Großes Latinum für Polizeibeamte?

Der Mandant heißt diesmal nicht Wilhelm Brause. Er hat einen Namen, der die Vermutung nahe legen könnte, daß seine Eltern oder Großeltern eine andere Sprache gelernt haben als die deutsche. Diejenigen unter uns, die man im Teenager-Alter im Latein-Unterricht gequält hat, könnten zumindest eine grobe Richtung vorgeben, aus der die Familie des Mandanten nach Mitteleuropa gekommen sein könnten. Da der Name weder eine nennenswerte Anzahl des Buchstabens „ü“ hat, noch mit den Buchstaben „ski“ endet, kommt eine begrenzte Zahl an Herkunftsländern in Betracht, die eher im Süd-/Westen und nicht im Osten Berlins liegen.

Dieser Mensch steht nun im Verdacht, eine Straftat begangen zu haben. Deswegen schreibt die Polizei ihn an und lädt ihn zur Anhörung vor:

Vorladung

Soweit, so üblich. Diesen Textbaustein kann jeder Polizeibeamte und jeder Strafverteidiger auch dann rückwärts singen, wenn man ihn nachts um 3 aus dem Bett holt. Den tieferen Sinn dieser Formulierung und deren Gefährlichkeit versteht allerdings nur derjenige, der sich mit den Methoden und Strukturen eines Ermittlungsverfahrens auskennt. Die Kenntnisse der deutschen Sprache sind dafür nur eine Einstiegsvoraussetzung.

Es folgen weitere Hinweise, die sicherlich nicht falsch sind, gleichwohl sind sie unvollständig und deswegen – aus Sicht des Beschuldigten – auch gefährlich.

Dolmetscher

Nun könnte man sich fragen, ob es wirklich die Aufgabe der Polizei ist oder die eines Strafverteidigers, den Beschuldigten an dieser Stelle des Verfahrens bereits in allen Einzelheiten über die Rechte und Chancen einer effektiven Strafverteidigung aufzuklären.

Spannend ist allerdings der (vom Polizisten) gelb markierte Teil der Vorladung. Offenbar hat Polizeibeamte, der den Mandanten „anhören“ möchte, eine dunkle Ahnung. Die begründet sich in dem ausländisch klingenden Namen des Mandanten. Was soll der Ermittler also machen?

Wenn der Beschuldigte tatsächlich der deutschen Sprache nicht mächtig ist, wird er im Zweifel diesen Satz nicht verstehen. Also könnte der Beamte auf die Idee kommen, den Text zu übersetzen. Nur in welche Sprache? Der Standort Neukölln legt da erst einmal türkisch oder arabisch nahe, da viele Neuköllner nebenher auch Türken oder Araber sind. Das paßt in diesem Fall aber nicht zu der vermuteten Herkunft des Namens.

Wenn der Polizeibeamte – wie ich – an einem altsprachlichen Gymnasium ausgebildet worden wäre und dann auch noch – anders wie ich – im Lateinunterricht aufgepaßt hätte, hätte er den Satz in die Ursprache des Romanischen übersetzen können. Dann wäre die Chance deutlich größer, daß der Hinweis auch verstanden wird. Aber das kann man von einem gemeinen Polizeibeamten ja nun wirklich nicht erwarten.

Nebenbei: Bereits die Großeltern des Mandanten sind hier in Deutschland geboren und er hätte den Hinweis sicherlich erst Recht nicht verstanden, wenn er in lateinischer Sprache formuliert worden wäre.

Polizeibeamte haben’s wirklich nicht einfach …

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten, Polizei veröffentlicht.

16 Antworten auf Großes Latinum für Polizeibeamte?

  1. 1
    Caron says:

    Oder aber, man vermeidet es, sich einen bissigen Kommentar einzufangen, weil man jemandem mit spanischem Namen, der in drölfter Generation in Deutschland lebt, spanische Sätze schickt. Den würde ich von Ihnen nämlich im Alternativfall erwarten.

    Stattdessen markiert man den Satz in Deutsch, so dass jemand, der ihn nicht versteht, sich wenigstens denkt „Oh, das ist wohl wichtig, vielleicht frage ich da mal jemanden, was das heißt.“ In welcher Sprache nun auch immer.

