Ein illustres Beispiel dafür, mit welcher Arroganz unsere Justiz mit dem wichtigsten Beweismittel in einem Strafprozeß – den Zeugen – umgeht, zeigt das folgende Beispiel.
Für den letzten Hauptverhandlungstermin hatte der Vorsitzende zwei Zeugen geladen. Beide gleichzeitig für 10 Uhr. Die erste Zeugin war eine Polizeibeamtin, die an zwei sehr umfangreichen Vernehmungen der minderjährigen Geschädigten aktiv beteiligt war; mit zwei weitere Vernehmungen hatte sie ebenfalls zu tun. Alle vier Vernehmungen enthielten reichlich Widersprüche, die der Aufklärung bedurften.
Die Geschädigte wurde bereits vorher schon an drei Tagen vernommen. Eine ihrer Standard-Antworten, wenn es an’s Eingemachte ging oder wenn diese Widersprüche thematisiert wurden, lautete: „Da kann ich mich grad nicht dran erinnern.“
Es war also erkennbar, daß wir – d.h. das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die 8 Verteidiger der vier Angeklagten – die Vernehmungsbeamtin zahlreiche Fragen haben werden.
Der zweite Zeuge war ein Unbeteiligter, der über seine Wahrnehmungen zu einem kurzen Geschehen Auskunft geben sollte. Seine Aussage über ein Detail ist von zentraler Bedeutung für das Ergebnis der Beweisaufnahme. Das Wohl und Wehe von drei Angeklagten hängt von seinem Bericht ab.
Beide Zeugen warteten pünktlich um 10 Uhr vor dem Gerichtgssaal. Der Zeuge bereits seit 9:30 Uhr, weil er keinesfalls zu spät kommen wollte. Die Kriminalbeamtin wurde zuerst vernommen. Fast drei Stunden lang. Was von Anfang an vorhersehbar war.
Der Zeuge saß während dessen – uninformiert – auf dem zugigen Gerichtsflur. Gegen 13 Uhr wurde er dann vom Vorsitzenden in den Saal gerufen, um ihm mitzuteilen, daß man ihn heute nicht mehr anhören könne. Er durfte also unverrichteter Dinge das Gericht wieder verlassen. Allerdings nicht ohne erneute Ladung; zum 03.01.2018 um 10 Uhr soll er erneut erscheinen, damit man ihn dann vernehmen könne.
Zuvor hatte derselbe Vorsitzende, der jenen Zeugen bereits einmal verladen(sic!) hat, diese Ladungsliste an die Verfahrensbeteiligten geschickt:
Bei diesen Zeugen handelt es sich ebenfalls nicht um solche, die auf zwei, drei Fragen antworten und dann nach 3 Minuten den Saal wieder verlassen können. Es handelt sich um das Zeugenprogramm für den gesamten Verhandlungstag, der voraussichtlich wie die vorherigen gegen 16:30 Uhr enden wird. Da kommt’s dem Richter anscheinend auf den einen oder anderen mehr oder weniger auch nicht mehr an.
Hat jemand Einwände gegen meinen dringenden Rat: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen! Und es nach Möglichkeit vermeiden, als Zeuge in Betracht zu kommen. Um sich nicht von einem Richter zum Affen machen zu lassen?