pro reo Preis an Dr. Nobis, Iserlohn

pro reo – der Ehrenpreis der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen AnwaltVerein – wurde heute in Berlin dem Iserlohner Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. jur. Frank Nobis verliehen. Gegen Dr. Nobis wurde am 20.5.2003 durch das Amtsgericht – Schöffengericht – Hagen, dessen Vorsitzender des Richter am Amtsgericht Kleeschulte war (und ist!), 1 Tag Ordnungshaft festgesetzt. Der Richter lies den Strafverteidiger im Gerichtssaal verhaften und in die JVA Hagen abführen.

Wegen der Begründung einer Haftentscheidung durch das Gericht:

Sinngemäß erklärte der Richter: Er habe den Angeklagten vor der Hauptverhandlung auf die Beschwerde des Verteidigers hin sicherlich entlassen können, habe dies aber nicht getan, weil ihm die Diktion der Haftbeschwerde, mit der der Verteidiger dem Gericht offensichtlich vorschreiben wollte, was das Gericht zu tun habe, missfallen habe. Deshalb habe er bereits eingeleitete, zur Entlassung des Angeklagten dienende Ermittlungen nach Vorlage der Haftbeschwerde wieder abgebrochen und den Angeklagten weiter in Haft gelassen.

kam es im weiteren Verlauf der Verhandlung binnen Minutenfrist zum Eklat.

Dr. N. bittet den Richter […] im ruhigen Ton, die soeben getätigte Äußerung gem. § 183 GVG zu protokollieren. Der Vorsitzende Richter lehnt ab: „Hier werden jetzt keine Anträge mehr gestellt.“ Dr. N. bittet daraufhin, dann doch zumindest zu protokollieren, dass der Verteidigung nicht die Möglichkeit gegeben werde, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Dr. N. wiederholt letztere Bitte unter Hinweis darauf, dass Anträge der Verteidigung zu den wesentlichen Förmlichkeiten gem. § 273 StPO gehören. Das ist offensichtlich zuviel des „Rechtsgespräches“: Wild mit den Armen fuchtelnd fordert der Richter den Verteidiger lautstark auf, unverzüglich den Sitzungssaal zu verlassen. Dr. N fragt höflich an, ob dies eine sitzungspolizeiliche Maßnahme sei, und weist darauf hin, dass „derartige Maßnahmen“ gem. §§ 177, 178 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) gegen den Verteidiger unzulässig seien. Derart ruhige, auf dem Strafverfahrensrecht ruhende Sachlichkeit ist für den Richter offensichtlich zuviel des Guten: Er unterbricht die Hauptverhandlung und weist gleichzeitig die anwesenden Gerichtswachtmeister an, den Verteidiger Dr. N zu durchsuchen, ihm sein Handy abzunehmen, ihn zu verhaften und ihn bis zu seiner späteren Vorführung in einer Zelle auf der Gerichtswachtmeisterei zu verwahren.

Nach ca. 15 Minuten „Inhaftierung“ wird der – so das „spätere Hauptverhandlungsprotokoll – „Störer Dr. N“ vorgeführt. […] Ein Tag Ordnungshaft gem. § 178 Abs.1 GVG wegen gröblicher Ungebühr! „Herr Wachtmeister, führen sie den Störer ab.

Rund drei Stunden später ist der Spuk vorbei, nachdem das OLG Hamm eiligst zunächst die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses vorläufig aussetzt, um wenig später im Beschluss vom 6.6.2003 in aller Deutlichkeit die Unzulässigkeit sowohl der Entfernung aus dem Sitzungssaal als auch der Anordnung von Ordnungshaft festzustellen.

[…]

Entsprechend ist in der deutschen Rechtsgeschichte noch nie (!), noch nicht einmal während der Herrschaft des Nationalsozialismus, ein Verteidiger durch einen Gerichtsvorsitzenden im Gerichtssaal verhaftet worden.

Quelle: StrFo 8/2005, Ordnungshaft gegen den Verteidiger – Eine Justizposse aus Hagen; zum Beschluss des OLG Hamm – 2 Ws 122/03 -, von RA Dr. Frank Nobis

In seiner Laudatio während der Preisverleihung trägt der Berliner Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung BerlinerStrafverteidiger e. V., unter anderem vor:

Ich sehe Ihre preiswürdige Leistung […] darin, daß Sie uns durch Ihr unerschrockenes Auftreten vor einem offenbar aus dem Ruder des Rechts gelaufenden Gericht daran erinnert haben, wo das Herz der Strafverteidigung schlägt:

Nämlich im Eintreten für den Angeklagten im Hier und Jetzt der alltäglichen, präsenten Konfrontation der Verfahrensbeteiligten.