  2. 2
    AuchKeineÜimNamen says:

    Im Prinzip müsste sowieso der ganze Brief übersetzt werden.
    Aber vielleicht hofft man darauf, dass jemand der der deutschen Sprache nicht mächtig ist den Brief übersetzen lässst

  3. 3
    Haarspalter says:

    – anders als ich –
    *wenn es hier schon um deutsche Sprache geht…

  4. 4
    jesse says:

    wie ich – wunderbar
    anders wie ich – Bitte, bitte nicht. Es heißt anders ALS ich

  5. 5
    Giovanni di Lorenzo says:

    Tja, wie man’s macht, ist’s falsch. Noch falscher wäre doch wohl, den in über 16 Millionen in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund allein wegen ihres ausländisch aussehenden Namens zu unterstellen, sie könnten kein Deutsch, und mit dieser Begründung immer eine Übersetzung beizulegen.

    • Da – insbesondere mit Ihrem ersten Satz – könnten Sie Recht haben. Gruß von Deniz Yücel (aka crh).
  6. 6
    f.loskel says:

    Nehmen wir die weisen Ruhrpottler und entscheiden uns für „anders als wie ich“

  7. 7
    JA JM says:

    Jetzt mal ehrlich, Carsten: Könntest Du den betreffenden Satz heute wirklich noch ins Lateinische übersetzen? Trotz großen Lat(r)inums hätte ich da einige Probleme. ;-)

    • Ich kann das auch nicht mehr, nicht nur, weil ich seinerzeit nicht aufgepaßt habe. Aber ich habe die Hoffnung, irgendein altsprachlich gebildeter Gymnasiast macht sich mal hier diese Mühe. (Ich würde den Satz dann auch an den PolPräs schicken, zur gefälligen zukünftigen Verwendung.) crh
  8. 8
  9. 9
    skugga says:

    @ RA JM & crh: Ob hier irgendein altsprachlich gebildeter Gymnasiast mitliest? Beim großen Latinum könnt ich mich anschließen, aber das ist inzwischen dermaßen lang her, dass als Übersetzung auch eher was „Romanes eunt domus“-Ähnliches rauskäme…

  10. 10

    „…hätte er den Satz in die Ursprache des Romanischen übersetzen können“.

    Dann hätte’s aber einen entsprechenden Textbaustein bedurft. Ob’s den denn gibt, wage ich zu bezweifeln, auf welcher Sprache auch immer…

  11. 11
  12. 12
    MaxR says:

    Man kann versuchsweise den Brief an den Bayrischen Rundfunk senden: In der ansonsten sehenswerten Sendung „Vereinsheim Schwabing“ gibt es jeweils eine Übersetzung eines aktuellen Satzes ins Lateinische.

  13. 13

    Die Tücke besteht darin, dass die Belehrung nutzlos ist, wenn jemand tatsächlich kein Deutsch spricht oder versteht, was bei den meisten in Neukölln oder Steglitz lebenden Türken nicht der Fall ist.

    Daher ist sie unwirksam….

  14. 14
    Charlie says:

    Nur mal so:
    Wer den (gemarkert hervorgehoben) Satz nicht versteht und das nicht zum Anlass nimmt, jemanden zu fragen, der helfen kann, der wird vermutlich das ganze Schreiben nicht verstehen und nicht wissen, was man überhaupt von ihm will …

    … und deshalb gar nicht erst hingehen. ;-)

  15. 15
    raddi says:

    Nun ja – also erstens ist das kein „Textbaustein“, sondern ein Komplettformular, in dem ich nix ändern kann. So gern ich das manchmal auch wollte. Und zweitens wage ich mal zu behaupten, dass ich in Frankreich eine Vorladung auch nicht wirklich in deutscher Sprache bekommen werde.
    Im übrigen: Amtssprache ist wohl in unserer Gegend nach wie vor deutsch. Dazu hatte im August 1974 das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass ein Ausländer keinen Anspruch darauf hat, dass an ihn gerichtete amtliche Schriftstücke in seiner Heimatsprache abgefasst werden. Er (und nicht die Behörde) müsse sich vielmehr, wenn er der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei, über den Inhalt des Schriftstücks mit Hilfe eines Dolmetschers Klarheit verschaffen. (Wiki)

    der raddi

  16. 16

    Immer wieder stellt sich die Frage nach dem Geltungsbereich der StPO, Strafprozessordnung.
    Damit hat das Bundesverwaltungsgericht nichts zu tun.

    Amtssprache ist im Übrigen nicht Deutsch, sondern Juristen-Chinesisch, was keiner versteht, so dass man immer einen Dolmetscher ( Rechtsanwalt ) braucht, um eine Ahnung zu erhalten, was da gerade passiert.

    Das, was so in Schriftsätzen, Urteilen und Ladungen zu finden ist, müsste einmal linguistisch gewürdigt werden, eine Melange aus Sprachfragmenten, Anglizismen, falsch geschriebenen Lateinvokabeln, verrührt mit Blödsprech, Aggro-Mansch und Kommunkationsabotage. Currywurst-Speak, Bürokratensenf.