstatt in Kleinstadt und erhält hierfür 119,00 Euro monatlich. Die Einkäufe für den täglichen Bedarf erledigt er gemeinsam mit seinem Einzelfallhelfer. Wöchentlich stehen ihm hierfür 50,00 Euro zur Verfügung. Seit dem Jahr 2008 nimmt er an einer Gruppentherapie der Suchtberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt Kleinstadt teil. Der regelmäßige Besuch der Gruppensitzungen ist für ihn allerdings mit organisatorischen Schwierigkeiten verbunden, weil er über 15 km von Kleinstadt entfernt wohnt und öffentliche Verkehrsmittel nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Er versucht derzeit, in eine andere Therapiegruppe, die sich jeweils Freitags abends trifft, zu wechseln, weil er das Wochenende frei hat. Die Therapie hat ihm geholfen, seinen Alkoholkonsum zumindest zu reduzieren.

Soweit zu den persönlichen Verhältnissen. Zur Strafzumessung schrieb das Amtsgericht:

Das Gesetz sieht für vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Das Gericht hat die Strafe nach § 21 StGB in Vernehmen mit § 49 Abs. 1 StGB gemildert, weil nicht auszuschließen war, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt vermindert schuldfähig war. Damit ergibt sich ein Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu neun Monaten oder Geldstrafe.

Zwischenbemerkung:
Mit ihrem Antrag hatte die Staatsanwaltschaft also die Höchststrafe gefordert. Dazu muß man aber wissen, daß die Sitzung von einer Referendarin vertreten wurde. Sie hatte die Weisung von ihrem Ausbilder erhalten, eine solche Strafe zu beantragen; der kannte aber eben nur die Akte. Und nicht den Menschen, der hier vor Gericht stand.

Weitere Gesichtspunkte zur Strafzumessung:

Zugunsten des Angeklagten hat das Gericht berücksichtigt, dass er sich in vollem Umfang geständig eingelassen und einsichtig gezeigt hat.

Die Erklärung des Angeklagten in seinem Schlusswort, er werde auch weiterhin versuchen, sich zu ändern, ist glaubhaft, zumal seit der Tat, die bereits mehr als ein Jahr zurückliegt, keine weiteren Straftaten bekannt geworden sind.

Auch unter Berücksichtigung der zum Teil einschlägigen strafrechtlichen Vorbelastung und des Umstandes, dass der Angeklagte die Straftat während der laufenden Bewährungszeit begangen hat, erschien dem Gericht die Verhängung einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je [einstellig] Euro als ausreichend und tat- und schuldangemessen. Denn trotz seiner zahlreichen Vorstrafen ist eine rechtsfeindliche Gesinnung des Angeklagten heute nicht mehr erkennbar.

Zwar hat er in Kenntnis der Strafbarkeit seines Tuns erneut am Straßenverkehr teilgenommen, nachdem er zuvor erhebliche Mengen Alkohols zu sich genommen hatte. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich der Angeklagte in einem Konflikt befindet, weil er einerseits auf die Nutzung seines Fahrrades als Fortbewegungsmittel angewiesen ist, um die täglichen Wege zu seiner Arbeit, die er sehr ernst nimmt und gewissenhaft erfüllt, zurückzulegen, und es ihm anderseits noch nicht gelungen ist, seine Alkoholsucht wirksam zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund erscheint seine Schuld gering. Insgesamt ist das Bemühen des Angeklagten zu erkennen, sein Leben in den Griff zu bekommen und nicht mehr straffällig zu werden.

Es kam erwartungsgemäß die Berufung der Staatsanwaltschaft, ich habe „Anschlußberufung“ eingelegt und es folgten zwei Termine vor der Berufungskammer des Landgerichts. Die Staatsanwaltschaft war vertreten durch einen ausgewachsenen und erfahrenen Staatsanwalt, das Gericht besetzt mit zwei Schöffinnen, die – ebenso wie der Mandant – Tierhalter waren (was im Rahmen der Einlassung des Mandanten – Hundehalter (!) – eine wesentliche Rolle gespielt hat. ;-) ). Also insgesamt eine ideale Besetzung.

Ich hatte ein paar Schriftstücke vorgelegt und ansonsten den Mandanten reden lassen. Er hat es auf seine Art geschafft, die Türen offen zu halten.

Allein sein Vortrag, er habe seit über 2 Monaten keinen Alkohol mehr getrunken und sei nun festen Willens, dies auch künftig nicht mehr zu tun, wollten ihm der Staatsanwalt und der Vorsitzende Richter nicht so richtig glauben. Meinem entsprechenden Beweisantrag folgend wurde für zweiten Verhandlungstag dann der Betreuer als Zeuge geladen, der all das, was der Angeklagte mit seinen ganz einfachen Worten geschildert hatte, als völlig zutreffend bestätigte.

Es hat ein wenig gedauert, bis das Gericht nach den Schlußvorträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung wieder aus dem Beratungszimmer zurück kam – beide hatten eine Bewährungsstrafe beantragt: sechs Monate der Staatsanwalt, ich habe eine Freiheitsstrafe beantragt, die zur Bewährung ausgesetzt wird, und deren Höhe ich in das Ermessen des Gerichts gestellt habe.

Herausgekommen sind am Ende 3 Monate Freiheitsstrafe, die für die Dauer von 3 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der Mandant bekommt einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt, der ihm helfen soll, 30 Stunden Sozialdienste zu leisten.

Der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte erklären den Verzicht auf Rechtsmittel. V.u.g.

steht als letzter Satz im Sitzungsprotokoll.

Ich finde, diese Chance hat der Mandant verdient. Und ich bin überzeugt, daß er sich bewähren wird.