Sowohl die von Dr. Nobis reklamierte Haftentscheidung als auch die ordnungsrechtlichen Maßnahmen des Gerichts, nein: des Richters!, stellen einen offenen Rechtsbruch dar. Die Verhaftung und die Verhängung der Ordnungshaft gegen ein Organ der Rechtspflege wurde daher auch von dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zutreffend als unzulässig bezeichnet. Der Richter Kleeschulte konnte, sollte und mußte also wissen, was er da tat.

Wie Herr Dr. Nobis in seiner Dankesrede mitteilte wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Richter, das wegen Rechtsbeugung (und Freiheitsberaubung?) mangels nachweisbarem Vorsatz eingestellt, die Dienstaufsichtsbeschwerden als unbegründet zurückgewiesen. Richter Kleeschulte sei nach wie vor noch (Straf-)Richter am Amtsgericht Hagen.

An dieser Stelle auch von mir, wenn es einem kleinen Strafverteidiger denn zusteht, einen herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis und meine Hochachtung für sein Verteidigerverhalten an Herrn Kollegen Dr. Nobis.

Dieser Beitrag wurde unter Strafrecht veröffentlicht.

15 Antworten auf pro reo Preis an Dr. Nobis, Iserlohn

  1. 1
    Dagmar Schön says:

    Wir brauchen viel mehr von Verteidigern, Anwälte, Juristen, die das Grundgesetz auch im Tagesgeschäft im Auge haben. Menschen mit Rückgrat, Leidenschaft und aufrechtem Gang.

  2. 2
    Folkert Janke says:

    Ich war selbst einmal am AG und LG Hagen tätig und Dr. N. ist dort kein Unbekannter. Ohne diese Würdigung in Frage zu stellen, zu einer Geschichte gehören auch immer zwei Seiten. Die Verhängung der Ordnungshaft liegt ohne Diskussion völlig daneben und rechtfertig schon daher eine Auszeichnung. Man muss sich allerdings auch fragen, wieso sowohl Strafverfahren als auch Dienstaufsichtsbeschwerde ins Leere liefen.

    Man kann jetzt von guter Strafverteidigung unterschiedliche Ansichten haben. Ich gebe nur eine Sache zur Diskussion:
    Bei vielen Entscheidungen hat ein Richter einen nicht geringen Spielraum. Besteht nun aufgrund gewisser Vorkommnisse eine gewisse Antipathie zum Verteidiger des Angeklagten, kann – trotz aller Professionalität des Richters – sicherlich nicht ausgeschlossen werden, dass sich dies auch irgendwo negativ niederschlägt. Die Selbstinszenierung eines Rechtsanwalts (die sicherlich auch dem Anwaltsmarketing dient) sollte da aufhören, wo sie zu Lasten des Mandanten auch nur gehen könnte. Denn am Ende zählt für den Mandanten nicht eine gute „Show“, sondern das für ihn bestmögliche Urteil.

  3. 3
    RA Carsten R. Hoenig says:

    Es mag sein, daß die Atmospähre in dem Verfahren bereits vergiftet war, als der Richter die Haftentscheidung begründete. Das ist nicht schön, kommt im Strafprozeß aber nicht selten vor. Deswegen sollte ein professionell arbeitender Strafrichter damit auch umgehen können.

    Es gehört aber nicht zum „Anwaltsmarketing“, sondern das ist die Pflicht des Verteidigers, in einer solchen Situation dafür Sorge zu tragen, daß der Rechtsbruch des Richters beweissicher dokumentiert wird. Zum Schutze seines Mandanten, der dann mit einer korrigierenden Entscheidung im Rechtsmittel rechnen kann. An Marketing wird Dr. Nobis in jener Lage gewiß nicht gedacht haben.

    Problematisch war im vorliegenden Fall wohl „nur“, daß der Richter selbst sein eigenes Verhalten gem. § 183 GVG im Protokoll festhalten sollte. Das wollte er offenbar nicht, obwohl die Norm ihm an dieser Stelle keinen Spielraum ließ: „so hat das Gericht den Tatbestand festzustellen„. Aber auch darüber hat sich der Richter hinweggesetzt.

  4. 4
    Folkert Janke says:

    Das „Anwaltsmarketing“ bezog sich nicht auf die Protokollierung, sondern generell auf (unnötig provokantes) Verhalten gegenüber Richtern. Der ganze letzte Absatz meines Kommentars ist nicht auf den konkreten Fall bezogen.

  5. 5

    Danke für die Klarstellung.

    Es bleibt das Problem: Wann ist provokantes Verhalten unnötig? „Dealsucht“ versus „Verteidigung ist Kampf“ sind die beiden Antagonisten. Da hilft nur Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

  6. 6

    Was muss eigentlich noch alles passieren, ehe eine breite Front von Verteidigern – aber auch die Medien – Fälle dieser Art derart publik machen, dass Richter dieser Sorte und andere selbsternannte Götter in schwarz nicht mehr im Amt gehalten werden ?

  7. 7
    Jura Hurra says:

    Halten sich nicht auch die Herren und Damen Anwaelte fuer „Goetter in schwarz“, wenn sie „heroische“ Preise fuer 3 Stunden Haft in einem geheizten und beleuchteten Nebenzimmer verteilen und gleich dazu die furchtbaren 13 Jahre bemuehen? Welche Preise gibt es fuer die Anwaelte, die die Fehler ihrer Anwaltskollegen standhaft ausbuegeln? Wenn der Preis nicht vom groessten aller Lobbyisten kaeme, der immer wieder [Beleidigung gelöscht. crh] das Anwaltsleid beklagt, man koennte meinen, es sei ernst gemeint.

  8. 8

    Rechtsstaat Deutschland

    Bin durch Zufall auf einen Vorfall in einem deutschen Gericht aufmerksam geworden, den ich mir so in Deutschland bislang nicht hatte vorstellen können. Der Sachverhalt endete schließlich in der Verleihung…

  9. 9
    Mitleser says:

    Wie kann man in einer solchen Konstellation und vor dem Hintergrund von „Jura novit curia“ den Vorsatz des Richters im Hinblick auf 339 und 345 verneinen?

    Es ist unglaublich, was sich der Richter rausgenommen hat und unfassbar, dass er keine Folgen zu spüren hat!

  10. 10

    Wenn deutsche Richter ausrasten…

    Von einem Ausraster besonderer Art berichtet Udo Vetter im lawblog. Ein Amtsrichter aus Hagen ließ einen Rechtsanwalt während einer Verhandlung mal eben einfach so einbuchten. Und das obwohl der Staatsan…

  11. 11
    Referendar says:

    Wäre das Verhalten des Richtes für zukünftige Verhandlungen nicht ein Befangeheitsgrund?

  12. 12

    Ich habe den Kollegen Dr. Nobis mit dem schönen langen Haar als Referendar beim LG Hagen erlebt und kann mir durchaus vorstellen, dass der eloquente Verteidiger andere Menschen – auch einen Richter – ganz schön in Rage versetzen kann.

    Der Richter ist doch auch nur ein Mensch mit mehr Macht als die meisten anderen Menschen! Sollte ein Richter immer die Fassung bewahren? Darf ein Richter nicht mal durchdrehen und Richter Gnadenlos (Marke frei!) spielen? Was ist mit der Kindheit des Richters?

  13. 13
    RA Carsten R. Hoenig says:

    Die Kindheit des Richters interessiert mich nicht,wenn er mich einsperrt. Danach frage ich erst, wenn ich ihn verteiden darf.

  14. 14

    […] Bin durch Zufall auf einen Vorfall in einem deutschen Gericht aufmerksam geworden, den ich mir so in Deutschland bislang nicht hatte vorstellen können. Der Sachverhalt endete schließlich in der Verleihung des pro reo Preis an Dr. Nobis, Iserlohn; auf der genannten Seite ist der ausführliche Sachverhalt nachzulesen. […]

  15. 15
    Rainer Schuhmacher says:

    3 Strafbefehl Verfahren

    Richter Feldkamp: Freispruch? Herr Verteidiger sie sind hier in Moabit, hier gibt es so was nicht. Nachdem der Vorwurf gegen den Angeklagten widerlegt war, gab der Richter Feldkamp einen rechtlichen Hinweis, es könne auch eine Verurteilung wegen der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung erfolgen. Daraufhin beantragte der Verteidiger die Aussetzung des Verfahrens bzw. Zeit um sich mit dem neuen Vorwurf sachgerecht auseinandersetzen zu können um seinen Mandanten optimal zu verteidigen. Richter am Amtsgericht Tiergarten Feldkamp lehnt ab schließt die Beweisaufnahme und Verurteilt. So geschehen am 15.06.2010 (Berufung)

    Richterin am Amtsgericht Tiergarten Radeike: Lehnt einen Beweisantrag welcher die Unschuld des Mandanten beweist mit der Begründung ab: Der Beweisantrag ziehe auf einen Verfahrensverzögerung ab. Dieses nachdem Staatsanwaltschaft und Gericht das Verfahren seit 9 jahren verschleppt hatten. So geschehen am 20.03.2006 (Aufgehoben durch Freispruch LG Berlin)

    Richterin Bauersfeld, am Amtsgericht Tiergarten: Sie haben doch nur einen Insolvenzantrag gestellt um sich einer Bestrafung zu entziehen. Das Urteil wegen Insolvenzantragstellung beim falschen Gericht 100 Tagesätze a, 100€ (Aufgehoben durch Freispruch LG Berlin)