Nebenbei:
Meine Anträge in den beiden Instanzen hatte zur Folge, daß die Landeskasse einen Teil der Kosten des Angeklagten übernimmt.

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten, Staatsanwaltschaft, Verteidigung veröffentlicht.

15 Antworten auf Die Auflösung – Wie würden Sie bestrafen

  1. 1
    Ein Staatsanwalt says:

    „Ich finde, diese Chance hat der Mandant verdient.“

    Ganz ehrlich: Wenn ich diesen Satz lese, muss ich mir an den Kopf greifen. Wie viele Chancen braucht er denn bitteschön noch? Wenn vier Bewährungen nicht ausreichen, wieso soll es dann die fünfte tun?

    (Man möge mir verzeihen, strafrechtlich sozialisiert wurde ich in Bayern, da gibt es schon so was wie zwei offene Bewährungen eher selten. Fünf Bewährungen sind hier schlicht unvorstellbar.)

  2. 2
    Das Ich says:

    Den sehen Sie wieder…und hoffentlich hat er dann niemand totgefahren oder verletzt!
    Zu 50% geistig Behindert? Kann er überhaupt „einsehen“?
    Wie kommt sojemand überhaupt an einen Führerschein?

  3. 3
    mog0 says:

    @ Das Ich

    Kannst Du überhaupt lesen?

    Wo steht da was von Führerschein?

    Der ist mit einem FAHRRAD gefahren. Ist schwer, damit jemand tot zu fahren.

  4. 4
    Kampfschmuser says:

    Na ja, die ganzen Umstände + Fahrrad + aktuelle (positive) Situation lassen einen innerlich milde stimmen.

    Wichtig ist nicht die Strafe, sondern das Ergebnis. Wenn der Mandant sich nun gesetzeskonform verhält, das Ganze dafür gesorgt hat, dass er nun nicht mehr säuft, war es ein Erfolg.

    Der zweite Weg hätte Knast bedeutet. Bei den Voraussetzungen (geistiges Vermögen und Hang zum Alkohol) wäre das wohl ein Desaster geworden.

    Das Recht ist -> für <- die Menschen da.
    Immer das Gesamtbild im Auge behalten.

  5. 5
    egal says:

    Dass ein Verteidiger so handeln sollte, steht wohl außer Frage.

    Was allerdings die Allgemeinheit davon halten mag, einen Bewährungsversager nochmals die Chance für eine Trunkenheitsfahrt zu geben, will ich hier lieber nicht in Gänze ausführen.

    Manchmal mag es wohl gut sein, nicht im engeren Umfeld seiner Mandanten zu wohnen, Herr Hoenig. Vermindert sicherlich das allgemeine Lebensrisiko drastisch…

  6. 6
    rajede says:

    Der Mandant bekommt einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt, der ihm helfen soll, 30 Stunden Sozialdienste zu leisten.

    Wird schwer werden einen Bewährungshelfer zu finden!
    :-)

  7. 7
    Dante says:

    Ich bleibe bei meiner Prognose: Der kommt wieder! Und mit der neuen Strafe geht er dann für rund zwei Jahre in Haft.

    Ich hoffe da berichten Sie dann auch drüber!

  8. 8
    Lord says:

    @Dante:

    bei ner neuen Verurtielung bekommt er sicher 2 Jahre MRV. Alkohol und Verkehrsdelikt legt sowas nahe…

    Anbei sollte man nie vergessen, daß Sucht eine Krankheit ist die man so wirklich nie los wird.

  9. 9
    Dante says:

    MRV?

  10. 10
  11. 11
    Das Ich says:

    @ mong0
    Also mit einem Fhrad kann man auch sehr gut jemanden totfahren.
    Darum geht es aber nicht. An deinem Ton merke ich, dass Du nur auf Provozieren aus bist. Nun, da mache ich nicht mit;-)

    Ich hoffe nicht, dass der Kollege irgendwan für einen Unfall verantwortlich ist, bei dem jemand aus Ihrer nachen Verwandschaft betroffen ist…aber das ist Berufsrisiko.

    PS: Ich bin vom 3-5 In Berlin…Echo schauen. Soll ich Ihnen mal nen ordentliches Partyfässchen Kölsch mitbringen Herr Hoenig?

  12. 12
    gogomobil says:

    Betrunkene Fahrradfahrer gefährden sich doch höchstens selber.
    So ein geistig Behinderter ist mit einem 21-jährigen gleichzusetzen und nachdem er nunmal den Alkohol schon intus hatte konnte er bei dem Wetter nicht am Strassenrand schlafen.

    Ein 38-fach einschlägig vorbestrafter 21-jähriger Gewalttäter kommt nach einer planmässig begangenen schweren Körperverlezung mit 6 Monaten auf Bewährung davon.

    Da sind 38 Sozialstunden noch vergleichsweise viel.

  13. 13
    Das Ich says:

    Manchmal…also gaaanz manchmal vermisse ich in Deutschland die 3-Strikes Regelung aus Amiland.

    Aber nur manchmal.

  14. 14
    Kampfschmuser says:

    @Das Ich
    Schauen sie sich mal die Zahlen für Gefangene in Deutschland und in der USA an:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Gef%C3%A4ngnis#Statistik
    Die USA liegt mit 0,75% Gefangenen auf Platz 1. Deutschland liegt mit 0,09% im unteren Teil. Und da vermissen sie (manchmal) Amilandverhältnisse?

    Einzig die Bauwirtschaft würde sich freuen Anstalten ohne Unterbrechung zu bauen. Wir könnten ja auch eine Insel (Rügen?) abtrennen und gleich jeden 100. dorthin deportieren.

  15. 15
    Arno, Nimm! says:

    @Kampfschmuser:
    Die Idee mit der Insel haben Sie bei den Briten abgeschaut, oder? ;-)